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9 Seiten

Kalt

Schauriges · Kurzgeschichten
© Ben Pen
Marc Connor ging den kurzen Weg von seiner Haustür bis zum Pick-Up pfeifend.
Es war Winter, Anfang November, um genau zu sein, und die Anzeichen auf das bevorstehende Jahresende zeigten sich jetzt schon überdeutlich. Der Boden knackte, knisterte bei jedem Schritt. Schnee bedeckte Bäume, Häuser, und auf den Spielplätzen klumpte der Sand. Die Straßen waren spiegelglatt. Marc allerdings viel zu faul, sein Auto winterfest zu machen.
Der Amerikaner, der in unserer Geschichte die Hauptrolle spielt, hielt so ein schweißtreibendes Verfahren schlichtweg für überflüssig. Und ungemütlich obendrein. Es würde schon schiefgehen. Irgendwie.
Marc war kurzsichtig. Und ziemlich voluminös. Er aß für sein Leben gern Fastfood. Er konnte fressen wie ein Weltmesser. Da machte ihm niemand etwas vor. Bei allem andren ließ er es gemächlich angehen. So wie heute.
Er ging zu Arbeit. In seinem Pick-Up war es schweinekalt. Marc pflanzte sich ins Leder. Er schloss die Tür und startete den Motor. „Tuck, tuck!“, ergoss sich der Wagen in Begrüßungen. Marc rieb sich die Hände. Die Maschine arbeitete.
Es dauerte ein Weilchen, aber schließlich wurde es warm und der Motor begann zu schnurren. Marc streichelte sein großes Kätzchen.
Radioknistern. Dann ein Ständchen von Madonna. Ziemlich fetzig. Marc drehte das Radio leiser. Fetzig war so gar nicht nach seinem Geschmack. Trotzdem erduldete er das Geplärr, bis ein kecker Jingle die Nachrichten einläutete. Die Uhr schlug Sieben. Conners Flehen ward erhört.
Katja Buomberger verkündete, was sich alles für Staus anbahnten, wo der Schnee am stärksten falle, und wie es um den DAX stand. Als dann endlich die Lokalnachrichten an der Reihe waren („Liebe Zuhörer, halten Sie sich fest! Die B19 ist vollkommen…“), wurde sie von einem lauten, ärgerlichen Krächzen unterbrochen.
„Fuck!“ Marc fluchte. Seine Faust krachte auf die Armaturen. Jetzt wusste er nicht mal, ob es überhaupt zu packen war. Das Kaff, in dem er wohnte, lag ein bisschen außerhalb. Die einzige Straße führte über einen Hügel und schließlich durch den Wald. Besonders im Winter war die Strecke nicht ganz ohne.
Na ja, er musste es zumindest versuchen. Er hatte oft genug gefehlt. Eine weitere Fehlzeit, und war sie noch so kurz!, konnte er sich einfach nicht leisten. Er wartete noch einen Moment, ob es vielleicht besser wurde, aber die Störung blieb. Verärgert setzte er zurück.
Im Anschluss fuhr er einen regelrechten Bleifuß. Schnee spritzte unter den Reifen auf. Hier und da geriet er etwas ins Schleudern. Er bremste, fluchte und stieg wieder aufs Gas.

Batman oder Spiderman spielten in Marcs Leben eine große Rolle. Damals, in Amerika, hatte er Tag und Nacht Sender wie Fox oder Cartoon gesehen. Seine Mutter hatte ihn komplett vernachlässigt und von seinem Vater hatte er nichts anderes als Prügel mit auf den Weg bekommen. Mit dem Ergebnis: Er konnte ganz gut einstecken.
Und das hatte er auch müssen. In der Schule hatten sie ihn gemobbt. Sie hatten ihn Fettsack oder Brillenschlange gerufen. Natürlich auf Englisch. Die Schläge, die Beleidigungen, er hatte alles über sich ergehen lassen. Immerhin hatte er ja noch seine Helden, seine heißgeliebten Comics.
Irgendwann aber war es ihm zu viel geworden. Mit Achtzehn war er nach Deutschland emigriert. Er war geflohen, hatte Vater und Mitschüler hinter sich gelassen und sich der Herausforderung eines fremden Landes, einer fremden Sprache gestellt. Mit dem Ergebnis: Auch jetzt, zehn Jahre später, war sein Akzent noch unverkennbar.
Da er weder klug noch talentiert war, hatte er nur einen Fließbandjob bekommen – in einer Fabrik für Katzenfutter. Es reichte eben nicht, nur die „Elementare“ hinter sich gebracht zu haben. Doch dafür erschien er ihnen gerade gut genug.

