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Märchenherzen (Teil 1)

Romane/Serien · Romantisches
© Bender
Lena ließ das Buch sinken. Bald hatte sie ihr Ziel erreicht. Seufzend packte sie ihr Buch weg und erhob sich. Dann suchte sie ihr Gepäck zusammen und stellte sich schon mal an die Tür des Zuges. Kurz darauf gesellte sich ein junger Mann zu ihr. Lena schenkte ihm kaum einen Blick. Ihr erschien es wie eine kleine Ewigkeit bis der Zug endlich in den Bahnhof einfuhr. Kaum stand er und hatte die Türen geöffnete, nahm sie auch schon Reisetasche und Koffer und sprang auf den Bahnsteig. Es erwartete sie keiner, also drängelte sie sich durch die Menge Richtung Ausgang. Irgendwann hatte sie es nach draußen geschafft und hielt nach einem Taxi Ausschau. Sie war lange schon nicht mehr hier gewesen. Viel hatte sich nicht verändert. Zielstrebig steuerte sie auf den Taxistand zu und stieg in das erste Taxi ein. Sie nannte dem Fahrer ihr Ziel und lehnte sich zurück.

„Lena! Du bist ja schon da!“
Jana umarmte ihre Schwester fest.
„Ja, ich habe noch mal umgebucht, damit ich ein paar Stunden früher hier bin“, erwiderte Lena lächelnd. Jana knuffte sie in die Seite.
„Hättest du mal was gesagt, dann hätte ich dich abgeholt. Heute Morgen hätte ich genug Zeit gehabt.“
Lena grinste nur gelassen.
„War okay. Es gibt doch Taxis.“
Jana führte sie durch das Haus hinaus in den Garten und bot ihr einen Platz an. Erschöpft ließ sich Lena in den gepolsterten Korbstuhl fallen.
„Es ist so schön, dich mal wieder hier zu haben“, seufzte Jana glücklich. Lena gluckste vergnügt.
„Ich war doch erst Weihnachten da“, sagte sie, aber Jana zuckte nur mit den Schultern.
„Das ist auch schon wieder ein halbes Jahr her“, meinte sie vorwurfsvoll.
„Ihr könntet mich auch mal besuchen“, grinste Lena.
„Das ist ziemlich teuer, wie du weißt.“
„Ja, weiß ich.“

Jana begleitete Lena ins Gästezimmer und sah ihr beim Auspacken zu.
„Wann heiratet Inka?“
„Samstag in zwei Wochen“, antwortete Lena abwesend.
„Hat sie da überhaupt viel Zeit? Sie steckt doch bestimmt voll in den Vorbereitungen.“
„Sie will sich Sonntag mit mir treffen. Aber ich hab ja auch noch ein paar andere Freunde hier.“
Jana musste lachen.
„Stimmt, langweilig wird dir bestimmt nicht. Ich muss los, Lukas aus dem Kindergarten abholen.“
„Wo hast du denn Ina gelassen?“
„Bei der Nachbarin. Ich wollte eigentlich noch ein wenig putzen, aber du bist mir in die Quere gekommen.“
Lena grinste Jana breit an.
„Und ich hab gedacht, du freust dich.“
Jana versetzte der Schwester einen spielerischen Schlag auf den Arm.
„Natürlich freue ich mich. Aber ich muss jetzt wirklich los.“
„Darf ich Ina abholen? Frau Enders kennt mich doch.“
„Na gut, ausnahmsweise.“

*

„Guten Tag, Frau Enders“, strahlte Lena die ältere Frau an.
„Lena, schön, dass du mal wieder da bist.“
„Ab und zu lass ich mich schon mal hier blicken. Wie geht es Ihnen?“
„Gut, gut. Und dir?“
„Mir auch. Ich wollte Ina abholen.“
Ina hatte ihren Namen bereits gehört und lief hinter Frau Enders hervor.
„Tante Lena!“, jubelte sie und streckte die Arme nach ihr aus. Lachen nahm Lena sie auf den Arm.
„Hallo, mein Engelchen. Geht´s dir gut?“
Ina nickte strahlend.
„Wir gehen dann mal. Auf Wiedersehen, Frau Enders.“

Lukas plapperte während des Mittagessens eifrig vor sich hin und Lena hörte ihm aufmerksam zu. Ina hatte sie auf dem Schoß und half ihr hin und wieder beim Essen. Jana beobachtete die Szene lächelnd. In solchen Momenten fragte sie sich immer, warum Lena selbst noch keine Kinder hatte. Vielleicht lag es zum größten Teil daran, dass sie noch nicht den passenden Mann dafür gefunden hatte. Nach dem Essen spielte Lena mit den beiden Kindern und Jana hatte den Nachmittag frei.

Henrick begrüßte seine Schwägerin herzlich.
„Schön, dich mal wieder bei uns zu haben.“
„Ihr tut ja alle so, als würde ich am anderen Ende der Welt wohnen.“
„Lena, du wohnst am anderen Ende der Welt“, lachte er. Sie warf ihm einen gespielt bösen Blick zu. Nach dem Abendessen brachte Lena Ina ins Bett. Lukas durfte noch ein wenig aufbleiben, um sich von Lena noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen zu lassen.

