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4 Seiten

Deutschlands tollster Gipfel

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Eine heitere Satire

Schon aus der Ferne sieht der Wanderer das majestätisch-bizarre Zugspitzmassiv thronen. Deutschlands höchster Berg misst stolze 2962 Meter und bietet bei herrlichem Postkartenwetter ein traumhaftes Panorama. Wen wundert es, dass jedes Jahr nicht enden wollende Besucherströme diesen Berg erobern, um ihm die neuesten Geheimnisse zu entlocken.

Deutschlands neuestes Kleinod - geographisch gesehen allenfalls nur ein Winzling, misst lediglich eine stolze Höhe, die sich in der Nähe der Zweimeter-Marke bewegen dürfte.
Dennoch haben ein paar sensationshungrige Journalisten der Regenbogenpresse, aber auch einige handverlesene Fernsehjournalisten, in diesem eigentlich völlig harmlos aussehenden Hügelchen, plötzlich einen erhabenen Riesen gesehen, auf dem eine nimmermüde, womöglich sogar eine nimmersatte Spitze thronen müsste. Fortan haben jene Medienmogule - denen nun mal - wie den unter chronischer Schreibsucht leidenden „Webstories-Autoren” - die Fähigkeit in die Wiege gelegt worden war, ihre Gedanken und Gefühlen in prickelnde Worte zu fassen - dieses von Gott geschaffene Geschöpf, zu ihrer Chefsache erklärt.
Journalisten lassen sich nicht so schnell auf's Kreuz legen. Sie sind der festen Überzeugung, dass es sich bei diesem Unikat nicht um einen Berg im herkömmlichen Sinne handeln konnte, sondern um einen lebendigen Berg, der voller Energie steckt. In seinem Inneren schienen massive magische Kräfte zu schlummern. Ein Gipfelkreuz hat der Winzling zwar nicht zu bieten, dennoch schien der Gipfel es irgendwie in sich zu haben.
Die Sensationshascher setzen alles auf eine Karte, um diesem noch weitgehend unerforschten Mysterium noch weitere Geheimnisse zu entlocken. Schließlich soll der mündige Leser befähigt werden, sich seine eigene Meinung über Deutschlands neuestem Gipfel - nämlich dem des Herrn zu Guttenberg - bilden zu können. Der adlige Herr ist stocksauer auf diese Schmierfinken.
Denn seine Kriegsbeil schwingenden Widersacher haben ihm zur Last gelegt, bei der Erstellung seiner Promotion ein bisschen geschummelt zu haben, um sich mit diesem ehrenvollen Doktorhut schmücken zu können.
Dabei wollte er nur wertvolle Zeit nicht sinnlos verstreichen lassen.
Handwerkliche Fehler bei der Erstellung dieses Werkes hat der edle Herr zwar mittlerweile selbst eingeräumt, und sich dafür auch mit herzlichen Worten bei diesen Saubermännern entschuldigt. Dennoch sind diese Herren unter keinen Umständen bereit, auch nur einen Zentimeter Boden preis zu geben. Sie beschießen diesen charismatischen Herrn unverdrossen mit verbalen Giftpfeilen, die sein Mark tief erschüttern sollen, und dieses wegen dieser geradezu lächerlichen Nichtigkeiten.

Anders verhielt es sich hingegen bei einem früheren Hauptschulabsolventen, der in der Zeit, als er noch als Briefträger auf der Gehaltsliste der Deutschen Post gestanden hatte, seinen Weg für eine beispiellose Karriere zu ebnen begann. Der Grund bestand darin, dass er sein üppiges Gehalt als viel zu mickrig wahrgenommen hatte.
Völlig unerwartet war er eines Tages auf ein lukratives Inserat gestoßen. Ein sächsisches Klinikum suchte dringendst einen Oberarzt für die Abteilung Psychiatrie. Gefragt war allerdings nur ein Arzt, der mehrere Jahre Berufserfahrung vorzeigen konnte, einer der die Fähigkeit besaß, den Gestrandeten des Wendeherbstes 1989 mit den gängigen Worten „Nun reißen Sie sich doch endlich mal zusammen!” oder „Sie sehen aber heute wieder so blendend aus!”, wieder neuen Lebensmut einzuhauchen.
Für einen Briefträger mit mehrjähriger Zustellerfahrung vermutlich der ideale Job.
Oder etwa doch nicht?

Der notorische Optimist hatte in diesem gewöhnungsbedürftigen Unterfangen nicht mal ein Abenteuer gesehen, ein Abenteuer, welches irgendwelche Gefahren heraufbeschwören könnte.
„Einfach die Bewerbungsunterlagen fälschen, diese abschicken und völlig relaxed der Dinge harren, die da kommen könnten”, lautete seine Devise.
Gesagt, getan!

