291


9 Seiten

Die Schlangengrube Teil 2: Beim Kardinal

Romane/Serien · Spannendes · Fan-Fiction/Rollenspiele
Noch in derselben Nacht schickte der Kardinal eine Kutsche, die Alais und ihre Ziehmutter Isabella zum Place Royale Nr. 6 brachte. Der Kutscher wies sie an, die schwarzen Vorhänge zuzuziehen, und so konnten sie während der Fahrt das bunte Treiben auf den Straßen zwar hören, aber nicht sehen. Die meisten Menschen würden vermutlich die ganze Nacht hindurch die Geburt des Dauphins feiern, und sich an kostenlosen Essen und Getränke laben.
Alais dagegen war alles andere als feierlich zumute. Einerseits war sie froh, endlich aus dem Rouge Canard fort zu können, doch andererseits hatte sie auch Angst, weil sie nicht wusste, was genau sie in ihrem neuen Leben erwartete, und ob sie damit zurechtkommen würde.
Während der Fahrt schwiegen beide Frauen, jede hing ihren eigenen Gedanken nach.
Nach einer Weile hielt das Gefährt, und der Kutscher öffnete die Tür, damit Alais und Isabella aussteigen konnten. Das erste was sie sahen, war eine Reihe von gepflegt aussehenden Stadtpalais aus rotem Backstein, die alle direkt aneinandergebaut worden waren, und an denen ein langer, überdachter Säulengang vorbeiführte. Obwohl es schon dunkel war, konnte sie alles gut erkennen, weil hier alle zwei Meter eine Straßenlampe stand, während man in Paris sonst nur selten nachts Beleuchtung fand, und in den stockdunklen Straßen viele Verbrechen geschahen. Vor der langen Häuserzeilen erstreckte sich ein riesiger gepflegt aussehender, mit verschiedenen Baum-und Blumenarten bepflanzter Park, dessen MIttelpunkt eine Reiterstatue von König Louis XIII war. Man musste nur eine mit Quadersteinen gepflasterte Straße überqueren, um von den Häusern zum Park zu gelangen.
Alais, die bisher nur die stets mit Menschen und Tieren überfüllten Pariser Straßen kannte, fand sofort Gefallen an dem weiten, offenen Platz. Hier stank es nicht nach Urin, Kot, Schweiss und Abfällen, stattdessen duftete es nach frisch gemähtem Gras. Alais, die Paris noch nie verlassen, und daher keine Vorstellung von den weiten Gras-und Waldflächen draußen auf dem Lande hatte, erschien dieser Platz wie eine kleine Oase inmitten von Gestank, Lärm und Hektik in der Stadt.
In einigen der Stadtpalais brannte noch Licht, und aus einem der geöffneten Fenster drangen die Klänge eines Streichquartetts und das helle Lachen einer jungen Frau. Die Menschen, die hier wohnten, gingen nicht auf die Straßen um mit dem gemeinen Volk zu feiern, sie gaben stattdessen Abendgesellschaften zu Ehren des neugeborenen Dauphins.
Verzückt lauschte Alais der Musik. Musik war etwas das sie kannte, denn auch im Rouge Canard wurden regelmässig Musiker geladen, um im großen Salon aufzuspielen, wenn dort die zahlenden Herren sich eine der Madames für die Nacht aussuchen durften. Dann gab Madame Bosrédon eine Feier, die der eines Adeligen in nichts nachstand, mit bestem Essen, Streichquartett und die Frauen trugen alle ihre vornehmsten Kleider..und dieses kuriose Fest endete dann damit, dass die Herrin mit der Frau, die sie sich ausgesucht hatten, in einem der Zimmer verschwanden. Alais hatte dann immer heimlich an der Tür des Salons der Musik gelauscht, denn sie liebte Musik. Sie fragte sich, ob der Kardinal ihr auch erlauben würde, sich Musiker in das Palais einzuladen.