„Es ist doch schön, wenn sich mal jemand anders um die Kinder kümmert“, meinte Jana und sank auf die Couch.
„Hast du ein Glück, dass du eine solche Schwester hast“, sagte ihr Mann darauf.
„Ja, sie ist ein Goldstück, wenn sie mal da ist. Und es ist wunderbar, dass sie sich so gut mit Lukas und Ina versteht. Am liebsten würde ich sie als Kindermädchen hier behalten.“
Henrick lachte.
„Ich glaub kaum, dass sie für den Job wieder hierher zieht.“
Jana seufzte schwer.
„Sicher nicht.“
Lena betrat das Wohnzimmer.
„Seid ihr mir böse, wenn ich mich jetzt schon schlafen lege? Ich bin doch etwas geschafft von der langen Reise.“
„Natürlich nicht. Schlaf gut.“
„Ich werde mir Mühe geben. Gute Nacht.“

*

Lena war relativ früh wieder wach. Leise schlich sie nach unten und bereitete das Frühstück vor. Als alles soweit fertig war, schlüpfte sie rasch in ihre Schuhe und lief zum Bäcker. Als sie zurückkam, waren Jana und die Kinder schon wach. Ina und Lukas hingen sofort wieder bei Lena, die sich auch mit Freunden um sie kümmerte, schließlich hatte sie die kleinen Quälgeister nicht oft um sich rum.
„Was hältst du davon, wenn wir heute in den Zoo gehen?“, schlug Lena ihrer Schwester vor.
„Ja, warum nicht. Das Wetter ist ja einigermaßen schön“, stimmte Jana mit einem Blick nach draußen zu. Lena musste grinsen.
„Ja, du bist mittlerweile anderes Wetter gewohnt.“
„Ich hab doch gar nichts gesagt“, erwiderte Lena abwehrend. Jana streckte ihr die Zunge raus.
„Und du nennst mich kindisch“, brummte Lena.
„Wer ist denn nach Australien abgehauen.“
„Hey, ich bin nicht abgehauen. Ich hatte da ein super Jobangebot“, empörte sich Lena. Jana grinste.
„Klar. Und außerdem war es eine gute Gelegenheit, hier wegzukommen.“

Henrick konnte sich nicht dazu aufraffen, die beiden Schwestern und seine Kinder in den Zoo zu begleiten, so gingen sie alleine. Die Kinder genossen es sichtlich, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und hatte viel Spaß im Zoo. Jana überließ es meist Lena, die Fragen der Kinder zu beantworten, und genoss lieber den schönen Tag. Am späten Nachmittag kehrten sie nach Hause zurück. Die Kinder waren recht müde und ließen sich nach einem vorgezogenen Abendessen brav ins Bett bringen.

„Wie geht es dir denn unten in Australien?“, fragte Henrick seine Schwägerin, als sie auf der Terrasse saßen.
„Ach, ich kann nicht klagen. Ich habe ein paar Freunde gefunden, mit denen ich öfter mal weggehe. Die Arbeit macht immer noch Spaß und die Kollegen sind nett. Ich fühle mich wohl dort.“
„Das ist schön“, meinte Jana, „Obwohl es natürlich auch schön wäre, wenn du wieder zurückkommen würdest.“
„Ach, Jana“, seufzte Lena. Sie vermisste ihre Schwester auch, aber sie war noch nicht bereit, wieder nach Deutschland zurückzukehren.

*

Lena sprang die Treppe hinunter.
„Ich bin jetzt weg“, rief sie in den Garten.
„Viel Spaß“, kam es von Jana. Schon war Lena aus der Tür. Sie war mal wieder zu spät dran. Das war nichts neues bei ihr. Eigentlich kam sie ständig zu spät. Nur zur Arbeit schaffte sie es einigermaßen pünktlich. Sie hastete zur Straßenbahn, die ihr prompt vor der Nase wegfuhr. Sie seufzte ergeben. War klar gewesen bei ihrem Glück. Aber soviel zu spät würde sie gar nicht kommen. Wenn die nächste Bahn pünktlich kam, dann wären es nur läppische zwanzig Minuten.

*

Felix spielte gelangweilt mit einer Serviette herum und hörte sich Inkas Ausführungen über ihre Hochzeitsvorbereitungen an. Warum er sich zu diesem Treffen hatte breitschlagen lassen, war ihm schleierhaft. Inka war der Meinung gewesen, sie hatten sich lange nicht mehr gesehen, ob sie nicht mal wieder zusammen einen Kaffee trinken gehen sollten. Und er hatte einfach zugestimmt ohne groß nachzudenken. Jetzt wartete er auf eine günstige Gelegenheit, um wieder zu verschwinden.

Felix ließ den Blick über den Platz schweifen. Um den Platz herum hatten sich viele kleine Cafés angesiedelt, die heute alle gut besucht waren. Kein Wunder bei dem schönen Wetter. Sein Blick fiel auf eine hübsche junge Frau, die einen weißen schwingenden Rock trug und dazu ein rosafarbenes lockeres Shirt. Zielbewusst steuerte sie auf das Café zu. Felix versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder auf Inka zu lenken, konnte jedoch nicht verhindern, dass sein Blick immer wieder zu der jungen Frau glitt, die immer näher kam. Wenn sie hier Platz nahm, würde er sie ansprechen, nahm er sich vor.

„Hey, Inka.“
Inka fuhr hoch und drehte sich zu der Stimme um.
„Mensch, Lena! Hi!“
Sie umarmte die Freundin fest. Dann betrachtete sie Lena ausgiebig.
„Gut siehst du aus“, kam sie zum Schluss. Lena lächelte.
„Danke.“
„Ach ja, Felix hab ich auch eingeladen“, gestand Inka und deutete auf ihn. Lenas Lächeln verflog.
„Oh. Äh, hallo... Felix“, stammelte sie und reichte ihm die Hand. Er nahm sie.
„Hallo.“
„Setz dich doch“, drängte Inka und ergeben ließ sich Lena auf einen Stuhl nieder.

