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12 Seiten

littlebastard (Teil 2)

Romane/Serien · Nachdenkliches
(Teil 2)

Am Abend machte ich mich dann auf den Weg in meine Stammkneipe, irgendwer würde da schon sein, mit dem man sich die Zeit vertreiben konnte. Die Kneipe lag im Keller eines mehrstöckigen Hauses, war dunkel, dreckig, es roch nach schalem Rauch und abgestandenem Bier, aus mehreren Boxen, die hinter der Theke standen, erklang laute Rockmusik, die nur ab und zu vonGeräuschen des Flipperautomaten unterbrochen wurde, aber hier fühlteich mich wohl, hier kannte ich die meisten Leute, hier war es ähnlichanonym wie in einem Chat, weil hier keiner den anderen fragte, wer er war,sondern einfach nur ein Bier mit ihm trank oder einen Joint mit ihm rauchte.Ich setzte mich an einen Tisch zu Klaus, einem achtungzwanzigjährigenSozialhilfeempfänger, der meines Wissens noch nie in seinem Leben gearbeitethatte und mit den dutzenden von Piercings, die er am ganzen Körper trug,wahrscheinlich auch nie einen Job finden würde. Ich bestellte uns etwaszu trinken, fing ein belangloses Gespräch an, und es dauerte nicht lange,da kamen andere dazu und wir fragten uns, wie wir den Abend verbringen sollten.
„Wir können doch mal wieder ins Aladin fahren, n bisschen abtanzen, uns volllaufen lassen und ihr Jungs findet bestimmt auch wen, dem ihr die Zähne rauskloppen könnt“, schlug Manu vor. Das Aladin war unsere Stammdisco, ein ehemaliges Kino, in dem wir eigentlich immer vielSpaß hatten, doch heute konnte sich keiner so richtig dafür begeistern.Also wurde erst noch etwas zu trinken bestellt und auf weitere Vorschläge gewartet.
„Wir haben schon lange kein Rennen mehr gefahren“, stellte Jürgen fest und meinte damit, dass es mindestens drei Monate her war, dass er und Kokser zwei Autos aufgebrochen hatten, mit denen wir dann so lange durchdie Stadt gurkten bis wir entweder keine Lust mehr hatten oder einer derWagen vor einer Mauer landete oder aber die Polizei uns aufhielt.
Bevor die anderen aber zustimmen können, schmetterte Manu seinen Vorschlag ab und erklärte energisch: „Nee, Jungs, ohne mich, da nehm ich lieber den Lucas mit zu mir und blase ihm einen.“
„Sorry, Manu, aber ich will mir heut bestimmt keinen Tripper holen!“, stichelte ich und fing mir dafür sofort einen Tritt in Richtung Körpermitte und einen zugeworfenen Kuss ein. Manu war sechs Jahre älter als ich, also vierundzwanzig, sah aber super aus, war wirklich gut drauf und wusste leider ganz genau, dass ich keine Gelegenheit ausgelassen hätte, mit ihr in der Kiste zu landen. Einmal war mir das sogar schon geglückt, aber da war ich total besoffen gewesen und konnte mich hinterher kaum noch daran erinnern. Na immerhin.
Die Diskussion über den weiteren Verlauf des Abends wurde dadurch beendet, dass Klaus einen Joint hervorkramte, anzündete und herumreichte unddie anderen hochprozentigere Getränke bestellten. Wir blieben also dort, ließen uns vollaufen, kifften und laberten dummes Zeug. Nach einerhalben Stunde etwa wusste ich nicht mehr ob die Übelkeit, die in miraufstieg nun vom Alkohol oder vom Gras kam, aber bald darauf war auch dasvergessen und ich versuchte immer wieder Manu anzubaggern, die aber keinStückchen darauf einging. Und noch eine halbe Stunde später bekamich von allem nichts mehr mit, war nur noch weg und schwebte irgendwo zwischenZeit und Raum.

