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Zweifelhafte Freunde - 8. Kapitel der "Französischen Liebschaften"

Romane/Serien · Spannendes
8. Kapitel der Französischen Liebschaften: "Zweifelhafte Freunde".
*
Ich war einfach zu Topmeiers Reisebüro am Place de la Republique gefahren, ohne mich telefonisch anzumelden. Der vordere Büroraum war modern eingerichtet, aber erstaunlich klein, als würde er nur als Alibi dienen; aber dann kam man durch eine Schiebetür an der Sekretärin vorbei in ein komfortables Wohnzimmer mit einer breiten Couchgarnitur aus beigem Leder. Der dicke Topmaier residierte hinter einem penibel aufgeräumten Schreibtisch, der nicht recht zu dem pompösen Wohnzimmer und dem privaten Ambiente passen wollte.
Topmaier war nicht überrascht. Er hatte mich erwartet und machte keinen Hehl daraus. „Ich freue mich, dass Sie den Weg freiwillig zu uns gefunden haben!“ sagte er und hielt mir die Hand hin. „Unsere gemeinsame Freundin hat Sie avisiert!“ Was sollte diese Bemerkung "freiwillig"? Wer hätte mich denn zu diesem Besuch zwingen sollen? Aber ich ging nicht darauf ein.
„Sie sind ein vielseitiger Mann!“ begann ich und erwiderte Topmaiers Händedruck. „Gleich mit mehreren Nebenjobs! Ihr Reisebüro scheint nicht besonders lukrativ zu sein, wenn man Nebenbeschäftigungen bei der Pariser Polizei annehmen muss?!“ Topmaier sollte meinen Spott bemerken. Ich wollte nicht lange um den heißen Brei herumreden, sondern versuchte Selbstbewusstsein und auch ein bisschen Ironie zu demonstrieren. Aber Topmaier ließ sich nicht überraschen; er war aalglatt und machte auf bayrisch jovial.
„Nehmen's erst einmal Platz!“ sagte er überschwänglich. „Nehmen's erst einmal Platz! Es gibt für alles eine Erklärung!“ Er deutete auf den freien Sessel ihm gegenüber. Dann verlief unsere Unterhaltung dermaßen deutlich, dass sogar bei mir Naivling endlich der Groschen fallen musste.
„Wissen Sie!“ Topmaier machte eine Pause und schaute mich lange an. „Wissen Sie, es geht hier nicht um ein bisschen Nebenverdienst. Die paar Kröten machen den Bock auch nicht fett. Aber es gibt Nebenbeschäftigungen, die macht man nicht wegen dem Geld, sondern aus Idealismus! Und manche Nebenbeschäftigungen dienen sogar der Freiheit! Der Freiheit! Sie verstehen, junger Mann?“
„Nein!“ sagte ich, obwohl ich ahnte was kommen würde.
„Na schön! Ich werde versuchen es Ihnen zu erklären". Er drückte auf Telefontasten. Eine Frauenstimme meldete sich. „Karin, bringen Sie uns bitte zwei Kaffee und eine Schachtel Gaulloise máis! Sie rauchen doch gelbe Gauilloise!?" Topmaier schaute zu mir herüber. "Und den Kaffee für Sie schwarz mit drei Zucker und einen Calvados dazu, das lieben Sie, wie ich weiß…!“ Er musterte mich aufmerksam und konnte kaum deutlicher zeigen, dass er über mich und meine Gewohnheiten bis ins Detail informiert war.
„Aber kommen wir zurück zum Idealismus, lieber Herr Stehauf. Wie bereits gesagt: Ich liebe mein Land! Und mein Land ist Deutschland! Die Bundesrepublik Deutschland! Mit der Ostzone habe ich nichts am Hut. Wenigstens nichts Privates. Sie verstehen?“ Er erwartete wohl keine Antwort, sondern fuhr fort: „Und weil ich mein Heimatland liebe, versuche ich es zu schützen. Zum Beispiel gegen linke Terroristen! Linke Terroristen wie zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit oder Beate Klarsfeld. Sie haben von den beiden gehört? Na ja, ich weiß, Sie kennen sie sogar! Und Sie kennen ihre Treffpunkte! Umso besser! Denn für diesen Kampf gegen Terroristen muss man von Fall zu Fall mit der französischen Polizei und anderen Diensten zusammenarbeiten! Sie verstehen?“
