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12 Seiten

Ahrok - 42. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Zweiundvierzigstes Kapitel: Auf dem Winterball

„Du bist ein unverschämter Lügenbold, Mundschenk Ahrok“, lachte das Mädchen in seinen Armen. „Mir vorzumachen, dass du noch nie eine Volta getanzt hast.“
Ihre Worte trieben ihm die Schamesröte auf die Wangen.
„Nun, ich wollte nicht angeben“, war alles, was ihm auf die Schnelle einfiel.
Ein bärtiger Kerl näherte sich ihm: „Ich kann der Dame nur zustimmen. Wo hast du so tanzen gelernt? Dann schicke ich meinen Sohn auch in diese Schule.“
Der Mann, der plötzlich so lautstark lachte, dass es ihm in den Ohren weh tat, klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. Nach einer kurzen Pause stimmte das Orchester ein neues Stück an und die Leute auf der Tanzfläche begaben sich erneut auf ihre Positionen.
„Wie sieht es aus, Mundschenk Ahrok. Jemand der die Volta tanzen kann, der wird doch wohl auch eine Galliarde kennen.“
Ahrok lächelte und umfasste ihre Taille, das konnte ja halb so wild werden.
„Bursche! He, Bursche! Hierher!!!“, der Graf von Lichtenstein brüllte diese Worte geradezu, um die Musik zu übertönen.
„Ein andermal dann“, lächelte er der jungen Gräfin wehmütig zu und ließ sie auf der Tanzfläche stehen.
„Was wünschst du, Herr Graf?“, fragte er, als er wieder am Tisch derer von Lichtenstein angekommen war.
„Oh, Bursche, ich wünsche so manches. Aber vor allem wünsche ich mir, dass du deine schmutzigen Finger von meiner Nichte lässt! Und jetzt verschwinde endlich und sag dem Koch, dass ich unverzüglich meine Anisplätzchen haben will.“
Ahrok lächelte, verbeugte sich kurz, wie alle Diener es hier taten, und verließ dann den Festsaal in Richtung Küche.
Er beobachtete verstohlen schmunzelnd die hübsche Gräfin, wie sie, die Arme in die Hüfte gestemmt, ihm nachsah und dann schmollend ebenfalls die Tanzfläche verließ.
Nur diesem Blick zurück war es zu verdanken, dass er die Bewegungen auf der Empore über dem Orchester bemerkte noch bevor das gezischte „Tataa to Sslaan!“ durch den Raum hallte.

„Willkommen in eurem Untergang!“, kommentierte Aspirant Anakon seinen Überfall und lächelte die adelige Meute vergnügt an.
Seinem perfekt ausgebildeten und hochmotivierten Stoßtrupp war es geradezu lächerlich leicht gefallen, in dieses Nest des Brutvaters von Märkteburg einzudringen. Zwei Weichhäute waren ihnen auf dem Weg begegnet – für keinen der beiden war es glimpflich ausgegangen. Zu tief saß die Frustration und die Wut in seinen Soldaten. Jetzt war die überfällige Rache nur noch Augenblicke entfernt.
Wie dutzende Male besprochen nahm sein kleiner Vernichtungstrupp die taktischen Stellungen ein, um Fluchtwege zu blockieren und eine rasche Tötung aller Anwesenden zu ermöglichen. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde er das stadtweite Signal zum Angriff geben, um den Krieg zu beginnen.
Die Musik unter ihm war für einen Moment verstummt. Stille und Erstaunen, die seinen Worten gefolgt waren, wurden von belustigtem Kichern abgelöst. Anakon verstand die Welt nicht mehr. Statt den Befehlt zum Abschlachten zu geben, tauschte er mit dem Truppführer seines kleinen Angriffskommandos verwunderte Blicke aus.

