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5 Seiten

ILLUNIS - Kapitel 2

Romane/Serien · Fantastisches
© Angy
Kapitel 2 - Lodern

Als wir ankamen, traute ich meinen Augen nicht. Ich hatte ganz vergessen, wie schön das Land war, auf dem sie lebten. Es war unmittelbar in der Nähe eines Waldes, davor eine großer, klarer See. Ihr Haus war aus dunklem Holz und wirkte dadurch rustikal. Aber.. irgendwie gefiel es mir. Es war wie ein kleines, abgeschirmtes Dorf. Um den See standen noch mehr Häuser, die dem meiner Verwandten ähnelten.
„Wir sind eine große Gemeinschaft hier. Wir halten zusammen, egal, wen es betrifft. Es gibt niemanden, der hier ausgeschlossen oder benachteiligt wird. Jeder kennt jeden – jeder mag jeden. Fast...“, sagte mein Onkel und lächelte, wie immer, dabei. Genau das meinte ich mit 'Psychopath'. Dieses Lächeln, dass nie brach. Er lächelte immer, redete immer sanft, wurde nie wütend, war nicht leicht aus der Fassung zu bringen... Fast, als wäre er ein Roboter. Dies empfand ich mehr als seltsam.
„Ich hoffe, du wirst dich, in der Zeit, in der du hier bist, gut in diese Gemeinschaft einbinden können“, fuhr er fort, ehe wir vor dem Haus hielten. Dort sah ich dann auch schon meine Tante, welche die Treppen der Veranda runter tapste, geradewegs auf uns zu. Ein Ausdruck von Freude lag in ihrem Gesicht, welcher so hell schien, wie die Sonne. So hell, dass ich wegsehen musste.
Sie riss die Tür des Autos auf, welcher auf meiner Seite war und umarmte mich stürmisch.
Ich war vollkommen perplex. Was sollte das denn jetzt? Die Nähe war mir irgendwie unangenehm, schließlich war sie für mich schon fast zu einer Fremden geworden.
„Ach Damon...“, seufzte sie, „du bist ja ein richtig großer, starke und schöner Mann geworden. Schade, dass ich nicht miterleben konnte, wie du heranwuchst. Unsere letzte Begegnung ist schon so lange her.. Unglaublich... Doch zum Glück bist du rechtzeitig zu uns gekommen, bevor du in das letzte Stadium deiner Entwicklung gekommen bist.“
Sie fasste mir an die Brust und ich wollte ihr am liebsten die Hand weg schlagen. Dann griff sie mir an die Stirn.
„Man kann es schon fast fühlen...“, sagte sie.
„Carmen.. Er ist noch nicht zu weit.. Das ist zu viel.. Du verwirrst den Jungen nur“, stoppte mein Onkel sie.
„Verzeih, Lucian“, erwiderte sie kleinlaut.
Sie wich dann endlich zur Seite, damit ich aussteigen konnte. Ich wollte zum Kofferraum gehen und meine Sachen auspacken, doch mein Onkel war mir schon zuvor gekommen.
„Ich trage diese in dein Zimmer. Aurora wird dich noch herumführen, dann gibt es Abendessen.“
Ach ja.. Ich hatte schon fast auf etwas vergessen. Aurora. Wo war sie überhaupt?
Ich beschloss, einfach mal Richtung Haus zu gehen. Was sollte ich denn sonst tun?
Ich war gerade davor, den Fuß auf die erste Stufe der Veranda zu setzen, als ich einige Meter vom Haus entfernt ein Mädchen sah, dass in der Wiese saß und anscheinend aus den Blumen etwas flechtete. Sie hatte langes Haar, welches in der Sonne einen roten Schimmer hatte. Sie wirkte klein und zierlich, fast schon zerbrechlich, im Gegensatz zu mir. Im nächsten Moment fiel mir auf, wie sehr ich sie gerade anstarrte und wie komisch das aussehen musste. Deshalb wandte ich meinen Blick schnell von ihr ab und wollte wieder die Veranda hinaufgehen, als mich genau aus dieser Richtung eine klare, helle Stimme rief. Ich blieb stehen, mein Blick folgte der Richtung, aus der sie kam. Das Mädchen, das dort gesessen war, stand nun und winkte mir. Ich verstand nicht... Zumindest nicht gleich. Denn es war für mich fast irreal, dass das Aurora war. Doch es bestand kein Zweifel, als sie langsam auf mich zukam. Ich griff fast schon unbewusst in die Tasche, in der ich den Pfefferspray hatte. Was mir im nächsten Augenblick schon wieder absurd vorkam, wie sollte mir dieses zerbrechliche Mädchen etwas tun?
Sie hielt vor der Veranda, verschränkte ihre Arme vor der Brust, als ob sie etwas verbergen wollte und sagte: „Ich... soll dich doch herumführen. Warte einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da.“
Ihre Stimme klang irgendwie distanziert. Erinnerte mich an jemanden. An mich. Sie ging an mir vorbei, die Arme weiter vor der Brust und wirkte irgendwie angespannt.
Sie ließ mich nicht lange warten, bald kam sie wieder, mit einer Weste bekleidet, die sie bis zum Hals geschlossen hatte. Und schon langsam fragte ich mich: Hielt sie mich etwas für einen kleinen Perversling, der nichts anderes zu tun hatte, als auf ihren Busen zu starren?
Doch nun wirkte sie etwas entspannter und offener.
„Wollen wir?“, fragte sie.
Ich nickte und dann gingen wir los. Schweigend. Keiner wusste, was er zum Anderen sagen sollte.
Eigentlich gab es viel zu erzählen, seit dem Kindergarten war viel geschehen. Nur der Anfang, der war schwer.
Schließlich unterbrach sie die Stille: „Ich habe gehört... Deine Mutter ist abgehauen?“
„Ja“, antwortete ich kurz und bündig.
„Das tut mir-“
„Sag es nicht. Es muss dir nicht leid tun, denn sie fehlt mir nicht.“
„Sie fehlt dir nicht?“, fragte sie unglaubwürdig.
„Nein. Wie soll mir etwas fehlen, dass ich nie wirklich hatte?“, erwiderte ich barsch.
„Aber... Nur einen Vater.. Das stell ich mir trotzdem irgendwie... Traurig vor. Ich meine.. Man braucht doch eine mütterliche und eine väterliche Seite, die einen durchs Leben begleitet. Ohne Mutter-“
Wieder fiel ich ihr ins Wort.
„Willst du mich traurig machen?“
„Äh... N-nein“, dies klang, als hätten sie sofort Schuldgefühle beschlichen.
„Schon gut... Hast du auch nicht.“ Ich schenkte ihr ein leichtes Lächeln.
Wir gingen am See entlang, sie erzählte mir viel über die Familien, die hier lebten. Dann wanderten wir in den Wald, wo es schön ruhig war. Man könnte hören, wie die Blätter raschelten, als der Wind sie umspielte. Es roch, nach... Nach Wald eben. Und ich mochte diesen Geruch. Plötzlich fiel mir wieder etwas ein.
„Sag mal..“, fing ich an.
„Hm?“
„Was... hat es mit dieser Entwicklungssache auf sich? Du weißt doch bestimmt etwas darüber.“
Sie wandte ihren Kopf zu mir, sah mich an und schwieg einige Sekunden.
„Entwicklung? Ich.. Ich weiß nicht....“
Sie wirkte unsicher.
„Was? Was weißt du nicht?“, fragte ich nach.
„Nichts! Ich weiß nicht, wovon du redest!“
Sie lief etwas schneller, als wollte sie mich alleine stehen lassen und verschwinden. Doch ich hielt mit ihr Schritt, was mir natürlich nicht schwer fiel.
„Aber.. Ich spüre, dass etwas nicht in Ordnung ist mit mir! Seit einigen Monaten benehme ich mich völlig verrückt! Ich mache Sachen, die vollkommen waghalsig sind. Irgendetwas lodert da in mir, ich weiß es ganz genau! Hat das.. Hat das etwas mit dieser 'Entwicklung' zu tun, von der deine Eltern die ganze Zeit sprechen?“
Sie hielt an, schaute mir einige Sekunden tief in die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf, drehte sich um und ging weiter.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst...“, sagte sie, ehe sie hinter den Bäumen verschwand.
Diese Aktion war nur ein Beweis, dass sie etwas wusste, aber mir nichts sagen wollte. Nein... Ich sollte am besten gar nicht auf die Worte hören, die diese Leute sagten, ihnen keine Bedeutung schenken. Gesagt – getan. Ich redete mir einfach wieder fest ein, dass sie Verrückte waren und ich mir darüber keine Gedanken mehr machen musste. Ich sah mich in dem Wald um und hatte keine Ahnung, wie ich hier wieder raus kommen sollte. Mir war gar nicht aufgefallen, dass wir so tief hinein gegangen waren.