Noch mehr geriet sie ins Staunen, als der Kutscher sie in das Palais Nr. 6 führte, in dem sie ab jetzt leben sollte. Als sie durch die aus massivem Eichenholz bestehende Eingangstür traten, kamen sie in eine große Halle, an deren Decke ein gewaltiger Kronleuchter hing. Außer einer Bank und mehreren Tischen aus Holz befand sich in dieser unteren Etage kein Mobilar. Am Tisch saßen mehrere Männer in roten Uniformen, Gardisten des Kardinals, die sie gar nicht weiter beachteten, weil sie bereits angeheitert und tief in ein Würfelspiel versunken waren. Auf dem Tisch standen zwei leere Weinkrüge und mehrere Becher.
“Die Halle ist mindestens doppelt so groß wie die im Canard”; meinte Isabella zutiefst beeindruckt, “schaut Euch nur diesen glänzenden Marmorboden und den Kronleuchter an. Man könnte wirklich meinen, man wäre in einem Palast. Kaum zu glauben, dass wir ab jetzt wirklich hier leben dürfen, Kleines. Da fühlt man sich wirklich wie eine Prinzessin.”
Alais konnte kaum glauben, dass sie in Zukunft wirklich hier leben, dass dieses Stadtpalais tatsächlich ihr gehören sollte.
Der Kutscher ließ ihnen keine Zeit, sich in der großen Halle umzublicken, er führte sie gleich die gewaltige Treppe hinauf, die vom Untergeschoss in den ersten Stock führte.
Und diese Etage war sogar noch beeindruckender alsdie riesige Eingangshalle mit ihrem Kronleuchter und den Säulen und dem Boden aus Marmor. Sie kamen durch eine lange Diele, an deren Wänden prächtige farbenfrohe Gemälde hingen, die Alais sofort in ihren Bann zogen. Auf einem waren lauter bildschöne junge Frauen in bunten Kleidern zu sehen, die einander an den Händen hielten, und auf einer Waldlichtung einen fröhlichen Reigen tanzten, auf einem anderen ein Liebespaar, das eng aneinandergeschmiegt an einem Strand stand, und hinaus auf die wogenden Wellen eines azurblauen Meeres blickte, über dem gerade die Sonne unterging, auf dem dritten Gemälde sah man eine Frau, die ein kleines Kind in den Armen hielt, einen blondgelockten Jungen, auf den sie lächelnd herabblickte, die Madonna und das Jesuskind.
Fasziniert betrachtete Alais die Reihe der Gemälde, die sie allesamt dazu verleiteten, von einer schönen, harmonischen Welt, in der es keine Sorgen und keine Feinde gab, zu träumen.

In der Mitte der langen Diele begann der Wohnbereich, von hier führten Holztüren, die allesamt mit kunstvollen Schnitzereien verziert waren, in die verschiedenen Räumlichkeiten.
Der Kutscher führte sie zu einer der Türen, und meinte dann:
“Der Kardinal möchte Euch sofort sprechen, Mademoiselle, und zwar alleine.”
Alais war nun doch ein wenig mulmig zumute, weil sie ihre Ziehmutter nicht zu dem Gespräch mitnehmen durfte. Mit Isabella an ihrer Seite hätte sie sich bestimmt sicher gefühlt. Der Mann klopfte an und wartete, bis er die Stimme des Kardinals hörte.
“Herein!”
Der Diener öffnete die Tür und schob Alais einfach in das Zimmer hinein.
“Euer Eminenz, hier ist das Mädchen, das ich zu Euch bringen sollte.”
“Gut, Ihr könnt gehen, Pierre!”; sagte der Kardinal und wandte sich dann an Alais.
“Kommt näher, Mädchen!”
Der Diener zog sich zurück und schloss die Tür hinter sich.

Ein Feuer im Kamin, der sich hinter dem Rücken des Kardinals befand, und ein paar Kerzen waren die einzigen Lichtquellen in dem Zimmer, an dessen Fenstern die Vorhänge aus rotem Samt bereits zugezogen waren. In dem Raum war es schummrig aber dafür angenehm warm.
Neben dem massiven Holztisch, an dem der Kardinal saß, stand ein hagerer Diener und schenkte ihm gerade einen leuchtend roten Wein in ein mit Bergkristallen verziertes Glas ein. Anschließend trank der Kardinal und winkte den Bediensteten mit einer flüchtigen Handbewegung aus dem Zimmer, dann blickte er zu Alais, die mittlerweile zaghaft ein paar Schritte nähergetreten war, und den Kirchenmann nervös anblickte. Er strahlte eine Erhabenheit aus, die natürliche Autorität eines Mannes, der zu befühlen gewohnt war, und sie spürte das, und fühlte sich davon eingeschüchtert.