Was folgte, war der absolute Hammer!
Die Klinik hatte ihn tatsächlich eingestellt.
Nicht mal im Traum schien er daran geglaubt zu haben, dass sich diese Bewerbung letztendlich doch als Volltreffer erweisen sollte. Und keinem von diesen gestandenen Medizinern, die sich das nötige medizinische Fachwissen im Campus förmlich eingetrichtert hatten, war es aufgefallen, dass ein ehemaliger Briefträger drauf und dran war, ihnen die Karriere kaputt zu machen.
Lange Zeit war es gut gegangen, bis schließlich ein Patient, der diesen beflissenen Herrn kannte,
eine Anzeige erstattete. Die Tatsache, dass er einen so guten Job machte, dass sogar Gerichte ihn beauftragten, Psychiatrische Gutachten zu erstellen, sollte dem einstigen Briefträger nicht mehr zugute kommen. Justizias waches Auge jedoch kannte kein Mitgefühl mit diesem Verwandlungskünstler und schickte diesen in ein Haus, fernab von jeglichem Luxus, liebevoll umgarnt von zahllosen grinsenden Gitterstäben - wohl der passendste Ort, wo er sich voll und ganz seinen handwerklichen Fehlern widmen konnte, was ja Herr zu Guttenberg derzeit auch tut, wenn auch nicht an solch einem mystischen Ort. Dabei war der falsche Doktor auch nur alltäglich seinen bürgerlichen Pflichten nachgegangen. Auch er hatte brav seine Steuern gezahlt, um dem geizig- geilem Vater Staat nicht eines Tages auf der Tasche liegen zu müssen.
Betrachtet man beide Fälle näher, tut sich dennoch ein gewaltiger Unterschied auf.
Der in die Rolle des Oberarztes erfolgreich geschlüpfte Briefträger, hatte halt das Pech, in jener bildungsfernen Schicht Wurzeln geschlagen zu haben, die in unserer Gesellschaft keine Lobby hat.

Attribute wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit, aber auch zügellose Bescheidenheit haben in den letzten Jahren leider nur noch in großbürgerlichen Kreisen stark um sich gegriffen, nicht aber in den Kreisen der Unterschicht - ein Umstand, den diese unter starken Minderwertigkeitskomplexen leidende Menschen in großer Zahl dazu bewogen haben, diesen schlucksüchtigen Wahlurnen kein sinnloses Zettelwerk mehr in den Rachen zu stopfen.
Resignationssucht hoch drei!
Ein gewichtiger Grund, weshalb jeder junge Mensch sich seinen Helden wählen sollte. Herr Karl-Theodor zu Guttenberg wäre in dieser Hinsicht der goldrichtige Mann, zumal er sein Herz stets am rechten Fleck trägt.



Alle Kinder aus gutbürgerlichem Hause sollten in ihrem Leben folgende Tipps beherzigen:
„Seid fleißig, aber dennoch clever!
Spielt mit euren Fantasien am besten schon in jungen Jahren, in der Schule - natürlich mit dem schon etwas in die Jahre gekommenen, aber immer noch sehr beliebten Spickzettel.
Sollte es später mal mit der Erschleichung des Abiturs doch nicht gleich im ersten Anlauf klappen - halb so schlimm!
Dafür gibt es ein ganz einfaches, ein fast schon todsicheres Rezept.
Einfach mal Urlaub im wunderschönen Bayern-Ländle machen!!
Auf dem touristischen Kronjuwel Zuguttenberg könnt ihr nicht nur die traumhafte Aussicht genießen, sondern auch erlernen, mit welch minimalem Aufwand sich ein kometenhafter Aufstieg innerhalb kürzester Zeit verwirklichen lässt, und das ohne gleich einen Karriereknick fürchten zu müssen.
So bliebe Euch wenigstens eine unsanfte Landung auf dem harten Boden der Realität erspart, was dem falschen Oberarzt zurecht widerfahren ist.
Also dann: Augen zu und durch!”
 
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Kommentare  

Hallo Rosmarin,
vielen Dank für den netten wohlwollenden Kommentar, dem ich voll zustimme. Mit dem Rücktritt des Herrn zu Guttenberg hat diese Geschichte natürlich einen noch aktuelleren Stellenwert bekommen.
Sicher ist der Diebstahl geistigen Eigentums kein Kavaliersdelikt. Und das Wagnis, was der Briefträger in Gestalt eines Oberarztes eingegangen war, freilich auch nicht. Beide Fälle waren natürlich massiver Betrug. der gebührend geahndet werden sollte.
Ich habe deshalb in dieser Storie diesen Vergleich herangezogen, um herauszufiltern, wie verschieden Vergehen in unserer Gesellschaft - in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Schicht - geahndet werden, wenngleich dieser Briefträger doch ein zugegebenermaßen krasses Beispiel verkörpert hat. Wird dem künftig nicht Einhalt geboten, bestünde die ernste Gefahr, dass der Werteverfall, der in unserem Land in letzter Zeit ohnehin stark zugenommen hat, in nicht mehr zu kontrollierende Bahnen gelenkt werden könnte. Wen wundert es da noch, dass immer weniger Menschen gewillt sind, geltende Gesetze einzuhalten und diese zu respektieren. Dennoch - mit seinem Rücktritt hat Herr zu Guttenberg Fairnis und Größe gezeigt, sodass er sich eine zweite Chance verdient hat, zumal er in seinem Amt einen guten Job gemacht hat, was sicher auch der Grund gewesen sein mag, weshalb viele für eine Fortsetzung seines Amtes sich stark machten.
LG. Michael


