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12 Seiten

Memoiren eines Schriftstellers - 7. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 7

Nachdem die Destiny in einer europäischen Hafenstadt angelegt hatte, war William Carter nachts heimlich von Bord geschlichen. Die unheimlichen Ereignisse und mysteriösen Begegnungen mit den Personen, die eigentlich längst verstorben waren, sowie die Angst vor dem skrupellosen Skipper, hatten ihn zu diesem Entschluss getrieben. Nun war er auf sich alleine gestellt, in einem fremden Land fernab von seiner Heimat, dessen Sprache er nicht einmal verstand. Obendrein war er völlig mittellos und irgendwann, dies war gewiss, würde ihn der Hunger und Durst plagen.
Im Schutze der Dunkelheit rannte William aus dem Hafengebiet und irrte ziellos in der Stadt umher, weil er befürchtete, dass man ihn verfolgen würde, sobald seine Flucht bemerkt wird. Der Zweiundzwanzigjährige war mittlerweile über vier Jahre unterwegs, nun war es sein Ziel irgendwie wieder nach Hause zu gelangen. Seine Abenteuerlust, die Welt zu erkunden, war ihm überdrüssig geworden. William sehnte sich nach seinem Zuhause, er vermisste Amerika und hatte mit seinen Eltern innerlich längst seinen Frieden geschlossen. Insbesondre vermisste William seine strenge Mutter und er würde, so hatte er es sich vorgestellt, sie demütig um Verzeihung bitten und sie liebevoll umarmen.

Chapter 37-43 aus meinen Memoiren: Endstation Europa

Constanta, Rumänien 1967

In einer lauwarmen Gewitternacht, der Regen strömte grade herunter und die Blitze krachten hell erleuchtet am Himmel, suchte ich völlig durchnässt einen trockenen Unterschlupf. Im Schutze der Hausdächer eilte ich von einer Hauswand zur anderen und schaute dabei jedes Mal zum Himmel hinauf, wenn ein greller Schein aufzuckte und sich darauf knisternd zu einem Donnerschlag aufbaute, dessen entladener Schlag meine Knochen erzittern ließ. So langsam weckte dieses Unwetter meine Angst, denn die Blitze und gewaltige Donnerschläge schüchterten mich ganz schön ein.
Ziellos rannte ich durch die Altstadt, auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen und ich fluchte; ich fluchte auf dieses Scheißwetter und auf meine Dummheit, von Bord der Destiny gegangen zu sein. Wo sollte ich denn jetzt hin? Darüber hatte ich mir vorher zugegeben keine Gedanken gemacht. Aber man muss berücksichtigen, dass ich eine scheiß Angst hatte. Ich hatte wirklich riesen Schiss in der Hose, kann ich sagen, weiterhin auf diesem verfluchten Kahn zu verweilen. Da war mir selbst mein sauer verdienter Zaster völlig egal. Ja, ich bin einfach kopflos abgehauen und nun bereute ich es. „Bravo Carter, absolut spitze, ganz toll. Das hast du dir ja fabelhaft ausgeklügelt. Zweitausend Dollar hast du Depp in den Sand gesetzt. Großartig“, motzte ich vor mir her.
Wieder knallte es oben am Himmel. Es war jedes Mal so heftig, dass ich mir am liebsten ständig die Ohren zugehalten hätte. Aber dazu kam ich nie denn sofort nachdem es knisternd blitzte, donnerte es sogleich.
Fluchtartig rannte ich in eine spärlich beleuchtete Gasse, dessen Straße mit Kopfsteine gepflastert war, die der Nässe wegen sehr glitschig waren. Ich blieb keuchend stehen denn diese enge, bergabführende Gasse war mir nicht geheuer. Rechts und links türmten sich die Hauswände der uralten Fachwerkhäusern, die mir zwar einen geringen Schutz vor dem Regen boten aber dafür auch jede Menge dunkle Schatten warfen. Ein paar Meter vor mir plätscherte eine kleine Wasserfontäne aus einer übergelaufenen Dachrinne die Straße hinunter.