Richelieu trug einen roten, goldbestickten Morgenrock. Auf dem Tisch standen Teller mit gebratenem Hühnchen, Weißbrot, kandierten Früchten, Aalpastete und mit Honig beträufelten Eierkuchen. Von den auf dem Tisch aufgebauten Köstlichkeiten hätte eine ganze Familie satt werden können. Während der Kardinal sich mit sichtlichem Genuss seinem Nachtmahl widmete, musterte er das vor ihm stehende Mädchen eingehend.
Unter seinem forschenden Blick war ihr so unbehaglich zumute, dass sie ihm am liebsten ausgewichen wäre, aber sie hielt ihm tapfer stand, weil sie nicht wollte, dass er bemerkte, wie nervös sie war. Er hatte einen großen Hähnchenschlegel in den Händen, und biss herzhaft hinein, bevor er ihn wieder auf den Teller legte, und Alais um den Tisch herum zu sich winkte.
Sie ging auf ihn zu, und sah, wie er ihr seine Hand mit dem prächtigen, von einem flammend roten Rubin gekrönten Ring zum Kuss hinhielt. Alais drehte sich regelrecht der Magen um, als sie die über und über mit Fettspritzern bedeckte Hand sah. Eisig kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, ihr grauste davor, diese fettige Hand küssen zu müssen, denn sie sah, dass sich auch auf dem Ring ein dicker Fettspritzer befand. Es kostete sie große Überwindung, sich ihren Ekel nicht anmerken zu lassen, und den fettigen Ring des Kardinals zu küssen.
Nach dem Kuss hob sie erleichtert den Kopf und tat so, als ob sie nießen müsste, um sich mit ihrem Ärmel unauffällig den nun fettverschmierten Mund abwischen zu können.
Richelieu kaute, schluckte, dann griff er zur Serviette und wischte sich über den Mund, bevor er das Gespräch begann.
“Wahrhaftig, Mademoiselle, Ihr seid das Ebenbild Eurer seligen Mutter. Genauso wie Ihr stand sie einst vor mir, und ich bin sicher, dass auch Ihr mich nicht enttäuschen werdet. Morgen beginnt Euer Unterricht, eine alte Freundin, die mir noch einen Gefallen schuldet, wird Euch in den Grundlagen und Grundregeln des höfischen Lebens unterweisen. Es kommt ganz auf Euch an, wenn Ihr Euch als gelehrige Schülerin erweist, werdet Ihr bald für den Alltag bei Hofe bereit sein.”

Alais nickte, schwieg jedoch, weil sie nicht wusste, was sie dazu sagen sollte.
“Was wisst Ihr über Eure leibliche Mutter und ihre Herkunft?”, fragte Richelieu, während sein Blick noch immer auf ihr ruhte.
Da kam in ihr wieder die Wut auf diese ihr völlig fremde Frau, die sie im Stich gelassen hatte, als sie gerade zwei Jahre alt gewesen war, hoch.
“Ich will nichts von ihr wissen!”; rief sie völlig aufgebracht, “diese Frau war niemals eine Mutter für mich! Ich hasse sie!”
“Darum, dass sie Euch im Stich ließ, geht es jetzt gar nicht”; erwiderte der Kardinal, “sagt, wisst Ihr etwas über die Herkunft Eurer Mutter?”
“Nein, und das will ich auch gar nicht!”; sagte sie und schüttelte energisch den Kopf, “bitte hört auf damit!”
“Ihr müsst mir jetzt gut zuhören”; meinte Richelieu und blickte sie fest an, “das hier ist äußerst wichtig für Euch. Ich kann verstehen, dass Ihr gegen sie einen großen Groll hegt, doch Ihr solltet mir jetzt trotzdem gut zuhören, denn das, was ich Euch zu sagen habe, kann sehr entscheidend für Eure Zukunft sein.”
“Also gut, ich höre Euch zu”; entgegnete Alais schliesslich eher widerwillig, “aber ich möchte von Euch keine Lobeshymnen auf diese Frau mehr hören.”
