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2 Seiten

Hinter dem Vorhang

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Wissen, und doch nicht wissen wollen oder können. Ein Schritt nach vorne, und drei Schritte wieder zurück. Fragen beantworten, die stets zehn weitere Fragen nach sich ziehen. Antworten nur so lange gültig, bis sie widerlegt sind. Keine letztendliche Gewissheiten. Niemals dahinter geschaut. Kein Ende in Sicht. Und kein Weg zurück. Ein unendliches Spiel.
Robby starrt an die Decke. Er ist gerade von einem seiner Physikseminare in seine kleine Studentenbutze zurückgekehrt und ist frustriert. Denn er hatte sich mehr von seinem Studium erhofft. Mehr Wissen. Vor allem aber auch mehr Erkenntnis.
Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, weiten sich seine Pupillen. Seine Augen haben plötzlich einen seltsamen Glanz angenommen. Von außen betrachtet sieht es fast wie ein kleines unendlich großes Universum aus. Atemberaubend. Vielleicht das, was man meint, wenn man von episch spricht. Etwas unfassbares also; etwas, das so groß und komplex ist, dass es einen zu überwältigen vermag. Eine Erkenntnis, die zuvor höchstens unbewusst und ganz zaghaft hin und wieder mal aufgeflackert, aber anschließen, zumindest bis jetzt, immer sofort wieder erloschen war, weil es zu viel ist; weil es etwas ist, womit sich ein normaler Geist nur sehr schwer auseinandersetzen kann. Weil es das ist, wozu manche Menschen göttlich sagen, einfach deshalb, um der Sache einen Namen geben zu können, und vor allem um sich so nicht weiter damit befassen zu müssen. Und dabei ist es so einfach, und vielleicht gerade deshalb eben nicht. Nicht die Erkenntnis selbst ist das, was es so unbegreiflich macht, sondern das, was logisch daraus abzuleiten ist. Weil es selbstverständliche Handlungsweisen in Gefahr bringt, selbstverständlich zu sein. Weil es einen Menschen erstarren lassen kann. Weil es alles relativiert. Weil es eine Tür ist, die sich während des Lebens bestenfalls einen Spalt breit mal öffnet, aber vom nächsten Windhauch der Gewöhnlichkeit, des sogenannten „gesunden Menschenverstandes“, sofort wieder geschlossen wird, zumindest wenn man seine geistige Gesundheit noch eine Weile erhalten möchte. Weil es das ist, wonach der Mensch sein ganzes Leben lang sucht, und deshalb eine Erkenntnis ist, die ihm erst kurz vor seinem Tod wirklich klar werden sollte, weil es erst dann wirklich egal ist. Die einfache Erkenntnis, dass alles mit allem und jeder mit Jedem verbunden ist; dass alles eins ist; dass, nehme ich etwas weg, ich es mir selbst wegnehme; behandele ich etwas gut, ich mich selbst gut behandele; bin ich zu jemandem oder etwas böse, ich es letztendlich zu mir selbst bin.
Es ist hinter den Vorhang des Seins geblickt. Es ist etwas, das einem ein Physikstudium nicht vermitteln kann, weshalb sich Robby dazu entschließt, sein jetziges Studium hinzuschmeißen und stattdessen mit einem Philosophiestudium zu beginnen. Und im gleichen Augenblick schließt sich die Tür wieder. Denn wahre Gewissheit, nach der er anscheinend sucht, wird er dort ebenso wenig finden können. Die kann er, wenn überhaupt, nur bei sich selbst finden. Und wenn nicht dort, dann sehr wahrscheinlich nirgends.
 
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