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5 Seiten

The Storyteller (1)

Fantastisches · Kurzgeschichten
Fliegende Elefanten, tauchende Katzen, grüne Hasen und geflügelte Kühe - Wolken die zu Bären werden - sprechende Vögel oder tanzende Puppen. All das war neben Elfen, Drachen, Einhörnern und anderen Fabelwesen die Welt unseres Storytellers.
Er kam jeden Mittwoch in den Park. Ein alter grauhaariger Mann mit einem Bart bis zum Bauchnabel. Den alten Lederhut hatte er immer an und sein schwarzes abgewetztes Buch dauernd in der Hand.
Er las seine Geschichten oder schrieb still vor sich hin. Wir radelten wie immer durch den Park und vertrieben uns die Zeit mit Fußball oder kleinen Kämpfen unter Freunden. Doch mittwochs gingen wir in den Schatten unter den Bäumen zu der alten Bank, auf der unser alter Greis seine Geschichten vorlas.
Er zog einen in den Bann, ob man denn nun wollte oder nicht. Anfangs lachten wir über ihn und machten böse Scherze auf seine Kosten aber mit der Zeit schlichen wir uns immer öfter zu ihm, einfach nur um zu lauschen und irgendwann zu staunen. Er entführte uns in eine andere Welt, eine schöne unvorstellbare Welt und doch wollten wir immer mehr davon.
Die kleinen Kinder saßen direkt vor seiner Bank, die Eltern anfangs immer etwas skeptisch im Hintergrund aber mit der Zeit sahen sie ein, dass der alte Onkel auf der Bank keine Gefahr für ihre behüteten Kinder darstellte. Wir, die Größeren hielten uns im Hintergrund und lauschten nicht weniger gebannt seinen Erzählungen. Nur selten schweifte sein Blick über die Menschen vor und neben ihm. Es war, als nehme er unsere Welt nur so ganz am Rande wahr. Als käme er direkt aus dieser Fantasiewelt und würde nur jeden Mittwoch für ein paar Stunden einen Ausflug in unseren langweiligen Alltag machen.
Wenn er fertig und der Applaus verebbt war, packte er sein Büchlein in den Rucksack und verschwand. Die Fragen der Kleinen schmetterte er mit immer demselben Spruch ab: „Nächsten Mittwoch sehen und hören wir uns wieder.“ Wir waren ihm schon ein paar Mal gefolgt, weil Kinder nun mal vorwitzig sind, aber er hatte es immer wieder geschafft uns abzuhängen. Entweder verschwand er in der U-Bahn oder in einem Bus und irgendwann wurde uns die Verfolgungsjagd dann doch zu viel oder einfach zu öde.

