43


6 Seiten

Lichtnetz (Part 11)

Romane/Serien · Fantastisches
© Metevelis
Silken lag im Bett und hielt Maglians Hand, als Lyssa an der Tür klopfte und eintrat. Als sie die beiden zusammen sah, entschuldigte sie sich und wollte wieder gehen, als Maglian sie mit einer flehenden Geste zurückhielt. Auf ihrem Gesicht lag ein stilles Strahlen, das Lyssa noch nie gesehen hatte.

„Du wirst morgen abreisen, Lyssa?“ Silken klopfte auf ihr Bett. Lächeln trat Lyssa näher und setzte sich auf das Bett. „Ja, ich wollte sichergehen, das es dir besser geht. In gewisser Weise fühle ich mich für dich verantwortlich. Aber wenn ich meine Gefährtinnen finden will, muss ich mich auf den Weg machen.“ Silken nahm mit ihrer freien Hand Lyssas auf und drückte sie. „Ich verdanke dir mein Leben. Ohne dich wäre ich gestorben. Dafür schulde ich dir tiefsten Dank. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen soll.“ In ihren grauen Augen glänzten Tränen. Lyssa wand sich verlegen unter dem Anblick der Gefühle in Silkens Gesicht.

„Das war nichts, Silken. Ich war nur zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich habe nur getan, was jeder andere auch getan hätte.“ In diesem Moment öffnete sich die Tür und Svar trat ein. Ein schneller Blick zu Maglian zeigte Lyssa, dass das Leuchten auf ihrem Gesicht zu Asche zerfallen war. Silkens Hand drückte die Maglians, dann wandte sie Svar entschlossen den Kopf zu.

„Hier seid ihr, Lady Lyssa.“ Er trat lächelnd näher. „Man könnte meinen, ihr würdet euch vor mir verstecken.“ Er lachte. Dann wandte er sich Maglian zu. „Verschwinde! Siehst du nicht dass du störst?“ Er wollte sie am Arm packen, da fuhr Silken dazwischen.

„Nein, Svar! Benimm dich! Maglian ist hier mehr als willkommen!“ Svar sah seine Schwester erstaunt an und zuckte dann mit den Schultern. „Wie du meinst. Wenn du gerne Gesellschaft von einem tauben und stummen Krüppel hast...“ Er drehte sich zu Lyssa um, die sich von ihrem Stuhl erhoben hatte und die Hand kampflustig an ihren Dolch gelegt hatte.

„Ich habe eigentlich nur nach euch gesucht, Lyssa. Ich wollte euch fragen, ob ihr gerne mit mir ausreiten möchtet?“ Lyssa schüttelte den Kopf. „Nein Svar. Ich muss für meine Abreise morgen packen. Ihr müsst wohl alleine ausreiten.“ Svar wirkte enttäuscht. „Aber das könntet ihr doch auch nach unserem Ausritt erledigen. Oder lasst Maglian für euch packen. Dann tut sie endlich mal etwas nützliches.“

Lyssa verspürte tiefen Ekel und Verachtung vor Silken und Maglians Bruder. „Tut mir leid, Svar. Das geht nicht. Ich möchte mich vor dem Fest heute abend noch ausruhen. Ich fühle mich müde.“ Sie drückte Silkens Hand und lächelte Maglian herzlich zu, dann drehte sie sich zum Gehen. „Aber...aber ihr könnt mich nicht hier stehen lassen.“ Sie drehte sich um und musste ihr Lachen unterbinden beim Anblick seines empörten Gesichts. „Natürlich kann ich das, Svar. Ihr werdet doch sicherlich verstehen, dass ich mich ausruhen möchte, oder etwa nicht? Ich wünsche euch trotzdem viel Vergnügen bei eurem Ausritt.“ Mit einem breitem Grinsen auf dem Gesicht schloss sie die Tür hinter sich.