Ahrok traf der Anblick der Echse wie ein Donnerschlag. Der Grund seiner Anwesenheit in diesen Hallen befand sich nur wenige Armlängen von ihm entfernt und dennoch war jetzt alles anders, als geplant. Der Tanz mit der jungen Gräfin hatte alles verändert. Mit einem Mal hatte das Schlachten der Weißen keine Priorität mehr.
Das Orchester hatte für einen kurzen Moment aufgehört zu spielen, stimmte jetzt aber ein dramatisch, bedrohlich klingendes Stück an. Viele der Adligen um ihn herum lachten vergnügt auf, zeigten auf die Weißen und applaudierten.
„Diesmal hat sich unser Gastgeber wirklich selbst übertroffen“, nickte der Rotgekleidete neben ihm seiner Frau zu. „Die Kostüme sind diesen Jahr wirklich herausragend. Bravo, Leopold. Bravo!“
Ahrok schob sich durch die applaudierende Menge zurück zu der jungen Frau.
„Sieh nur, mein kecker Mundschenk“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Das Schauspiel hat begonnen. Sieh dir mal die Masken an – so echt und gruselig.“
„Lauf weg. Versteck dich.“
Die Worte hasteten nur so über seine Lippen und so erntete er nur Unverständnis.
Sie trat sogleich einen Schritt zurück. Die Arme vor der Brust verschränkt blickte sie ihn sprachlos mit offenem Mund an.
Noch bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, flog eine der ihm so wohlbekannten Kugeln in die Menge der verdutzen Feiernden. Sogleich warf sich Ahrok gegen die junge Frau und begrub sie unter sich. Ein empörter Aufschrei raste durch den Saal. Dieser wurde jedoch nur Augenblicke später von den Detonationen der Sprengkugel übertönt.
Körper und Teile davon wurden durch den Festsaal geschleudert. Das Orchester beendete mit einem grässlichen Misston sein Spiel und für einen schrecklichen Augenblick war es totenstill im Saal. Der beißende, ihm wohlbekannte Gestank nach Sprengpulver legte sich in die Luft, dann paarten sich grauenvolle Schmerzensschreie mit herzzerreißendem Jammern.
Noch während Ahrok sich erhob, noch bevor irgendjemand die Gefahr erkennen konnte, brachen weitere, schwer gerüstete und mit blutigen Knochen geschmückte Echsenkrieger durch die Türen des Festsaals.
Der Rauch behinderte ihn bei der Orientierung im Raum, die lauten Schreie erschwerten es ihm zusätzlich, sich zu sammeln und einen Gegenangriff vorzubereiten. Ohne Rüstung oder Waffe hatte er sich inmitten der Festgesellschaft überrumpeln lassen wie ein Anfänger.
Alle Ausgänge waren durch ein gutes Dutzend Krieger blockiert und ihr mit Kriegsfarben bemalter Anführer befand sich weit außerhalb seiner Reichweite auf der Empore über ihm.
Laute Stimmen, Weinen und Geschrei raubten ihm den letzten Nerv. Er entledigte sich seiner blutigen Anzugjacke, da diese ihn bei seinen Bewegungen nur behindern würde.
Ein Mann mit einem weiß gepudertem Gesicht voller Blutspritzer stolzierte apathisch zwischen den Körpern umher und wurde vor Ahroks Augen von einem gezackten Schwert zu Boden gerissen.
Er wich einen Schritt zurück und blickte sich hastig um. Ein Schwert, selbst ein Messer würde seine Chancen merklich verbessern, doch es befand sich nichts in seiner Reichweite.

Ragnar wog seine Chancen ab. Gerade einmal dreißig Schritt von ihm entfernt stand dieser Schamane umgeben von acht seiner Leibwächter und sonnte sich in seinem Sieg. Das Blutbad unter ihm schlug selbst den kriegserfahrenen Valr auf den Magen.
Er fuhr sich mit der Rechten durchs Haar und überlegte hastig. Die Zeit für einen Ansturm auf den Anführer der Echsen war längst verstrichen. Der stechende Geruch nach Schwarzpulver und Blut war der Beweis dafür. Wenn er jetzt doch bloß seinen Hammer hier hätte, wäre vieles einfacher. Falls ihn die Grenadiere hier auf dem schmalen Gang ohne Deckung bemerkten, dann war er so gut wie tot, noch bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte.
Aber es gab sie noch diese eine Chance, dass er diese kurze Entfernung zwischen ihnen unbemerkt hinter sich bringen konnte. Es war bei allen Göttern keine Gute - aber es gab sie.
Ragnar schloss die Augen und hörte seinen eigenen Atem entweichen.
Für den Bruchteil eines Augenblicks blendete er alles andere aus. Vollkommene Stille. Die Ruhe vor dem Sturm.
Dann riss er die Augen auf und sprintete los.

