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Gespräche eines Zeitreisenden I

Romane/Serien · Fantastisches
Personen:
- Der Zeitreisende
- Ein Stück Speck (darf unter keinen Umständen ein Engagement bekommen!)
- Vier Werbetafeln (aus dem Off)
- ein Wissenschaftler
- Eine Gruppe von (stummen) Urmenschen
- Ein älterer Priester
- Sigmund Freud
- C. P. E. Bach


Bild I
[Der Zeitreisende, extrem gealtert, sitzt in einer Runde von (stummen) Urmenschen, die ihm gespannt zuhören.]


Z: Dürfte..., könnte..., sollte ich hier all dem ein Ende setzen.
Wenn ich könnte, schüfe ich damit die Grundlage für einen besseren Ausgang, oder setzte dadurch das Unaufhaltsame ein paar Runden aus? Und sollte ich es tun, dann wäre es doch eine Form von... Korrektur, oder?
[Die Urmenschen erkennen eine Frage und grunzen zustimmend.]
Erstaunlich, wie friedlich das Primitive ist. 'Destruktivität' können sie nicht einmal aussprechen. [Starrt in die Runde.] Versucht mal: 'Nekrophilie'.
[Die Urmenschen starren ihn ungläubig an.]
Naja, das ist ja auch kein Zoo und ihr kennt noch nicht mal euer Potenzial. Vielleicht reichte es aus, genau das so tief ins Unbewusste zu verdrängen, sodass ihr es nie wieder ausgraben werdet. Latentes Potenzial ist bei weitem weniger gefährlich. Nur fürchte ich, dass dann einfach andere kommen werden; es kommen immer andere. Oder es sind dieselben. Es kommt einer und ich weiß auch wer, der aus den verschimmelten Ruinen des Unbewussten die letzten Reste dieses gefährlichen Potenzials heraus schabt, ohne genau zu wissen, was er damit anfangen soll. Lediglich die Symptome verschwinden, aber das tun sie bei der Syphilis auch.
Was ich gelernt habe: Immerhin kann ich jetzt exakt den Wendepunkt unserer Existenz, also den Beginn unseres jahrhundertelangen Zerfalls bestimmen.
[Er spricht zu den Urmenschen]
Genau dann, als ihr euer Potenzial begreift, als ihr verstehen lernt, dass ihr euch alles Schwächere Untertan machen könnt; das erste Tote, das ihr gebärt, die Idee, die ihr allen anderen Spezies dieses Planeten voraushabt, das ist es. Irgendwann vor ein paar Jahrtausenden, oder in ein paar Jahrhunderten, das hängt vom Standpunkt ab.
Ich aber konnte es nicht verhindern; weder die Entstehung, noch die Vernichtung desselben.
[Er seufzt.]
Vom Zusehen aber bin ich auch schon ziemlich müde. Selbst das Ende ermüdet mich, da kann es noch so heiß hergehen. Auch diese Analogien, die mich früher beunruhigten, lassen mich nun kalt. Dass der Fortgang jeder Spezies letztlich irgendwie in ein fehlerhaftes Gerüst gemeißelt wurde, das durch Addition sämtlicher Makel irgendwann zusammenstürzen musste. Es ist in jedem Gebiet das Gleiche. Ob in der Natur, in der Physik oder in der Kunst.
[Er beginnt lauthals zu lachen. Wieder sehen ihn die Urmenschen ungläubig an, aber nach einer Weile lachen sie beherzt mit. Als sie sich alle wieder beruhigt haben, fährt der Zeitreisende fort.]
Ich wünschte mir so sehr, dass jemand hier wäre, der diesen Witz versteht: Aber die fortlaufende Zeit, die Chronologie ist letztlich nichts weiter als ein Stille-Post-Spiel.
[Er seufzt erneut.]
Wahrscheinlich lache aber auch nur ich darüber. Diese Logik betrübt mich jedoch nicht mehr so sehr. Im Gegenteil, ich glaube schon fast, mit ihr ließe sich jede Entwicklung in jedem Universum erklären. Vom Stamm, zum Dorf, zur Stadt, zum Land, zum radioaktiven Fallout. Vom Binärcode zum Skript, zum Interface, zum Programm, zum ersten Absturz. Alles nur, weil sich jeder Makel unaufhaltsam mit dem nächsten multipliziert.
[Pause.]
Ich konnte den vorigen Gedanken nicht weit genug ausführen.
[Pause]
Es war etwas pauschal formuliert... „Die Idee“, sie ist von sich aus nicht das üble. Wie kann ich das genauer formulieren? Der Mensch bedurfte ihrer doch lange Zeit nicht. Sie wurde ihm nützlich... Ich muss es genauer unterscheiden: Sie wurde dem Manne nützlich, als er sich die Vorherrschaft sichern wollte. Das Wort, die Idee, oder Feder, sie haben tatsächlich eine unschätzbare Macht gegen die Natur, gegen das Lebendige. Am Anfang war das Wort und das Wort verdrängte Mutter Erde. Der Mann ist ja eigentlich die bemitleidenswerte Kreatur. Er begann zu erfinden aus Verbitterung, weil er kein Leben schaffen konnte, sondern nur lebloses, das er künstlich am Leben erhalten musste, auf vielerlei Arten eben. Dass wir ohne fremde Hilfe erschaffen können, ist es das? Aber es kann doch auch nicht ungewollt gewesen sein, dass wir erschufen und ersannen.
[Längere nachdenkliche Pause]
Und die Ironie ist, dass wir die Natur noch nicht mal im Ansatz zu ersetzen gelernt haben. Fehlte uns dazu bloß die Zeit? Davon war ich mal überzeugt.
[Pause]
Es stört mich schon ein wenig, das nicht mehr herausfinden zu können.
[Vorhang.]
 
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