Als ich wieder zu mir kam und einigermaßen klar denken konnte, hockte ich über einer stinkenden Kloschüssel, den Blick auf mein eigenes Erbrochenes gerichtet. Ich sah auf, wunderte mich, würgte diesen beschissenen Geschmack herunter und wunderte mich nochmal, denn es war nicht die Kloschüssel in unserer Stammkneipe, sondern sah eher aus wie die im Aladin, mit der mich inzwischen auch schon eine innige Freundschaft verband. Aufstehen war nicht so einfach, gelang aber irgendwann doch, und ich kam sogar heil aus der Toilette raus. Dabei stellte ich fest, dass ich tatsächlich in der Disco war, nur wie ich hierhergekommen war fehlte mir völlig.
An einer der Bars traf ich Jürgen und Kokser wieder, die anderen waren auf der Tanzfläche und ich war wohl seit einer knappen Stunde verschollen gewesen. Ich bestellte mir noch einen Bacardi mit Cola, denn nach dem Kotzen sollte man ja bekanntlich weitersaufen, und es half tatsächlich, zumindest konnte ich wieder einigermaßen klare Gedanken fassen. Als sie schließlich Livin’ on the edge von Aerosmith spielten, zog es auch mich noch mal auf die Tanzfläche, ich tanze immer wieder in Manus Nähe, dochso wie es aussah konnte ich heute wohl nicht mehr bei ihr landen, denn mehrals ein vielsagendes Zwinkern bekam ich nicht von ihr. Dafür tanztenmich zwei etwa sechzehnjährige Mädels ziemlich eindeutig an, denenich dann auch etwas zu trinken bestellte, doch der Smalltalk mit ihnen warmehr als nur langweilig und ich hatte sowieso keine Lust zu nichts mehr,so dass ich mich bald auf den Heimweg machte. Diese ganze Aktionen mit meinenangeblichen Freunden, die mich nicht einmal vermissten, wenn ich fast neStunde auf dem Klo hockte und auch sonst nur da waren, wenn sie mich brauchten,erschienen mir plötzlich so sinnlos, planlos und öde, dass ichschon fast Angst vor mir selbst bekam. Angst vor mir selbst? Ich fragte mich,wo ich das schon mal gehört hatte, und dann fiel es mir wieder ein.Zuhause angekommen, der Besuch meiner Mutter war längst gegangen undsie selbst im Bett, denn nach Mitternacht trieben sich ja nur noch gottloseLeute herum, setzte ich mich also nochmals an den Computer, in der Hoffnung,Black_Rose noch im Chat anzutreffen. Natürlich war sie nicht da undauch sonst kaum noch jemand, denn immerhin war besagte Mitternacht ja auchschon seit vier Stunden vergangen. Ich surfte noch ein wenig durchs Netz,dachte dabei über Manu, Black_Rose und mich selbst nach und ging schließlichins Bett, schob mir noch eine Halloween-Fortsetzung in den Videorecorder,schlief aber schon kurz nach dem ersten blutig Ermordeten ein. Diesmal träumteich nicht von einem Religionslehrer mit Kettensäge, sondern von Black_Rosein der Gestalt von Manu, die jetzt im Traum auf meine Baggerversuche eingingund mich mit nach Hause nahm.