„Töte sie! Tötet sie alle!“, schrie Anakon ekstatisch.
Er zückte weitere Sprengkugeln und suchte nach einer möglichst dichten Ansammlung von Oberflächlern.
Dies hier war der Moment, den Urguk so sehnlich herbeigewünscht hatte und er, ein einfacher Aspirant, kam nun in den Genuss des Triumphes. Die Oberflächenstadt würde sich von diesem Schlag nie wieder erholen und den Namen Anakon niemals vergessen.
Er holte zum Wurf auf , doch plötzlich klingelten die Alarmglocken bei ihm.
Im letzten Moment sah ihn Anakon - den rothaarigen Dwaff, der durch die Reihen seiner überraschten Leibwächter brach und laut brüllend auf ihn drauf zu rannte. Er ließ die Sprengkugeln fallen, doch es war zu spät, um noch einen Zauber zu wirken. Der Dwaff war viel zu nah und in seinem Kopf herrschte plötzlich diese panische Leere.
Dieses Monster stimmte auf den letzten paar Schritten ein infernalisches Gebrüll an und stieß seine Leibgarde aus dem Weg, als wären es kleine Kinder. Der Kleine war schnell. Zu schnell für die Schwerter seiner Leibwächter. Mittlerweile war er so nah, dass Anakon schon den Wahnsinn in den Augen des rothaarigen Zwerges erkennen konnte.
Die Wucht des Aufpralls war enorm. Die breite Schulter rammte sich wie ein Vorschlaghammer in seine Hüfte und der kleine Schuppenlose riss ihn mit sich durch das splitternde Geländer in die Tiefe.
Anakon starrte an die Decke über ihm und konnte keinen klaren Gedanken fassen, während er fiel.
Schlimmer als der Sturz war die Landung. Unsagbarer Schmerz durchflutete ihn, als sich ein langes Instrument durch seinen Leib bohrte. Welch bitterbös ironisches Spiel trieb die große Schlange mit ihm?
Er spürte, wie sein Leben aus ihm herausfloss. Jetzt ging es nur noch ums Überleben. Er musste das Signal zum Angriff geben, er musste fort von hier und das so schnell wie möglich. Mit jedem Herzschlag verlor er mehr Kraft. Seine letzte Rettung war der Fluchtzauber.
Ein greller Blitz blendete ihn, als die Sprengkugeln auf der Empore detonierten und die Körper seiner Leibwache durch die Luft schickten.
Schmerzen und Angst übermannten ihn. Außer ein paar Funken brachte er nichts mehr zu Stande. Anakons Konzentration schwand und die magischen Kräfte reichten nicht mehr aus. Diese verdammten, unfähigen Leibwächter! Wie hatten sie es nur geschafft, diesen perfekten Plan zu unterminieren? Wie hatte er nur verlieren können? Sein starrer Blick ruhte noch einige kurze Atemzüge lang auf dem blutigen Hals des Cellos. Ein Musikinstrument hatte ihn aufgehalten...
Wenige Augenblicke später war Anakon, Aspirant des Erleuchteten Urguk und Hoffnungsträger des großen Krieges, tot.

Unverkennbares Gebrüll und lautes Scheppern, das selbst den Tumult im Saal überdeckte, lenkte Ahroks Aufmerksamkeit auf das Orchester. Ein Cello hatte die Echse mit der schamanistischen Maske in der Körpermitte aufgespießt und ein Zwerg mit roten Zöpfen erhob sich Schlachtrufe brüllend aus den Überresten einer Trommel.
Auf den wahnsinnigen Valr war eben doch Verlass.
Die Krieger im Raum waren just in diesem Augenblick starr vor Schreck und völlig desorientiert. Ihre erhobenen Schwerter hielten inne, als sie ihren Anführer nur wenige Armlängen entfernt sterben sahen, aber diese Verwirrung würde nicht lange anhalten.
„Wilbert! Schaff die Leute hier raus!“, brüllte Ahrokd dem Leibwächter des Grafen zu, denn erstens war dieser der Einzige, dessen Namen er kannte und zweitens hatte dieser riesige Kerl sicher einen guten Stand gegen die Mistviecher.
Vom Tisch ergriff er einen silbernen Löffel und rammte ihn der ihm nächsten Echse ins Auge. Der wilde Schrei des Weißen war das Art Startsignal für die restlichen Krieger.
Keine Überraschungen, keine Verzögerungen mehr. Die Schlacht begann genau hier und jetzt.