*

Felix musterte Lena unauffällig, während Inka zu ihren Ausführungen über die Hochzeitsvorbereitungen zurückgekehrt war. Er konnte es kaum fassen, dass er sie eben nicht erkannt hatte, als sie über den Platz gelaufen war. Sie hatte sich verändert. Ihre hellbraunen Haare waren nun noch heller und sie war braun gebrannt. Außerdem erschien sie ihm viel selbstbewusster als vor drei Jahren. Aber in drei Jahren konnte sich viel ändern.

Auch Lena unterzog ihrerseits Felix einer gründlichen Musterung. Er hatte sich kaum verändert. Die hellblonden Haare waren so kurz wie eh und je. Und irgendwie sah er immer ein bisschen mürrisch aus. Lena musste lächeln. Früher rührte seine Missmutigkeit daher, dass er in Inka verliebt gewesen war, sie es aber partout nicht gemerkt hatte und er sich so keine Chancen ausrechnen konnte. Ob das immer noch so war, konnte sie nicht beurteilen. Aber sie wusste, dass es auch Momente gab, in denen Felix mal auftaute und keine mürrische Miene zur Schau trug.

„Seid ihr mir sehr böse, wenn ich jetzt gehe? Alex wartet auf mich“, entschuldigte sich Inka.
„Dann lass ihn lieber nicht warten“, meinte Felix leichthin. Lena nickte zustimmend.
„Wir sehen uns ja spätestens zu deiner Hochzeit“, fügte sie hinzu.
„Ach, Süße, ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für dich, aber ich muss noch soviel machen.“
„Mach dir mal keine Sorgen“, lachte Lena, „Du kannst mich auch gerne mal in Australien besuchen, das weißt du.“
„Das mach ich auch“, versprach Inka und stand auf.
„Also, macht´s gut.“

Kurz herrschte Schweigen zwischen Felix und Lena, was er aber rasch durchbrach.
„Du wohnst also in Australien?“, fragte er interessiert.
„Ja, seit knapp einem Jahr.“
„Und, gefällt es dir?“
„Ja, es ist toll dort. Ich will eigentlich gar nicht mehr weg.“
„Das ist schön. Und was machst du so?“
„Ich bin Buchhändlerin.“
Das musste ihm reichen. Mehr würde sie ihm nicht erzählen. Aber er gab sich zufrieden damit.
„Und was ist mit dir?“
Er spielte schon wieder mit der Serviette und vermied es, Lena direkt anzusehen.
„Ich? Ich studiere. Grafikdesign.“
„Und wo?“
„Hier an der Uni. Ich bin nicht durch die Gegend gegondelt wie du.“
Lena verstand sofort, worauf er anspielte. Nach ihrem Abitur war sie nach Berlin gegangen und hatte dort eine Ausbildung zur Buchhändlerin angefangen, die sie nach zwei Jahren erfolgreich beendet hatte. Dann war sie nach Australien gegangen.
„Du, ich muss auch langsam los“, meinte Lena mit einem Blick auf die Uhr und stand auf. Auch Felix erhob sich.
„Kann ich ein Stück mitnehmen?“, bot er an.
„Lass mal. Ich fahr mit der Bahn. Wir sehen uns.“
Ein wenig enttäuscht sah er ihr nach.

*

Die Woche verging schnell für Lena. Sie traf sich mit einigen alten Freunden, die sich freuten, sie endlich mal wiederzusehen. Den Samstag besuchte sie ihre Eltern. Ihre Mutter begrüßte sie flüchtig.
„Komm durch. Wir sind im Garten.“
Schon lief ihre Mutter voraus. Seufzend folgte Lena ihr. Sie wusste schon, warum sie sich immer bei Jana einquartierte. Bei ihren Eltern artete alles immer zu Stress aus.
„Wir haben gerade angefangen, den Garten auf Vordermann zu bringen. Das stört dich doch nicht, oder? Hallo erst mal.“
Auch ihr Vater nahm sich nicht viel Zeit für eine anständige Begrüßung. Klar, der Garten würde sonst ja auch weglaufen. Lena hockte sich auf einen der Gartenstühle und sah ihren Eltern bei der Arbeit zu. Gelegentlich beantwortete sie die Fragen, der beiden, wenn sie welche stellten.

Endlich hatten ihre Eltern den Garten halbwegs fertig und setzten sich zu Lena.
„Wie läuft es denn bei dir? Alles klar?“, fragte ihr Vater. Lena nickte.
„Ja, alles bestens.“
„Du arbeitest doch hoffentlich noch in der Buchhandlung, oder?“, wollte ihre Mutter misstrauisch wissen. Seufzend nickte sie wieder.
„Ja, tue ich.“
„Das ist gut. Schließlich weißt du nicht, was aus deinem Erfolg wird. Der ist genauso schnell verflogen, wie er gekommen ist. Das weiß man nie.“
„Ja, Mama.“
Lena klang genervt. Immer musste ihre Mutter dieses Thema anschneiden. Ihr Vater schwieg lieber dazu. Typisch.

