42


3 Seiten

Und die Welt stand still...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
General John Clayton stand im Zentrum eines Raumes, der seine derzeitige und wohl letzte Macht darstellte. Nervös lief er hinter einem Sergeant auf und ab. „Ist das sicher?“, fragte er und warf einen Blick auf den Radarschirm. „So unglaublich es sein mag, Sir. Sie schicken ihr ganzes Arsenal“, gab der Sergeant betrübt zurück. Clayton nickte und griff zum Telefon. „Hier General Clayton. Wir bestätigen die Meldung aus Europa. Tausende Rakete sind gestartet worden“, meldete er ruhig. „Aufschlagszeit?“, fragte der Präsident knapp. Clayton sah den Sergeant an. „Die ersten werden in zehn Minuten in Europa einschlagen. Ich schätze, dass die erste Rakete den amerikanischen Boden 50 Minuten danach treffen wird“, antwortete der Mann. Clayton gab die Information weiter. Er hörte wie der Präsident seufzte. „Und das nach all den Verhandlungen... General führen sie den Prioritätsbefehl aus“, antwortete der Präsident und legte auf. Clayton stand einige Minuten reglos da und hielt den Telefonhörer in der Hand. „Sir? Der Befehl... soll ich die Silos verständigen?“, fragte der Sergeant. „Ist das noch wichtig? Wenn die Raketen runterkommen geht die Welt eh vor die Hunde. Sie kennen die Prognose. Fahren sie zu ihrer Familie, dass ist mein letzter Befehl an sie und alle anderen auf dem Stützpunkt. Machen sie es gut, Jerry“, antwortete er lahm, legte den Hörer auf den Tisch und ging langsam zur Tür. Der Sergeant schaute dem General nach und salutierte. „Sie ebenfalls, Sir“