Der bullige Wilbert war einer der wenigen Leute, die überhaupt noch standen. Er dachte nicht einmal nach sondern folgte ohne zu zögern Ahroks Anweisungen. Mit gesenktem Kopf stürmte der Hüne auf das Haupttor und die davorstehenden Krieger der Weißen zu. Furchtlos schubste, stieß und drängelte der unbewaffnete Mann, aber die Echsen waren flink und das Tor verrammelt. Für einen kurzen Moment sah es noch so aus, als könnte er wirklich gegen die monströsen Echsenkrieger bestehen, doch schon drang das gezackte Schwert eines Weißen bis zum Heft in seinen breiten Rücken.
Mit wütendem Gebrüll griff er sich seinen Angreifer und warf sich mitsamt dem Monster gegen das verschlossene Tor. Der kräftige Aufprall brach Knochen und sprengte das Holz. Ein paar taumelnde Schritte kam er noch voran, bevor ihn dann weitere Schwerter durchbohrten. Auf den Stufen aus Bernstein, nur wenige Schritt hinter dem geborstenen Tor, hauchte der brave Mann dann sein Leben aus.
„Wilbert!“, brüllte der Graf von Lichtenstein.
Jede Kehle in diesem Raum ob nun menschlich oder nicht schrie, was sie hergab. Anweisungen, Schlachtrufe, panische Schreie – alle versuchten sich gegenseitig zu übertönen.
„Nun macht schon! Raus hier! Bewegt euch!“, Ahrok schubste die kreischenden Edelleute in Richtung Ausgang.
Ein Schwert verfehlte nur um Haaresbreite seine Kehle und traf dafür die Frau neben ihm. Ihr Blut spritze in sein Gesicht und blendete ihn kurzzeitig. Rein intuitiv konnte er die Position seines Angreifers ausmachen. Die Echse war auf den wackligen Tisch mit dem Schweinebraten gesprungen, mit welchem Ahrok bereits seit seiner Ankunft hier geliebäugelt hatte. Schon wieder erhob sich die blutige Klinge zum Streich. Sein eigenes Ende schon vor Augen erwischte Ahrok eine Salatgabel und rammte sie durch den sich windenden Schwanz des Weißen bis hinunter in das Holz des Tisches. Vor lauter Schmerz unterbrach die Echse ihren Angriff. Das gab ihm genug Zeit. Ein kräftiger Aufwärtshaken schickte gesplitterte Zähne durch die Luft und schleuderte die Echse vom Tisch, an den Ahrok sie genagelt hatte.
Er nutzte die kommenden Momente, um sich einen Überblick zu verschaffen und seine nächsten Schritte zu planen.
Der Rauch hatte sich gelegt und offenbarte das ganze Chaos. Mehrere Adlige lagen regungslos auf dem geschwärzten Boden und rotes Blut bildete kleine Pfützen auf der Tanzfläche Ein jeder, der noch laufen konnte, drängelte und schubste, um durch den schmalen Ausgang nach draußen zu gelangen. Jeder war sich selbst der Nächste. Die Weißen gerieten in einen regelrechten Blutrausch und machten keinen Unterschied, wen ihre Schwerter fällten. Frauen, Männer, Diener, Könige - sie schlugen wahllos auf die Fliehenden ein. Hackten, schlitzten, töteten.
In der hinteren Ecke des Saals stand Ragnar umringt von einem halben Dutzend Echsenkrieger und tanzte einen blutigen Tanz in ihrer Mitte. Der Valr hatte sich eine Trompete ergriffen und zerbeulte das goldene Instrument an den Schädeln seiner Gegner. Die Schnitte und Stiche, welche ihm seine Gegner zufügten, bremsten seine Wut nicht im Geringsten. Mit der Linken ergriff er den Weißen, welcher nach einem Treffer keuchend in die Knie gegangen war, an der Kehle und riss ihn zu sich heran. Die Trompete wehrte noch kreischend einen Schwertstreich ab, bevor sie laut quietschend den Schädel der Echse zerschmetterte. Von Blut und Hirn ihres Mitstreiters besudelt, bewahrten die anderen Echsen plötzlich respektvoll Abstand zu dem rasenden Zwerg. Sie waren von dort an nur noch darauf bedacht Ragnar auf Distanz zu halten, bis sich weitere Kämpfer oder die Leibwächter des Aspiranten endlich in den Kampf einmischen würden.
