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3 Seiten

Lebensentscheidung

Kurzgeschichten · Romantisches
„Duu, darf ich die Wauwau Ei machen?“
Eine zarte piepsige Stimme drang an Marys Ohr. Die Stimme gehörte zu einem kleinen Mädchen, fast noch ein Baby. Auf wackeligen Beinen kam sie ihr entgegen. Die dünnen braunen Haare, eher ein Flaum, der noch den Blick auf die Kopfhaut frei ließ, wehten leicht im Wind.
„Duu, darf ich?“
Diesmal verlieh sie ihrer Frage ein wenig Nachdruck indem sie, nun bei Mary angekommen, an ihrer Jacke zerrte. Mary blickte zu ihr hinunter, sie war so süß, wie sie mit ihren großen noch kindlich unschuldigen Augen zu ihr hinauf sah, sich rhythmisch nach einer imaginären Melodie hin und her bewegte. Am liebsten hätte Mary sie in die Arme geschlossen und hochgehoben, aber Mary war verwirrt.
Wo um alles in der Welt war sie und warum war sie hier?
Sie hob den Blick und sah ihre Hündin Kaeyla, die die Kleine so gerne streicheln wollte, am Ufer eines Teiches, der knapp drei Schritte von ihr entfernt war, schnüffeln. Wunderschöne große Trauerweiden, deren Äste bis ins Wasser hingen, filterten das helle Sonnenlicht und zauberten herrliche Schattenbilder auf die Wasseroberfläche, die sich im leichten Wind kräuselte. Mary sah sich um, wo war die Mutter dieses Kindes? Wie kann man nur so ein kleines Kind in der Nähe von Wasser alleine lassen, fragte sie sich und wollte beschützend nach dem Mädchen greifen, doch ihre Hände griffen durch sie hindurch.
Oh mein Gott, entsetzt wich sie einige Schritte zurück.
Was war das?
Sie war aus dem Schatten der Bäume getreten, stand nun im Sonnenlicht und doch war ihr mit einem Mal kalt, eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken. Sie wollte Kaeyla rufen, damit sie vom Ufer wegkam und die Kleine nicht in Gefahr geriet, aber aus ihrer Kehl drang kein Laut.
„Oh, Verzeihung“, vernahm sie die Stimme eines Mannes hinter sich, der noch bevor sie sich umdrehte an ihr vorbei joggte, „hab sie nicht gesehen.“ Mary sah ihm hinterher, wie er einen Bogen um das Kind machte, das sich nun die Hände von Kaeyla abschlecken ließ und dabei glucksend kicherte. Die geschulte Hündin hatte ihren Körper so vor das Kind gestellt, dass, sollte die Kleine stolpern, sie gegen das Tier und nicht in den Teich fiel. Kluge Kaeyla.
Plötzlich änderte sich die Szenerie, mit einem Mal war das Ufer voller gehetzter Menschen, alte junge, Männer und Frauen. Mary sah, wie einige von ihnen Kaeyla verscheuchten.
„Geh weg! Böser Hund!“
Eine junge Frau mit verweinten Augen, hatte das kleine Mädchen auf den Arm, drückte es fest an sich, küsste es immer wieder. Vermutlich die Mutter, sie hat sie also doch gesucht, stellte Mary erleichtert fest. Alle versuchen das Kind irgendwie zu berühren, hin und wieder hörte sie ein „Gott sei Dank“ und ein erleichtertes Ausatmen. Sie stand unmittelbar zwischen all diesen Leuten doch keiner schien sie wahr zu nehmen, sie wagte es nicht einen von ihnen zu berühren. So schnell wie die Menschen gekommen, waren sie wieder verschwunden, Mary war allein.
Was geschieht hier?
„Was glaubst du?“
Noch während sie die Stimme hörte nahm sie wahr, dass es mit einem wahnsinnigen Tempo dunkel wurde. Mary drehte sich im Kreis, ihr Herz schlug heftig gegen ihre Brust und ihre Knie zitterten, irgendetwas schien sich um sie zu wickeln, wie wenn man sich im Schlaf um das eigene Nachthemd dreht. Angst ergriff Besitz von ihr, lähmte für einen Augenblick ihre Gedanken, bis sie ein leises Lächeln hörte.
„Wer bist du?“
„Ich bin die Zeit, die du immer verfluchst, und doch hab ich dich zu mir geholt.“
Die Antwort verwirrte sie.
„Wieso? Was hab ich mit der Zeit zu tun?“
Mary sprach leise, denn das Leben um sie herum ging weiter, Menschen kamen und gingen, ein Laternenumzug führte seinen Weg an ihr vorbei. Viele kleine Lichter spiegelten sich nun auf der Wasseroberfläche, kindlicher Gesang drang an ihr Ohr und dann das Weinen eines Jungen, dessen Laterne ausgegangen war. Ein Mann eilte zu ihm, strich über sein Haar, sprach beruhigend auf ihn ein, „...das macht nichts, ist nur ausgegangen, komm wir stecken die Kerzen wieder an...“, Gesprächsfetzen fing sie auf, der Mann klopfte seine Taschen ab, so als ob er ein Feuerzeug sucht, spontan kramte Mary ihr Feuerzeug hervor, wollte es an den Mann weiter reichen, aber er beachtete sie gar nicht. Es war als würde sie das Leben nur durch ein Fenster sehen, aber nicht an ihm teilnehmen können.
„Was willst du von mir?“
Wieder dieses zarte Lachen.
„Eigentlich willst du etwas von mir“, klärte die Stimme sie belustigt auf.
„Aber...“ Marys Stimme versagte.
„Ich gebe dir die Möglichkeit an deinem Leben teilzuhaben.
Die Zeit ist wie ein Fluss, durch den dein Leben führt. Viele meinen die Zeit fließt durch ihr Leben, aber das ist nicht so. Ich war von Anbeginn, das Leben taucht in mich ein, nicht umgekehrt. Durch mich hast du die Möglichkeit dein Leben zu bewegen, es zu formen, ihm eine Richtung zu beben. Doch du musst dich entscheiden etwas zu bewegen, nicht immer kannst du dich nur treiben lassen, dich entschuldigen durch Aussagen wie, es war nicht die richtige Zeit.“
„Du meinst ich darf nicht immer alles aufschieben?“
Ein zärtliches Lächeln war die Zustimmung.
„Dein Aufenthalt bei mir ist begrenzt, dessen solltest du dir bewusst werden.“
Diese Worte hallten in Mary nach während sie sah, wie das Leben an ihr vorbei lief, ein längst gehegter, doch immer wieder aufgeschobener, Wunsch sich Gehör verschaffte.