Wieder zuckte ein grelles Licht am Himmel auf und ließ die Gasse für einen Augenblick taghell aufleuchten, doch diesmal waren meine Hände schneller an meinen Ohren. Ich blieb stehen, kniff sogar meine Augen zu aber dann folgte nur ein dumpfes, langgezogenes Grollen. Als ich die Hände vorsichtig von meinen Ohren abnahm und unsicher meine Augen öffnete, knisterte der Himmel so laut, als würde ihn jemand zerreißen und ein gewaltiger Schlag folgte.
Ich erschrak, fluchte wieder über das Wetter und fühlte mich vom Gewitter verfolgt. Ich war davon mittlerweile sogar überzeugt, dass es mich wie ein Raubtier jagte. Ob ich nun paranoid war? Vielleicht, keine Ahnung. Vielleicht war ich auch verrückt geworden, wer weiß? Aber wenn man eines Tages toten Leuten begegnet, betrachtet man solche Dinge nun mal aus einem anderen Blickwinkel.
Ich ging schnellen Schrittes die Gasse entlang, in der Hoffnung, auf eine gute Seele zu treffen, die mich mitleidig herein lassen würde. Ein paar Mal rutschte ich aus und drohte sogar zu stürzen, was mich veranlasste, diese verdammten Kopfsteine zu verfluchen.
Jetzt blitzte es schon wieder und diesmal krachte ein greller Schein, höchstens fünfzig Fuß, direkt vor mir ein. Zuerst wusste ich gar nicht, was geschehen war. Es war ungefähr so, als würde ein mächtiges, heißes Schwert vom Himmel sausen. Die Wucht des Blitzes stieß mich rückwärts zu Boden nieder, und eine Mülltonne flog im hohen Bogen scheppernd die Gasse hinunter. Zischend und glühend rollte sie langsam aus – einige Abfälle brannten noch eine Weile, bevor der Regen diese erlosch und ich schmeckte auf meiner Zunge eine prickelnde Elektrizität.
Nun war es ruhig, nur das Prasseln des Regens auf dem Kopfsteinpflaster war zu hören, während ich mit meinem Allerwertesten im Nassen saß.
„Verdammt, was ist los mit dir? Willst du mich erledigen? Dann tu es doch und beende mein armseliges Leben, aber hör endlich mit dieser scheiß Spielerei auf!“, schrie ich zornig hoch hinauf zum Himmel.
Ich war äußerst wütend und sprang brüllend auf, mit den Fäusten wild nach dem Himmel schlagend. Ich hatte die Worte meiner Mutter noch gut im Gedächtnis, wie sie mir ständig drohte: „Gott wird dich eines Tages strafen!“ Wutschäumend stand ich schließlich wie ein pitschnasser Straßenköter in der dunklen Gasse, und starrte in den wolkenbehangenen Himmel hinauf. „Lass mich bloß in Ruhe“, murmelte ich warnend.

Plötzlich entdeckte ich an der Stelle, wo die Mülltonne vor sich her glühte, ein schwaches, flackerndes Licht. Zuerst dachte ich es wäre Einbildung, dass meine Augen aufgrund des Blitzeinschlages mir einen Streich spielen würden. Also ging ich zögernd darauf zu und stand vor einem Ladenfenster, darin ich aber nichts und niemanden erkennen konnte. Die Eingangstür war angelehnt. Ein mir damals unbekannter Klang einer Glocke läutete, als ich die Tür des Krämerladens öffnete. (Es war eine Kuhglocke, dessen Läuten mich aber nicht sonderlich erschrak. Vor was sollte man denn sich jetzt noch großartig erschrecken, wenn einen beinahe der Blitz erwischt hatte?)