*****


Fluchend stemmte sie das Fenster hoch. Dabei riss sie sich einen Nagel ein. Grummelnd schwang sie sich ins Zimmer. Nach der Dornenhecke unter dem Fenster, durch die sie kriechen musste und das Blumengatter an dem sie hinauf geklettert war, fiel diese Verletzung nicht weiter ins Gewicht. Ihr Instinkt ließ sie plötzlich inne halten. Nur dadurch verfehlte sie der Dolch, der ihren Oberschenkel hätte durchbohren müssen und stak vibrierend in der Wand hinter ihr.

Sie sah einen Funken in der Dunkelheit aufglühen und dann glomm die Lampe auf. In diesem Licht sah sie die verstörte Mairi, die in die Schatten spähte, in den sie stand. Erleichtert trat sie ins Licht.
„Deya! Gütige Göttin, du bist es!“ Aufseufzend ließ sich Mairi ins Kissen sinken. Deya zog den Dolch aus der Wand und trat an das Bett. Sie reichte Mairi ihren Dolch und umarmte sie dann heftig. „Dir geht es gut, Liebes. Den Göttern sei es gedankt. Ich dachte, ich würde dich nie finden. Ist Lyssa auch bei dir?“ Mairi sah sie beunruhigt an. „Nein, ich dachte sie wäre bei dir? Cedric ließ kein Wort über euch beide verlauten, deshalb ging ich davon aus, ihr hättet flüchten können. Wie hast du mich hier überhaupt gefunden?“

Deya lächelte. „Vergiss nicht, dass das hier früher mein Zuhause war. Dies ist der mit Abstand sicherste Raum in diesem Heim. Die Tür ist ziemlich dick und unter dem Fenster ist eine breite Dornenhecke – unter der ich übrigens hindurchgekrochen bin. Nicht das ich dabei unverletzt geblieben wäre.“ Deya sah wehmütig auf ihre zerkratzten Arme. Dann stand sie mit einem energischen Gesichtsausdruck auf. „Na komm, dann wollen wir schnell von hier verschwinden.“

Mairi sah sie nur an und schlug ohne Worte die Decke zurück. Deya erkannte die Ausmaße ihres verletzten Knies sofort. Sie runzelte die Stirn. „Nun, das könnte sich schwierig gestalten. Lass mich nachdenken.“ Ruhelos lief sie auf und ab. Mairi folgte ihr mit ihren Blicken. Unwillkürlich drängte sich ihr der Vergleich mit einem gefangenem Schneelöwen in den Sinn. Deya strahlte eine fremde Wildheit und Rastlosigkeit aus, die ihr völlig unbekannt war. Schließlich blieb Deya stehen und fixierte Mairi mit einem prüfendem Blick.

„Kannst du aufstehen?“ Mairi nickte und griff nach dem Stock, den ihr Cedric gütigerweise zur Verfügung gestellt hatte. „Geh zum Fenster und warte. Und sei ruhig, damit die Wachen nicht auf uns aufmerksam werden. Wie ich sie kenne, werden sie dem Wein ausgiebig zugesprochen haben und schlafen, aber wir sollten vorsichtig sein.“ Sie schwang sich aus dem Fenster und stellte sich auf das Fensterbrett. Mit einem kräftigen Schwung stieß sie sich vom Fensterbrett ab und landete außerhalb der Dornenhecke.

Mairi sah ihr nach, wie sie in der Nacht verschwand. Sie wusste nicht, wie lange sie gewartet hatte, als sie eine undeutliche Gestalt auftauchen sah. Sie konnte nur hoffen, das es Deya war und nicht irgendein Wächter, der seine Runde drehte.
Sie sah etwas auf sich zufliegen und ergriff es geistesgegenwärtig. Es war ein Seil. Mit Gesten gab ihr Deya zu verstehen, es irgendwo fest zu machen. Ihr Blick fiel auf das schwere eicherne Bett. Sie schlang das Ende des Seils um einem massiven Bettpfosten und warf danach das Seil zurück zu Deya.

