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Das wilde Lied des Sturms -- Prolog

Romane/Serien · Fantastisches
Prolog

Das kleine rotblonde Mädchen blickte mit großen Augen zu den Männern auf, die da ihre Mutter aus dem Haus gezerrt hatten. Laut waren diese Menschen und grob. Alles an ihnen wirkte hart. Jede Weichheit war auch ihren Gesichtern verschwunden, fortgeschliffen von Zorn und der Angst, die dem Zorn vorangegangen war.
"Hexe!"
Der Schrei war laut und durchdringend. Erst rief nur einer, aber dann wurde der Ruf aufgenommen und bald schrien sie alle dieses Wort.
"Hexe!"
Die Mutter des Mädchens schloss kurz die Augen. Nun war es wirklich geschehen. Die Menschen der kleinen Ortschaft, einen strammen zweistündigen Fußmarsch entfernt, machten sie nun für ihr Unglück verantwortlich. Noch vor zwanzig Jahren waren die sogenannten Hexen gut angesehen und respektiert. Die Leute wussten um die Heilkraft dieser Frauen und auch darum, dass sie mit der anderen Welt sprechen konnten. Wenn sie selber nicht mehr weiterwussten, dann wandten sich die Leute an eine Hexe, die ihnen meistens auch helfen konnte.

***

Doch nun, nun war alles anders geworden. Seitdem die drei Königssöhne nach dem Tod ihres Vaters im Streit auseinandergelaufen waren, hatte sich alles zum Schlechteren gewandelt. Seit her bekriegten sie sich und rissen das Land dabei in Stücke. Dass das nicht ohne Folgen bleiben konnte, sollte eigentlich jedem klar sein und doch stellten sich die Prinzen blind dem gegenüber. Sie sahen es wohl, doch sie wollten es nicht sehen und stellten sich blind gegenüber dem Leiden der Menschen und des Landes. Nichts schien ihnen die Augen öffnen zu können. Weder die seltsamen Krankheiten, gegen die kein Heiler ankam, noch die Tatsache, dass Felder einfach über Nacht verdorrten, auch dass Vieh und Kinder plötzlich starben oder verschwanden und dass manch Dorf von einem Tag auf den anderen verlassen war, änderte etwas an ihrer Blindheit. Noch nicht einmal dass das Wild manche Teile der Wälder gänzlich verlassen hatte rüttelte sie auf. Und anstatt nach der wahren Ursache zu suchen, schoben sie die Schuld von sich und auf die einzigen Personen, die wieder und wieder versuchten den Menschen die Wahrheit zu erklären. Und nun, nun waren die Hexen die Bösen. Es war egal, dass kaum eine der Frauen ihre Kräfte für so etwas nutzte oder dass sie alles in ihrer Macht stehende taten um zu helfen und das angerichtete Leid zu lindern.
Nein, die Hexen waren die Bösen. Sie brachten all diese Greul über das Land und jeder, der etwas anderes behauptete, der landete meist gleich mit auf dem Scheiterhaufen.

***

Die Frau wehrte sich heftig, auch als man ihr einen dicken Knebel in den Mund schob und ihre Hände hinter dem Rücken fesselte. Doch es war sinnlos. Es waren zu viele Männer und viel stärker als sie. Ja gegen zwei oder drei von ihnen hätte sie sich vielleicht behaupten können, aber nicht gegen ein Dutzend.
Sie wusste sie würde noch in dieser Nacht einen grauenhaften Tod sterben und dass nur, weil sie eben war, was sie eben war. Sie hatte es sich nicht ausgesucht mit der anderen Welt zu sprechen oder Krankheiten alleine durch Handauflegen lindern zu können. Das war ihr in die Wiege gelegt worden, so wie schon ihrer eigenen Mutter und deren Mutter. Sie hatte Angst, aber noch mehr fürchtete sie um ihre kleine Tochter, in der die Gaben noch stärker lebten. Sie fürchtete um die Sicherheit des Mädchens, das mit großen Augen am Haus stand und zusah, wie die Mutter mit Gewalt fortgezerrt wurde. Tränen liefen der Kleinen über das Gesicht und tropften unbeachtet auf den Runenbeutel in ihren kleinen Händen.
Als sie sah, dass sich einer der Männer nun zu ihrer Tochter umdrehte, wohl in der Absicht auch das Mädchen zu packen und mitzunehmen, ging ein heißes Kribbeln durch ihre Glieder. Nie, niemals hatte sie ihre Kräfte jemals gegen einen Menschen gewandt, doch nun, ja nun tat sie es.
"Ladhie, Cohl!"
Sie rief in Gedanken nach den beiden großen Halbwölfen, die sie vor einigen Jahren, kurz nach der Geburt ihrer Tochter, als Welpen gefunden und großgezogen hatte. Auch wenn die beiden, deren Vater ein Wolf und deren Mutter eine Schneehündin war, schon lange wieder in den wilden Wäldern lebten, waren sie ihr und vor allem dem Mädchen verbunden. Die Kleine war wie eine Schwester für die beiden Vierbeiner. Sie würden kommen und helfen. Auch wenn es für die Frau schon längst zu spät war, aber sie würden mit all ihrer Kraft deren Tochter beschützen.
Das Kribbeln ihn ihrem Leib verstärkte sich und wurde zur hellen Lohe. Zum ersten Mal in ihrem Leben nahm Miral damit nicht Schmerz, sondern gab ihn. Die drei Männer, die sie hielten fielen schreiend auf die Knie und hielten sich die Köpfe. Die Frau hingegen stolperte von ihnen fort, nutzte ihre Macht um die Fesseln zu durchtrennen und riss sich den Knebel aus dem Mund.
"Leirana! Lauf!"
Mirals schriller Schrei durchschnitt nicht nur die Nacht, sondern auch die Erstarrung, in die das Mädchen gefallen war. Das Kind zuckte zusammen, als hätte es etwas gestochen. Dann drehte sich die Kleine um, rannte los und verschwand flink wie ein Hase im Unterholz. Zwei Männer schickten sich an, das Mädchen zu verfolgen, doch als lautes Wolfsheulen ganz in der Nähe erklang, hielten sie erschrocken inne. Verzagt warfen sie einen Blick auf ihren Anführer, der jedoch mit hartem Blick abwinkte.
"Lasst! Sollen sich doch die Wölfe die Hexenbrut holen."
Der große Mann drehte sich um und bedachte die rothaarige Miral mit einem düsteren Blick. Die Männer hatten sie wieder gepackt und niedergerungen. Gerade fesselten sie ihr erneut die Hände. Ihre grünen Augen blitzten und funkelten den Anführer wütend.
"Wie kannst du es wagen, Erik Schmied? Ich habe deinen Kindern auf die Welt geholfen, allen fünf. Ohne mich wäre deine Frau im Kindbett gestorben."
Ihre Stimme klang zornig und wild.
Doch der Mann mit dem kurzen braunen Haar antwortete ihr nicht. Stattdessen wandte er sich an einen der Männer, die sie festhielten.
"Knebelt sie wieder."
Dann drehte er sich fort und ging voran. Seine Schritte lenkten ihn zurück in die Ortschaft, auf den zentralen Platzt, dorthin wo bereits der Scheiterhaufen bereit stand. Bei sich, irgendwo tief in seinem Herzen, wusste Erik, dass es falsch war, was sie hier taten und dass es nichts ändern würde. Aber diese Gedanken verdrängte er.