„Mary?“
Noch war seine Stimme weit weg, doch sie fühlte die Angst, die in ihr mitklang.
„Mary.?
Sie sah den unruhig hin und her wandernden Strahl einer Taschenlampe, der die dunklen Wege ableuchtete. Für einen kurzen Augenblick ergriff Panik ihr Herz, das war Brian, ihr Mann, was wenn er sie nicht hören, sie nicht zu ihm konnte?
„Bitte“, flüsterte sie, „lass mich gehen.“
Das zärtliche schon fast vertraute Lächeln entschwand mit dem leichten Wind in die Nacht. Mary hörte Kaeyla bellen, spürte den Lichtstrahl in ihrem Gesicht, kniffe die Augen zu.
„Ich bin hier.“
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen fühlte sie seine Nähe, seine Wärme, seinen Atem auf ihrer Haut. Beinah schwindlig vor Glück ließ sie sich in seine Arme sinken – sie war zurück, ein fast tonloses DANKE, entwich ihrem Mund.
„Mary, was war denn los, als Kaeyla ohne dich zurück kam wurde ich beinah wahnsinnig vor Angst“, gestand Brian ihr atemlos. Sie lächelte glücklich.
Sie war zurück, zurück in ihrem Leben, das sie leben und nicht leben lassen wollte, dem sie eine Richtung geben wollte, mit Brian an ihrer Seite und... wer weiß.
 
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