Ein Husky lag mit dem Kopf auf seine Pfoten und schaute mich mit seinen Wolfsaugen scharf an. Ich lächelte verlegen. „Ein feines Hündchen bist du, ein ganz feines Hündchen. Wo ist denn dein Herrchen? Oder hast du etwa ein Frauchen?“
Es zuckten wieder Blitze aber das Gewitter schien sich abzuwenden, denn erst ein paar Sekunden später folgte nur ein rumpelndes Grollen.
„Hallo, ist hier jemand?“
Es antwortete niemand.
Während ich mich umschaute wurde ich von dem Husky beobachtet. Überall standen antike Figuren und Möbelstücke kreuz und quer verteilt im Raum herum. Eine Ritterrüstung und ein zwei Meter langes Segelschiff, ein Modellnachbau einer französischen Kriegsfregatte aus dem 16. Jahrhundert, inspizierte ich genau. Vor allem weckte die Fregatte mein Interesse. Sie wurde aus Eichenholz geschnitzt und mit einer präzisen detaillierten Genauigkeit nachmodelliert worden. Selbst die Kanonen waren maßstabsgetreu und aus Zinn gegossen worden und die Segel bestanden sogar aus echten Segeltüchern. Neugierig, aber vorsichtig, blickte ich in den dunklen Schlitz des Helmes der Ritterrüstung hinein, um mich zu vergewissern, dass niemand darin steckte und mich beobachtete. An den Wänden hingen mittelalterliche Schwerte und ich fragte mich, ob diese wohl alle original waren. Wenn ja, dann waren sie verdammt uralt und bestimmt äußerst wertvoll.
Wieder erhellte zuckend ein silbriges Licht den Krämerladen und plötzlich entdeckte ich einen alten Mann, wie er mich hinter einem großen Schreibtisch sitzend anstarrte. Ich war erstaunt denn er war mir vorher gar nicht aufgefallen. Als das Licht des Blitzes (dieser schien besonders lange) verschwand, erkannte ich ihn zuerst nur schemenhaft, dann aber wegen des Kerzenlichtes, das auf seinem Schreibtisch vor sich her flackerte, immer deutlicher. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das dämmrige Licht.
„Hi … Hallo“, sagte ich, hob kurz grüßend die Hand und hatte keine Ahnung ob er mich überhaupt verstand. Der Husky setzte sich aufrecht, neigte seinen Kopf seitlich und gab ein kurzes Jauchzen von sich. Es blitzte und grollte abermals. Das knautschige Gesicht des alten Mannes verzog sich langsam zu einem freundlichen Lächeln.
„Entschuldigen Sie, es war nicht meine Absicht hier einfach hereinzuspazieren … aber der Regen. Verstehen Sie mich überhaupt? Sprechen Sie meine Sprache?“ Er glotzte mich einfach nur lächelnd an.
Ich bewegte mich rückwärtsgehend wieder der Ausgangstür zu und stieß dabei gegen ein Regal, darauf dutzende Engelfiguren nebeneinander reihten. Alle wackelten und plötzlich fiel eine kopfüber herunter und schepperte auf dem Boden nieder. Ich erschrak und hielt einen Augenblick meinen Atem an. Ich bückte mich, packte die Figur mit beiden Händen und musterte sie. Ein Seufzer der Erleichterung entwich mir als ich feststellte, dass der Engel nicht beschädigt wurde.
Es waren allesamt beachtliche Figuren, die mindestens dreißig Zentimeter groß waren und vermutlich aus Elfenbein verarbeitet wurden. Ich hielt die Statue fest in meinen Händen und war erstaunt. „Ist das überhaupt ein Engel?“, fragte ich mich, denn diese Figur war kein niedliches Engelchen wie man es aus der Weihnachtszeit kannte, diese Figur hatte eine menschliche Gestalt und strahlte eine gleichwertige religiöse Aura aus, wie eine Jesus- oder Maria Figur, die man in Kirchen vorfand. Und doch wirkte sie irgendwie bedrohlich und kämpferisch, wie auch die meisten anderen Engelfiguren auf dem Regal.