„Hast du mittlerweile einen Freund gefunden?“
Noch so ein Thema, über das Lena nicht gern mit ihrer Mutter sprach. Sie schüttelte nur kurz den Kopf.
„Ach, Lena. Langsam musst du dich mal von Felix lösen.“
„Danke schön, dass du es mir immer wieder unter die Nase reiben musst. Nur weil ich noch nicht den perfekten Lebenspartner gefunden hab, heißt das nicht, dass ich immer noch in Felix verschossen bin.“
„Ist ja gut. Ich mein ja bloß.“
„Ich muss auch langsam los. Bin noch verabredet. Ihr kommt doch nächsten Freitag, oder?“
„So war das mit Jana abgemacht.“
„Gut, wir sehen uns dann.“

„Und? Wie war´s?“, fragte Jana gespannt, als Lena wieder auf der Bildfläche auftauchte.
„Frag nicht“, knurrte diese nur und ging nach oben. Jana warf einen Blick auf ihre beiden Kinder und kam zu dem Schluss, dass sie es riskieren konnte, die beiden kurz allein zu lassen.
„Was ist los?“
Sie lehnte im Türrahmen und beobachtete Lena dabei, wie sie im Kleiderschrank wühlte.
„Ach, die übliche Tour. Dass ich bloß den vernünftigen Job beibehalten soll. Erfolg ist ja so flüchtig. Und warum ich immer noch keinen Freund hätte. Ob ich noch an Felix hängen würde“, sprudelte es aus Lena hervor.
„Sie meint es doch nur gut“, wandte Jana lächelnd ein.
„Ich weiß. Sie ist nur immer so fürchterlich anstrengend.“
„Na ja, mach dir nichts draus.“

*

Pünktlich stand Annika vor der Tür, um Lena abzuholen.
„Wow, siehst du gut aus“, begrüßte Annika sie, ehe sie Lena fest in die Arme schloss.
„Schön, dass wir mal wieder zusammen feiern gehen.“
Lena konnte nur nicken, da zog Annika sie auch schon weiter. Sie hatte sich angeboten, zu fahren, da Lena hier ja kein Auto hatte. Lena war sich nicht sicher, ob das eine so gute Idee war, denn Annika fuhr wie der letzte Henker. Aber es war schließlich nur bis zur Disco und wieder zurück. Das würde sie bestimmt überleben. Annika redete derweil ohne Punkt und Komma. Lena war heilfroh, wenn sie dem Straßenverkehr ein wenig Aufmerksamkeit schenkte. Gelb gab es für Annika nicht, das war lediglich dunkelgrün und man konnte noch über die Kreuzung brettern. Und warum sollte nur sie auf alle Rücksicht nehmen, die konnten ja auch mal Rücksicht auf sie nehmen. Lena rutschte immer tiefer in ihren Sitz. Endlich erreichten sie ihr Ziel.
„Du bist ein bisschen blass um die Nase“, stellte Annika besorgt fest, als sie ausgestiegen waren, „Geht es dir nicht gut?“
„Du fährst wie eine besenkte Wildsau, ehrlich, Annika, bei aller Freundschaft.“
„Ihr seid alle nur zimperlich. Ist doch nichts passiert. Sind doch heil angekommen“, meinte Annika nur schulterzuckend. Lena konnte nur fassungslos den Kopf schütteln.

*

Felix stand mit seinem besten Freund Tim an der Bar und ließen den Blick über die Tanzfläche schweifen. Es war viel los, es war ja auch Samstag, aber was ansprechendes hatte er noch nicht gefunden.
„Du bist eine Transuse“, meinte Tim plötzlich. Irritiert sah Felix ihn an.
„Was?“
„Hier sind so viele hübsche Mädels und du kommst nicht in die Pötte.“
Felix brummte etwas, das Tim nicht verstand. Tim seufzte schwer. Er würde wohl nie aus Felix schlau werden.

*

Nachdem Lena und Annika einige Zeit fröhlich auf der Tanzfläche herumgesprungen waren, stolperte Annika über einen netten jungen Mann. Lena fühlte sich überflüssig und verzog sich an die Bar.
„Hey, was machst du denn hier?“
Sie blickte sich erstaunt um. Felix stand neben ihr.
„Das übliche“, sagte sie leichthin.
„Allein?“
„Ich hatte eigentlich eine Freundin dabei, aber die ist verschwunden.“
Sie schwiegen. Keiner der beiden wusste so recht, was er noch sagen sollte. Lena begann, sich unwohl zu fühlen.
„Du, ähm, ich geh mal meine Freundin suchen. Ist auch schon spät. Oder früh, je nach dem. Ich komm ohne sie nicht nach Hause.“
Sie wollte schon losgehen, da hielt Felix sie zurück.
„Ich kann dich auch eben zu deiner Schwester rumfahren, wenn du deine Freundin nicht findest.“
„Äh, es gibt ja Taxis. Irgendwie komm ich schon heim.“
„Weißt du, was? Ich helfe dir, deine Freundin zu finden.“

Sie fanden Annika, doch Lena kam zu dem Schluss, dass es besser war, sie nicht zu stören. Felix musste grinsen. So etwas hatte er sich schon fast gedacht.
„Na komm, ich fahr dich.“
„Musst du nicht, ehrlich nicht.“
„Langsam hab ich den Eindruck, du magst mich nicht mehr.“
Prompt lief Lena knallrot an.
„Nein, so ist das nicht. Aber du musst doch jetzt nicht extra wegen mir gehen.“, stammelte sie verlegen. Er warf einen raschen Blick auf seine Uhr.
„Ich hatte eh nicht vor, hier alt zu werden. Außerdem ist es schon fast fünf. Reicht für heute.“
Er ließ keinen weiteren Protest durchgehen und bugsierte sie Richtung Ausgang.