Sie sah wie sich das Seil spannte und entnahm daraufhin den Gesten Deyas sich daran hinab zu lassen. Sie ging zu dem Kleiderschrank, in dem ihre Kleidung verwahrt wurde und zog ihre Handschuhe und ihre lederne Reithose hervor. Vorsichtig kletterte sie aus dem Fenster, konnte es aber nicht vermeiden, mit ihrem Knie an den Fensterrahmen zu stoßen. Sie konnte eben noch ein Stöhnen unterdrücken, als ein glühender Schmerz ihr Bein hinaufjagte. Ihr wurde übel und sie klammerte sich an dem Brett fest. Als ihr Knie sich nicht mehr anfühlte, als würde es entzwei gerissen werden, hakte sie sich an das Seil und ließ sich hinunter gleiten. Unten angekommen fing Deya sie vorsichtig auf.

Sie sank langsam ins Gras und atmete stoßweise. Von ihrem Knie gingen Wellen des Schmerzes aus. Es fühlte sich an als würde es pulsieren und anschwellen. Nach einer flehenden Geste Deyas stemmte sie sich hoch und stützte sich auf Deya. Diese schleppte sie leise und schnell vom Haus fort, in den Wald hinein.

*****

Nebelschwaden zogen durch den Park. Lyssa konnte sich nicht erinnern, aufgestanden zu sein. Sie war nach dem Fest müde in ihr Bett gekrochen und sofort eingeschlafen. Wie kam sie hierher? Sie wollte sich schon umdrehen, um zurück ins Haus zu gehen. Da hörte sie etwas. Es klang wie Schluchzen. Irgendwie kam ihr die Situation bekannt vor. Sie lauschte der Quelle der Geräusche und kam näher. Aus den Nebelschwaden schälte sich eine Bank und darauf saß ein Mädchen.

Als Lyssa es an der Schulter berührte, fuhr der Kopf hoch. Es war Maglian. Entsetzt starrte sie Lyssa an. „Maglian, komm ins Haus. Es ist kalt.“ Sie fasste das Mädchen unter der Schulter, als sie eine verwirrte Stimme sagen hörte: „Was macht ihr hier? Wie kommt ihr hierher?“ Nun sah sie fassungslos drein, denn die Stimme kam aus Maglians Mund. Lyssa sank neben Maglian auf die Bank und starrte sie an. „Ich verstehe das nicht. Ihr könnt nicht hier sein. Ich habe euch nicht eingeladen.“ Sowohl die Worte als auch die Bedeutung kamen bei Lyssa an, doch sie verstand immer noch nicht.

„Wie...wie kann das sein? Maglian, du kannst reden? Wie ist das möglich?“ Nun lächelte Maglian etwas. „Dies ist meine Welt. Das da draußen, das ist nur ein böser Traum. Das hier ist meine wirkliche Welt. Hier kann ich reden und hören und lachen. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, aber ich konnte schon immer hier her kommen. Hier bin ich kein Krüppel. Hier bin ich ein ganz normales Mädchen. Aber...“ und hier stockte sie, „andere können nur in diese Welt kommen, wenn ich sie eingeladen habe. Nur Silken kennt diesen Ort außer mir. Wie kommt ihr hierher?“


Lyssa schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich bin nach dem Fest direkt in mein Bett gegangen und bin eingeschlafen. Ich weiß nicht, wie ich hier her gekommen bin. Ich stand auf einmal hier und habe dein Schluchzen gehört. Weshalb hast du geweint, Maglian?“ Das Mädchen sah sie traurig an. „Wegen euch. Ihr verlasst uns. Nun wird mich keiner vor Svar schützen. Silken wird die nächsten Monate im Bett verbringen und ich kann mich nicht ewig in ihrem Zimmer verstecken. Svar hasst mich, weil ich ein Krüppel bin und in seinen Augen nutzlos. Das stimmt. Ich kann zwar in der Welt draußen hören, aber ich kann mich nicht verständlich machen. Und weil mich alle für nutzlos halten, hat mich niemand jemals die Sachen gelehrt, die ich wissen müsste. Ich kann nicht mit Pferden umgehen, ich kann nicht kochen, ich kann nicht tanzen, ich kann nicht sticken. Ich kann vieles nicht. Das einzige wozu ich immer gut war, war das Putzen und Bedienen der Anderen. Wenigstens etwas das ich kann.“ Verbittert starrte sie zu Boden.