Ich betrachtete das Meisterstück in meinen Händen. Bei der Verarbeitung wurden einige Details berücksichtigt, wie beispielsweise die lange Haarsträhne in seinem Gesicht, winzigen Falten seiner schwarzen Hose oder die Rippen, die sich dezent auf seinem nackten, knabenhaften Oberkörper abzeichneten. Die Engelfigur hielt ein Schwert über seinen Kopf, als würde er damit sogleich kräftig zuschlagen wollen. Sein anmutig modelliertes Gesicht, seine komplette Statue, wirkte jugendlich und in seinem Blick erkannte man deutlich eine Entschlossenheit. Über seinem Haupt war sogar ein Heiligenschein angebracht worden. Aber am imposantesten war, wie auch bei all den anderen Engelfiguren, die übergroßen weißen Flügeln, die aus seinen Schultern ragten. Jede einzelne Feder war meisterhaft verarbeitet worden. Selbst ein Laie wie ich erkannte, dass diese handgearbeiteten Figuren wertvoll waren, vermutlich sehr teuer. Und trotzdem blieb der alte Mann gelassen und lächelte, obwohl ich dermaßen ungeschickt war.
„Dieser da, der mit der Lanze in seiner Hand, ist der Erzengel Uriel“, erklärte mir der alte Mann. „Rechts von ihm, dass ist der Erzengel Raphael. Dann daneben siehst du Michael, das ist der kräftige Engel mit dem Schutzschild. Und dieser schlanke, der wie eine Frau aussieht, seine Hände breitet und gütig drein schaut, das ist Gabriel. Schau ganz oben auf das Regal. Siehst du den Erzengel mit der imposanten Robe und dem großen Buch in seiner Hand? Der mit dem langen weißen Bart, meine ich. Das ist Metatron. Er ist der weiseste und älteste Erzengel von allen. Er ist die rechte Hand Gottes. Der Erzengel Metatron hatte damals das Volk Israel aus Ägypten durch die Wildnis geführt. Wusstest du das?“
Ich war sehr überrascht, dass der alte Mann meine Sprache perfekt beherrschte und ich wurde hellhörig, als ich den Namen Gabriel hörte. Damals in New York hatte Barney doch behauptet, dass der Erzengel Gabriel ihm erschienen sei.
„Das soll der Erzengel Gabriel sein? Gabriel ist eine Frau?“, fragte ich verdutzt.
„Nein, mein junger Freund. Die Engel sind alle geschlechtslos. Sie sind reine Wesen und die ersten Geschöpfe Gottes. Sie sind die Boten Gottes. Gabriel war einst der Jungfrau Maria erschienen und hatte ihr verkündet, dass sie den Heiland gebären wird. Übrigens, die Figur, der Erzengel, den du gerade in deinen Händen hältst ist … Lucifer.“
Er lächelte während wieder ein zuckender Blitzschein den Krämerladen grell aufleuchten ließ, und ein mächtiger Donnerschlag erfolgte, sodass sogar die Fensterscheiben leicht vibrierten.
Ich stellte die Figur vorsichtig auf ihren Platz zurück und war heilfroh darüber, dass der alte Mann meine Sprache beherrschte. Zwar sprach er mit einem außergewöhnlichen Akzent, der in solch einer Gewitternacht etwas unheimlich klang aber ich war zufrieden – der Alte war nett und schickte mich nicht zurück hinaus in das Mieswetter.
Langsam ging ich auf ihn zu. Er saß hinter einem Schreibtisch und blätterte in einem Buch. Es war wirklich ein imposantes Buch, es beanspruchte beinahe den kompletten Tisch. Noch nie zuvor hatte ich solch ein großes Buch gesehen. Das damalige Erlebnis mit Barney war mir wieder ins Gedächtnis gerufen worden. Anscheinend kannte sich dieser komische Kauz mit dieser Materie gut aus.
„Sagen Sie Mister, sind die Engel eigentlich die Guten oder die Bösen?“, fragte ich geradeheraus.
Er schmunzelte nickend.