***

Tief im Wald stolperte Leirana über eine Wurzel und blieb erschöpf einen Moment lang liegen. Endlich setzte sie sich auf, doch sie blieb sitzen. Die Tränen, die sie die ganze Zeit verdrängt hatte, kamen nun mit Macht über sie und ihre schmalen Schultern zuckten unter dem heftigen Schluchzen, das sie nun nicht mehr zurückhalten konnte.
Drei Stunden oder länger war sie gelaufen, sie wusste es nicht mehr. Schon bald, nachdem sie ihrer Mutter gehorcht hatte, waren die beiden Halbwölfe aufgetaucht und hatten sich nervös neben ihr gehalten, während sie blind vor Tränen und Angst so schnell rannte, wie es ihr nur möglich war. Noch immer umklammerte sie dabei den kleinen roten Runenbeutel. Sie hatte weder auf die Richtung noch auf einen Weg geachtet und nun war sie tief im Wald. Doch der Ort war nicht unbekannt. Sie kannte den alten Steinkreis, an dessen Rand sie nun kauerte und sich die Seele aus dem Leib weinte. Vielleicht hatte sie ihr Unterbewusstsein hier her geführt. Womöglich war es aber auch etwas anderes, das ihre Füße gerade hier her geleitet hatte.
Während der dunkelgraue Cohl in der Nähe patrouillierte und die Gegen im Auge behielt, tapste die hellgraue Ladhie zu ihrer kleinen menschlichen Schwester und stupste sie zärtlich an. Leirana reagierte in dem sie die Arme um die große Halbwölfin schlang und ihr Gesicht in den dichten Pelz der vierbeinigen Freundin drückte.
So verblieb sie eine Weile, während ihre Atmung ruhiger wurde und die Schluchzer langsam nachließen. Dann jedoch ließ ein leises Knurren von Cohl, Ladhies Bruder, das Kind erschrocken aufblicken. Doch gleich drauf entspannte es sich.
Sie kannte die warme, raue Stimme, die den Halbwolf nun sanft tadelte.
"Aber, aber, Wölfchen, du kennst mich doch. Was knurrst du mich an, du Dummerchen?"
"Mora!"
Leirana kam stolpernd auf die Beine und lief zu der Sprecherin. Dieses Wesen sah aus wie eine etwas ältere Frau, doch ihre Haut war dunkelbraun und wirkte wie aus Holz gemacht. Ihre dichten dunklen Haare, die ihre Gestalt wie eine Mähne umflossen, offenbarten im richtigen Licht, dass sie eigentlich grün waren. Ihr schlanker drahtiger Körper steckte in einem einfachen Gewand und sie war barfuß. Mora war eine Waldfrau, eine der Wilden, wie die Menschen sie manchmal nannten. Sanft zog sie das Kind in ihre Arme und streichelte sanft ihren Rücken, während sie tröstende Laute von sich gab.
Ihr Blick hingegen hatte sich verdüstert. Sie hatte so gehofft, dass die Bäume sich geirrt hätten. Aber nun war klar, dass dem nicht so war. Was für eine schlimme, schlimme Nacht!
Schließlich hob sie das Kind auf ihre Arme und hielt es ganz fest. Noch einen Blick warf sie zurück, dorthin, wo ein unseliger Schein die Dunkelheit der Nacht zerschnitt und verriet, dass Moras alte Freundin, die Mutter der kleinen Leirana, heute ihren Tod in den Flammen gefunden hatte. Ein tiefes Seufzen kam der alten Waldfrau über die Lippen.
Was für eine schlimme, schlimme Nacht!
 
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