An diesem Mittwoch war es anders. Er las wie immer auf seiner Bank aber sein Blick schweifte öfter mal von seinem Buch ab. Er saß dort wie jeden Mittwoch und doch war da Etwas, ein leichtes Zittern der alten rauen Hände, eine winzige fast unbemerkbare Pause im Redefluss und seine Blicke, die nicht gehetzt aber unruhig, abwartend und suchend waren. Sein Blick streifte meinen und in seinen Augen blitzte etwas auf. Sein Gesicht blieb ruhig wie immer. Falten der Zeit umzogen seine dunklen Augen, die mich in diesem Moment packten. Ein Kribbeln durchlief meinen Körper und ich schloss die Augen. Da waren Gerüche nach frisch gemähtem Gras, nach Regen auf trockenen Wegen, nach Salz im Meerwasser. Da waren Geräusche, Vogelgezwitscher, ein leises Rauschen, Stimmen im Hintergrund und ein Gefühl, wie nach Hause kommen, wie Erinnerung an etwas Schönes, etwas Wundervolles. Das Geklatsche und die piepsigen Stimmen der kleinen Kinder rissen mich aus meinem Tagtraum.
Unser Märchenerzähler packte sein Buch ein. Sein Blick schweifte durch die kleine Menschenmenge vor ihm und packte mich wieder. „Nächste Woche fällt unsere Reise in die andere Welt leider aus. Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen.“, sprach er und verschwand.
Ich sah ihm nach. Peter und Robin lagen in der Wiese und starrten ihre Handys an, als wäre in diesen Dingern die Lösung aller Fragen der Welt.
Ich schnappte mein Fahrrad und folgte dem Alten. Er ging gemächlich durch den Park und dann am Fluss entlang immer weiter flussaufwärts. Ich hielt gut hundert Meter Abstand aber er drehte sich nicht einmal nach mir um. Er ging und ging und als ich schon fast aufgeben wollte, bog er nach rechts in den Wald ab. Ein kleiner Trampelpfad führte den dicht bewachsenen Hang hinauf und nach meiner Meinung in Richtung der Kapelle. Das war nicht unbedingt ein Weg, den man mit dem Fahrrad fuhr.
Meine Gedanken schwirrten wie immer durch meinen Kopf und ich versuchte Ordnung hinein zu bringen. Folgen oder nach Hause? Es gab im Moment nur die eine Frage. Ich ging ein paar Meter durchs Gehölz und legte das Rad auf den Boden. Ich bedeckte es schnell mit ein paar Ästen und rannte zurück zum Weg und folgte ihm.
Mein Herz raste als ich ihn nicht mehr sah und ich hetzte über den kleinen Pfad immer weiter den Berg hinauf. Nach zehn Minuten entdeckte ich ihn durch das Geäst etwa dreißig Meter über mir.
Der Weg schlängelte sich wie eine Schlange den Berg hinauf und ich hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. Ich machte wieder langsamer und versuchte ruhiger zu atmen.
Oben angelangt traf der schmale Pfad auf den Hauptweg zur Kapelle. Doch mein alter Greis war einfach darüber hinweg marschiert und auf der anderen Seite wieder im Wald verschwunden.
Mal wieder Gedankenkarusell im meinen Kopf. Was sollte ich tun? Über mir hörte ich einen Vogel seine geheime Sprache zwitschern. Die Blätter bewegten sich langsam in Takt des lauen Windes. Sonst war nichts zu hören oder zu sehen. Nur der Wald vor mir aber kein erkennbarer Weg.
Ich trat durch den kleinen Wassergraben am Rande des Weges in den Wald. Sofort versuchten mich Äste und Dornen festzuhalten - mich abzuwehren und nicht hindurch zu lassen und in meinem Kopf entstanden Bilder. Märchen wollten erwachen, Gedanken ihren Lauf nehmen, Geschichten, die ich in den letzten Wochen zu Hauf gehört hatte, wollten Wirklichkeit werden. Ich machte noch zwei Schritte nach vorn und der Wald verschluckte mich.
Von meinem Storyteller war nichts mehr zu sehen aber auf dem Boden vor mir erkannte ich einen leicht ausgetretenen Weg, dem ich folgte. Nach zehn Minuten wurde ich nervöser und nervöser und blieb stehen. Ich konnte ihn immer noch nicht sehen und bekam Angst. Angst den Rückweg nicht mehr zu finden, mich zu verlaufen oder schlimmeres… Vielleicht war unser Geschichtenerzähler doch kein liebevoller Onkel, sondern jemand der kleine Kinder in den Wald lockte und dort umbrachte…
Der Geruch von Feuer stieg mir in die Nase. Ich sah mich nochmal um. Ungefähr hundert Meter vor mir sah ich kleine Rauchschwaden in die Luft steigen. Ich ging darauf zu. Jemand hatte ein kleines Lagerfeuer entfacht und daneben stand ein kleines Gefäß zum Wasserkochen.
„Na mein Freund. Du hast mich also gefunden.“ Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich drehte mich blitzschnell um. Da stand er vor mir und grinste. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich mach mir gerade einen Kaffee. Du bist wohl noch zu jung dafür aber ich kann dir ein Glas Wasser anbieten.“, sagte er und ging an mir vorbei zum Feuer.
Von irgendwoher zauberte er eine Tasse mit Wasser und reichte sie mir. Ich war immer noch nicht in der Lage etwas zu sagen. Immerhin hatte sich mein rasendes Herz wieder ein wenig beruhigt und auch die Angst ließ immer mehr nach.
„Danke…“, stammelte ich. Er nickte und setzte sich auf einen alten Baumstamm der neben der Feuerstelle lag. „Komm zu mir.“
Ich setzte mich zu ihm und nahm einen Schluck des überraschend kühlen Wassers.
„Warum bist du mir gefolgt mein Freund?“
„Ich kann es nicht genau sagen. Vielleicht war ich einfach nur vorwitzig aber irgendwas hat mich heute berührt als du deine Geschichten vorgelesen hast. Etwas lies mir keine Ruhe… und ich konnte einfach nicht anders.“
Er brühte seinen Kaffee über dem Feuer auf, nahm eine Tasse und ließ das braune Gebräu hineinlaufen. Er umfasste die Tasse mit beiden Händen, wie um sich zu wärmen obwohl es gut und gerne 25 Grad hier im Wald waren. Dann nahm er zwei Schlucke und sah mich an.
„Ich will dir eine Geschichte erzählen…“
„Leg los!“, kam es über meine Lippen.