„Schade, dass der Kontakt zwischen uns abgerissen ist“, meinte Felix plötzlich, während er Lena nach Hause fuhr.
„Hm, passiert halt“, erwiderte Lena nur.
„Na ja, ich hatte gedacht, wir seien Freunde.“
„Waren wir doch auch irgendwie.“
Wieder Schweigen.
„Würdest du trotzdem nächste Woche mal mit mir weggehen?“, durchbrach er erneut das Schweigen.
„Ja, warum nicht“, stimmte sie zögerlich zu.

*

„Annika! Du treulose Tomate!“, rief Lena ins Telefon, als Annika sich am nächsten Tag bei ihr meldete.
„He! Was denn?“
„Deinetwegen musste ich mit Felix nach Hause fahren.“
„Oh“, gluckste Annika nur, ehe sie in Lachen ausbrach.
„Das ist nicht komisch!“
„Doch, Lena, das ist es. Hör mal, können wir uns nicht morgen treffen, dann bequatschen wir das in Ruhe. Und ich erzähl dir auch von dem Typen.“
Lena gab sich seufzend geschlagen.
„Na gut“, sagte sie gedehnt, „Weil du es bist.“
„Ich freu mich.“

Lena saß bei ihrer Schwester in der Küche und half ihr beim Abendessen zubereiten. Lena saß auf ihrem Stuhl und malte hingebungsvoll vor sich hin. Lukas hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und spielte. Henrick hatte sich entschlossen, den Grill anzuwerfen und hantierte eifrig im Garten.
„Wie war dein Abend?“, fragte Jana schließlich.
„Ganz okay. Bis Annika irgendeinen Typen getroffen hat und mir Felix über den Weg gelaufen ist“, fasste Lena kurz die gestrige Nacht zusammen.
„Felix, aha.“
„Ja, Felix. Kann ich auch nichts zu.“
Jana schwieg, lächelte vor sich hin und dachte sich ihren Teil. Auch Lena versank wieder in ihren Gedanken.

Henrick hatte die Nachbarn eingeladen und so wurde es spontan eine etwas größere Runde. Lena hielt sich am liebsten still im Hintergrund, was ihr aber nicht immer ganz gelang. Die üblichen Fragen wurden ihr gestellt, die sie auch alle brav beantwortete. Zwischendurch flüchtete sie, um Ina ins Bett zu bringen. Wenig später ergriff sie ein weiteres Mal die Flucht, diesmal war Lukas die Ausrede. Jana wusste, dass Lena es unangenehm war, von fast fremden Leuten ausgefragt zu werden. Sie gab ungern etwas von sich preis. Aber so war sie schon immer gewesen. Sie taute nur auf, wenn sie die Leute besser kannte und einschätzen konnte, alles andere war ihr zu unsicher.

Als Lena wiederkam, setzte sie sich zu Jana und lauschte den Gesprächen. Die hatten sich allgemeineren Themen zugewandt. Es war noch lange warm draußen und die Runde löste sich erst spät auf, auch wenn viele am nächsten Morgen arbeiten mussten. Es war einfach zu schön, zusammen zu sitzen. Lena half Jana und Henrick, die Terrasse abzuräumen. Es hatte sich doch einiges an Geschirr angesammelt. Während Jana und Henrick ins Bett gingen, setzte Lena sich noch ein wenig raus, starrte in den Sternenhimmel und hing ihren Gedanken nach.

*

Annika hatte sich auf ihrer Couch ausgestreckt, während Lena sich auf den Sessel kauerte. Annika beendete gerade die Ausführungen über den Typen aus der Disco.
„Treffen möchte ich ihn aber nicht noch mal. Dafür fand ich ihn nicht sympathisch genug. Und so gut sah er dann auch wieder nicht aus.“
Lena nickte nur gedankenverloren.
„Was ist los mit dir?“, fragte Annika schließlich, als sie merkte, dass Lenas Aufmerksamkeit stark nachgelassen hatte. Lena seufzte schwer.
„Felix?“
Sie nickte. Annika machte ein betroffenes Gesicht.
„Hey, sooft siehst du ihn ja nicht mehr. Bloß noch auf Inkas Hochzeit“, versuchte sie die Freundin aufzumuntern.
„Ja, und am Mittwoch.“
„Mittwoch? Warum am Mittwoch?“
„Weil wir verabredet sind.“
„Ähm, ohne dir da reinreden zu wollen, aber hältst du das für eine gute Idee?“
Annika runzelte die Stirn. Lena seufzte erneut.
„Ich weiß nicht.“
„Dann fängt alles wieder von vorne an.“
„Das hat es längst“, erwiderte Lena leise.