Die Einzelheiten hatte ich natürlich nach dem Aufwachen vergessen, aber so ist das ja leider immer bei schönen Träumen. Außerdemwar es längst Mittag, also Zeit, etwas zu essen. In der Küche empfing mich meine Alte mit einem Vortrag über Müßiggang und wollte mir damit wahrscheinlich vorhalten, ich hätte zu lange geschlafen, doch ich hörte ihr kaum zu, schaufelte nur eine Portion Nudeln mit viel Gewürzketchup in mich hinein und verdrückte mich dann wieder in mein Zimmer. Vielleicht war ja Black_Rose im Chat, dachte ich, aber so viel Glück hatte ichnatürlich nicht. Dafür war FlashGordon da, mit dem ich ein paarbelanglose Sätze wechsle und es nicht lassen konnte, ihn auch zu fragen,ob er etwas über Rose wusste. Nein, antwortete er, sie sei zwar oftda und er habe auch schon ab und zu mit ihr geredet, aber wer sie eigentlichwar wusste er nicht. Dafür erzählte er mir ziemlich viel übersich, er war Student in Osnabrück, war zweiundzwanzig, jobbte nebenbeiin einem CD-Laden, war alles in allem irgendwie langweilig, und bei der erstbestenGelegenheit erklärte ich, ich müsse noch ganz dringend weg. Alsoraus aus dem Chat, rein in die nächstbeste Suchmaschine, dort gab ichden Namen meines westfälischen Geburtsortes ein und fand tatsächlichauch bald eine Homepage der katholischen Gemeinde dort. Für eine kirchlicheProvinzseite war die Page gar nicht mal schlecht, aber all die Geistlichen,die dort mit Foto abgebildet waren, sahen entweder zu jung oder viel zu altaus, um mein Vater sein zu können. Es war ja auch nur ein Versuch gewesen,der vielleicht schon wesentlich mehr gebracht hätte, wenn ich wenigstensden Namen meines Erzeugers gekannt hätte. Nach diesem Misserfolg hatteich den Drang nach einer Zigarette, aber leider keine Kippen mehr, so dassich doch noch mal den Kiosk an der Ecke aufsuchen musste. Bei der Gelegenheitließ ich auch gleich ein paar Zeitschriften mitgehen, gar nicht unbedingt,weil sie mich interessierten, sondern aus bloßer Gewohnheit oder einfachum mir meine diebischen Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis zu stellen.Ein Unrechtsbewusstsein hatte ich schon lange nicht mehr, wie sollte ichauch, wenn sowieso alles falsch war, was ich machte? Und wieder stellte ichmir die Frage, was wäre wenn ich nicht so, sondern anders aufgewachsenwäre, vielleicht in einer gutbetuchten vierköpfigen Familie miteinem schicken Einfamilienhaus irgendwo am Bremer Stadtrand. Oder vielleichtwie mein Mitschüler Marc als Sohn eines Abteilungsleiters einer großeninternationalen Firma mit dickem BMW in der Garage und einem netten Wochenendhausan der Ostsee. Gut, Marc kiffte auch und machte auch sonst viel kindischenScheiß mit, aber klaute er auch die neuste Ausgabe des Playboy, Cinemaund RockHard, wenn er mit dem fetten Wagen seines Vaters am Kiosk vorfuhr?Und war es wirklich in Ordnung, dass ich allen und jedem, aber nicht mirdie Schuld gab, wenn ich mal wieder feststellte wie beschissen ich dran war?

