Wie die Unterscheidung in die Welt kam
Vergangenes Wochenende war ich wieder am „Goldweiher“ und stieg auf ´s „Goldbergle“ wo ich meine Bretzel und mitgebrachtes Getränk genoss. Von dort öffnet sich der Blick ins Land hinein wie in den Zuschauerraum eines Theaters und man kann sich vorstellen wie die Menschen in ihren Siedlungen vor unendlich langer Zeit die Landschaft und das Leben darin geprägt hatten. Ich wohne erst seit kurzem in dieser Gegend und bin noch immer am Suchen und Entdecken.
Als ich noch ehrenamtlich in einem Seniorenpflegeheim arbeitete und Kontakt hatte zu Frau Procházka, erzählte ich ihr von einem meiner Ausflüge. Begeistert unterbrach sie mich:
„Da waren sie an unserem „Goldweiher und Goldbergle!“ Einen Weiher und auch Berg hatte ich aber nicht gesehen. „Oh ihr jungen Leut“, schimpfte sie in ihrer herzlichen, etwas ruppigen böhmischen Art, „ihr lauft mit geschlossenen Augen durch die Welt.“ Es ist schon amüsant, mit fast 63 Jahren noch zu den „jungen Leut“ gezählt zu werden. Berücksichtigt man das Alter der Erzählerin der folgenden kleinen Geschichte, mit stolzen 103 Jahren, wirkt ´s schon verständlicher. Ihre Großmutter erzählte ihr die Geschichte als sie noch mit ihrer Familie im heutigen Tschechien wohnte. Ich war in meinem Leben auch an etlichen Orten der Welt und überall haben die Kulturen, Clans, Stämme, Völker ihre Geschichten und Märchen mit denen sie einander erzählen und zu erklären versuchen, wie das Böse in die Welt kam. Meistens geschah´ s durch eine Frau – aber – Obacht – mitgemacht und vor allem verbreitet haben´s die Männer. Wie auch immer, ich gebe euch hier die Erzählung der Frau Procházka wider, die mir nach dem Erzählen den Weg so gut sie´s noch konnte, beschrieb und mich bestürmte, ja nochmal hinzugehen und den „Goldweiher und das Goldbergle“ zu finden und ihr dann meine Entdeckung zu bestätigen. Das war dann nicht mehr möglich, da ich aus dem Ehrenamtsdienst ausschied und sie nach einem langen, irdischen Leben nach Hause zurückkehrte. Mir erwuchs bei der Geschichte der Gedanke, dass es gar nicht mal unbedingt die äußeren Umstände sein müssen, die das Böse mit all seinen schlimmen Konsequenzen gebären.
Goldweiher und Goldbergle
Es gab einmal einen Weiher, dessen Wasser so klar, so rein war, dass der Hügel, zu dessen Füßen er lag, sich in seiner goldenen Farbe darin spiegelte. Die Farbe kam vom Goldlack, der den gesamten Hügel bedeckte. Oben am höchsten Punkt stand ein altes herrschaftliches Haus, eine Villa, die vom Anbeginn der Zeit stets im Besitz von Reichen, Fürsten und Herzögen war.
Diejenigen, die in der Umgebung des Weihers und Hügels lebten, wussten zu berichten, dass der Goldlack von den reichen Leuten angepflanzt und von Generation zu Generation, von Nachfolger zu Nachfolger gehegt und gepflegt wurde, worauf hin der namenlose Hügel und der Weiher in dem er sich spiegelte von den Alten „Goldbergle und Goldweiher“ getauft wurden.
Zwischen den wohlhabenden Besitzern des Hauses und den weniger begüterten Bewohnern der Umgebung herrschte ein freundliches Miteinander auskommen. Man grüßte einander wenn man sich auf den gleichen Wegen traf und keiner beneidete den anderen weil damals das Wissen in der Welt war, dass Freud und Leid, wenn auch auf verschiedene Art, so doch gleich verteilt auf beiden Seiten und keinem war daran gelegen, die Sorgen des anderen aufgebürdet zu bekommen, bloß weil er oder sie mehr Geld besaß oder eben nur zwei Paar Hosen und in einer kleine Hütte lebte.
Dann schickte sich´s aber, dass nachdem der letzte Besitzer, ein Fürst, starb, seine verbliebene Tochter das Wohnrecht ererbte. Die Mutter war lang vor ihrer Zeit durch Krankheit dahingeschieden, die Geschwister, ein Bruder und zwei Schwestern, hatten sich andere Besitztümer und Ländereien weit entfernt erworben.