'Sie verstehen' schien Topmaiers Lieblingssatz zu sein. Allmählich dämmerten mir die Zusammenhänge, aber Topmaier ließ mich ohnehin nicht zu Wort kommen. „Ich weiß, dass Sie verstehen!“ sagte er versöhnlich. „Sie sind ein kluger junger Mann! Sie haben sich zwar von den wilden und kriminellen so genannten Revolutionären eine Weile blenden lassen, okay, okay, das sind Jugendsünden; wenn man jung ist, läuft man mal falschen Idealen nach, aber wie ich weiß, sind Sie längst zur Besinnung gekommen und leben jetzt anständig. Wie ich erfahren habe, haben Sie das Beste aus Ihrer Situation gemacht…“.
„Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen…!“ warf ich ein.
„Na ja, wie man’s nimmt!“ Topmaier unterbrach mich und grinste. „Sachbeschädigung, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Schwarzarbeit, keinen festen Wohnsitz haben, keine gültigen Papiere, und wenn man wollte, könnte man sogar noch 'Zusammenarbeit mit einer kriminellen terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zu Straftaten‘ konstruieren! Also, unterm Strich würde da schon eine beachtliche Latte zusammenkommen. Das würde auch in Frankreich jahrelanges Gefängnis bedeuten. Oder?!“ Topmaier wartete einen Augenblick, aber ich wusste ohnehin nichts zu antworten. Er hatte wiederholt, was Lisa mir bereits andeutungsweise vorgebetet hatte. Es war die gleiche Leier und ich erkannte das abgekartete Spiel, an dem Lisa, Topmaier und wahrscheinlich auch Susanne beteiligt waren. Langsam wurde mir klar, dass auch das scheinbar zufällige Zusammentreffen mit mir, Lisa und Susanne arangiert war.
„Aber von Ihren kleinen Jugendsünden brauchen die französischen Behörden nichts zu erfahren!“ fuhr Topmaier süffisant fort. „Sie wissen ja: Wo kein Kläger, da kein Richter! Ich, zum Beispiel, ich würde schweigen wie ein Grab! Obwohl ich eine gewaltige Akte von Ihnen vorliegen habe!“ Topmaier machte eine Pause, klopfte auf seine Schublade und sah mich erwartungsvoll an. Hatte er mich wirklich in der Hand? Oder pokerte er nur? Was wollte er von mir?
„Ich sehe immer noch nicht den Zusammenhang mit dem Job, den Sie mir anbieten wollen!“ warf ich ein. Jetzt musste ich auf der Hut sein, langsam wurde es eng für mich. Dieser Topmaier war kein harmloser Chorknabe. Und ich wäre eine Wette eingegangen, dass sich dieses famose Reisebüro einschließlich Lisas Escort-Service als getarnte Pariser Außenstelle des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes entpuppen würde. Hier wurden Aufgaben erledigt, die mit normaler Polizeiarbeit nichts mehr zu tun hatten.
„Reden Sie nicht lange herum!“ sagte ich so ruhig wie möglich. „Nennen Sie Ihre Bedingungen, damit ich in Ruhe leben kann! Was muss ich tun?“
Topmaier hob die Hände. „Aber wir sind doch keine Unmenschen!“ wehrte er theatralisch ab. Die Sekretärin brachte den Kaffee und die Zigaretten. Topmaier riss die Schachtel auf, bot auch mir eine Gaulloise an und gab uns beiden Feuer. „Rauchen Sie erst einmal in Ruhe! Wir sind doch keine Unmenschen!“ Wir schwiegen, zogen an den Zigaretten und tranken Kaffee.
„Wissen Sie was?!“ nahm Topmaier das Gespräch wieder auf. „Ich verlange nicht viel von Ihnen. Ich erwarte nur, dass Sie ein ganz normales Leben führen; wegen mir auch ab und zu mit unserer gemeinsamen Freundin Elisabeth Ihren Spaß haben, oder, wenn Sie möchten, auch mal mit Susanne von der Botschaft, aber ansonsten sollten Sie wieder zurückkehren in Ihren revolutionären Kreis und dort die Augen und Ohren offen halten und …“. Topmaier machte eine Kunstpause, „… und uns zwischendurch berichten, was in diesen Kreisen so vorgeht, Sie verstehen?“
„Ich soll also Polizeispitzel werden!?“ stellte ich geradeheraus fest. „Sie wissen sehr genau, dass ich in unserem gemeinsamen Vaterland Bundeswehrdeserteur bin?!“ sagte ich nicht ohne Anflug von Ironie. „Ein Bundeswehrdesserteuer ist wohl kaum geeignet zur Verteidigung der Freiheit…?!“