Der Zwerg kam zurecht, es gab andere, die seine Hilfe nötiger brauchten.
Ahrok wirbelte herum, als er die Präsenz weiterer Angreifer spürte.
Zwei Weiße sprangen über die leblosen Körper auf der Tanzfläche auf ihn zu, so als wäre er ein vergleichbar leichtes Ziel. Anstatt einen Rückzug anzutreten, warf er sich ihnen ebenso entgegen. Ahrok verkürzte so die Distanz zwischen ihnen, um seinen Gegnern den Vorteil der Reichweite durch ihre Waffen zu nehmen.
Eine Hagel von Körperhaken hämmerte auf Leber und Nieren der ihm nächsten Echse und er schlug sich dabei die Knöchel an den Ringen des Kettenpanzers blutig.
Sein Gegner krümmte sich vor Schmerz und fiel keuchend in sich zusammen, doch noch bevor Ahrok ihm den Rest geben konnte, trieb in das Pfeifen wilder Schwertstreiche nach hinten. Ihm blieb kaum Zeit, sich auf den neuen Gegner einzustellen, als die Klinge des anderen Angreifers auch schon knapp an seiner Hüfte vorbei zischte.
Zwei kleine Schritte und ein gewagter Sprung brachten ihn in den Rücken des Weißen.
Mit der Linken umklammerte Ahrok den Schwertarm der Bestie, während er mit seinem rechten Arm dessen Hals umschlang.
Sofort entbrannte ein grausiges Ringen zwischen ihnen.
Der Weiße versuchte mit seinem Schwanz und dem freien Arm nach Ahrok zu schlagen und sich dadurch zu befreien, während dieser, so kräftig er nur konnte, die Kehle der Echse zuschnürte.
Als sein Gegner endlich das Schwert fahren ließ und ihm damit beide Arme zum Angriff ließ, war ihr Ende nur noch Augenblicke entfernt. Ein paar kräftige Rucke, ein kaum hörbares Knacken und kurz darauf hing das Monster nur noch schlaff in seinen Armen.
Ahrok blickte an dem schuppigen Schädel vorbei nach vorn. Dort zog sich sein vorheriger Gegner soeben an der Tischkante wieder auf die Beine. Seine Waffe hatte der Weiße verloren und mit seiner Orientierung stand es auch nicht zum Besten. Rein instinktiv fing die Echse seinen toten Kameraden auf, den Ahrok ihm entgegen schleuderte. Sogleich stieß der Weiße den Leichnam von sich - doch Ahrok war schon direkt dahinter.
Ein Kniestoß in die Weichteile raubte dem Weißen jede Kampfeslust. Wie in einem Schraubstock umklammerte Ahrok die Echsenfratze und schlug den Kopf vier, fünf Mal mit voller Wucht auf den freien Platz zwischen zwei Tellern bis dieses befreiende Knacken erklang und der den reglosen Körper der Schwerkraft überließ.
Aufgepeitscht von Adrenalin und Mordlust wirbelte er herum und sah er sich nach weiteren Gegnern um, doch es gab keine.
Ragnar erwehrte sich inmitten eines zerstörten Orchesters zweier Krieger und drei der überlebenden Leibwächter gleichzeitig, schien jedoch nicht übermäßig in Gefahr zu sein. Die anderen Weißen hatten, ebenso wie ihre Opfer, den Saal verlassen und sich an die Verfolgung der fliehenden Adligen gemacht.
Ihre Schwerter fuhren immer noch rastlos auf und nieder und forderten schrecklichen Tribut in den Reihen der hilflosen Männer und Frauen.
Sieben Leichen gab es allein hier im Saal, acht weitere lagen tot auf dem ehemals weißen Steinweg vor dem Schloss, andere bluteten aus zahlreichen Wunden unter ihrer maßgeschneiderten Kleidung und versuchten schwer verwundet diesem Horror zu entkommen. Auch das Mädchen, mit dem er noch vor Kurzem getanzt hatte, lag nun blutüberströmt auf dem Weg, eine Echse beugte sich gerade über sie, um ihr den Todesstoß zu versetzen.