“Wisst Ihr, Eure Mutter war eine Adelige, nicht nur durch Heirat, sondern von Geburt an. Sie entstammt der Familie der de Breuils, alter, jedoch leider seit hundert Jahren verarmtem Adel, der seinen Stammbaum bis in die Zeiten Charlemagnes zurückverfolgen kann”; begann der Kardinal zu erzählen.
Alais hatte keine Ahnung, wer Charlemagne war, doch sie fragte nicht danach, weil sie nicht wollte, dass Richelieu ihre Unwissenheit bemerkte, und dann womöglich erwog, sie wieder fortzuschicken.
“Im Sommer des Jahres 1603 wurde die fünfzehnjährige Tochter des Grafen Jerome de Breuil, Anne, angeblich für ein paar Monate zu ihrer Tante aufs Land geschickt, doch in Wirklichkeit befand sie sich während jener Zeit im Kloster der Benediktinerinnen von Templemar, wo sie eine Tochter, die einer Affaire mit dem englischen Lord William Backson entstammte, zur Welt brachte, und dieses Kind war Eure Mutter Anne. Der Lord hatte sich geweigert, die schwangere Anne zu heiraten, und so gab der Graf sie in das Kloster, und holte sie wieder ab, nachdem sie dort das Kind zur Welt gebracht hatte. Eure Mutter sollte dort aufgezogen, und später als Nonne in den Orden aufgenommen werden, und niemals von ihrer noblen Herkunft erfahren. Doch eine der Nonnen verplapperte sich als Anne dreizehn Jahre alt war und erzählte ihr alles, nachdem sie zu viel Messwein getrunken hatte. Dass Eure Mutter bald danach aus dem Kloster floh, und wie es ihr weiter erging, das werde ich Euch ein anderes Mal erzählen. Ich bin einst ihr Beichtvater gewesen und kannte alle ihre Geheimnisse.”
Alais blickte den Kardinal erschrocken an.
“Aber..aber Ihr dürft mir das doch gar nicht erzählen, ein Beichtvater hat doch die Pflicht zu schweigen, darf niemandem erzählen, was ihm gebeichtet wurde..”
“Eure Mutter ist bereits verstorben, und deswegen bin ich nicht mehr an das Beichtgeheimnis gebunden”, erklärte der Kardinal ihr, “doch zu ihrer Geschichte ein anderes Mal mehr, jetzt möchte ich weiter von Eurer Großmutter und deren Familie erzählen. 1614, Eure Großmutter war mittlerweile bereits sechsundzwanzig, verheiratete der Graf sie mit ihrem zehn Jahre jüngeren Vetter Jean-Luc de Breuil, und lebte mit diesem in seinem Stadthaus in Paris. Ein Landgut hatten sie nicht, denn der Vetter war genauso arm wie Eure Großmutter, wie gesagt, die de Breuils waren verarmter Adel, dennoch durften sie bei Hofe verkehren, weil sie eben zum ganz alten Adel gehörten. Eure Großmutter wurde 1615 sogar eine der Hofdamen der jungen Königin Anna, und zu jedermanns Überraschung wurde sie eine der besten Freundinnen der jungen Königin. Blond und bildschön soll sie gewesen sein, genau wie Ihr und Eure Mutter, und einen Charme besessen haben, der ihr die Herzen nur so zufliegen ließ. Und so gewann sie schnell Freundschaft und Vertrauen der neuen Königin, obwohl sie nie nach der neuesten Mode gekleidet war. Doch ihr Gatte Jean-Luc hatte andere Pläne, er träumte davon, in die neue Welt auszuwandern, und dort ein Vermögen zu machen, denn er hatte davon gehört, dass man in Amerika rasch zu Reichtum gelangen könnte. Und so verkaufte er, gegen den Willen seiner Frau, das Stadtpalais, und sie wanderten, gemeinsam mit Annes Vater und Mutter, in die neue Welt aus. Seitdem schreibt sie der Königin immer wieder, und berichtet ihr von ihrem Leben in Amerika. Ihrem Gatten gelang es tatsächlich, in der neuen Welt zu Reichtum zu gelangen, indem er eine Baumwollplantage in Virginia und mehrere schwarze Sklaven gekauft hat, er ist bereits wieder zu beachtlichem Reichtum gelangt. Die beiden haben drei Kinder, Charlotte, geboren 1620, Charles, geboren 1624, und Madeleine, geboren 1628. Allerdings leben nur noch Charles und Charlotte, die kleine Madeleine starb mit drei Jahren an einer Lungenentzündung.”