Der Himmel war grau und bewölkt, die Sonne ein verschwommener, goldener Fleck dahinter.
Er parkte den Truck in der Nähe eines Cafés, stieg aus, um sich noch ein paar Törtchen für die Mittagspause zu besorgen. Essen hatte schon immer sein Leben dominiert. Er genoss, liebte es regelrecht. Alles, worum er im Leben bemüht war, war, seinen ewigen Hunger zu stillen.

Zehn Minuten später hatte er sich wieder hinters Lenkrad geklemmt und brauste davon. Da die Straßen bisher frei gewesen waren, hatte er sich Zeit gelassen. Trotzdem war mehr Zeit vergangen, als er angenommen hatte. Wenn jetzt noch die Waldstraße blockiert war …
Die Umgebung zog an ihm vorüber. Ab und an meldete sich das Radio zu Wort.
„Das Ding is‘ kaputt“, mutmaßte Marc. „Am Sender kann‘s nicht liegen. Der is‘ gleich um die Ecke. Oder Karre is‘ im Arsch…“
In der Tat war der Jeep in keinem guten Zustand. Hie und da fraß sich roter Rost an blankem Chrom entlang. Aber das allein hätte doch keinen Einfluss auf das Radio haben dürfen!
„Da is‘ was im Busch“, sann Marc, und fragte sich, wer ihm hier in seine Suppe spuckte: „Superman? Spiderman? Cyber? Wolverine?“ Doch keiner der ihm bekannten Superhelden, Superschurken schien ihm zu solch einer Gräueltat im Stande. „Ein Störsender“, murmelte er, und verdächtigte den Staat. „James Bond? Die CIA?“ Nicht einen Augenblick lang kam ihm der Gedanke, all dies könnte Zufall sein.
Er befand sich auf dem Holzweg – und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er hatte eine Ausfahrt verpasst. Langsam aber sicher war der Beton Waldboden gewichen. Marc befand sich zwischen Tannen und Schneebergen.
„Verdammt!“ Schimpfend stieg er aus, umrundete den Wagen, versuchte, sich zu orientieren. Er bemerkte, dass sich der Pfad kaum mehr von der Hauptstraße unterschied. Wahre Wälle aus Schnee imitierten eine Leitplanke. Ringsum bogen sich Äste unter der schweren Last des Schnees.
Ein Zweig brach.
Das Geräusch ging im Krächzen seines Radios unter. Störsender.
Marc sah sich kurz um: Ein Schemen verschmolz mit dem Schatten eines Baumes. Marc blinzelte. Der Schnee glitzerte im Morgenlicht. Der Baum stand unbewegt … umzingelt von tausend andren seiner Art. Kein Mensch war schmal genug, sich in seinem Schutze zu verbergen.
„Wäre auch dumm“, gestand er, kletterte in seinen Truck zurück. „Batman hätte diesen Bastard längst erledigt!“ Was er nicht bedachte, war, dass er sich in Deutschland und nicht in Amerika befand.
Doch fiel ihm seine Arbeit wieder ein und er drückte kräftig auf die Tube.

Im Büro des Chefs blies man ihm den Marsch: „Eine ganze Stunde Verspätung! Sind Sie völlig von Sinnen, Conner? Wo soll das hinführen? Schaffen Sie jetzt nur noch halbtags? Sie kosten uns horrende Summen!“
Unter dem Brüllen seines Chefs schien Marc zu schrumpfen. Hatte Green Lantern ihn im Stich gelassen? Wo waren Helden, wenn man sie brauchte?

Schließlich wurde er entlassen. Er trollte sich, flüchtete in Schnee und Morgen, kehrte auf den Parkplatz des Firmengeländes zurück. Er hörte Maschinen röhren, arbeiten, malte sich aus, wie sein Tag verlaufen wäre, wenn hätte er nicht noch einmal für ein zweites Frühstück gehalten hätte.
Tatsächlich hatte das Pech Gefallen an ihm gefunden. Eines um das andere lief schief. Zuerst war er zu faul gewesen, Schneeketten aufzuziehen, dann war alles, was sein Autoradio noch hergab, ein nerviges Krächzen, und jetzt hatte er auch noch seinen Job verloren. Und das alles vor Mittag! – Er war wütend und verzweifelt.
Als er ins Auto stieg, klapperte irgendwo hinter ihm Metall und der Geruch von frischem Katzenfutter wehte zu ihm herüber. Rasche, zielstrebige Schritte knirschten im Schnee. Doch als Marc in den Rückspiegel sah, erblickte er nicht den Sicherheitsmann, den er zu sehen erwartet hatte, sondern sah nur die leere Schneefläche des Platzes. Ein Schauder überkam ihn.
Neben dem ‚Nichts‘ befand sich nur sein eigenes Gesicht, Augen hinter dicken Brillengläsern. Sie waren feucht. Er weinte. Eine Träne lief ihm über die Wange und er verzog zornig das Gesicht. Seine Hände krampften sich um den Lenker, und er trat aufs Gas.
Drei Sekunden später hatte er das Firmengelände verlassen.