Lyssa sah sie hilflos an. Es musste doch eine Möglichkeit geben, Maglian zu helfen. Die Hilflosigkeit fühlte sich in ihrer Brust an wie ein Klumpen. Plötzlich schien dieser Klumpen wärmer zu werden. Gleichzeitig wurde es um sie herum heller. Sie sah zum Himmel, aber dort schien ein blasser, schemenhafter Mond. Dann sah sie an sich herunter. Dieses Glühen kam von ihr selbst. Es ging etwa von der Mitte ihrer Brust aus und wurde stetig heller und heißer. Maglian starrte sie mit offenem Mund an. Lyssa musste die Augen schließen vor dem Glühen. Plötzlich war alles vorbei. Sie öffnete langsam und vorsichtig die Augen. Sie glühte nicht mehr.

Stattdessen lag vor ihren Füßen ein Buch. Es sah kostbar aus. Es war aus weinrotem Leder mit prächtigen silbernen Einschlägen am Buchrücken und auf Vorderseite und Rückseite. Ein verschlungenes silbernes Schloss sicherte die Seiten. Lyssa nahm es auf und blätterte zu der ersten Seite. Sie war leer. Sie blätterte die nächsten Seiten um. Sie waren alle leer.

Maglian nahm ihr staunend das Buch aus den Händen. „Was ist das? Wie habt ihr das gemacht.“ Lyssa lächelte etwas verwirrt. „Wenn ich das wüsste, Maglian.“ Maglian blätterte vorsichtig die Seiten um. Sie waren cremefarben und hatten alle einen dezenten Silberrand. „Ich wünschte, ich wüsste, für welchen Zweck dieses Buch ist.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, glühte das Buch in ihren Händen auf.

Erschrocken ließ sie es fallen. Lyssa hob es eilig wieder auf und strich den Staub vom Einband. Aber als sie die erste Seite aufschlug, verschlug es ihr den Atem. In zierlicher schwarzer Schrift stand da: Ich wurde erschaffen, um deine Wünsche zu erfüllen.
Maglian starrte das Buch fassungslos an. „Wie ist das möglich? Lyssa, was ist das? Magie?“ Lyssa reichte den Band ehrfürchtig Maglian. „Ich glaube, es ist genau das. Und es scheint für dich zu sein. Es hat deinen Wunsch erfüllt. Schnell, wünsche dir etwas. Eine Kleinigkeit.“ Maglian sah unentschlossen drein. Schließlich versuchte sie es. „Ich...ich wünsche mir eine Fleischpastete?“ Zweifelnd sah sie auf das Buch. Und wieder glühte es auf. Daraufhin lag eine heiße Pastete neben ihr und die nächste Seite war von der schwarzen Schrift ausgefüllt.

Erst ungläubig, dann staunend und dann freudig sah Maglian Lyssa an. „Lyssa wisst ihr, was das heißt? Ich kann mir alles wünschen. Ich kann reiten lernen und tanzen und kämpfen, so wie ihr. Und....und...sprechen kann ich lernen. Wie ihr das auch gemacht habt, ich danke euch. Oh, ich danke euch so sehr.“ Freudestrahlend umarmte sie Lyssa.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Ach da schau an! Das Sommerloch schließt sich. Die Leser kehren an die Bildschirme zurück. Schreiber und Schreiberinnen werfen ihre kreativen Motoren wieder an und es geht weiter.
In diesem Falle: durch die vielen Namen und Szenenwechsel ergibt sich ein schwieriger Wiedereinstieg. Aber egal! Endlich gehts weiter.
Ich werde mir zum Schluß sowieso das komplette Werk vornehmen (und die Kochrezepte aufschreiben *ggg*)
Bin gespannt wie das jetzt weiter geht.


Stefan Steinmetz (02.10.2003)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Lichtnetz - Inhaltsangabe  
Lichtnetz (Part 15)  
Lichtnetz (Part 14)  
Lichtnetz (Part 13)  
Lichtnetz (Part 12)  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De