„Das ist eine gute Frage, mein junger Freund. Sehr schwierig zu beantworten. Was ist gut und was ist böse? Die Engel sind grundsätzlich vollkommene Wesen, egal woher sie stammen. Der Herr hat ihn uneingeschränkte Macht geschenkt doch wer diese Fähigkeit missbraucht, den schickt er in die Finsternis. Und ausgerechnet des Herrn jüngster Erzengel Lucifer, den er insgeheim seine vollste Aufmerksamkeit geschenkt hatte, weil er außergewöhnlich leidenschaftlich und temperamentvoll gewesen war, hatte Gott enttäuscht.“ Er blickte kurz nachdenklich an mir vorbei. „Erinnert mich etwas an Judas Iskariot. Hatte Christus seinem Jünger Judas nicht auch mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als allen anderen? Wie dem auch sei … Lucifer hatte es gewagt seine göttlichen Fähigkeiten für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen, woraufhin der Erzengel Michael ihn aus dem Paradies vertrieben hatte. Lucifer war in die Finsternis verbannt worden. Du siehst, selbst ein Erzengel, und das sind die mit den Heiligenscheinen, können in Ungnade fallen. Von diesem Augenblick wurde ein Kontrast zum vollkommenen Guten geschaffen worden, ein Gleichgewicht. Die Waage der himmlischen Justiz wurde also ausgeglichen. Das ist doch auch etwas Gutes und es ist gerecht, oder etwa nicht?“
„Also sind die Engel, selbst die von der anderen Seite, gut und gerecht?“
„Grundsätzlich schon, denn die meisten Engel, die in die Finsternis verbannt worden oder gar freiwillig beigetreten sind, sind absolut davon überzeugt stets gerecht zu handeln. Selbst in der Finsternis existieren gütige Seelen, die ihre Fehler zu Lebzeiten mittlerweile bereuen. Sie sind die Wächter über die Hölle und sorgen dafür, dass die Dämonen im Kerker bleiben. Jedes Gefängnis hat schließlich seine Wärter, und ein Gefängniswärter ist ja wohl kein Verbrecher. Oder wie siehst du das?“
„Sie meinen also, dass auch Menschen zu Engel werden können?“, fragte ich erstaunt.
„Selbstverständlich. Das entscheidet letztendlich der Herr persönlich. Nur besitzen sie diesen Heiligenschein nicht was bedeutet, dass sie nicht direkt persönlich von Gott, sondern dazu erkoren oder gar von einem anderen Erzengel erschaffen wurden“, meinte der alte Rumäne. „Wenn die Lebenszeit abgelaufen ist, verlässt die Seele den irdischen Körper. Manche werden wiedergeboren, andere dagegen dürfen bis in die Ewigkeit im Paradies bleiben, oder werden bis in die Ewigkeit im Kerker der Finsternis weggesperrt. Und Auserwählten wird die göttliche Fähigkeit geschenkt, sie werden mit den himmlischen Flügeln honoriert und weilen unter uns Sterbliche … als Schutzengel.“

Ich wollte ihn eigentlich über meine seltsamen Begegnungen auf der Destiny berichten, aber dieses übergroße Buch hatte meine Neugier geweckt. Ich trat näher an ihn heran, zuvor band ich mein langes nasses Haar zusammen, damit ich dieses Buch nicht beflecken würde. Ich erkannte, dass das Buch mit einer unbekannten Schrift geschrieben wurde. Ich vermutete zuerst, dass es eine hebräische Schrift war, vielleicht sogar arabisch? Aber ich vermutete es nur. Chinesisch keinesfalls, so viel stand fest. Diese Schrift konnte ich weder zuordnen, geschweige denn entziffern, aber sie sah künstlerisch aus.
„Was ist das eigentlich für ein Buch, wenn ich fragen darf?“
„Oh, von diesem Exemplar existieren sogar drei verschiedene Versionen“, antwortete er. „In diesem Buch stehen die Schicksale aller berühmten Persönlichkeiten dieser Welt geschrieben. Von auserwählten Menschen.“
„Und was ist mit den anderen zwei Büchern?“, fragte ich.