Später am Nachmittag saß ich gelangweilt vor dem Fernseher, sah mir eine ziemlich bekloppte Talkshow an, schaute immer mal wieder im Chat nach Black_Rose, aber sie tauchte einfach nicht auf. Vielleicht sollte ich es einfach aufgeben, mich draußen mit irgendwelchen Leuten treffenund einfach so weitermachen wie bisher, sagte ich mir, aber auf eine Weisehatte mich so eine Art Forschergeist gefangengenommen und ich wollte endlichmehr über meinen Vater und vor allem über mich in Erfahrung bringen.
Wenn ich wenigstens den Namen kennen würde, hatte ich mir vorhin gesagt. Das konnte doch nicht so schwer sein! Von meiner Mutter hätte ich ihn nicht erfahren, soviel war klar, aber ich wusste, sie hatte die dumme Angewohnheit, nichts wegwerfen zu können, auch wenn es natürlich falsch war,sein Herz an weltliche Besitztümer zu hängen. Aber sie hatte denMann immerhin mal geliebt, und da musste es doch irgendwo bestimmt eine Erinnerung an ihn geben. Da sie nicht da war, wahrscheinlich wieder bei einer hochheiligen Versammlung hockte und über die Sünden der Welt lamentierte, machte ich mich sofort auf die Suche. Ich begann im Wohnzimmer, durchwühlte jede Schublade, förderte aber nichts außer christlichen Broschüren mit so vielsagenden Titeln wie Wie man richtig betet und Stapel von Rechnungen, Versicherungsunterlagen und ähnlichem Mist zu Tage. In der Küche fand ich auch nichts, dann war ihr Schlafzimmer dran, jener Raum, den ich bestimmt seit Monaten nicht mehr betreten hatte und der mit Kruzifixen und Heiligenbildern vollgestopft war, so dass einem fast schlecht wurde. Wieein billiger Einbrecher durchforstete ich ihren Kleiderschrank und ihre Kommode, gab mir Mühe, es aber nicht nach einem Einbruch aussehen zu lassen,sondern alles wieder ordentlich an seinen Platz zu legen, stellen oder hängen. Ein paar neue Klamotten würden der Frau auch mal ganz gut tun, dachte ich, aber vielleicht war es Gott ja lieber, wenn seine Kinder in mindestens zwanzig Jahre alten Fummeln herumliefen. Und dann stieß ich plötzlich auf ein kleines, verschlossenes Kästchen am Boden des Kleiderschrankes.
Das Ding sah schon so aus wie das Geheimversteck eines bis über beide Ohren verknallten Mauerblümchens, Rechnungen waren da bestimmt nicht drin. Ich rüttelte an dem Schloss, aber das half nichts. Also mit Gewalt. Ein kurzes Hantieren mit meinem Springmesser, dass ich eigentlich nur aus Verteidigungszwecken mit mir herumtrug, ein Knacken, dann sprang das Schloss auf und gab seinen wohlbehüteten Inhalt frei. Im Inneren befand sich ein Stapel Briefe, natürlich Liebesbriefe, und ich atmete einmal tief durch bevor ich sie mir aneignete.
Als ich den Stapel wie einen Schatz in mein Zimmer trug, bemerkte ich, dass meine Hände zitterten und schalt mich selbst einen Hosenscheißer. Dann wurde die Neugierde unerträglich und ich machte mich ans Lesen. Leider hatte ich mich doch getäuscht, denn das waren keine Liebesbriefen, sondern verklemmte theoretisch-wissenschaftliche Abhandlungen über außereheliche Beziehungen, den Zölibat, ein Leben in Sünde und die unzüchtigen Wünsche eines Priesters. Ein Buch über das Liebesleben der Riesenschildkröten oder meinetwegen auch des Papstes wäre spannender gewesen, aber wenigstens erfuhr ich doch so einiges über den Mann, der mich vor achtzehn Jahren gezeugt hatte.
Er hieß Johannes Lorenz, war damals schon zweiundvierzig gewesen und hatte sich erst als sie ihm ihre Liebe gestand in meine Mutter, die damals als Küsterin oder sowas in der Gemeinde gearbeitet hatte, verguckt und auch dann noch zwei Jahre gewartet, bevor er langsam auf ihre Annäherungsversuche einging. Und so einer sollte mein Vater sein? Wenn ich daran dachte wie oft ich schon nach wenigen Stunden mit einem Mädel in die Kiste stieg, nur um sie danach nie wiederzusehen, schien mir das fast unmöglich. Dieheimliche Beziehung der beiden dauerte mehrere Monate, sie hatten immer Angstgehabt, entdeckt zu werden, denn das hätte einen Skandal ausgelöst,aber so wie das in den Briefen klang verhinderte diese quälende Geheimhaltung auch jegliche überschäumende Leidenschaft zwischen den beiden,was dem ganzen einen verdammt tragischen Beigeschmack gab. Immer wieder hatten sie versucht, sich voneinander zu lösen, da sie ja beide der Meinung waren, etwas Sündhaftes und Falsches zu tun, doch es war ihnen nicht gelungen, weil das Fleisch stärker war als der Geist, und so verbrachten sie all die Monate in der ständigen Angst, entdeckt oder aber von Gott für ihr Tun bestraft zu werden. Wirklich glückliche Tage hattees wohl kaum gegeben, denn das, was die Beziehung bestimmte war nicht dieLiebe, sondern die Angst und die Scham gewesen, und als meine Mutter ihremPriester schließlich eröffnet hatte, schwanger zu sein, hatteer die Nerven verloren, sie als Hure beschimpft und schließlich dazugebracht, den Ort zu verlassen, um seine eigene Haut zu retten.
Ich schluckte schwer und begann zum ersten Mal ein stückweit Verständnis für meine Mutter zu entwickeln, hatte sogar Mitleid mit ihr. Und dann fand ich auf dem Boden dieses Schatzkästchens der Sünde ein altes, vergilbtes Foto, ein Foto meines Erzeugers, der großen heimlichen Liebe meiner Mutter. Lange guckte ich es einfach nur an, versuchte in dem Gesicht des Mannes zu lesen und vielleicht zu verstehen, wie man eine Frau, die man wirklich liebte, für die Kirche, für Gott aufgeben und mit ihrauch seinen eigenen Sohn verstoßen konnte. Es gelang mir nicht, gelangmir ganz und gar nicht, es stieg nur eine unglaubliche Wut, gemischt mitVerachtung, Verachtung für diesen Mann und die Kirche, die diese Gesetzegemacht hatte, in mir hoch und gipfelte schließlich darin, dass ichdem Mann auf dem Foto mitten in sein selbstgefälliges Gesicht spuckte.Wie viel lieber hätte ich nicht das Foto, sondern die reale Person bespuckt,dachte ich mir, packte dann die Briefe wieder in die Kiste, verschloss sienotdürftig und stellte sie an ihren Platz zurück. Das Foto aberbehielt ich, denn ich hatte den festen Entschluss gefasst, diesen Mann ausfindigzu machen und ihn endlich mit der Frucht seiner Sünden, also mir, zukonfrontieren.
Jetzt aber brauchte ich erstmal eine Zigarette, wenn nicht sogar etwas Härteres, und auch ein wenig frische Luft konnte nicht schaden.

