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2 Seiten

Fragen an den Tod

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© H. Seeg
Die Menschen kümmern sich im Leben um den Tod. Sie finden es schrecklich und erschreckend den Gedanken der Endlichkeit der eigenen Existenz zu denken. Was für ein Gedanke? Irgendwann ist man einfach nicht mehr da. Irgendwann steigt man in einen ewigen Schlaf. Irgendwann ist man nur noch eine tote Hülle. Wie groß ist die Angst der Menschen vor diesem Gedanken?
Helfen wir uns nicht selbst indem wir uns damit trösten, dass wir wiedergeboren werden, dass wir in den Himmel kommen, dass wir als Geist weiterhin auf der Erde wandeln? Versuchen wir damit nicht einfach uns zu trösten? Wollen wir uns damit nicht aufbauen, uns die Angst nehmen? Eine Angst, die wir nicht hätten, könnten wir nur im Heute leben? Eine Angst, die uns nur gegeben ist, da wir um die Endlichkeit wissen, die uns umgibt. Wir wissen um die Endlichkeit unserer eigenen Existenz, um die Endlichkeit der vielen Geschöpfe, die auf dieser Erde wohnen. Wir wissen darum und nur aus diesem Grund gibt es diese Angst. Nur aus diesem Grund gibt es dieses Gefühl.
Doch was ist dieses Gefühl? Was sind diese Gedanken an die Zukunft? Sind es nicht einfach nur Signale und biochemische Reaktionen, die uns evolutionär irgendwann einmal in unsere sterbliche Hülle gelegt wurden? Und wenn das alles so zu begründen ist, ist dieses Gefühl, diese Angst dann noch wichtig? Unser Gehirn betrügt uns täglich. Es betrügt uns in unserer Wahrnehmung, es betrügt uns in unserem Tun. Wir sind nicht vollkommen frei. Wir sind ein Opfer dieser Prozesse. Wir sind nichts weiter als anatomisch begründbare Reaktionen. Ist es, wenn man aus dieser Sicht die Welt betrachtet nicht gleichgültig ob wir Leben? Ist es nicht gleichgültig ob wir sterben? Und betrachten wir uns die Welt mit ihren Milliarden von Menschen. Fallen wir dann überhaupt noch auf? Werden wir nicht irgendwann ohnehin vergessen sein? Ein Licht, das für einen kurzen Moment aufflammte und sofort wieder erlosch? Ein Licht, das vom Sturm des Lebens getrieben, immer wieder beinahe zum erlöschen gebracht wurde, ohne dass wir Angst empfanden? Weil wir es oftmals einfach nicht bemerkten. Weil wir es einfach nicht abschätzen konnten.
Für einen Toten ist der Tod nicht schlimm. Es sind vielmehr die Lebenden, die es nicht ertragen können, einen Menschen zu verlieren. Sie versuchen sich zu trösten, indem sie Gräber anlegen und sie pflegen. Beinahe so, als wollten sie sich ein reines Gewissen vor jenem Verschaffen, der sie nun nicht mehr sehen kann. Und den die lebenden nicht mehr sehen können. Warum sonst würden wir einen solchen Totenkult betreiben? Warum sonst betrauern wir für eine Ewigkeit die Menschen, die nun nicht mehr unter uns sind? Wem nützt dies alles? Doch nicht dem Toten. Es nutzt nur den Menschen, die noch unter uns sind. Doch auch dieser Totenkult bringt einen Menschen nicht mehr zurück. Wie oft sagen wir, wir können einen Menschen nicht vergessen? Wie oft heucheln wir, wenn es um die Toten geht? Denken wir wirklich weiterhin an sie? Oder denken wir vielmehr an uns selbst?
Und nach diesen Gedanken frage ich mich, ob wir nicht einfach die Zukunft ausblenden sollten? Sollten wir nicht einfach leben? Ohne nach den Konsequenzen zu fragen? Warum hecheln wir danach keine Fehler zu machen? Warum sind wir nicht einfach Menschen? Wen werden die Fehler unseres Lebens interessieren, wenn wir nicht mehr Leben? Den Toten sicherlich nicht. Also sollten wir Leben. Wir sollten unser Herz fliegen lassen. Wir sollten es genießen. Wir sollten...
Doch eines, das möchte ich sicherlich nicht. Ich möchte nicht ewig Leben. Ich möchte zurückblicken können und sagen: „Das war mein Leben. Ich habe nichts verpasst.“
Der Zeitpunkt ist egal. Furchtbar egal. Der Tod ist nichts wirklich schreckliches. Er ist ein Teil von mir, ein Teil von jede Menschen. Der Tod ist das Einzige, das unser Leben an Sicherheit bietet. So nehme ich ihn an. Ich fürchte mich nicht vor dem Ende. Ich fürchte mich nur vor dem ewigen Leben. Und immer wieder stelle ich mir nur eine Frage: War mein Leben bis heute jenes Leben, das ich in meinen letzten Sekunden mit einem Lächeln verlassen will? Ohne eine Sekunde des Zweifels?
 