„Darin stehen die Schicksale der unbekannten Menschen geschrieben, was aber nicht heißt, dass diese unbedeutender sind. Diese Bücher existieren aber nicht hier auf der Welt, allein nur dieses. Dieses wurde irgendwann entwendet“, klärte mich der Alte auf. „Das Buch ist schon sehr, sehr alt. Älter als die Menschheit selbst. Es wurde nicht hier auf Erden geschrieben und es wurde auch nicht von einem Propheten verfasst. Die Autoren waren die Engel Azazel, Jekon und Gadreel. Sie wurden von Lucifer erschaffen. Azazel, Jekon und Gadreel sind ebenfalls, wie ihr Schöpfer, gefallene Engel und wurden in die Finsternis verbannt“, erklärte mir der Alte.
„Wieso? Was hatten sie verbrochen?“
„Jekon, Azazel, Gadreel sowie einige andere gefallene Engel, hatten sich von Lucifer beeinflussen lassen und dafür gesorgt, dass dieses Buch in die Hände der Menschheit gelangen konnte. Dieses Buch ist zweifelsohne magisch und hatte somit, allein nur weil es auf der Welt existiert, einigen Menschen die Fähigkeit verliehen, die Zukunft vorherzusagen oder mit verstorbenen Seelen zu kommunizieren. Dies war nicht im Sinne des Herrn, denn das ist eine göttliche Gabe und sollte dem Mensch eigentlich vorenthalten bleiben, weil diese Fähigkeit meist Scharlatane missbrauchen.“
„Nur deswegen sind sie in die Hölle gekommen? Mir scheint, dass die da oben aber ziemlich kleinlich sind“, bemerkte ich vorwitzig.
„Es gibt Engel, die zu den Menschen herab kamen und ihnen lediglich beigebracht hatten, wie Metall und Schmuck verarbeitet wird und sind aufgrund dessen verbannt worden, mein allzu junger Freund!“, antwortete er daraufhin schroff. „Somit hatte die Menschheit nämlich Waffen erschaffen, Kriege sind entstanden und die Habgier hatte schon so manchen guten Mensch verdorben. Für Engel gibt es strikte Regeln doch wer sich nicht daran hält, darf und soll niemals als Gottesbote dienen!“

Der alte Rumäne war sehr interessant. Ohne ihm zu verraten wie ich hieß, woher ich genau kam und wo ich mich die letzten Jahre rumgetrieben hatte, schien er mich genau zu kennen und wusste sogar, dass ich mal eine Zeit lang bei den Amischen und in einer großen Stadt unter Obdachlosen gelebt hatte. Dann beharrte er darauf, weil ich es hartnäckig verneinte, dass ich eine lange Zeit in einem Gefängnis eingeschlossen gewesen war; er schloss daraufhin seine Augen und korrigierte sich, dass es ein ziemlich großes Schiff war. Er sagte nur Destiny. Destiny, sagte er schließlich kompromisslos und schlug mit der Faust auf den Tisch, woraufhin ich dann wortlos nickte. Dies hatte er angeblich aus meiner Handfläche gelesen, meinte er. Ich war verblüfft gewesen. Er wusste auch, dass ich schrieb und es mein Traum war, berühmt zu werden. Er blätterte einige Seiten des Buches weiter und sah mich plötzlich ernst an.
