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Blutmond - Karms Reise beginnt --- Kap 1. Blutmond

Romane/Serien · Fantastisches
Blutmond


Dunkel trieben sie dahin, hoben sich nur durch die tiefere Schwärze vom Nachthimmel ab und weil sie, ähnlich wie vorüberziehende Gewitterwolken, die Sterne zeitweise verdeckten. Völlig lautlos trieben sie durch die Nacht und hinter ihnen blieb nur Schweigen zurück. Eine tote Stille war es, die verblieb, denn alles Leben hatten die Kreaturen genommen. Beinahe ein Jahrtausend war es her, seit sie das letzte Mal so zahlreich über die Welt herfallen konnten. Fast tausend Jahre waren sie gefangen unter zig Zaubern, Banne und dickem Eis, dessen Kälte sie langsam lähmte.
Nur einige Jahrzehnte zuvor waren einige von ihnen ihrem Gefängnis entronnen. Diese verheerten mehrere kleine Städte, doch dann wurden sie gefangen und zurückgebracht. Doch der Ausbruch hatte eine Schwachstelle geschaffen. Eine Schwachstelle, die die neuen Meister nutzten. Doch die ersten, die mit Hilfe der neuen Meister entkommen konnten, wurden verschleppt und nahmen alle ein schreckliches Ende. Alle bis auf einen. Dieser konnte von den Meistern gerettet werden und mit ihrer Hilfe fiel das eisige Gefängnis.
Und nun, nun waren sie ihrem Verließ endgültig entkommen und ihr ungebrochener Zorn brannte in ihrem Inneren, selbst nach einem Jahrtausend noch.


***


Aramia schreckte bebend und am Rande eines Schreies aus ihren Alpträumen hoch.
Wieder hatte sie von ihnen geträumt, wie schon all die Jahre zuvor. Doch seit kurzem wurden diese Alpträume wieder bildlicher, deutlicher und lebendiger. Genau das war es auch, dass die alternde Frau so sehr erschreckte.
Sie war ein junges Mädchen gewesen, als diese Wesen das erste Mal am Nachthimmel auftauchten und bald Angst und Schrecken verbreiteten. Fünfzig Jahre war das nun schon her, doch die Erinnerungen an diese schreckliche Zeit hatten auch diese Jahre nicht trüben können. Anderen Überlebenden ging es da nicht anders als Aramia.