Sie tat nun etwas, was vor ihr kein Besitzer je tat. Sie ließ aus dem Volk der Umgebung Leute für sich und ihr Anwesen arbeiten und nannte sie „Bedienstete.“ Einige wenige daraus erklärte sie zu höher Bediensteten. Das Volk aus dem ihre Bediensteten kamen, war für sie „das Gesindel.“ Diese Worte hatte bis dahin niemand gekannt. Mit der Zeit nun lernten die Bediensteten, dass die Einen im Ansehen der Hausherrin mehr galten und sie deren Anweisungen zu gehorchen hatten. Auch erhielten Die Höheren mehr Lohn als die Einfachen und wohnten fortan in der herrschaftlichen Villa mit der Hausherrin, wurden ihre Vertraute und begannen sich gegenseitig zu übertreffen im Erfinden von Spottgeschichten über das „Gesindel“ von dem sie doch entstammten, sowie den einfachen Bediensteten, die sie einmal selbst waren.
Anfangs war es keinem aufgefallen, dass kahle Stellen im Goldlack entstanden, die nicht mehr nachwuchsen und statt dessen graue, kahle Steine offenlegten. An einer Stelle begann es und setzte sich Stück um Stück fort. Keiner hatte dafür Zeit und Augen, denn immerzu war man beschäftigt die Räume durch denen die Herrin schritt penibel sauber zu halten und sich über die ständigen Erniedrigungen der höheren Bediensteten zu ärgern. So wurde der Neid in der Welt geboren der verwandelte sich zur Bitterkeit, wurde zum Zorn und Hass und floss wie vergiftetes Wasser vom Goldbergle hinab in die umliegenden Dörfer, tränkte und zerstörte damit die einstige gegenseitige Achtung unter den Bewohnern, die durch Streit, Hader, Missgunst und zuletzt sogar Mord und Totschlag wirklich zu einer Art Gesindel wurden.
Wer auch immer das Ende dort oben auf dem Goldbergle einläutete, wusste keiner oder aber niemand wollte sich dazu bekennen; er nahm´s mit ins Grab.
Feuer brach eines Nachts aus, in der Eingangshalle des edlen Bauwerks. Dort hingen die Gemälde mit den Porträts der Vorbewohner,. Die hohen Bediensteten eilten zum Weiher runter, schöpften mit Eimern das gesamte Wasser heraus um den Brand zu löschen. Keiner der niederen Bediensteten kam aus den umliegenden Dörfern um zu helfen. Vom Goldweiher blieb zuletzt nur eine braune schlammige Grube übrig in die nie wieder Wasser einfloss, der einstige schöne Goldlack war verbrannt ,die Villa zur Unkenntlichkeit zerstört. Man fand den verkohlten Leichnam der Besitzerin auf einem Haufen Asche welcher ihr Bett gewesen war. Die "höher Bediensteten" mussten wieder in ihre Dörfer und Siedlungen zurückkehren, woher sie einst kamen und versuchten sich wie zu alten Zeiten zu geben. Doch wurden sie vom Volk und besonders den ehemals "niederen Bediensteten" erkannt und es ging ihnen schlecht. Einige wurden erschlagen, den anderen gelang mit knapper Not die Flucht. Nun waren das böse Weib wie auch ihre einstigen Vertrauten nicht mehr da und man sollte meinen, der Frieden und die gegenseitige Achtung wären wieder eingekehrt. Aber da nun einmal die Bedeutung der Worte „Gesindel“ und „Bedienstete“ in der Volksseele bekannt war und auch gelebt wurde, so gab´s die Unterscheidung zwischen den Menschen jetzt in der Welt und sie blieb ´s bis zum heutigen Tag.
Nach eingehender Suche mit Wegbeschreibung von Frau Procházka ,fand ich tatsächlich eine Versenkung die, mit einiger Fantasie ein ehemaliger Weiher gewesen sein konnte und wirklich gab´s auch einen Hügel – zwar kein Berg, auch kein Berg-le aber nixdestotrotz war es eine Erhebung von der man einen schönen Blick auf den Rhein und die flache Landschaft hatte, über die der Wind, meistens vom Süden durch die burgundische Pforte kommend, wehte, Immer, wenn ich hier in der Gegend wandere, steig ich auf den Hügel und denk an Frau Procházka. Ich glaub ja, dass sie, bzw. ihre Großmutter, den „Zlatý vrch“ zu Deutsch – Goldberg – in Nordböhmen meinte aber sie bestand energisch drauf, dass er hier bei K. gewesen sein musste, wo sie, damals noch als ein Kind mit ihrer Familie nach dem Krieg und der Vertreibung, Zuflucht fand.