Michael Brushwood (01.03.2011)

hallo, michael, ich sehe deinen text als sehr gelungene satire und keineswegs in dem sinne meiner vorkommentatoren. du beschreibst, wie man mit und ohne titel, jedoch in beiden fällen mit viel unverschämtheit, betrug und talent zu ruhm und ansehen gelangen kann, wenn man nur die nötige unverfrorenheit aufbringt. doch, wie wir sehen, ist es in beiden fällen schief gegangen. und das zu recht. und die erschleichung eines doktortitels durch diebstahl geistigen eigentums ist eben kein kavaliersdelikt und auch keine "nebensächliche sache".
wenn in der kunst mal hier und da einer abschaut, abhört oder abschreibt und sich inspirieren lässt, sodass ein eigenständiges werk daraus entsteht, steht das auf einem ganz anderen blatt. sogar goethe hatte nicht die idee zu seinem faust. da gab es vor ihm den urfaust. also, der guttenberg ist abgetreten und kann sich nun in ruhe seine zweite chance verdienen. das schafft er bestimmt. halten konnte ihn nach dem offenen brief keiner mehr.
gruß von


rosmarin (01.03.2011)

Hallo Ingrid, Doska, Petra, Jochen und Gerald,

vielen Dank für die netten Kommis.
Den erwähnten Arzt hatte es tatsächlich gegeben. Hätte nicht zufällig dieser Patient seine Klingen gekreuzt, wäre die Sache gar nicht aufgeflogen. Ich hatte damals Tränen gelacht, als mir diese Story ans Ohr gedrungen war.
Ich bin der Meinung - mit dem Talent zum Schreiben allein ist es nicht getan. Ohne Fleiß geht gar nichts. Jochen hat mich aufgrund meiner Eintragung im Webstories-Treff dazu bewogen, diese Story zu schreiben.
Ich habe allerdings mehrmals diesen Text korrigiert, denn dieses war doch ein ganz schön heißes Eisen, was ich da angepackt habe.
LG. Michael


Michael Brushwood (24.02.2011)

na ja, wer sich 'nen titel leisten kann, dem sollte man das nicht verwehren... ;))
lieber michael, du schreibst mir aus dem herzen.


Ingrid Alias I (24.02.2011)

Apropos Ärzte, ich habe als Kind mal über den Rundfunk (so nannte man damals die Radiosendungen) erfahren, dass ein (derzeit hervorragender und berühmter) Unfallchirurg überhaupt keine Ausbildung dazu gemacht hatte. Ehe er gefeuert wurde, musste er noch einige wichtige Operationen machen, da er der einzige war, der sie spitzenmäßig machen konnte. Ich habe mir diese Geschichte bis heute gemerkt und halte darum nicht dermaßen viel von Ausbildungen, wie vielleicht andere Leute. Ausbildung ist gut, aber Talent noch wichtiger. Und das kann man bei dir in deinem Fall auch sagen, denn du schreibst dich immer mehr ein. Deine Satire ist erstklassig.

doska (24.02.2011)

Manche Zeitungen brauchen das einfach, regelrechte Hetzkampagnen gegen ganz bestimmte Leute zu veranstalten, um erstens, mehr Einahmen durch den Verkauf ihrer Zeitungen zu haben und zweitens, die Bürger so massiv zu beeinflussen, bis sie endlich deren Meinung haben. Wirklich ein schöner Text zum Nachdenken .

Gerald W. (24.02.2011)

Ich stimme voll zu. Ganz toll geschrieben. Ich musste viel grinsen und ernst ist das Thema obendrein. Da wird ja jemand an den Pranger gestellt als wäre er ein Mörder. Fehlt nur noch das bespucken. Komme mir vor wie im Mittelalter. Mir bedeuten Titel nicht allzuviel, eher das was derjenige in seinem Amt tut und deshalb kann ich das ganze "Trara" über so eine nebensächliche Sache überhaupt nicht verstehen. Spitzenmäßige Story.

Petra (24.02.2011)

Donnerwetter, da sprichst du mir aber ganz aus dem Herzen. Eine sehr gelungene Satire. Meisterhaft geschrieben. Ich bin total begeistert.

Jochen (24.02.2011)

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