Auf seinem Heimweg trat er das Gaspedal noch weiter durch. Der Himmel war noch dunkler geworden und die Schneeflocken hämmerten wie Kinderfäuste auf die Frontscheibe. Manchmal erfassten Windböen das Auto und warfen es herum. Zum Glück befanden sich keine andren Wagen auf den Straßen. Marc hatte die Fahrbahn ganz für sich. Er ließ seinem Ärger freien Lauf.
Der Pick-Up wummerte: „Tuck, tuck, tuck, tuck, tuck!“
Plötzlich schaltete sich das Radio ein: „Nebel und Schneeregen auf der B19, bitte alle Vorsicht...“ Das kleine rote Lämpchen, das am schwarzen Plastik des Radiogehäuses zu pulsieren pflegte, begann erst zu flackern, flackerte dann immer schneller und behielt schließlich seine Farbe. Dennoch blieb’s beim altbekannten Krächzen und Quietschen.
Marc warf einen ärgerlichen Blick auf das Gerät. Dann verlangte ein innerer Instinkt, dass er wieder auf die Fahrbahn sah. Doch sah er nicht mehr nur die Fahrbahn: Ein Schemen durchbrach das Gehölz des weißen Waldes und raste auf die Straße. Diesmal sah es Marc ganz deutlich: haarig, sehnig, vage menschenähnlich. Dann riss er auch schon das Steuer herum.
Die Reifen quietschten über den schneenassen Teer, Bremsen versuchten zu greifen, doch hatte er die Kontrolle über den Truck bereits verloren. Das Gefährt wurde herumgewirbelte, prallte gegen die Leitplanke und bibberte wieder zurück.
Das haarige Wesen prallte gegen die Windschutzscheibe. Ein Netz aus Rissen zog sich durch das Glas. Dann rollte das Ding übers Autodach. Krallen ratschten darüber. Im nächsten Augenblick war es auch schon wieder verschwunden.
Marc konnte nun überhaupt nichts mehr erkennen. Blind schlitterte er über die Straße.
Dann neigte sich die Schnauze des Wagens nach unten, hielt kurz. Marcs Kopf wurde nach vorn gerissen. Der Sicherheitsgurt schnitt ihm die Luft ab. Sein Kiefer klappte gegen seine Brust. Fast hätte er sich die Zunge abgebissen.
Der Wagen rammte etwas Großes, Standhaftes. Die Scheibe zersprang nun völlig und ein Splitterregen prasselte auf Marc herab. Es krachte. Der Truck stand.
Geschlagene fünf Minuten verbrachte Marc reglos kauernd auf seinem Sitz. In seinen Gedanken jagte amerikanisches Fernsehen mit all seinen Helden, und immer deutlicher wurde das Bild dahinter: ein kleiner, dicklicher Junge mit Brille, der von den anderen ausgelacht wurde. Genauso wie er plötzlich um die Gefühle des Jungen wusste: Er wollte ein Held sein. Groß. Schlank. Stark. Gut gebaut. Ein nächtlicher Krieger. Er wollte eine Chance. Aber sie ließen ihn nicht. Die anderen Kinder ließen ihn nicht. Er war klein, dick und Brillenträger.
Als Marc vorsichtig die Augen öffnete, wusste er, dass er dieser Junge gewesen war, und dass er sich kein Bisschen verändert hatte: Noch immer war er klein, dick und höchstens mit einer Nickelbrille ausgestattet, anstatt mit einer Laserwaffen oder einem Batmobil.
Es sei denn, er würde sie ergreifen, diese eine, letzte Chance. Jetzt. Er wusste: Auf der Ladefläche befand sich ein Revolver. Ein Schießeisen, die Waffe eines Cowboys. Leuchtkugeln, um auf sich aufmerksam zu machen, befanden sich auch dort. Dennoch würde er sie nicht dafür benutzen.
Als er ausstieg, waren seine Schritte ungelenk, er taumelte. Der Wagen war einen kleinen Hang hinunter und dann gegen einen Baum gefahren. Es lief kein Benzin aus; so ein Truck hielt etwas aus. Vor seinem verschwommenen Blick erkannte er lediglich Schwarz und Weiß: schwarze Baumrinde, schneebedeckte Äste und ein ebenso schneebedeckter Waldboden.
Hoffentlich hatte er recht. Hoffentlich befanden sich wirklich eine Waffe und – wenn er Glück hatte – ein paar Patronen auf der Ladefläche. Es waren zwar nur Leuchtkugeln – für Silvester -, aber sie würden dennoch nicht ihr Ziel verfehlen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Hoffentlich!
Fieberhaft durchwühlte seine Hand das Durcheinander. Über jedem Stück lag feiner Schnee, der seine bloßen Finger kalt empfing. Beinahe sofort wurden sie steif.
In einem Täschchen fand er die Pistole. Und auch die dazugehörigen Patronen waren nicht verloren gegangen. Er nahm die Waffe aus dem Täschchen, lud sie und spannte anschließend den Hahn. Während er den Hang hoch-, zurück zur Straße kletterte, wurde das unheimliche Gefühl immer stärker. Er wusste nun, warum das Radio bei so vielen Gelegenheiten gesponnen hatte. Es hatte auf irgendeine Weise auf dieses „Ding“ reagiert. Das er angefahren hatte.