„Du musst zweifelsohne William Richard Carter sein. Du wirst ein weltberühmter Schriftsteller werden, soviel steht fest“, meinte er zuversichtlich. „Aber wie wäre es, wenn du eines Tages als eine Legende diese Welt verlassen würdest? Verstehst du, was ich meine? Weltberühmt sein, ist für den Kosmos nur wie einen Augenblick. Aber eine Legende hinterlässt Spuren für die Ewigkeit. Denke nur an Shakespeare, Goethe, Hemingway und all die anderen Denker, Dichter und Schriftsteller. Selbst wenn weitere zweittausend Jahre und mehr vergehen werden, wird die Menschheit wissen wer Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven oder Albert Einstein, Friedrich Nietzsche gewesen waren. Es gibt auch Filmlegenden wie James Dean, Marylin Monroe oder Humphrey Bogart, um nur einige zu nennen, die zukünftig Legenden werden. Sie alle sind unsterbliche Legenden geworden. Ich könnte dir dazu verhelfen, ebenfalls eine Legende zu werden. Du wirst zu Lebzeiten ein Superstar sein, und wenn du diese Welt verlassen wirst, wird selbst dreitausend Jahre später ein Kindergartenkind wissen, wer du einst warst. Was hältst du davon?“
Berühmt sein wollte ich ja schon immer. Dass ich eventuell weltberühmt werden könnte, war für mich selbstverständlich wünschenswert, somit sprach eigentlich absolut gar nichts dagegen, irgendwann sogar eine Legende zu werden. Eine Legende wird in die Geschichte eingehen und ewig in den Gedanken der Menschheit bleiben. Um diese Leistung zu erreichen, wäre jedes Opfer wert, war meine Meinung. Seine Worte waren berauschend und aufgrund meiner unerklärbaren Erlebnisse, zog er mich in seinen Bann und ich glaubte einfach das, was er sagte. Der alte Rumäne blätterte einige Seiten im Buch weiter und zeigte mir einen Absatz, darin ich zwischen der unbekannten Schrift deutlich einige Namen lesen konnte. Namen der Schriftsteller, die mir bekannt waren. Einschließlich war mein Name aufgelistet:
Chester Winstor
Jacob L. Stanwick
Howard Robinson
Willam R. Carter

Er schob mir ein Schriftstück zu, öffnete die Schublade seines Schreibtisches und legte ein silbernes Etui darauf. Als ich es öffnete, war ich erstaunt. Darin lag im roten Samtgewebe gebettet, eine Schreibfeder, genau die gleiche hatte Howard Robinson besessen. Diese Schreibfeder war wundervoll, mindestens so groß wie eine Schwanenfeder. Schon damals, als ich in Robinsons Auto gestiegen war und er mir seine Schreibfeder gezeigt hatte, war ich scharf auf diese Feder gewesen und hatte mir gewünscht, ebenfalls solch eine zu besitzen. Ich meine, das hat doch Charakter, wenn ein Schriftsteller mit einer schlichten Schreibfeder seine Bücher schreibt.
„Diese Schreibfeder stammt aus dem Flügel eines … Engels“, behauptete der Alte. „Damit wird jeder geschriebene Roman ein Bestseller werden. Garantiert! Die integrierte Tinte wird niemals erschöpfen. Überdies wird dir ein Schutzengel zugeteilt, der dich stets vor Unheil, Krankheiten und sonstiges bewahren wird, was dir nur im Geringsten schaden könnte. Wenn du also reich und berühmt werden willst“, sagte er und tätschelte dabei auf das Schriftstück, „musst du nur diesen Vertrag unterzeichnen.“
Wieder blitzte und sogleich donnerte es mächtig.
„Sobald du unterschrieben hast, gehört diese wundervolle Schreibfeder dir, und das Glück wird dir sofort beistehen. Bis zu deinem Lebensende.“
„Und was sind die Bedingungen dieses Vertrages?“, fragte ich. „Ich kann es ja gar nicht lesen.“
„Du musst so viele Romane wie möglich schreiben, um deine Vorgänger zu übertrumpfen, um sie alle in den Schatten zu stellen. Sei unbesorgt, diese Schreibfeder wird deine Kreativität immens fördern und du wirst niemals eine Schreibblockade erleben. Mithilfe dieser Schreibfeder wirst du nicht einmal einen Duden benötigen. Grammatik und Rechtschreibung werden für dich absolut problemlos sein. Alle deine geschriebenen Romane werden Bestseller werden. Du wirst, im Gegensatz zu deinen Vorgängern, sogar im gewissen Vorteil sein, denn du wirst das neumodische Medium für dich nützlich machen können, um dich persönlich darzustellen wie es dir beliebt: Das Fernsehen. Und später wird dir sogar noch ein viel wirkungsvolleres Medium zur Verfügung gestellt werden, von dem du jetzt nicht einmal zu träumen wagst. Du kannst der Superstar der Legenden werden, aber nur wenn du diesen Vertrag unterzeichnest und die Schreibfeder erhältst.“
„Und wo ist der Haken dabei? Ich meine, niemand geht her und verspricht mir ein sorgenfreies, ja, sogar ein reiches Leben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten“, erwiderte ich.