„Vor vielen, vielen Jahren, also unsere schöne Erde hat seit dem so ungefähr siebzig Mal die Sonne umkreist, lag ein Junge abends in seinem Bett und las wie immer in seinen Märchenbüchern.
Es gab für ihn nichts Schöneres als in dieser Welt zu versinken. Einer Welt voller Überraschungen, seltsamen Wesen und Abenteuer. Sein Großvater hatte ihm immer vorgelesen aber leider war der vor zwei Jahren gestorben und seitdem kaufte er sich seine Bücher selbst oder lieh sie sich aus.
Er kannte alle Geschichten der Gebrüder Grimm und fast jede Märchengeschichte seiner Heimat. Und so weitete er sein Interesse immer weiter aus. Von keltischen Druiden über Feen in Deutschland und Drachengeschichten in China. Er fing an sich selbst Geschichten auszudenken und schrieb sie auf. Als er älter wurde, studierte er Geschichte und schrieb weiter seine Geschichten. An seinem 25. Geburtstag erreichte ihn eine schlimme Nachricht. Seine Eltern waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seine Welt wollte zerbrechen und nichts und niemand konnte ihn dazu verleiten wieder Geschichten zu lesen oder zu schreiben. Eines Tages dann ging er durch einen Park und auf einer Bank, tief im Schatten der Bäume saß ein uralter Mann und las Geschichten vor. Die Kinder vor ihm lachten und sahen ihn mit riesigen Augen an. Manchmal erschraken sie und ganz oft kam ein „oh…“ oder „wow“ über ihre Lippen. Er ging dichter hin zu der kleinen Menge und lauschte dem Märchenerzähler. Zuerst war er wütend und Tränen wollten ihm in die Augen steigen, doch dann erinnerte er sich, wie es für ihn gewesen war als Kind. Dieses Staunen, dieses Einrasten der Rädchen, wenn man ein überraschendes Ende einer Geschichte hörte. Das Schmunzeln wenn man im Buch über lustige Passagen stolperte oder dieses oh mein Gott, wenn der Autor deine Lieblingsfigur den Heldentod sterben ließ.
Die Augen des Mannes leuchteten und sein Herz zertrümmerte die Mauern um sich herum, als all die Erinnerungen in ihm wieder zur Oberfläche kamen.
Er sah zum Geschichtenerzähler und wartete bis dieser damit fertig war die Kinder vor ihm in diese andere Welt zu entführen…"

Er nahm wieder seine Tasse und trank. „Wie geht’s weiter?“, fragte ich empört. Er konnte doch nicht mitten in einer Geschichte aufhören. Er sah mich an und in seinen braunen Augen sah ich mein Spiegelbild. „Willst du mir etwa erzählen, dass du dieser Junge warst?“ Das konnte ich nicht glauben. Der Märchenonkel wollte mir einen Bären aufbinden – und was für einen!
„Sieh dich um Junge. Wo sind wir und warum sind wir hier?“
„Ich wollte einfach nur sehen wo du hingehst, was du tust oder wo du lebst.“
„Und das ist alles? Kommt dir an der Geschichte nicht einiges bekannt vor? Ist da nicht vieles genauso wie in deinem Leben?“
Ich fühlte, wie meine Wangen sich rot färbten. Ich hasste es, wenn mir das passierte.
„Woher willst du wissen was ich denke oder fühle. Du weißt gar nix!“, schnaubte ich ihn an und war den Tränen nahe.
„Ich sehe es in deinen Augen. Sehe die Traurigkeit, sehe das Glitzern, den Vorwitz und all das Gute in dir. Aber leider lässt du es nicht heraus. Etwas hält dich davon ab das Richtige zu tun. Vielleicht ist es einfach nur die Angst, etwas falsch zu machen oder sich zu blamieren. Aber das sind keine guten Gründe. Es steckt so viel in dir und du bist fast so weit, es heraus zu lassen und deinen Platz zu finden. Ein schlauer Mann hat mal gesagt, es ist das Licht in uns, welches uns erschreckt oder abschreckt und nicht die Dunkelheit.“
Er sah mich wieder an. In seinen Augen war kein Hass und nichts Böses. Sie erforschten meine Seele…
„Du hast schon so viele Geschichten von mir gehört da unten im Park und gerade eben hab ich dir meine Geschichte erzählt. Ich glaube es ist an der Zeit, dass der junge Mann, der mir bis zu meinem bescheidenen Lager gefolgt ist, nun auch mal eine erzählt. Also leg los! Ich bin mir ganz sicher, dass du das fabelhaft kannst!“
 
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