Clayton fuhr mit dem Aufzug nach oben und betrat die Außenwelt. Die Sonne strahlte und Vögel zwitscherten. Von irgendwo drang Gelächter zu ihm und resigniert schüttelte er den Kopf. Es klickte in den Lautsprechern die über die ganze Anlage verteilt waren. „An Alle! Der Stützpunkt ist sofort zu räumen. Die Russen haben mehrere Atomraketen abgeschossen. Suchen sie sofort Schutz“, erklang die Stimme des Sergeant. Clayton ging zu seinem Wagen, schaute auf die Uhr und stellte eine kleine Kopfrechnung an: 40 Minuten! Er würde es nie nach Hause schaffen. Clayton griff zum Handy und rief seine Frau an. „Carol? Hör zu. Nimm die Kinder und komm zu dem See... ja genau, dort wo wir uns das erste mal getroffen haben. Beeil dich“, sagte er schnell und legte auf. So schnell es ging verließ er den Stützpunkt. Seine Uhr hatte er auf geschätzte Ankunftszeit der Raketen gestellt. Betrübt stellte er fest, dass er noch 30 Minuten hatte und noch zehn vom See entfernt war. Die Straße waren wie leergefegt. Die Ansage des Präsidenten, an die Bevölkerung zum nationalen Notstand war ausgeblieben. Warum die Leute in Panik versetzen? Es würde eh niemand überleben, sagte sich der General insgeheim und bereute diesen Gedanken sofort. Hatte er dafür gekämpft? Hatte er dafür sein Leben der Army geopfert? Die Frau die er liebte geheiratet? Seine Kinder in die Welt gesetzt? In weniger als 30 Minuten würde dies alles zu Staub zerfallen und Clayton erkannte, dass es nicht immer gut war das geheimste vom Geheimen zu erfahren. Der einfache Bürger würde die letzten Minuten auf Erden genauso sorglos erleben wie die Tage davor. Wenn es soweit war, würden einige wenige noch den hellen Blitz sehen und sich fragen was das war. Dann kam die Druckwelle und alles war vorbei. „Die Glücklichen“, dachte der General und lenkte den Wagen auf die Wiese vorm See. Er stieg aus und hielt nach Carol Ausschau. Sie war noch nicht in Sicht. Die Zahlen auf der Armbanduhr tickten weiter: 19 Minuten! Clayton ging zum Ufer, lies sich nieder und starrte über das Wasser hinweg in die Ferne. Es war alles so ruhig. Clayton sah einen Mann mit seinem Hund spazieren gehen. Einige Kinder schwammen an diesem Sommertag im See. Ihr Gelächter trieb ihm wieder Tränen in die Augen. Sie würden nie die seltsamen Wandlungen des Lebens erfahren. Nie erfahren was es heißt jemanden zu Lieben und einander zu gehören. Nie selber Kinder haben. Der General schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen. „Wo bleibt, Carol?“, fragte er sich wieder und blickte sich um. Nichts! Er wollte nicht, dass sie alleine mit den Kindern starb. Er wollte, dass sie überhaupt nicht sterben, aber was sollte er tun? Ihm blieb nichts anderes übrig, als dazusitzen und zu warten. Die Uhr piepte, als sie die zehn Minuten unterschritt. Sein Handy klingelte, er hob ab. „Carol!“, seufzend stellte er fest, dass es der Präsident war. „General! Sie haben den Befehl nicht ausgeführt! Erklären sie mir, wie es dazu kam! Fast alle europäischen Staaten sind schon von der Landkarte gefegt!“, schrie der Präsident wütend. Clayton blieb ruhig. „Sir, es hätte nichts geändert. Die Russen werden den nuklearen Winter nicht überleben. Sie kennen die...“, aber er wurde unterbrochen. „Das ist mir egal! Befehl ist Befehl! Führen sie ihn aus!“ Clayton lachte laut auf. „Das kann ich nicht, Sir. Ich bin ja nicht mal mehr im Stützpunkt“ Mehrere Pieptöne ließen ihn auf die Uhr blicken: 60 Sekunden. „Sir, wir sollten uns besinnen und dem Ende entgegen sehen. In knapp einer Minute...“ begann Clayton und hielt inne als er den Wagen seiner Frau erblickte. „Clayton! Sie werden...“ Doch der General bekam dies nicht mehr mit, im hohen Bogen flog das Handy in den See und er rannte zum Auto. Seine Frau stieg aus und blickte ihn überrascht an: 30 Sekunden „John. Warum...?“, begann seine Frau, doch er unterbrach sie sofort mit einem Kuss. Sie schaute ihm wieder in die Augen und verstand: 15 Sekunden! Clayton schloss seine Kinder in die Arme und bat sie stark zu sein und Tränen liefen über seine Wangen. Arm in Arm stand die Familie da. Die Uhr piepte ein letztes mal und die Zeit war um. Die russischen SS-N-20 Seahawk erreichten den amerikanischen Kontinent und gingen in zahlreichen Großstädten nieder. Clayton sah noch den Blitz, die Druckwelle aus zusammengepresster Luft. Er schloss die Augen und spürte einen Teil der Hitze. Innerhalb von Sekunden war es vorbei und die Welt stand still...

- Ende -

© 2004 by Daniel Lohmeyer
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Danke, dass sie dir gefallen hat ;o) Hatte sie etwas zu früh eingesendet. Hätte noch so vieles ändern können. Aber für mich waren die gesetzten Zeichen zu wenig *g* Das hätte vielleicht am Ende die ganze Geschichte vers**t

Daniel Lohmeyer (12.07.2004)

Ich fand die Geschichte gut.
Da hatten wir wohl die gleiche Idee...
An manchen Stellen wirst du etwas abgehackt und du hättest den Count down mehr raushauen können aber unterm Strich ne gute Geschichte.


Boris (06.03.2004)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
The Castle - Inhaltsangabe  
Der Feind in mir - Inhaltsangabe  
Stille Tiefe (4000 Worte Fassung)  
Hartz IV  
Das Trauma  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De