Nach einem kurzen Spaziergang, es hatte inzwischen zu regnen angefangen,und dem Besuch bei einer alten Freundin, die immer noch schlecht auf michzu sprechen war, weil damals außer einem One-Night-Stand nichts zwischenuns gelaufen war, schloss ich mich wieder in mein Zimmer ein, drehte dieMusik auf und setzte mich an den PC. Ich gab den Namen Johannes Lorenz inmehrere Suchmaschinen ein, bekam aber außer ein paar Ahnentafeln vonsiebzehnhundertirgendwas keine brauchbaren Ergebnisse. Auch mit den BegriffenJohannes Lorenz, Kirche, Lübbecke, Priester hatte ich nicht mehr Erfolgund fühlte mich etwas entmutigt. Würde ich dann eigentlich LucasLorenz heißen, fragte ich mich und musste mir eingestehen, dass daseigentlich gar nicht mal so schlecht klang.
Irgendwann gab ich die Suche auf und sah stattdessen nochmals im Chat nach, ob Black_Rose vielleicht dort war. Ich hatte Glück, sie war da und freute sich sogar, mich zu sehen. Zuerst fragte ich sie aus purer Gewohnheit, ob sie nicht Bock auf Cybersex hatte und handelte mir damit wieder mal einige bissige Kommentare von Thunderblizz und anderen ein, dann aber erzählte ich ihr viel über mich und mein Verhältnis zu Gott, der Kircheund der Welt, was ich den Tag über so getrieben und vor allem, was ichim Kleiderschrank meiner Mutter gefunden hatte. Sie schien wirklich interessiert zu sein, fragte öfter nach und ließ sich die Geschichte haarklein erzählen.

littlebastard: aber die Suchehat leider nichts gebracht

Black_Rose: trotzdem schließe ich daraus, dass du doch wissen willst, wer dieser Mann ist

littlebastard: ja irgendwie schon

littlebastard: genauer gesagt will ich ihn inzwischen wirklich malpersönlich treffen um einfach nur mal zu wissen, was er für einMensch ist

Black_Rose: ja kann ich mir gut vorstellen. Hast du mal überlegt, einfach in deinen Geburtsort zu fahren und dort einige Leute zu fragen?

littlebastard: hm... *überlegt*

Black_Rose: na komm, was hast du denn zu verlieren?

littlebastard: sag mal warum interessiert dich das eigentlich so?