Seufzend erhob sie sich und streifte das verschwitze Nachthemd ab. Mit schnellen Schritten war sie bei der Waschschüssel um sich den Schweiß vom Körper zu waschen und während sie sich abtrocknete warf sie einen Blick nach draußen. Ein Schaudern suchte die Frau heim.
Der fast volle Mond wirkte aufgequollen und hing kränklich gelb leuchtend dicht über dem Horizont. Sein trübes Licht versilberte die Nebelschwaden, die sich in den Senken und unten am Bach gebildet hatten. Der Ausblick wirkte trostlos und passte eher in den späten Herbst. Doch der Nebelmond hatte gerade erst einmal begonnen und der Winter war noch fern.
Ein weiteres Schaudern erinnerten Aramia daran, wie frisch es doch in den Nächten wurde und dass sie sich besser etwas überstreifen sollte. Noch während sie nach einem anderen, trockenen Nachthemd griff dachte sie über diesen seltsam kühlen Sommer nach.
Dieser war insgesamt viel zu kühl und auch zu nass gewesen. Es hatte einfach nicht wirklich heiß werden wollen und wenn es dann doch einmal wenige Tage richtig warm wurde, dann kamen heftigste Gewitter und kühlten sogleich alles wieder ab. Es würde die alte Frau nicht wundern, wenn dieses Jahr der Schnee schon am Ende des Nebelmondes kam.
Normal war das nicht und dennoch war es auch nicht unbekannt. Alle paar Jahre schien das Wetter solche seltsamen Kapriolen zu schlagen. Aramia war deswegen nicht sonderlich beunruhigt. Doch der gelbe, irgendwie kränklich wirkende Mond löste bei der alten Frau Sorge aus. Seit vier Monden war er schon so und es schien, als wolle er das auch für die nächsten Monde so bleiben.
Aramia fühlte sich unschön an die schlimmen Dinge erinnert, die vor fünfzig Jahren geschehen waren. Damals war der Mond ebenso gewesen. Gelb, kränklich und oftmals unnatürlich aufgequollen wirkend. Doch als es am schlimmsten wurde damals, da verfärbte sich der Mond erneut und wurde so rot wie Blut. Und mit dem roten Mond waren sie gekommen, die fliegenden Schattenwesen. Sie überfielen drei kleinere Städte und zig Dörfer im Umkreis dieser Städte. Sie kamen in der Nacht, holten sich die Menschen selbst aus den Häusern und saugten ihnen das Leben aus dem Leib. Wenn die Schreie der Sterbenden dann endlich verklangen und die Wesen weiterzogen, dann blieb nur noch Stille zurück. Tote, hohle Stille, denn alles Leben hatten die Wesen genommen.
Nur wenige hatten diese Angriffe überlebt, meist in Kellern oder ähnlichem versteckt. Zu verängstig dort herauszukommen. Doch genau das hatte diesen wenigen Menschen das Leben gerettet, denn von den unterirdischen Räumen hielten sich die Kreaturen fern.
Die Angriffe hatten nur einige Tage lang angedauert, dann verschwanden die Wesen so wie sie gekommen waren. Von einem Tag zum anderen waren sie plötzlich fort und niemand wusste wohin sie verschwunden waren.
Zurück blieben menschenleere Städte und Dörfer und einige wenige, die das Grauen überlebt hatten. Unter ihnen auch Aramia.
Die alte Frau seufzte leise und fragte sich, ob sie jemals diese tiefsitzende Angst wieder loswerden würde. Sie bezweifelte es. Zu schrecklich waren ihre Erlebnisse vor fünfzig Jahren gewesen. Die Dinge, die sie gesehen hatte, waren schlicht zu grauenhaft gewesen um sie wieder vergessen zu können. Sie hatten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt. Erneut seufzte Aramia und warf noch einen Blick hinaus.
Erschrocken erstarrte sie mitten in der Bewegung. Über den Mond hatten sich feinste Schlieren ausgebreitet, die so rot wie Blut waren. Schmerzhaft setzte ihr altes Herz einen Schlag aus, nur um dann schneller weiter zu schlagen. Ihre Augen waren groß und rund geworden. Erst jetzt begriff sie wirklich, was im Gang war und was passieren würde. Der Schreck darüber erschütterte sie so sehr, dass sie lange Momente nur erstarrt dastand und auf den sich rötenden Mond blicken konnte.
Eine unnatürliche Kälte breitete sich in ihrer Schlafkammer aus und sie wusste, dass sie nun nicht mehr alleine war. Der Schrecken, dem sie ihre Alpträume verdanke war zurückgekehrt und wollte sie nun auch endlich verschlingen. Obwohl sie voller Furcht war, drehte sie sich um. Sie wollte ihrem Tod entgegenblicken.