Als ich dann doch noch irgendwie den Weg zurück fand, war es bereits dunkel. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit an mir vorbei gerauscht war. Wie ein einziger Atemzug..
Ich stand vor der Tür und wollte sie nicht öffnen. Meiner Meinung nach war der Start in mein Leben hier nicht gerade der beste gewesen. Aber eigentlich war ich darauf vorbereitet gewesen.
Ich seufzte. Dann legte ich meine Hand auf die Türklinke, starrte die Tür zwei Minuten lang an, bevor ich sie dann doch öffnete. Ich trat ein. Es war überall stockdunkel im Haus und es ruhig.. Sehr ruhig.. Diese Ruhe war unangenehm.
Ich ging davon aus, dass schon alle schliefen und tapste leise in die Küche. Dort drehte ich das Licht auf und fand einen Teller, voll mit Essen, vor. Den hatte meine Tante wohl für mich stehen gelassen. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen. Eigentlich war mir gerade gar nicht nach essen, aber da ich sie nicht beleidigen wollte, setzte ich mich an den Tisch und aß alles zusammen. Danach ging ich hoch in mein Gästezimmer. Ich ging die Stufen hoch, die genau so knirschten, wie die bei mir zu Hause und fühlte mich gleich ein bisschen wohler. Ich taste mich oben den Gang entlang, bis ich endlich die Türe zu meinem Zimmer fand. Ich öffnete sie und sofort stieg mir ein vertraute, angenehmer Geruch in die Nase und ich bekam eine Gänsehaut. Doch ich konnte nicht genau definieren, nach was er roch... Ich drehte das Licht auf... Ich riss die Augen auf... Was zur Hölle..?
Und dann...