Lena saß allein im Gästezimmer und versuchte sich auf das Buch zu konzentrieren, welches sie gerade las, aber es funktionierte nicht so recht. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück in die Vergangenheit. In der Oberstufe hatte sie sich mit Felix und Inka angefreundet. Sie waren alle drei Außenseiter gewesen, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Inka war zu extrem. Sie feierte extrem, war extrem laut, extrem auffällig. Sie hatte extreme Freunde. Sie war einfach extrem. Felix war zu eigenbrötlerisch. Er zog sein Ding durch, egal, was andere davon hielten. Wenn er ein Ziel vor Augen hatte, arbeitete er darauf hin. Und Lena selbst war einfach zu still gewesen, um richtig bemerkt zu werden. Inka war auf sie aufmerksam geworden und hatte sich mit ihr angefreundet. So war sie auch an Felix gelangt, der bereits länger mit Inka befreundet war. Er hatte sie sofort fasziniert. Dumm nur, dass er in Inka verliebt war. Sie hatte schlechte Karten gehabt. Sie war für ihn ein guter Kumpel, aber mehr auch nicht. Das war hart für sie, aber sie hatte sich nichts anmerken lassen. Inka hatte es irgendwann spitz bekommen, doch Lena hatte jeden ihrer Verkupplungsversuche rigoros abgelehnt. Sie wusste ja, dass es eh nichts bringen würde. Sie kam zu dem Schluss, dass es wohl das beste sei, wenn sie nach dem Abitur erst einmal eine Weile verschwinden würde. Zwar würde sie weiterhin Kontakt zu ihren Freunden halten, aber sie hätte nicht mehr diese unbedingte Nähe zu Felix. Als er dann beim Abi-Ball nur Augen für Inka hatte und Lena kaum beachtete, war ihr klar gewesen, dass sie den Kontakt zu Felix vollkommen abbrechen würde. Und das hatte sie auch getan. Es war ihr schwergefallen, aber sie hatte es geschafft. Hatte sie gedacht. Aber dem war nicht so. Wie sie mit Erschrecken hatte feststellen müssen, war sie immer noch in Felix verliebt.

*

Felix holte Lena pünktlich ab. Schweigend saßen sie im Auto. Keiner der beiden wusste so recht, wo er anfangen sollte. Schließlich begann Lena ein unverfängliches Gespräch über die Auswahl des Kinofilms. Es dauerte fast die ganze Fahrt über, bis sie sich auf einen Film geeinigt hatten, obwohl Felix wohl in jeden Film gegangen wäre, solange Lena dabei gewesen wäre, nur wollte keiner der beiden das Schweigen wieder aufkommen lassen.

Felix konnte sich kaum auf den Film konzentrieren. Immer wieder glitt sein Blick zu Lena, die ruhig dasaß und auf die Leinwand sah. Seime Gedanken schweiften ab. Vor ihrem Abitur waren sie gut befreundet gewesen. Sie war eben immer Inkas Anhängsel gewesen, war fast immer mit dabei, wenn sie etwas unternahmen. Man konnte sich super mit ihr unterhalten, so war das nicht. Sie hatten auch viel Spaß zusammen gehabt. Aber er hatte sein Herz zu der Zeit an Inka verschenkt, die es entweder nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Für Lena war da kein Platz gewesen. Gut, er war auch nie auf den Gedanken gekommen, in ihr mehr zu sehen als nur eine gute Freundin. Dass sie mehr für ihn war, war ihm erst nach dem Abi-Ball schmerzlich aufgegangen, als sie nicht mehr zu erreichen war und er sie schrecklich vermisste. Er hatte versucht, aus Inka etwas heraus zu bekommen, aber die hatte eisern geschwiegen. So hatte er Lena aus den Augen verloren. Und gerade als er glaubte, er sei endlich über sie hinweg, tauchte sie wie aus dem Nichts wieder in seinem Leben auf und wirbelte alles durcheinander.

*

Felix hatte Lena nach dem Kino noch zum Essen eingeladen, was sie gerne angenommen hatte. Nun saßen sie sich in einer kleinen gemütlichen Pizzeria gegenüber und warteten auf ihre Pizzen.
„Wie hat es dich denn nach Australien verschlagen?“, begann Felix das Gespräch.
„Ich wollte weg aus Deutschland, da war Australien eine gute Gelegenheit. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Es ist mal was anderes. Viele neue Leute kennen gelernt. Und der Laden, in dem ich arbeite, ist wirklich klasse.“
Lenas Augen strahlten förmlich. Unwillkürlich musste Felix lächeln.
„Du fühlst dich also wohl dort unten?“
„Ja, sehr wohl.“
Ihr Gespräch wurde kurz unterbrochen, als ihre bestellten Pizzen kamen.
„Und du? Wie kommst du mit deinem Studium voran?“, nahm Lena den Faden wieder auf.
„Ich kann nicht klagen. Läuft ziemlich gut. Ich arbeite nebenbei sogar schon für eine Firma. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ich nach dem Studium übernommen werde.“
„Das ist doch toll.“
Felix nickte lediglich.

*

Lena war schon fast ausgestiegen, als Felix sie noch einmal zurückhielt.
„Würdest du mir vielleicht deine Handynummer geben? Ich möchte den Kontakt nicht wieder so abreißen lassen wie beim letzten Mal.“
Lena musterte ihn verblüfft. Zögernd nannte sie ihm ihre Nummer.
„Wir sehen uns dann Samstag auf der Hochzeit.“

*

Jana stand mit ihrer Mutter in der Küche und räumte die Geschirrspülmaschine ein.
„Ich frage mich, warum Lena immer noch keinen Mann hat“, begann ihre Mutter. Jana seufzte unhörbar auf. Wieder die alte Leier.
„Besser, als wenn sie sich dem nächstbesten an den Hals wirft. Sie wird schon einen finden.“
Sie wollte sich nicht mit ihrer Mutter darüber streiten.
„Ich hab von Anfang an gewusst, dass dieser Felix nicht gut für sie ist.“
„Mama, es ist Lenas Leben. Wenn sie noch nicht den richtigen gefunden hat, dann ist das eben so.“

Lena musste sich noch einige Seitenhiebe über ihren nicht vorhandenen Mann anhören. Sie ertrug es mit Gleichmut. So war ihre Mutter eben. Sie meinte es gut. Vielleicht ein bisschen zu gut. Gegen Abend verabschiedeten sich ihre Eltern. Lena würde sie wahrscheinlich erst in einem halben Jahr wiedersehen, wenn sie zu Weihnachten zu Besuch kam.