„Dein Schutzengel oder der Auftraggeber werden dann, nach deinem Ableben, über dich verfügen dürfen. Das ist alles. Aber was kümmert es einem schon, wenn man tot ist? Wenn man doch tot ist, dann ist man tot. Ist es nicht so?“, antwortete mir der Alte schmunzelnd.
Irgendwie hatte er zwar Recht, aber meine mysteriösen Erlebnisse in den letzten Jahren ließen mich dennoch zweifeln. Wenn man tot ist, existiert man dann auch nicht mehr? Zuvor hatte ich das immer geglaubt aber seit den Begegnungen auf der Destiny, war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
„Was aber, wenn ich nicht unterschreibe und diese Schreibfeder niemals benutzen werde? In Ihrem Buch steht schließlich geschrieben, dass ich ein berühmter Schriftsteller werde. Also auch ohne, dass ich diesen Vertrag unterzeichne. Ist es nicht so?“
„In der Tat, das stimmt“, antwortete der alte Mann sogleich. „Du wirst zwar berühmt werden und auch reich, nur keine Legende und obendrein wird es dir nicht viel nützen.“
Der alte Rumäne blätterte in seinem Buch und strich mit seinen Finger über die Zeilen.
„Hier steht dein alternatives Schicksal geschrieben. Du wirst nach Hause kommen und sofort verhaftet werden, weil du desertiert hattest und nicht in den Vietnamkrieg gezogen bist. Zwanzig Jahre Knast werden dir daraufhin bevorstehen, weil du dir keinen Rechtsanwalt leisten kannst. Im Gefängnis wirst du Bücher schreiben und diese sogar veröffentlichen können. Ja, ja, du hast Talent und wirst in der Tat berühmt werden. Doch eines Tages wirst du von einem Häftling, mit dem du bekanntlich des Öfteren streitest, angegriffen werden, du wirst dich verteidigen und ihn dabei ausversehen umbringen. Man wird dich verurteilen und schließlich wegen Todschlages für weitere siebzehn Jahre einsperren. Dann schreibst du weitere Bücher, diese ebenfalls erfolgreich werden. Wenn du dann nach siebenunddreißig Jahren Haft endlich entlassen wirst, wirst du genauso wie ich, ein alter Mann sein. Obendrein wirst du todkrank werden und wenige Monate später, wirst du das Zeitliche segnen. Dein Ruhm und Reichtum wird dir also gar nichts nützen, du wirst das alles gar nicht auskosten können. Nur wenn du unterschreibst. Die Entscheidung liegt also bei dir. Du hast dein Schicksal in deiner Hand.“

Sein alternatives Schicksal klang für William Carter nicht sehr verheißungsvoll. Er wollte zwar unbedingt reich und berühmt werden, aber keinesfalls sein ganzes Leben im Gefängnis verbringen und anschließend an einem Krebsleiden sterben. Einen Augenblick überlegte er, schließlich behauptete der alte Rumäne, dass der mysteriöse Auftraggeber nach seinem Ableben über seine Seele verfügen dürfte. William Carter schmunzelte, setzte die Schreibfeder an und unterschrieb. Was hatte er noch großartig zu verlieren? Er wollte unbedingt diese geheimnisvolle Schreibfeder besitzen und falls sie nicht funktionieren würde, könnte er diese immerhin noch verkaufen. Schließlich musste er irgendwie wieder nach Hause kommen.
 
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