„Schon wieder so ein schlimmes Wort!“ Topmaier hob erneut abwehrend die Hände. „Bundeswehrdeserteur?! Wie sich das anhört! Schauen Sie, lieber Freund: Ob wir nun in Deutschland einen Grashüpfer mehr oder weniger beim Militär haben, das wird den Weltfrieden nicht beeinträchtigen! Sie verstehen?! Aber wenn dieser Grashüpfer uns hier in Paris hilft, ein paar Terroristen aus dem Verkehr zu ziehen, das ist doch eine viel größere und wertvollere Aufgabe! Oder meinen Sie nicht? Frankreich würde es Ihnen danken und Deutschland würde es Ihnen danken! Und wir würden uns erkenntlich zeigen. Zum Beispiel mit der Legalisierung Ihrer Aufenthaltsgenehmigung und vielleicht sogar mit einem gültigen Reisepass…!“
„Haben Sie bei Ihren Terroristen an einen bestimmten Personenkreis gedacht? Sind da Waffen im Spiel? Mit Gewalt will ich nichts zu tun haben! Dann können Sie mich gleich abschreiben!“ Ich versuchte Rückgrat zu zeigen, obwohl ich offensichtlich kaum Spielraum zum Pokern hatte.
„Aber wo denken Sie hin?! Unser Dienst arbeitet nicht mit Waffen! Und wir sind keine Unmenschen! Wir sind hier nicht bei der Ostzonen-Stasi! Es geht bei uns nur um Beobachtungen und um das Zusammentragen und Auswerten wichtiger Informationen!“
„Und wen soll ich beobachten?“ fragte ich.
„Das werde ich Ihnen rechtzeitig mitteilen! Jedenfalls wird es eine interessante Tätigkeit sein. Gehen Sie jetzt erst einmal in Ihr Hotel und an Ihre Arbeit zurück, nehmen wieder Kontakt mit ihrem revolutionären Kreis auf und dann melden Sie sich bei Susanne! Susanne wird unter meiner Führung Ihre Kontaktperson sein. Ich bin sicher, Susanne wird Ihnen zu Ihrer Zufriedenheit weitgehend entgegenkommen! Auf gute Zusammenarbeit!“ Topmaier stand auf und reichte mir die Hand. Ich war entlassen, hatte noch immer keine klaren Anhaltspunkte, war aber gewarnt. Zwischen den Stühlen zu sitzen, erzeugte Unwohlsein. Aber der Gedanke an Susannes Rubensfigur erzeugte ein angenehmes Prickeln. Wenn der Verstand aussetzt, rennt man leicht ins Messer...
*
Dies war ein Auszug aus
Michael Kuss
FRANZÖSISCHE LIEBSCHAFTEN.
Unmoralische Unterhaltungsgeschichten.
Romanerzählung.
Fünfte überarbeitete Neuauflage 2013
ISBN 078-3-8334-4116-5.
14,90 Euro.
Als Print-Ausgabe und als E-Book erhältlich in den deutschsprachigen Ländern, in Großbritannien, USA und Kanada.
Im Web: www.edition-kussmanuskripte.de
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Auch hier bei Webstories: Französische Liebschaften (9): "Die Entscheidung".
 
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Kommentare  

@ Ingrid Alias I: Ich weiß nicht, ob es sich 1970 um das legendäre k14 handelte oder um eine Außenstelle des BND. Aber bemerkenswert ist meine Frankreich-Geschichte aktuell angesichts der US-amerikanischen Geheimdienstaktivitäten in Zusammenhang mit deutschen (Auslands)Geheimdiensten. Damals - und im Fall meiner Geschichte - waren es "nur" unliebsame Linke, die von Bespitzelung betroffen waren. Heute sind es sogar konservative "befreundete Staatsführer", die vor ihren eigenen Geheimdiensten nicht mehr sicher sein können oder überhaupt nichts von deren Treiben wissen (wollen). Nicht nur der Münchener NSU-Prozess hat es bewiesen.

Michael Kuss (27.10.2013)

"Es geht bei uns nur um Beobachtungen und um das Zusammentragen und Auswerten wichtiger Informationen!“
*lach* das habe ich auch schon mal gehört. 1970? sie kamen vom legendären k14, bisschen rumhören, spionieren und so weiter...
sehr gut geschildert. alles! ;-)


Ingrid Alias I (26.10.2013)

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