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Kommentare  

Während ich Emotionen empfinde, gibt es in meinem Organismus biochemische Reaktionen. Meine Emotionen jedoch auf diese Reaktionen zu reduzieren wäre unwissenschaftlich.

Crazy Diamond (13.02.2011)

Gutes Thema, spricht auch mich an. Die meisten Menschen verdrängen die Gedanken an den Tod. So ganz bin ich nicht deiner Meinung, denn wenn ich krank bin, oder mir etwas weh tut, lächele ich auch nicht gerade sehr viel, darum kann ich mir auch nicht vorstellen lächelnd zu sterben, selbst wenn ich vorher ein noch so gutes Leben gehabt habe.

Petra (10.06.2009)

der vergleich ist auf das tragisch erhabene bezogen, lieber jochen. aber natürlich hast du auch recht, weil wir ja ein teil der natur sind. nach jedem herbst folgt ein ausruhkräftesammelwinter, und im frühling beginnt alles von neuem. und von uns bleibt das geistige und trägt früchte, oder auch nicht. oder schlechte.
grüß dich


rosmarin (10.06.2009)

Habe mir auch diesen Text durchgelesen und muss sagen, wirklich ein interessantes Thema gut und überzeugend gebracht. Er verkündet eigentlich das, was Rosmarin mit ihrem Kommentar bestätigt. Nun spricht sie aber auch vom Herbst, als Beispiel dafür, dass es keine Wiedergeburt gibt. Aber was ist mit dem Frühling?
Die alten Blätter sind über den Winter verwelkt, zu Erde geworden. Der Baumstamm hat ihre Energien aus der Erde aufgesogen, in seine Äste verteilt und diese zeigen alsbald junge Knospen, die abermals - nur vieleicht in etwas anderer Form oder an anderer Stelle - zu Blättern werden, die wieder sterben müssen.


Jochen (10.06.2009)

der mensch stirbt, sobald er lebt. die erfahrung mit dem tod macht jeder mensch. der eine früher, der andere später. es kommt darauf an, wie wir mit dieser erfahrung umgehen. nicht jeder kann akzeptieren, dass der tod ständig um uns ist, in gestalt von alter, krankheit, verbrechen, autos, flugzeugen usw. also leben. das leben ist ein risiko. und der tod die konsequenz. und immer sind die menschen bemüht, den tod hinaus zu zögern, anstatt ihn anzunehmen, wenn er an die tür klopft, oder ihn gar überlisten zu wollen mit dem glauben an wiedergeburt. für viele mag das tröstlich sein im großen schmerz um den verlust eines geliebten menschen. aber ich denke, ganz tief im innern wissen wir, dass der tod das ende des lebens ist. wir selbst kommen nicht wieder, aber das, was wir im leben anderen vermittelt haben, wird noch eine zeit weiter leben, und das von den ganz großen der menschheit wohl solange die menschheit besteht. also sollten wir kostbar mit unserer zeit umgehen, so zu leben versuchen, dass wir nichts oder nicht viel zu bereuen haben, wenn unsere zeit zu sterben naht, und mit einem lächeln auf den lippen den tod willkommen heißen. ach, ja, so einfach wird es nicht sein. leider. der tod ist ein thema, über das wir stundenlang diskutieren könnten. schön, dass du diesen text gepostet hast. ich habe ja auch schon so einige gedichte über den dunklen gesellen geschrieben. aber in einem längeren text kann man sich ausführlicher damit beschäftigen. und wie doska schreibt, sieht wohl alles anders aus, wenn es uns selbst an den kragen geht. ich wünsche mir aber, dass der tod auch eine gewisse schönheit haben soll. ich habe ihn mal mit dem herbst verglichen:
etwas tragisch erhabenes hat er ansich, der herbst, wie der tod, der uns langsam sterben lässt.
gruß von


rosmarin (10.06.2009)

Vom Text und Stil her sehr gut, aber ansonsten keine besonders neue Nachricht.Aber vielleicht sehen es ja andere Leser ganz anders.

Jochen (10.06.2009)

Du hast hier kluge Gedanken gut zu Worte gebracht und ich denke, dass dir besonders junge Menschen Recht geben. Warum machen die Kranken und Alten über das Sterben immer soviel Theater? Ich weiß es noch von mir selbst. Wenn man jung ist, hat man keine Furcht vor dem Tod, wohl auch weil man noch nie miterlebt hat, wie schwer es sich stirbt. Je älter der Mensch wird, je mehr Schmerzen oder andere Gebrechen er hat, je weniger locker und heiter wird er über dieses Thema reden können. Beste Vorsätze das Sterben - so wie früher - möglichst lässig zu nehmen, verschwinden, schlagartig, sobald es an den eigenen Kragen geht. Ich beobachte das immer wieder und muss darüber lächeln. Auch einen Freund durch den Tod zu verlieren ist schrecklich - es ist unbeschreiblich grausam. Da ist es schon gut, dass man sich mit irgendwelchen Ideologien gegenseitig trösten kann.

doska (10.06.2009)

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