Die Wut beflügelte Ahroks Schritte. Nicht das süße Mädchen.
Mit einer Geschwindigkeit von der nur Barden singen sprintete der junge Krieger los. Der Boden das Ballsaals war rutschig von dem ganzen Blut und erschwerte ihm jeden Schritt. Ahrok kam dennoch rechtzeitig, denn der Weiße ließ sich Zeit.
Er sprang ab und landete einen mächtigen Tritt im Gesicht des Weißen. Der Aufprall riss den Unterkiefer der Echse aus seinem Gelenkt und warf die Bestie von der kleinen Gräfin. Leise gurgelnd kroch sie von ihm fort und trat einen orientierungslosen Rückzug an.
Ahrok sah von einer Verfolgung ab und prüfte stattdessen den Atem der jungen Frau. Noch immer verließen kleine Dampfwölkchen ihre rotbemalten Lippen. Zum ersten Mal seit Beginn der Schlacht, gab es einen Hoffnungsschimmer. Mit einem heiseren Kraftschrei lud er sich das zitternde Mädchen auf die Schulter und rannte den anderen Edlen hinterher.
Ihr warmes Blut lief ihm über Nacken und Schulter und ließ ihn sich so elend fühlen. Er hätte sie doch viel früher warnen können, anstatt sie dieser Gefahr auszusetzen. Der Kiesweg knirschte kaum hörbar unter seinen Schritten. Bedienstete, die soeben noch dabei gewesen waren, diesen Weg zu reinigen, hatten ihre Besen hinfort geworfen und sich in die Traube fliehender Adliger eingereiht.
Das rettende Tor war nicht mehr weit entfernt. Die Stadtwächter dort hatten die bedrohliche Situation längst erkannt und warfen sich der überwältigenden Überzahl anstürmender Echsenmenschen bedenkenlos entgegen. Dieses selbstlose Eingreifen verschaffte den meisten Blaublütigen genug Zeit, um sich auf Märkteburgs Straßen zu retten oder in eine der Kutschen einzuschließen, in der mageren Hoffnung, auf diesem Weg den Weißen zu entkommen.
Die Menge vor dem Tor reagierte langsam. Zuerst gaffte man noch, alsbald die Weißen jedoch dem Tor zu nahe kamen, gab es Gedränge und Geschrei. Hinten schob man nach vor, um mehr sehen zu können, vorn stemmte man sich rücklings gegen die Menge, um in Sicherheit zu gelangen. Allein der Namenlose wusste, wie viele Menschen in dem Gedränge zerquetscht wurden und doch blieben, nachdem sich die größte Panik gelegt hatte manch Schaulustige in in sicherer Entfernung stehen, um den Ausgang dieses ungleichen Kampfes zu begutachten.
Ahrok legte das ohnmächtige Mädchen unter einen Baum abseits des Weges.
„Ich brauch hier Hilfe!“, brüllte er.
Niemand reagierte auf ihn.
Es stank hier vor dem Lustschloss des Grafen überall nach Verzweiflung und Todesangst.
Der beherzte Ansturm der Wachen hatte die mordlüsternden Weißen in ihrer Verfolgung nur bedingt aufgehalten. Von nun an waren die tapferen Soldaten selber in arger Bedrängnis. Dieser gewaltigen Überzahl waren sie nicht gewachsen. Einer der Wächter blutete aus einer tiefen Bauchwunde, ein anderer torkelte umher, schreiend den Stumpf seines Unterarms umklammernd, und dennoch hielt der kleine Trupp unnachgiebig die Stellung zwischen den fliehenden Adligen und den Echsen.
Ahrok sah sich erneut nach einer Waffe um, konnte jedoch wie auch schon vorhin keine finden. Schnell riskierte er noch einen letzten Blick auf die kleine Gräfin. Sie war zwar noch lange nicht in Sicherheit, aber wer war das hier schon. Dann warf er sich erneut den Monstern entgegen.