*

Lena saß neben Henrick im Auto. Sie hatten gerade ihr Gepäck am Flughafen aufgegeben. Lena würde morgen mit dem ersten Flieger wieder nach Hause fliegen.
„Danke noch mal.“
Sie umarmte ihn kurz zum Abschied.
„Lass was von dir hören, wenn du heil angekommen bist.“
„Mach ich. Bis dann.“
Lena winkte ihm noch hinterher, als er wegfuhr. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Sie war schon wieder zu spät. Die Zeremonie hatte gerade begonnen. Sie lief über den Platz vor der Kirche und öffnete leise die Tür. Inka und ihr Alex standen bereits vor dem Altar. Lena schrak zusammen, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Hüfte legte. Felix stand hinter ihr.
„In der letzten Reihe sind noch Plätze frei“, flüsterte er ihr zu. Sie nickte stumm und drückte die Tür weiter auf. Rasch schlüpften sie ins Innere und schlossen die Tür leise hinter sich.

„Wie kommst du zur Feier?“, erkundigte sich Felix nach der Zeremonie.
„Wenn ich mich beeile, erwische ich den Bus noch“, antwortete Lena ohne ihn anzusehen.
„Ich bin mit dem Auto. Ich kann dich mitnehmen“, bot er ihr an. Sie zögerte einen Moment, willigte dann jedoch ein.

*

Lena sah heute wirklich hübsch aus, fand Felix. Sie trug ein leichtes hellblaues Kleid, dazu eine verspielte silberne Kette. Die hellbraunen Haare wurden mit einer Spange aus dem Gesicht gehalten, doch es befreiten sich bereits die ersten widerspenstigen Strähnen aus der Spange. Auch Felix hatte sich zurecht gemacht und trug Anzughose und ein kurzärmeliges Hemd. Sein Sakko hatte er hinten im Auto liegen, aber vermutlich würde er es eh nicht brauchen, so warm wie es heute war.

Felix und Lena gratulierten Inka und Alex herzlich zur Hochzeit und suchten sich dann einen freien Platz. Felix hatte sich wieder hinter seiner mürrischen Miene versteckt, während Lena sich verstohlen umsah.
„Kennst du hier jemanden?“, fragte sie leise. Felix ließ seinen Blick schweifen, dann schüttelte er den Kopf.
„Uh, doch. Da ist Bastian. Mit neuer Freundin.“
Er verzog das Gesicht.
„Und sie haben uns entdeckt.“

„Hey, Felix! Schön, dich mal wieder zu sehen. Hast dich in letzter Zeit ziemlich rar gemacht. Dürfen wir uns zu euch setzen?“
Felix zuckte mit den Schultern. Bastian und Freundin platzierten sich zu ihnen.
„Deine Freundin?“, fragte Bastian Felix leise. Der sah ihn verblüfft an.
„Das ist Lena. Sie war mit uns in einer Stufe“, gab er ebenso leise zurück. Bastian musterte Lena auffällig.
„Verarsch mich nicht. Das ist nie im Leben Lena.“
„Möchtest du meinen Ausweis sehen?“, mischte Lena sich dezent genervt ins Gespräch ein.
„Du bist es tatsächlich. Ich hätte dich jetzt nicht erkannt.“
Sie grinste ihn süffisant an.
„Hab ich gemerkt.“

Bastian und Tina, seine Freundin, blieben bei Felix und Lena sitzen. Das Mittagessen wurde aufgetragen und Bastian begann ein leichtes Gespräch.
„Wohnst du eigentlich noch hier? Nach dem Abitur hat man gar nichts mehr von dir gehört oder gesehen.“
„Ich bin auch direkt nach dem Abi weg. Ausbildung in Berlin. Und jetzt wohne ich in Australien.“
Bastian riss erstaunt die Augen auf.
„Australien! Wie kam es dazu?“
„Günstige Gelegenheit.“

Tina langweilte sich, was sie auch deutlich zeigte. Warum unterhielt Bastian sich bloß mit dieser Schnepfe? Wen interessierte es schon, wo sie wohnte. Sie bestimmt nicht. Bastian sollte sich lieber um sie kümmern, schließlich war er mit ihr hier. Auch Felix gefiel es nicht, dass Lena und Bastian sich so gut verstanden. Früher hatte er Lena nicht eines Blickes gewürdigt und jetzt zog er diese Nummer hier ab. Was Felix allerdings am meisten wurmte, war, dass Lena sich mit Bastian viel lockerer unterhielt als mit ihm.

*

Lena spielte unruhig mit dem Glas in ihrer Hand. Felix nahm ihr irgendwann genervt das Glas ab und stellte es zur Seite. Bastian war draußen, eine rauchen. Tina saß immer noch missmutig bei ihnen. Alles in allem fühlte Lena sich gerade ziemlich unwohl. Sie sprang auf.
„Ich geh mal zu Inka.“
Schon drängte sie sich durch die Menge, um Inka zu suchen.