Alais fragte sich, wie es kam, dass der Kardinal wusste, was in den Briefen stand, die diese Anne de Breuil der Könign schrieb, und kam zu dem Schluss, dass Richelieu wohl regelmässig durch seine Leute die Post der Königin abfangen ließ, um sie heimlich zu lesen, bevor sie dann zu der Monarchin gelangte. Sie fand das nicht in Ordnung, einfach so fremder Leute Post zu lesen, und erst recht nicht die einer Königin, aber sie sagte nichts, weil sie den Kardinal, ihre einzige Hoffnung auf ein besseres Leben außerhalb des Bordells, nicht verärgern wollte.
“Nun, unter meinen Leuten gibt es einen, der sich darauf versteht, die Schrift dieser Anne de Breuil, der Mutter Eurer Mutter, perfekt nachzuahmen, und so wird es uns möglich sein, Euch als Charlotte de Breuil an den Hof zu schicken. Eure Tante Charlotte ist nur ein Jahr älter als Ihr, und Ihr habt das blonde Haar und die blauen Augen der Breuils, die Königin wird euch also sofort für Charlotte halten. In dem Brief wird stehen, dass die Familie de Breuil wieder zu Geld gekommen ist, und in ein paar Jahren die Rückkehr nach Frankreich plant, und dass Anne ihre Tochter Charlotte an den Hof schickt, und die Königin bittet, sie in den Kreis ihrer Hofdamen aufnehmen. Und ich bin sicher, dass Königin Anne ihrer einst besten Freundin diesen Wunch gewiss nicht abschlagen wird.”
Irgendwie hatte Alais ein ungutes Gefühl bei der Sache, sie wollte nicht, dass man sie als diese Charlotte ausgab.
“Aber…was ist, wenn wieder ein Brief von der echten Anne aus Amerika kommt? Dann wird doch jeder sofort wissen, dass ich eine Spionin bin..”, gab sie zu bedenken.
“Nun, ich werde dafür sorgen, dass nur noch falsche Briefe bei der Königin ankommen, und die richtigen abgefangen werden”; erwiderte der Kardinal, “ich habe da so meine Leute, die sich darum kümmern werden, Ihr solltet Euer hübsches Köpfchen nicht mit solchen Sorgen belasten.”
“Aber..aber ich weiss doch gar nichts über Amerika, über das Leben dort. Ich weiss nicht mal, was eine Baumwollplantage überhaupt ist. Da wird die Königin doch sofort merken, dass ich lüge.”
“Es gibt Bücher über die neue Welt, und die werdet Ihr lesen, und alles andere erfindet Ihr einfach dazu. Bedenkt, dass bei Hofe niemand ist, der schon in der neuen Welt gewesen ist, denn die meisten, die dorthin gehen, kehren niemals nach Frankreich zurück. Es wird schon gutgehen, Ihr seid gewiss genauso eine Meisterin der Verstellung wie eure Mutter, die konnte wirklich jeden täuschen, selbst solche Leute, die stets wachsam und streng gläubig waren, Euch wird das gewiss auch gelingen.”
“Aber ich bin doch nicht sie”; meinte Alais zaghaft, “ich finde es nicht gut, die Menschen einfach so zu täuschen. Es ist doch gemein, die arme Königin so dermaßen hinters Licht zu führen, nur um sie ausspionieren zu können. Vielleicht bin ich ja doch nicht die Richtige für so etwas.”
“Ihr seid in einem Bordell aufgewachsen, und da habt Ihr solche moralischen Bedenken”; meinte der Kardinal kopfschüttelnd, “Ihr müsst wirklich noch viel lernen, bevor ihr an den Hof geht, den der Hof ist wie eine Schlangengrube, in der nur die Härtesten überleben können, dort wird den ganzen Tag gelogen und betrogen, jeder versucht die Gunst des Königs zu erlangen, und dazu ist es ihm recht, Intrigen jeder Art zu spinnen. Wer das nicht tut, der geht bei Hofe gnadenlos unter und wird rasch ein Opfer der anderen. Und Ihr solltet kein Mitleid mit der Königin haben, immerhin betrügt sie den König, hat ihm ein Wechselbalg untergeschoben das ist doch mehr als hinterhältig.”