Marc fühlte sich nicht schwer verletzt. Und an der frischen Luft verzog sich die leichte Benommenheit auch bald. Oben auf der Straße wehte noch immer der Wind; der Schneeregen preschte auf die Straße ein. Er war allein. Auf sich gestellt. In einem Abenteuer. Das Kind in ihm, das er jetzt deutlich sah, ballte die Fäuste. Und auch seine Hand schloss sich fester um den kalten Griff.
Sein erster Gedanke war: „Wo ist dieses Ding!?“ – Er war völlig ruhig. Keine Wut, keine Hast. Er hatte bekommen, was er wollte, ein Abenteuer, ein Duell, das er sich mit einem Bösewicht leisten musste. Batman, auf sich allein gestellt, gegen den Werwolf. Marc, auf sich allein gestellt, gegen das Ding aus dem Wald.
Und da lag es. Keine zwanzig Schritte auf dem Eis. Den Rücken ihm zu gedreht, sodass er das Gesicht nicht sehen konnte, haarig und verkrümmt, in einer Blutlache. Der eisige Wind zupfte an dem zotteligen Pelz. Marc hob seinen Revolver. Zielte auf das Ding, das reglos und wehrlos dalag.
„Kein fairer Kampf!“, schoss es ihm durch den Kopf. Dann brüllte er das Ding an: „Steh auf, verdammt noch mal!“
Nichts rührte sich. Das Ding atmete nicht einmal.
„Steh auf!“, rief Marc wieder. „STEH GOTTVERDAMMT NOCH MAL AUF!!!“
Das Ding tat einen einzigen, langgezogenen, kehligen Atemzug. Dann hob es seinen sehnigen Körper vom Boden. Es bewegte sich geschmeidig, vorsichtig und mit allergrößter Sicherheit. Marc machte einen Schritt zurück. Er begann eine Rolle zu spielen. Die Rolle eines Helden. Noch immer blickte er auf das fremde Wesen, den Werwolf, der sein Gesicht nicht entblößte. Die Rückenmuskulatur war gespannt, die bräunlichen Haare darauf stellten sich auf. Plötzlich roch es widerlich nach Katzenfutter.
Marc erinnerte sich an die Fabrik. An seinen Chef. An das Klappern von Metall und den Gestank, den ihm der Wind zugetragen hatte. Und hatte die irrsinnige Idee, dass das Wesen dort Unterschlupf gefunden hatte. Oder sogar dort entstanden war.
Schweiß begann, ihm an den Schläfen hinab zu laufen. Das Ding war ruhig, atmete flach, und bei jedem Zug hoben sich die muskulösen Schultern.
Marc spürte den Schnee nicht mehr, die Kälte war wie weggeblasen. In ihm begann etwas zu rattern. Eine Maschine, die jemand in Gang gesetzt hatte. Er wurde, nein, war jetzt ein Held. Ein Superheld. Er war Neo aus Matrix und wusste genau, was zu tun war. Er würde dieses Tier besiegen. Trotz seiner Masse. Trotz all dem, was er in den letzten Jahren geworden war. Er würde es schaffen.
Seine Brillengläser beschlugen. Er machte einen hektischen Schritt zurück, spürte einen Luftzug, den Gestank fauligen Fleisches. Einen heißen Atemzug. Dann war es verschwunden. Er wusste jetzt, dass da nichts mehr war. Kein Werwolf.
Als er seine Brille abnahm, sie schnell am Ärmel seiner Jacke säuberte und sie dann wieder aufsetzte, sah er nur den Blutfleck, der den Schnee gebrandmarkt hatte. Eine undeutliche Blutspur führte in den Wald. Dort lauerte es auf ihn. Es würde fair sein. Es hatte ihn verstanden, und es wusste, dass er fair gewesen war, ihm eine Chance gegeben hatte. Jetzt würde auch es fair sein.
Er senkte die Waffe, sagte langsam und deutlich in das Schneetreiben hinein: „Lass das Versteckspiel!“
Schnee knirschte. Wieder. Und wieder.
Eine Klaue nach der anderen wurde auf die vereiste Straße gesetzt. Aus dem Schneetreiben kristallisierte sich etwas heraus. Marc wusste, was es war, und hob die Waffe. „Ich schieße“, sagte er langsam, so wie es Cable oder Storm gesagt hätten.
Gegen all seine Erwartungen hob sich eine krächzende, tiefe Stimme aus der Ungewissheit um ihn herum: „Wirst du nicht.“
Im nächsten Moment zerstoben die Schneeflocken vor Marc. Ein Schemen sauste heran und schlug nach ihm. Der Schlag erwischte ihn mit voller Wucht und warf ihn zurück. Er versuchte, mit den Füßen Halt zu finden, aber sie glitten über das Eis wie Schlittschuhkufen. Seine Tonnenlast zerrte ihn zu Boden. Der Aufschlag war hart und trieb ihm alle Luft aus den Lungen. Dennoch schaffte er es irgendwie, sich wieder aufzurichten.
Kaum stand er, da kam auch schon der nächste Schlag mit der Wucht eines Tornados. Wieder wurde er zurückgerissen, ein dumpfer Schmerz hallte nach in seinen Gliedern. Dann war das Wesen erneut über ihm, packte Marcs Arm und drückte zu. Heiße Finger gruben sich in sein Fleisch und schlossen sich schraubstockartig immer enger. Marc schrie. Unter dem Griff des Werwolfs knackten Knochen.
Gegen den Schmerz beugte Marc den Ellbogen, und jetzt zielte die Pistole auf den Haarigen.
Marc drückte ab.