Inka hatte sich ein wenig Zeit genommen und sich mit Lena etwas abseits hingesetzt.
„Du bist ein bisschen blass um die Nase“, stellte sie fest. Lena winkte ab, also ging sie nicht weiter darauf ein.
„Wie gefällt es dir denn bis jetzt?“
„Es ist schön. Macht Spaß.“
Lena klang nicht wirklich überzeugend, aber Inka überhörte es großzügig.
„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass das hier tatsächlich meine Hochzeit ist.“
Sie strahlte Lena glücklich an. Lena lächelte zurück.
„Ich freu mich für dich. Alex scheint genau der richtige zu sein.“
Inka strahlte noch mehr.
„Ja, das ist er allerdings.“

Lena saß wieder bei den anderen drei. Auch das Abendessen war durch und der Tanz wurde eröffnet. Da Bastian ihm eh schon den ganzen Tag auf die Nerven ging, forderte Felix Lena zu Tanzen auf. So waren sie wenigstens weg von Bastian. Lena war zwar etwas erstaunt gewesen, hatte sich aber trotzdem von ihm auf die Tanzfläche führen lassen.

„Lena, verrätst du mir eins?“
Sie sah Felix fragend an.
„Warum bist du damals einfach verschwunden ohne dich zu verabschieden?“
Lena wandte ihren Blick von ihm ab. Was sollte sie ihm darauf antworten? Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen. Zumindest nicht direkt.
„Das ist dir aufgefallen?“, fragte sie stattdessen spitz. Er hielt kurz inne.
„Natürlich. Wir waren Freunde.“
„Ja, vielleicht. Aber du hast mir weh getan, als du mir beim Abi-Ball kaum Hallo gesagt hast.“
Felix wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, er war einfach nur fassungslos. Aber wenn er darüber nachdachte, hatte sie Recht. Er hatte sie kaum beachtet. Lena schwieg betreten. Soviel hatte sie eigentlich gar nicht verraten wollen.
„Es... es tut mir leid. Das wollte ich nicht. Bestimmt nicht.“
Lena sah ihn nicht an.
„Ich wollte dir bestimmt nicht weh tun.“
Felix drehte ihr Gesicht zu sich.
„Kannst du mir verzeihen?“
Sie blickte ihn mit großen Augen. Da beugte er sich einfach vor und küsste sie.

*

Lena riss sich von ihm los.
„Das... geht nicht. Ich kann das nicht.“
Sie wandte sich um und flüchtete aus dem Saal, direkt in Inkas Arme.
„Hey, Süße, was ist los?“
Besorgt musterte Inka ihre Freundin. Lena lächelte tapfer.
„Nichts. Alles in Ordnung. Aber ich muss langsam los“, log sie gefasst.
„Oh, schon? Na ja, kann man nichts machen. Ich hab mich gefreut, dass du da warst.“
Die beiden umarmten sich herzlich.
„Ich komm dich besuchen, versprochen“, sagte Inka noch, ehe sie sich endgültig verabschiedeten.

Felix stand wie ein begossener Pudel da. Was war bloß über ihn gekommen? Kein Wunder, dass Lena geflüchtet war. Er schlich Richtung Ausgang. Inka kam ihm entgegen.
„Musst du auch einen Flug kriegen?“
Irritiert sah er sie an. Sie hakte sich bei ihm unter.
„Wir reden jetzt mal.“
Widerstandslos ließ er sich von ihr nach draußen ziehen. Dort erzählte er ihr, was passiert war. Inka musste sich ein Lachen verkneifen.
„Die ganzen Jahre kommt ihr nicht in die Pötte und dann so was. Echt, ihr macht es euch schwerer als es eigentlich ist.“
Felix warf ihr einen griesgrämigen Blick zu. Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Ist doch wahr. Sie ist in dich verliebt, du bist in sie verliebt und trotzdem schafft ihr es nicht, euch mal zusammenzuraufen. Du solltest noch mal mit ihr reden.

*

Lena saß verloren auf dem Flughafen. In zwei Stunden ging ihr Flug. Dann war sie endlich wieder in Australien, ihrer neuen Heimat. Dass der Abend so endete, hatte sie nicht gedacht. Warum hatte er das getan? Warum musste er alles kaputt machen? Sie hatte sich mühsam eingeredet, dass sie ihn nur als Freund betrachtete und fast hatte sie selbst daran geglaubt. Und jetzt das. Sie musste einfach wieder weg von hier. Sie wusste, dass sie schon wieder weglief, aber das war die einzige Möglichkeit, die sich ihr bot. Hier bleiben würde sie auf keinen Fall. Sie brauchte Abstand.
 
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Kommentare  

Schöner lebendiger Text. Nun kommt`s darauf an, wieviel Spannung du noch aufbaust und dass es dabei lebensecht bleibt.

Jochen (23.09.2009)

So, nun habe ich mir alles durchgelesen. Schöne lebhafte Lovestory.
Schade, dass Lena die Flucht ergriffen hat, aber vielleicht kann Felix sie ja noch aufhalten und ihr rasch sagen , was er für sie empfindet? Bin neugierig, was du im nächsten Kapitel schreiben wirst.


Petra (21.09.2009)

Leider heute keine Zeit gehabt, aber morgen lese ich mir dein Kapitel ganz bestimmt durch.

Petra (20.09.2009)

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