Sein wuchtiger Tritt brach leise aber überdeutlich das Rückgrat eines Weißen. Der neuen Gefahr bewusst, ließen sofort einige Echsenkrieger von den Soldaten ab und wandten sich Ahrok zu. Sie waren schnell, verdammt schnell und agierten als geschlossene Einheit. In ihrer gebückten Haltung zischten sie wie tollwütige Schlangen und schleiften mit ihren Klingen über den Boden.
Eines der Biester schleuderte ihm eine Ladung Kies ins Gesicht. Zu spät durchschaute er das Manöver. Noch während er sich blind hinweg duckte, schnitt ihm ein Schwert über den Hinterkopf und riss kleine Fetzen Haut und Haare mit sich, ein weiteres brannte sich ihm seitlich zwei Fingerbreit in seinen Bauch. Jede Bewegung kostete Ahrok wertvolles Blut. Doch der Schmerz war nun kaum mehr als ein dumpfes Pochen in seiner Bauchgegend. Pures Adrenalin peitschte ihn an.
Aber auch seine Gegenangriffe forderten ihren Tribut. Mit einem gezielten Vorstoß schlug er ein paar Zähne heraus und er fällte aus einer ungestümen Drehung heraus eine andere Echse mit einem Ellenbogenstoß. Doch es waren einfach zu viele.
Wie ein ganzes Knäuel Schlangen kamen sie über die verzweifelten Verteidiger.
Sie hackten mit ihren Waffen, kratzen, bissen, rissen Fleisch heraus und nagten an den Toten und Sterbenden.
Zwei der Wachleute waren schon gefallen, einen dritten rissen sie gerade zu Boden und die anderen konnten angesichts dieser Schrecken und der eigenen Verletzungen kaum noch ihre Hellebarden halten. Es war ein grausiges Gemetzel und er befand sich auf der Verliererseite. Blut und Schweiß nahmen ihm die Sicht und soweit er überhaupt noch etwas sehen konnte, standen immer noch weit über ein Dutzend rasender Echsen gegen die paar Verteidiger. Mit der Linken hielt er sich die stark blutende Bauchwunde. In seinem Kopf rasten die Kampftaktiken hin und her und suchten nach einer Lücke in der gegnerischen Formation, nach einer Schwachstelle in der Verteidigung eines der Gegner.
Ein Schwertstreich riss eine weitere Wunde in seinen malträtierten Oberschenkel. Das Stehen fiel ihm zunehmend schwerer. Immer bevor er eine der Echsen erwischen konnte, war sie wieder außerhalb seiner Reichweite gehüpft. Sein Atem ging rasselnd. Das Blut aus der Bauchwunde klebte an seinen Fingern, das verletzte Bein gab nach und Ahrok sank in die Knie.
Müde, ja resigniert hob er noch einmal den Blick. Er konnte genau erkennen, wie der mit Zacken bewehrte Dolch einer Echse auf sein Gesicht zuraste, aber er war zu ermattet, um noch den Arm zu heben oder zur Seite zu springen. Das Ende war da, er spürte es genau. Alles lief wie in Zeitlupe ab. Ahrok konnte sogar die krakeligen Schriftzeichen auf der Klinge erkennen.
Dann näherte sich rasend schnell von rechts ein deformierter, goldener Gegenstand und traf die Echse am Kopf. Die Wucht musste gewaltig sein, denn der Weiße wurde hinweggeschleudert und riss zwei weitere mit sich zu Boden.
Wie durch eine Ohrfeige kam Ahrok wieder zu sich. Sein Kampfeswillen war erneut entflammt. Aus der Richtung, aus der die Trompete geflogen kam, näherte sich wild rufend nun auch der Valr. Ahrok hatte noch nie jemanden gesehen, der aus so vielen Wunden blutete und noch stehen, geschweige denn laufen konnte. Befreit lachte er auf.
Der bestialische Ansturm des Zwerges endete in den Rippen eines Echsenkriegers. Dieser spuckte einen Schwall Blut, bevor ihn die Hellebarde eines Soldaten in den Tod schickte.
Das Blut der Kämpfenden hatte den weißen Kiesweg rot gefärbt und der Kampflärm erneut viele Schaulustige angelockt. Hinter den Vorhängen der überall verstreut stehenden Kutschen sah man die teils ängstlichen, teils neugierigen Gesichter der Aristokraten.
Dann brach es wie ein Donnergrollen durch die Menge vor dem Tor. Siebenundzwanzig kleinwüchsige Gestalten brüllten axtschwingend wilde Herausforderungen.
Ahrok nahm sie nur als Schemen wahr, aber es konnte sich hierbei nur um die Zwerge aus Sigurds Schule handeln, die ihnen nun zu Hilfe kamen.
Der Kampf, welcher noch vor wenigen Momenten hoffnungslos verloren schien, wandte sich urplötzlich zu ihren Gunsten.
Wie eine Sturmflut aus Bärten und Stahl kamen die Zwerge über die Weißen.
Unaufhaltsam stürmten die kleinen Kerle vorwärts und rissen alles mit sich. Ein wahrer Blutnebel stob auf, als die Äxte der Zwerge um ihn herum Arme und Beine von ihren angestammten Körpern rissen.
Ahrok ging erneut in die Knie.
Neben ihm stand nur noch ein einziger der Stadtwächter und auch dieser blutete unaufhörlich aus einer garstigen Bisswunde an seinem Hals.
Die wilden Zwerge hatten die restlichen Weißen binnen weniger Augenblicke in die Flucht geschlagen. Gerade einmal vier der Echsen hatten den grausigen Ansturm überlebt und flohen nun in verschiedene Richtungen davon. Ahroks Bein schmerzte viel zu sehr, um denen noch hinterher zu laufen und selbst Ragnar ließ von einer Verfolgung ab.
Dort wo er stand sank nun auch der Zwerg auf alle Viere. Sein schwerer Atem hinterließ dicke Wolken in der kalten Luft. Keiner sprach ein Wort, bis endlich das Siegesgeheul der Zwerge über den Schlossplatz hallte.
Ahrok raffte sich leise stöhnend auf und schleppte seinen geschundenen Körper zu dem Baum, unter den er die junge Adlige gelegt hatte. Sie lag noch immer dort, regungslos, frierend und blutend. Wenn die Angriffe der Weißen sie nicht erledigt hatte, dann würde die Kälte bald ihr übriges tun.
Es schmerzte ihn in sämtlichen Gelenken als er sich seiner zerfetzten und blutverschmierten Weste entledigte und sie schützend als auch wärmend über das Mädchen warf. Aus einer bösen Wunde an ihrer linken Körperseite sickerte ihr Leben in den Schnee.
Wie schon vorhin zog er ihren reglosen Körper nach oben und trug sie hinüber zu den Reihen der jubelnden Adligen. Sein Sichtfeld verschwamm immer mehr mit jedem Schritt.
„Was ist passiert? Was ist mit ihr?“, erklang die vor Angst bebende Stimmen des Grafen von Lichtenstein zwischen all den Hochrufen.
„Hier“, brachte Ahrok nur heraus.
Der Schlag auf seinen Kopf, Erschöpfung und Blutverlust nahmen ihm gleichermaßen die Sinne. Er legte ihren Körper in die Arme des Erstbesten, dann gaben seine zitterigen Knie nach und es wurde endgültig schwarz vor seinen Augen.