Black_Rose: das kann ich dir auch nicht so genau sagen, einerseitsbin ich einfach nur überrascht, weil du doch nicht so zu sein scheinst,wie du dich hier immer gibst, andererseits finde ich die Geschichte wirklichspannend

littlebastard: was bringt es mir aber wenn ich ihn sehe?

Black_Rose: vielleicht gar nichts

Black_Rose: vielleicht fühlst du dich danach aber auch besserund findest sogar einen weg, besser mit deiner Mutter auszukommen

littlebastard: ach, die Alte interessiert mich doch nicht

Black_Rose: na wie du meinst...

littlebastard: weißt du...

Black_Rose: was denn?

littlebastard: na ja... neben meinem Erzeuger gibt es da noch wen über den ich dringend mehr wissen will

Black_Rose: ???

littlebastard: Rose, ich hab dir fast meine gesamte Lebensgeschichte erzählt, aber von dir weiß ich gar nichts

Black_Rose: ist es denn so wichtig, wer ich bin?

littlebastard: ja ich denke schon

Black_Rose: selbst wenn ich dir etwas erzählen würde, wüsstest du immer noch nicht ob das stimmt, was ich sage

littlebastard: aber ich könnte mir ein Bild von dir machen

Black_Rose: was willst du jetzt von mir hören? ich bin 1,72 groß, schlank, Maße 90, 60, 90, blaue Augen, blonde Haare und habe 85C oder wie?

Black_Rose: hast du nicht selbst mal gesagt, dass du es hasst, wenn man Menschen nach ihrem Äußeren oder ihrem Ruf beurteilt?

littlebastard: schon, aber wenn ich dir so viel von mir erzähle möchte ich halt auch was über dich wissen

Black_Rose: tja, Kleiner, dann musst du dir schon die Mühe machen und mich aufgrund dessen beurteilen, was ich so von mir gebe

littlebastard: kannst du mir nicht wenigstens etwas verraten?

Black_Rose: zumindest kann ich dir verraten, dass wir uns im realen Leben wahrscheinlich niemals kennengelernt hätten

littlebastard: wieso das denn nicht?

Black_Rose: sagen wir mal so, ich bin nicht die Frau, die du für einen one-night-stand anbaggern würdest und du bist auch nicht ganzmeine Kragenweite

littlebastard: und wieso nicht? bist du so hässlich oder fettoder warum?

Black_Rose: du bist ganz schön frech, vorlaut und nervig, weißt du das, bastard

littlebastard: frech ist mein zweiter Vorname *g*

Black_Rose: *verrät ihm trotzdem nicht mehr*

littlebastard: *schmollt*

Black_Rose: ;-)

Black_Rose: und was hast du jetzt vor? in Bezug auf deinen Vater meine ich

littlebastard: weiß nicht so genau aber immerhin hab ich Ferien und nicht viel vor...

Black_Rose: heißt das du fährst hin und suchst ihn?

littlebastard: würdest du es tun?

Black_Rose: *zuckt mit den Schultern* ja... ja ich denke schon

littlebastard: ich denke auch

littlebastard: ich weiß zwar noch nicht so genau was es bringen soll aber ich glaube ich machs

Black_Rose: ist ja auch mal ne willkommene Abwechslung zum In-Discos-Girlies-anbaggern-und-abschleppen... *fg*

littlebastard: ha ha ha

Black_Rose: na komm, nach dem, was du hier so von dir gibst sieht dein Tag echt nicht viel anders aus...

littlebastard: *erzählt nichts mehr über sich ...gleiches Recht für alle!*

Black_Rose: *lol*

Black_Rose: gut, ich gebe ja zu, so oberflächlich wie ich anfangs dachte bist du gar nicht

littlebastard: weißt du’s? *g*

Black_Rose: ja ob du es glaubst oder nicht, ich fange wirklich an,dich zu mögen

littlebastard: wird das jetzt doch noch ne Einladung zum cybersex?also ich steh tierisch auf... ;-)

Black_Rose: *überlegt sich doch noch mal, ob sie das eben gesagte nicht zurücknimmt*

littlebastard: *g*

Black_Rose: sag mal, gibst du deiner Mutter eigentlich die Schuld daran, dass du nur noch tust, was dir Spaß macht und nicht mehr weißt, was richtig und was falsch ist?

littlebastard: Schuld? wer sagt denn, dass es falsch ist, was ich tue?

