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3 Seiten

Omas Schal

Trauriges · Kurzgeschichten
Die Sonne schien von einem leicht bewölkten Himmel. Stille lag über dem kleinen Dorf, nur das leise Zirpen der Grillen war zu hören. Es war Sonntagnachmittag, die älteren Bewohner hatten sich zum Mittagschläfchen in die Häuser zurück gezogen. Väter arbeiteten im Garten oder bastelten an ihren Autos. Mütter erledigten den Abwasch und hatten für ihr Kinder keine Zeit.
So auch Anjas Mutter, eigentlich hatte sie am Tage nie Zeit, nur abends wenn sie die Tochter badete, dann sang und lachte sie mir ihr.
Die kleine Anja lag auf der Hollywoodschaukel und schaute in den Sommerhimmel. Fasziniert beobachtete sie, wie die weißen Wattewölkchen sich wie von selbst bewegten. Von den Winden, die da oben herrschten hatte sie keine Ahnung. Vor ihren Augen entstanden Gebilde, die sich immer wieder veränderten.
Gott wohnt im Himmel, hatte die Oma gesagt, aber so sehr sie auch schaute, sie konnte ihn nicht sehen.
Spielte Gott mit den Wolken?
Gerne hätte sie die Oma danach gefragt, aber Oma war nicht mehr da. Oma ist im Himmel hat Mama gesagt.
Aber wo?
Sie streckte ihre kleinen Händchen hoch, der Himmel war so weit, selbst als sie auf den Tisch kletterte, sich auf Zehenspitzen stellte, konnte sie ihn nicht greifen.
Enttäuscht kletterte sie wieder hinunter, ging ins Haus und suchte ihre Mama.
Ihr Mutter saß mit gesenktem Kopf in der Stube auf dem Sofa. Weinte die Mama? Ganz langsam näherte Anja sich, als sie vor ihr stand hörte sie leises Schluchzten, sie hockte sich hin, um in ihr Gesicht zu sehen.
„Mama“, zaghaft hatte sie die Hand nach ihr ausgestreckt. Erschrocken hob die Mutter den Kopf.
„Ach Anja“, sie wischte mit beiden Händen über ihr Gesicht, damit sie ihre Tränen nicht sehen konnte, „ich hab keine Zeit, geh zu deinen Schwestern in den Garten“, sie lächelte gequält, die Kleine drehte sich um und ging.
Sie hatte keine Lust zu ihren Schwestern zu gehen, die ließen sie sowieso nie mitspielen, deshalb lief sie die Treppe hinauf, um ins Kinderzimmer zu gelangen. Oben angekommen entdeckte sie, dass die Bodenluke offen und die Stiege zum Dachboden herunter gelassen war.
„Papa?“, keine Antwort.
Es war ihr verboten auf den Boden zu klettern, neugierig sah sie nach oben.
„Papa?“, fragte sie noch mal während sie die ersten Stufen erklomm.
War da nicht ein Geräusch?
Wer ist da oben?
Ohne zu überlegen kletterte sie immer höher hinauf. Oben angekommen öffnete sie staunend den Mund. Zartes, beinah rosa schimmerndes Sonnenlicht, in denen tausend Staubkörnchen wie goldene Pünktchen tanzten, fiel durch die Ritzen der Dachbalken, verlieh dem Raum etwas Zauberhaftes. Leichter Wind bewegte die weiße Bettwäsche, die ihre Mutter zum Trocknen aufgehängt hatte. Kichernd lief sie durch die Wäschestücke, ihr nackten Füßchen verursachten ein leises Platschgeräusch, so als ob ein Wassertropfen in den leeren Ausguss fiel. Sie versuchte die Körnchen zu greifen, doch jedes Mal grabschte sie ins Leere, egal wie behutsam sie es auch versuchte, wenn sie ihre Händchen öffnete waren die Körnchen verschwunden. Der warme Wind strich federleicht über ihre Arme, sie wünschte sich Flügel, um in den Himmel zu fliegen, durch die Wolken zu tauchen, auf den Lichtstrahlen zu rutschen ....
Plötzlich bleib sie stehen, hier oben war es warm und die Luft stickig, aber ganz eindeutig vernahm sie den Geruch ihrer Oma, unwillkürlich lächelte sie, drehte sich im Kreis.
„Oma?“, ihre Stimme zitterte einwenig, als sie ihn auf einer Kiste entdeckte, Omas Schal.
Er lag da in der Sonne, wie immer wenn sie ihn abgenommen hatte weil ihr zu warm war. Zaghaft streckte sie ihre Hand aus, schloss die Augen und atmete ihren Duft ein.
Oma - ihr war als könnte sie wieder ihre Wärme spüren, fühlte ihre zarten Hände auf ihrer Haut. Ist dies der Himmel?
Oder hat Oma ihren Schal nur vergessen?
Dass ihre Mutter einige Sachen der Oma, von denen sie sich nicht trennen konnte, hier oben aufbewahrte wusste sie nicht. Umständlich wickelte sie sich in den Schal und begann mit der Oma zu reden. Fragte sie wie es ihr geht. Zeigte ihr die Sonnenstrahlen. Wollte wissen ob sie Gott gesehen hatte, ob er mit den Wolken spielte. Lief kichernd durch die kreuz und quer gespannten Wäscheleinen. Stellte sich vor der Schal sei die Oma und spielte mit ihr Fangen, bis sie sich erschöpft in eine Ecke setze. Noch immer lächelnd blinzelte sie in die Sonnenstrahlen, deckte sich mit dem Schal zu und schlief ein.

So fand ihr Vater sie. Auf der Suche nach ihr hatte er die offene Dachluke entdeckt und war mit klopfenden Herzen nach oben gestiegen, erleichtert atmete er aus, Gott sei Dank war ihr nichts geschehen.
Wie sie da lag, den kleinen Daumen im Mund, das feuchte Haar klebte ihr an der Stirn, sah sie aus wie ein Engel.
Er kniete sich nieder zu ihr, streichelte behutsam ihre Wange, lächelte leicht.
„Hallo Engelchen, hast du geschlafen?“
Sie blinzelte ihm entgegen, nickte rieb sich die Augen während sie herzhaft gähnte.
„Papa?“
„Ja, mein Engel?“
“Wohnen Engel im Himmel?“, wollte sie wissen .
Er spielte mit ihren Löckchen, strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich weiß nicht“, unsicher zuckte er die Achseln, er wusste nie was er ihr oder ihren Schwestern auf solche Fragen antworten sollte.
„Wie kommen sie da hin?“
Nun hob er sie zu sich auf den Schoß.
„Ich glaube sie reisen auf den Wellen unserer Träume.“ Erst jetzt sah er womit sie sich zugedeckt hatte, „möchtest du den behalten?“
„Nein, ich möchte ihn Oma geben, sie hat ihn vergessen“, erklärte sie.
Er schluckte, nun wusste er überhaupt nicht mehr was er sagen sollte.
„Komm, wir gehen zur Mama.“ Zustimmend nickte sie. Als sie die Treppe hinunter kletterten fragte sie plötzlich
„Papa, träumst du heute Abend?“
 
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Kommentare  

Hallo, traurig schöne Geschichte. Gefällt mir sehr gut. lg Sabine

Sabine Müller (13.03.2006)

Oh... hat doch WebStories eine Top-Autorin mehr... *zwinker
"Omas Schal" ist ein prima Einstieg

Alles Liebe
Ralf


Ralf Bier (07.10.2004)

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