***


Ein schriller Schrei durchschnitt die Dunkelheit der Nacht und schreckte Karm auf. Er brauchte einige Momente um zu erkennen, dass das durchdringende Gekreische aus einer menschlichen Kehle stammte und vermutlich zu einer Frau gehörte. Er bestimmte die Richtung.
Eine leise Traurigkeit schlich sich in sein Herz und machte es schwer, als er sich an diese alte Frau erinnerte und wie freundlich sie am Tag zuvor zu ihm gewesen war. Vermutlich war es ihre Kehle aus der dieser Schrei noch immer in die Nacht hinaus klang. Seine Nase und all seine anderen Sinne sagten ihm, dass die schwarzen, fliegenden Wesenheiten wieder da waren. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dass sie sich wieder erhoben und dies war nun geschehen. Das hatten sie alle gewusst, nicht nur die Menschen, sondern alle anderen Rassen der Bruchlande auch. Aber trotzdem waren sie alle davon überrascht worden. Sie hatten vergessen, dass es diese Gefahr gab, bis sie diese in die Schwanzspitze gebissen hatte. Karm seufzte leise.
Es hatte Verluste gegeben und der Preis für ihre Sorglosigkeit war viel zu hoch gewesen, doch daran ließ sich nun auch nichts mehr daran ändern. Sie konnten nur versuchen das Ganze aufzuhalten, bevor es so schrecklich wurde, wie das letzte Mal. Der Wandelwolf schüttelte sich unbehaglich und machte sich daran, sich zu verbergen.
Im Gegensatz zu den Menschen wussten er und die Seinen wie sie den Sinnen dieser Kreaturen entgehen konnten und als ihm klar wurde, dass sie wohl über seinen derzeitigen Standort hinweg ziehen würden, handelte er unverzüglich. Schon Stunden zuvor entdeckte er einen passenden Ort, einen verlassenen Tierbau, der tief in die Erde hinab führte. Dort hinein kroch Karm und verschloss den Tunnel hinauf zur Oberfläche fast vollständig.
Sicher war man vor diesen Wesen nur am Tag und tief unter der Erde, denn dort suchten sie niemals.
Sie mieden unterirdische Räume.
Warum, das blieb dem Wolf schleierhaft.
Vorsichtig lugte er durch den Spalt, den er freigelassen hatte nach draußen und sah sie im dichten Schwarm vorüberziehen. Schwerelos und ohne Laut flogen sie am Nachthimmel dahin, wie Nebelfetzen wirkten sie, dabei aber so schwarz wie Gewitterwolken. Ihre Form schien auf den ersten Blick fließend und nicht wirklich bestimmt. Nur ihre Augen stachen rot aus dem Schwarz hervor.
Tatsächlich hatten die Kreaturen aber menschenähnliche Form, zumindest was Kopf, Hals, Schultern, Arme und Oberkörper anging. Doch da endete schon die Ähnlichkeit.
Sie hatten keine Beine, sondern stattdessen Fangarme, die ihren Hüften entsprangen. Sechs eher kurze und kräftige und zwei sehr lange, schlanke und biegsame, an deren Ende sich jeweils ein gefährlicher langer und einziehbarer Stachel befand. Es erinnerte den Wolf etwas an die Arme von Tintenfische, nur das diesen Wesen die Saugnäpfe fehlten.
Doch noch viel gefährlicher waren die Auswüchse, die ihren Rücken entsprangen. Links und rechts am Rückgrat entlang sprossen insgesamt acht schlanke und sehr bewegliche Tentakel aus den Körpern. Diese Tentakel hatten am Ende einen kurzen einziehbaren Stachel, der leicht gebogen war. Die Wesen benutzten diese Fortsätze um das Leben aus ihren Opfern zu saugen. Dafür durchdrangen sie mit dem Stachel die Haut der unglücklichen Wesens, die sie fingen.
Wenn sie sich nicht gerade in Bewegung befanden, dann konnte man erkennen, dass ihre Haut glatt und tiefschwarz war. Ihre Gesichter waren eher dreieckig, die Augen groß und bei allen rot gefärbt. Nur die weiblichen Kreaturen hatten durchaus so etwas wie weibliche Formen und aus ihrer Kopfhaut spross etwas, das an Haare erinnerte. Tatsächlich war dies aber eher so etwas wie dünne lange Fäden mit feinen seitlichen Auswüchsen. Insgesamt glichen sie mehr einer Feder und weniger einem Haar.
Die männlichen Wesen hingegen besaßen diese Fäden nicht, ihre Köpfe waren kahl und glatt.
Im Großem und Ganzen waren diese Wesen, die sich selbst als Dschan bezeichneten, doch sehr seltsam anzusehen. Sie waren fremd, bedrohlich und sehr gefährlich. Man tat gut daran, sich vor ihnen zu verbergen.
Die ganze Nacht erhoben sich immer mehr von ihnen und zogen am Himmel fort. Ihr Ziel schienen die Tiefebenen zu sein. Welches Lebewesen ihnen dabei auch immer in die Quere kam wurde regelrecht verschlungen, ja ausgesaugt, bis nur noch eine vertrocknete Hülle übrigblieb. Karm jedoch und auch andere Wesen, die sich wohlweislich unter der Erde verbargen bemerkten sie nicht.
Irgendwann zog Karm sich müde tiefer in den Bau zurück, dorthin wo er es warm und gemütlich hatte und legte sich dort nieder um zu schlafen.
Die folgenden Monde würden schwer werden und hart, da musste er ausgeruht und stark sein.
Doch der Schlaf ließ auf sich warten.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Karm, warum die Rudelältesten ausgerechnet ihn neben den anderen fünf Wandelwölfen ausgeschickt hatten um das Licht wieder zu finden. Er war jung, das waren sie alle, und bei weitem nicht erfahren genug für solch eine Reise. Wäre nicht ein älterer Jäger mit mehr Erfahrung die bessere Wahl gewesen?
Schließlich schob der junge Wolf seine Zweifel so weit beiseite, so dass er doch endlich einschlafen konnte.
Er würde jedes bisschen Kraft brauchen.
Außerhalb des tiefen, alten Dachsbaues hatte sich der Mond nun vollständig rot gefärbt. Blutmond nannten die Wissenden dieses Phänomen und die Dschan erhoben sich im Licht des roten Mondes erneut. In dichten Schwärmen zogen sie hinab in die Tiefebenen und brachten Angst und Tod und Schrecken.
 
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