Black_Rose: na komm, du kannst mir viel erzählen, aber bestimmt nicht, dass du zufrieden bist mit dir und deinem Leben

littlebastard: und woher willst du das wissen?

Black_Rose: wie gesagt, ich lese zwischen den Zeilen um etwas über einen Menschen zu erfahren

littlebastard: sicher bin ich nicht zufrieden... und ich weiß auch dass vieles Scheiße ist, was ich mache...

Black_Rose: aber?

littlebastard: aber ich bin selbst dafür verantwortlich, es ist meine Entscheidung

Black_Rose: und du wärst auch ohne deine Mutter so geworden wie du heute bist?

littlebastard: nein... wäre ich vielleicht nicht... aber wennjemand Schuld daran hat, dann Gott und seine Bibel

Black_Rose: ich denke, den gibt es nicht

littlebastard: ...

littlebastard: was soll das jetzt werden?

Black_Rose: war nur ne Frage

littlebastard: du willst doch auf irgendwas hinaus oder?

Black_Rose: hast du mal darüber nachgedacht, dass Gott vielleicht gar nichts für deine Situation kann und du ihm Unrecht tust?

littlebastard: er hat doch die beschissenen Gesetze gemacht an dieich mich halten soll!

Black_Rose: also wenn ich in der Bibel lese, dann meist von Liebe und Vergebung und gar nicht so sehr von zwanghaften Geboten, die man sowiesonicht einhalten kann

littlebastard: sorry Rose aber auf sowas hab ich jetzt echt keinenBock

Black_Rose: ja ja schon gut, ich wollte dich nur mal daran erinnern, dass du der einzige bist, der deine Situation ändern kann

littlebastard: vielleicht will ich meine Situation aber gar nicht ändern weil es so vielleicht einfacher ist

Black_Rose: zweimal vielleicht in einem Satz... das lässt es nicht unbedingt glaubwürdig klingen

littlebastard: was versuchst du mir eigentlich einzureden? dass esmir beschissen geht und ich eigentlich raus will aus der Scheiße indie ich mich geritten habe?

Black_Rose: das habe ich nicht gesagt

littlebastard: aber gedacht oder?

Black_Rose: ich will dir gar nichts einreden, ich versuche nur, dich zu verstehen und mir ein Bild von dir zu machen

littlebastard: und wann darf ich mir endlich ein Bild von dir machen?

Black_Rose: du darfst dir gerne ein Bild von mir machen, aber ich werde dir bestimmt keins von mir skizzieren... zu einfach will ich es dir ja auch nicht machen ;-)