Sein Arm brach, der Druck ließ nach. Die Waffe fiel aus den erschlafften Fingern. „MEIN GOTT, er hat den MUSKEL zerrissen!“
Darauf traf ihn ein wuchtiger Schlag.
„Du wolltest ein Abenteuer!“, grölte der Werwolf und sprang sein Opfer direkt an. Kräftige Klauenfinger gruben sich in Marcs Fleisch, als das fremde Wesen sich über ihn beugte und nach ihm schnappte.
Zum ersten Mal sah Marc das Gesicht des Entsetzlichen. Verschrumpeltes, schwarzes Leder, rissig, von filzigem Haar umrahmt, lange Reißzähne. Heißer, fauliger Atem strömte Marc ins Gesicht, und er sah Augen … die Augen eines Menschen.
Es war das Abscheulichste, das Marc jemals gesehen hatte. Es waren die dunklen Augen eines Jungen, und Marc erkannte das Gesicht, dem diese Augen hätten gehören können.
„Was hat man mit dir gemacht...“ Seine Stimme zitterte.
Das Ding grub seine Finger tiefer in Marcs Fleisch und er stöhnte auf.
„Du warst ein Außenseiter … wie … ich!“
Wutentbrannt wuchtete ihn der Entsetzliche in die Höhe und warf ihn. Das Geräusch, mit dem Marc auf der Straße aufschlug, war entsetzlich. Ein Rasseln, als würden alle seine Knochen brechen. Wie durch Zufall ertasteten seine zittrigen Finger auf einmal Metall.
Und dann hielt er plötzlich die Pistole mit der linken Hand, zielte auf den Werwolf. Nein, zielte auf einen, der so war wie …
Er drückte ab. Nicht einmal. Nicht zweimal. Sondern dreimal. Drei glühendhelle Schüsse dröhnten durch die Nacht.
Der Entsetzliche zuckte, als ihn die Wucht der Kugeln mit ihren bunten Schweifen traf.
Und Marc glaubte ein Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen. Dann sank er zurück in den Schnee. Frost kühlte seine Haut. Er wusste, der Werwolf, nein, der entstellte Mensch … war nun befreit. Und er, der auf eine so andere Weise entstellt war, ließ sich treiben.
Die stille Dunkelheit, die darauf folgte, war erfüllt von Gedanken.
 
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