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Worterklärungen

Dwaff - Zwerg
 
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Kommentare  

ein grauseliges gemetzel, und es nahm einfach kein ende. ich steh’ ja eigentlich nicht auf so was, aber es kam mir sehr nahe, blutig nahe, schmerzlich nahe...
und ragnar wollte doch eigentlich in dieser schlacht sterben, denk ich mal. wegen seiner schande oder ehre oder wie auch immer. hat aber nicht geklappt. gut für mich, weil er weiter mitspielt bzw. kämpft, schlecht für ihn... ;-)


Ingrid Alias I (27.02.2012)

Ahrok zeigt sich als Tanztalent und die Nichte des Grafen ist ganz begeistert. Später jedoch wird es gruselig, die Unterwelt will an an die Macht. Wären Ahrok und später auch Ragnar nicht anwesend gewesen, hätte es wohl ziemlich schlecht mit dem Grafen und dessen Nichte ausgesehen. Sehr spannend. Ich freue mich schon auf den nächsten Teil.

Jochen (27.02.2012)

Danke Petra für die netten Worte, auch wenn ich dir hier nicht ganz zustimmen kann. Gerade die Kampfszenen kommen für meinen Geschmack noch sehr uninspiriert und wenig mitreißen herüber, aber ich konnte bisher einfach nicht die richtige Muse dafür finden. Gerade in einer derart brutalen Geschichte müssen die Kämpfe noch besser sein um die Gewalt nicht zum bloßen Selbstzweck verkommen zu lassen. Aber schön, dass du immer noch fleißig weiterliest. Danke

Jingizu (27.02.2012)

So ist es dem tapferen Ahrok doch noch gelungen, die Tochter des Grafen vor den grässlichen ´Weißen`zu retten. Tolle Kampfszenen, die ich auch noch von damals in Erinnerung hatte. Sehr packend, gruselig aber auch romantisch. Mal sehen wie es weitergeht, was du noch verändert haben könntest und so genau habe ich alles auch nicht mehr in Erinnerung.

Petra (26.02.2012)

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