Wir unterhielten uns noch eine Weile weiter, ich versuchte, doch noch etwas über sie herauszufinden, aber sie gab immer nur ausweichende Antworten. Schließlich kehrten wir noch mal zum eigentlichen Thema zurück, und sie fragte mich, was ich denn nun konkret vorhatte. So genau wusste ich das leider selber noch nicht, und wenn ich ehrlich war kam mir die Idee auch immer noch irgendwie blöd vor. Was bitte sollte es mir bringen, einen Mann ausfindig zu machen, der vielleicht schon gar nicht mehr wusste, dass er mich mal gezeugt hatte. Umgekehrt fragte ich mich, was schadete es, diesem Mann mal direkt ins Gesicht zu sagen, was ich davon hielt, dass er mich und meine Mutter in die Wüste geschickt hatte, nur um seinen guten Ruf zu schützen. Wenn ich das richtig verstanden hatte, war Gott doch sowieso allmächtig und sah alles. Was war das für ein Glaube, bei dem man Vergebung predigte, aber selbst nicht zu seinen Sünden stand? Ich hielt das alles jedenfalls für verdammt verlogen, und genau das wollte ich diesem Mann ins Gesicht sagen. Sicher war ich kein Experte, was die Bibel betrifft und vielleicht gab es ja eine Stelle, die genau aussagte, dass ein Vater seinen Sohn verstoßen durfte, auch wenn der nichts dafür konnte, aber wenn ich dem Bosweiler in Religion richtig zugehört hatte, war die Kernaussage dieses Buches doch, dass man alle seine Sünden vor Gott bringen sollte und er einem dann half, damit fertigzuwerden.
Je länger ich nachgrübelte, desto mehr wunderte ich mich über mich selbst. Ich hörte mich schon genauso an wie diese ganzen Kinder Gottes, die die Welt verbessern wollten und glaubten, den Weg dazu in ihrer Bibel gefunden zu haben. Also Schluss damit, fest stand nur, ich wollte meinen Vater suchen und einfach mal sehen, was das für ein Mensch war. Vielleicht war er ja auch gar nicht so schlimm wie ich ihn mir vorstellte, bereuhteinzwischen, dass er meine Mutter damals hatte gehen lassen und würdesich freuen, wenn er mich sah. Konnte doch sein oder? Und selbst wenn ichihn gar nicht finden würde, war das immer noch interessanter als dieganzen Ferien hier rumzuhocken, zu saufen, zu kiffen, zu vögeln undjeden beschissenen Tag mit einem Haufen Krimineller zu verbringen, von denenich mich nur noch dadurch unterschied, dass ich mit mehr oder weniger Ehrgeizmeine Schullaufbahn beendete, und das auch nur, weil ich sonst nämlichzuhause rausgeflogen wäre. Die typische Karriere eines Typen, der irgendwannim Knast oder mit ner Überdosis aufm Bahnhofsklo endete. Warum ich eigentlichnoch immer mit Klaus, Manu und den anderen rumhing, konnte ich mir auch nichterklären. Am Anfang war es das Abenteuer gewesen, mit denen wurde esnie langweilig, ich machte Sachen, die die Leute aus meiner Klasse zum Teilnur aus Krimis im Fernsehen kannten, es war jeden Tag erneut der reine Nervenkitzelund natürlich auch der Stolz, von solch interessanten Charakteren ernstgenommen zu werden. Gut, den Stolz musste ich mir bei einigen erst durchein paar Ladendiebstähle oder auch Prügeleien erarbeiten, aberauch das fand ich total spannend, genau wie die Geschichten aus dem Knastoder sowas. Irgendwann hatte ich aber festgestellt, dass diese Geschichtenauch immer dieselben waren, die Aktionen ebenso und aus dem anfänglichenAbenteuer wurde bald pure Angst, eines Abends auch mal erwischt zu werdenoder bei einer Prügelei auf jemanden zu treffen, der besser mit demMesser umgehen konnte als ich. Dazu kam, dass wir die meisten Abende nurnoch sinnlos rumsaßen und uns vollaufen ließen, dabei Scheißeerzählten und es oft einfach nur langweilig war. Die ständigenGespräche über Leute, über die man am besten an Stoff kam,wer gerade weswegen im Bau saß und vor allem die meist erlogenenBumsgeschichten der Jungs ödeten mich an und wenn ich richtig darübernachdachte war ich nur noch aus purer Gewohnheit dabei und weil ich ebenkeinen anderen Freundeskreis mehr hatte oder gar nicht mehr wusste, was mansonst abends hätte anstellen können. Wenn ich mich jetzt auf dieSuche nach Johannes Lorenz machte, würde ich vielleicht endlich malwieder etwas anderes sehen als verrauchte Kneipen oder wilde Saufgelage inheruntergekommenen Wohnungen nicht minder heruntergekommener Leute, und alleindas war es schon wert.
Ich rauchte noch eine letzte Zigarette für heute, zog mir dann einen Wes-Craven-Film rein, den ich schon fast auswendig kannte, und schlief dann ein, diesmal traumlos.



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Die Geschichte wird gewohnt gut weitergesponnen, die Charaktere immer feiner ausgearbeitet. Vor allem Lucas lernt man besser kennen. Das ganze Ding ist gut aufgebaut.
*Dickes Lob*


Stefan Steinmetz (11.09.2002)

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