“Ja, da habt Ihr schon Recht”; meinte Alais und blickte den Kardinal nachdenklich an, “der arme König, das ist so ungerecht, was die Königin mit ihm macht.”
“Genau, pflichtete der Kardinal ihr bei, “und indem Ihr diesen Betrug aufdeckt, dient Ihr nicht nur mir, sondern vor allem Frankreich und unserem geliebten Souverän Louis XIII. Wenn der Betrug der Königin entlarvt wird, dann hat der König die Möglichkeit, sie zu verstoßen, und eine fromme, liebe Frau, die es ehrlich mit ihm meint, zu heiraten.”
“Ja, das stimmt, das wäre eine gute Sache”; meinte Alais, “ich darf kein Mitleid mit der Königin haben, sie hat wohl selbst Schuld.”
Der Kardinal blickte das Mädchen lächelnd an.
“Gut, dann verstehen wir beide uns ja. Ihr werdet Euch gewiss rasch bei Hofe zurechtfinden, wenn es erst einmal soweit ist. Ich werde Euch alle zwei Wochen einmal zu mir bitten, damit Ich mich von Euren Fortschritten überzeugen kann. Ab heute Abend steht Euch dieses Palais zu Eurer freien Verfügung, und Ihr bekommt ausserdem einen Diener, zwei Zofen und eine Köchin, mit denen Ihr allerdings nicht über den Grund Eures Daseins hier sprechen dürft. Behandelt sie wie Dienstboten und redet nur mit Ihnen, wenn Ihr ihnen irgendwelche Anweisungen erteilt.”
Das gefiel Alais ganz und gar nicht, sie konnte sich nicht vorstellen, mit diesen Menschen so umzugehen, aber sie protestierte nicht, denn hier war der Wille des Kardinals Gesetz, und sie musste gehorchen, wenn sie nicht zurück ins Canard wollte.
“Ihr dürft Euch jetzt zurückziehen, Madame. Eure Zofen warten schon auf Euch, sie werden Euch und Eurer Ziehmutter Eure Gemächer zeigen, und stehen Euch rund um die Uhr zur Verfügung. Morgen früh wird dann Eure Lehrrerin eintreffen, haltet Euch für Schlag acht Uhr bereit.”
“Ja, Euer Eminenz, ich werde bereit sein. Und danke für alles”; murmelte Alais und verneigte sich, wobei sie nicht so genau wusste, ob man sich vor einem Kardinal überhaupt verneigen musste.
Nach diesem Gespräch war ihr noch klarer als zuvor, dass eine schwierige Zeit vor ihr lag. Wie konnte der Kardinal nur von ihr verlangen, sich als Charlotte de Breuil, die angeblich ihre Tante gewesen war, auszugeben. Und sie wusste ja nicht einmal, ob diese Geschichte, die der Kardinal ihr da erzählt hatte, so stimmte. Aber sie wusste, dass sie mitmachen musste, denn ins Bordell zurückzugehen, das kam für sie nicht in Frage. Wenn sie wieder dorthin müsste, dann würde Madame Bosrédon sich nicht länger gedulden, und sie zwingen, den wohlhabenden Freiern zu Willen zu sein, um eine Menge Geld mit ihr verdienen zu können, und auch ihre Ziehmutter würde wieder dort arbeiten müssen. Und bei diesem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. Isabella hatte sie aufgezogen, und nun wollte sie diese Chance nutzen, um ihr einen ruhigen, friedlichen Lebensabend in einem schönen Haus bieten zu können
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Der zweite Teil steht dem ersten in nichts nach. Toll die Naivität des Mädchens dargestellt und der Kardinal wirkt richtig schön fies.

doska (09.12.2011)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Dunkle Geheimnisse - Inhaltsangabe  
Die Schlangengrube - Inhaltsangabe  
Vater und Sohn  
Die Schlangengrube Teil 4: Gefangen im Goldenen Käfig  
Die Schlangengrube Teil 3: Madame de Cheney  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De