Dann fiel ich... Ich fiel.. Ich falle. Immer tiefer. Ich bekomme keine Luft.. Ich hörte meinen eigenen Atem... Es war ein aufgeregtes Keuchen... Ich sah meine Hand vor mir.. Sie war verschwommen... Ich fühlte mich so leicht... Schwerelos... Und dann.. Dann.. War da ein dumpfer Schmerz in meiner Brust. Ein Brennen. Ich brannte. Eine Flamme breitete sich in mir aus. Sie wurde immer größer und heftiger. Ich fühlte mich plötzlich unglaublich heiß. Dann hörte ich einen lauten Schrei. Es war mein Schrei.. Die Hitze trieb mich an. Ich wollte mich vorwärts bewegen. Doch ich konnte nicht. Obwohl ich mich gerade eben noch so leicht gefühlt hatte, war ich plötzlich wie aus Blei. Mein Herz begann zu rasen. Mein Keuchen wurde lauter. Das Brennen wurde stärker. Und dann begann ich wieder zu fallen. Ich griff mir an die Brust und wollte mein Herz heraus reißen. Es brannte. Ich konnte fühlen, wie es brannte. Ich wollte Erlösung.. Erlösung von dieser Welt, in der ich gerade gefangen war... Erlösung.. Ich wurde erlöst.. Am Ende meines Falls.. Wurde ich zu Staub.


Am nächsten Morgen fand ich mich in meinem Bett vor. Ich war verwirrt. Ich musste kurz nachdenken, wo ich war. Ich griff mir kurz an den Kopf, an die Brust und auf die Beine, als ich dann glücklicherweise feststellen konnte, dass ich nicht zu Staub verfallen war, sondern immer noch lebendig in meinem Gästebett lag. Aber ich begriff nicht.. War dies ein seltsamer Traum gewesen? Wundern würde es mich ja nicht..
Als ich mich in den Raum umsah, entdeckte ich dort viele Bilder an der Wand hängen. Von mir. Von mir und Aurora. Und von mir und meiner Tante oder meinen Onkel. Aber es gab kein einziges Bild, wo ich nicht oben war. Ich konnte mich an kein einziges dieser Bilder erinnern. Ich kannte die Orte nicht, an denen sie geschossen wurden... Ich konnte mich an die Momente nicht erinnern.. Dann sah ich eine Zeichnung, die ebenfalls in einem Rahmen an der Wand hing. Sie sah aus, als hätte sie ein Kindergartenkind gezeichnet. Darunter stand mein Name. Sie musste wohl von mir Stammen. Ich konnte nicht genau sagen, was die Zeichnung darstellen sollte, doch ich erkannte ein Tier, ein Mädchen und einen Jungen. Das Tier sah aus wie.. Ein Luchs.. Nein.. Ein Puma.. Nein.. Ein Wolf.
Ja, wie ein Wolf. Und es sah so aus, als wären die drei zu Einem geworden.
Auf dem Nachtkästchen, das direkt neben dem Bett stand, lag ein Lederband. Es war braun und schon ziemlich abgegriffen. Ein kleiner Anhänger schmückte es, welcher aussah, wie das Symbol für Feuer. Ich wusste, dass es mein Band war, ich trug es als kleiner Junger immer. Doch eines Tages hatte ich es verloren.. Ich habe damals Rotz und Wasser geheult.. Warum ist es hier?
Das ganze Zimmer war wie eine Kindheitserinnerung.. Nur.. Konnte ich mich an nichts erinnern,was ich hier vorfand.. Es war wie eine Kindheit, die ich nie gelebt hatte..
 
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Kommentare  

So, jetzt kam ich auch mal wieder dazu weiterzulesen. (N kleiner Tipp - ein Kapitel alle paar Tage hier einzustellen reicht völlig aus, damit die Leute es lesen. Gleich 4-5 pro Tag zu veröffentlichen hat meist nur den Effekt, dass es auch weniger gelesen wird)

So, aber jetzt zum Text an sich:
Lucian, Damon, Aurora ^^ das sind ja gleich ne ganze Horde interessanter Namen - das Geheimnis um die "Entwicklung" wird nur sehr, sehr langsam gelüftet, aber Damon spürt also schon eine ganze Weile, dass etwas nicht stimmt... mal sehen wies so weitergeht.


Jingizu (05.09.2011)

Schön spannend geschrieben. Das macht Lust auf mehr.

doska (04.09.2011)

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