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4 Seiten

Lasagne für den Schutzengel

Kurzgeschichten · Romantisches
Maurice stand in der Küche, mit Hilfe seiner vierjährigen Tochter Vivian bereitete er das Abendessen zu, es sollte Lasagne geben. Im Radio lief ein alter Song von Queen, den er mitsummte, Vivian saß auf der Arbeitsplatte und bewegte sich im Rhythmus der Musik hin und her.
„Darf ich den Käse rauf tun?“, fragte sie aufgeregt, wie alle kleinen Kinder, denen es noch Spaß macht den Eltern zu helfen.
Ihr Vater nickte während er weiter mitsang.
„All we hear is Radio ga ga, Radio goo goo, Radio ga ga“
Nun tat er so, als wäre der Kochlöffel das Mikrofon und er Freddy Mercury, „Radio, someone still loves you!.“ Er spielte gekonnt Luftgitarre. Vivian lachte begeistert über diese Showeinlage. Sie liebte es, wenn ihr Vater ein bisschen verrückt war.
Es war ein Mittwochabend. Mittwochs ging ihre Mama arbeiten und kam erst spät zurück, so dass der Papa sich um sie kümmern musste. Vivian genoss diese Zeit, denn er kochte immer was sie gerne essen wollte, spielte verrückte Sachen mit ihr, und manchmal durfte sie auch noch länger aufbleiben.
Nachdem sie den Käse auf der Lasagne verteilt hatte hob er sie von der Arbeitsplatte, öffnete den Backofen, schob dann die Auflaufform hinein. Vivian durfte die Zeit einstellen, 30 Minuten, die Zahl kannte sie schon, sie kam sich sehr erwachsen vor.
„So, das dauert jetzt noch eine halbe Stunde in der ich...“
„Ich geh noch was malen“, unterbrach sie ihn und lief ins Wohnzimmer.
„Und ich lese die Zeitung“, vervollständigte er schmunzelnd seinen angefangenen Satz.
So saßen sie beide gemütlich im Wohnzimmer, es war still nur ab und zu hörte man das Knistern der Zeitung, wenn Maurice umblätterte.
„Papa?“
„Ja, meine Kleine“
Er sah von seiner Zeitung auf, „ was gibt’s?“
„Darf ich meinen Schutzengel einladen?“
Maurice schluckte, verdammt wieso stellte sie immer solche Fragen, wenn Geena nicht da war?
Überlegte kurz:
„Wieso deinen Schutzengel, ist dir etwas passiert?“
Erst als er dies ausgesprochen hatte, machte sich Angst in ihm breit, er stand auf und ging zu ihr hinüber, kniete nieder, strich sanft über ihre dunklen Locken, die er so liebte.
„Hat dir jemand wehgetan?“
Das Zittern in seiner Stimme beachtet die Kleine nicht.
„Nö.“
Sie schüttelte den Kopf.
Er schloss erleichtert die Augen.
„Aber heute im Kindergarten, da ist der Marc ganz nach oben auf den Turm geklettert, dass dürfen wir gar nicht, weißt du?“ Sie sah ihn mit großen Augen an, als wollte sie eine Bestätigung. Natürlich wusste Maurice dies nicht, oder hatte Geena etwas davon erzählt? Während er kurz sein Gedächtnis durchforstet nickte er, „ja und dann?“
„Dann ist da was kaputt gegangen, was sie uns immer gesagt haben, aber ich weiß nicht genau was...“ Sie überlegte.
Maurice schluckte, er hatte einen trocknen Hals.
„Das klären wir später, was ist passiert?“, fragte er ungeduldig.
„Ja, Marc ist da durchgebrochen und hat ganz laut geschreit, und dann ist er auf den Boden geschlagen, botsch...“
Zum besseren Verständnis stellte sie die Szene nach, lag nun mit verrenkten Armen und Beinen auf dem Wohnzimmerteppich.
„Oh Gott.“
Entsetzt schlug ihr Vater die Hände vor den Mund.
„Ach Papa.“ Vivian sprang auf und umarmte tröstend ihren Vater.
„ Der Sanitäterarztmann hat gesagt ihm ist nichts Schlimmes passiert“, erklärte sie, während sie den Kopf schüttelte und ihre dunklen Locken wie Jojos hüpften.
„Wer hat das gesagt?“
„Der Sanitäterarztmann“, sprach sie nachdrücklich.
„Die haben die gerufen, und die sind dann mit Tatütata gekommen, und wir mussten weg...“ sie drehte sich einwenig im Kreis.
„Wie weg?“, unterbrach er ihren Redefluss.
„Frau Marose ist mit uns rein gegangen, aber ich hab durchs Fenster gesehen. Die haben ihn auf so eine Trage gelegt, der Marc hat gar nichts mehr gesagt, nur seine Mama, die dann auch auf einmal da war, hat geweint.“
Maurice zog die Kleine zu sich auf den Schoß. Er hasste es, wenn Kinder so etwas mit ansehen mussten, drückte sie an sich und küsste ihre Stirn. Vor seinem inneren Auge tauchte die eben geschilderte Szene auf, dunkel erinnerte er sich an eine Elternversammlung im letzten Jahr, in der es um den maroden Turm ging. Wut stieg in ihm auf, dass war nun so lange her, nichts hatte sich getan... und plötzlich kam die beschämende Erkenntnis, dass auch er nie wieder nachgefragt hatte, solche Sachen überließ er Geena.
Vivians Stimme unterbrach seine Gedanken.
„Ja, und dann ist der Sanitäterarztmann zu uns gekommen, und hat gesagt, dass wir da nicht raufklettern dürfen, und immer machen sollen was Frau Marose sagt. Und als ich wissen wollte ob Marc nun sterben muss, hat er gesagt nein, sein Schutzengel hat auf ihn aufgepasst.“
„Ja, Süße, dass hat er wohl.“
Gedanken verloren schaute er durch den Raum, bis sein Blick an ihrer Zeichnung, die am Boden lag, hängen blieb. Ein rotes Auto und ein Wesen mit Flügeln, Schutzengel lächelte er.
„Hast du ihn schon mal gesehen? Und weißt du wie er heißt?“
„Wer?“
„Na dein Schutzengel“, erklärte sie nachdrücklich.
„Nein“, gab er zu und suchte noch nach Erklärungen. Warum um alles in der Welt, hatte er nie plausible Antworten auf ihre Fragen? Geena wusste immer weiter.
„Aber woher weiß du denn, dass der Engel zu dir gehört auf dich aufpasst?“
Nervös sah Maurice auf die Uhr.
„Und wenn mein Schutzengel mich nun vergisst?“
Er meinte Angst in ihren Augen zu erkennen, sie knabberte an ihrer Unterlippe.
„Das wird er nicht“, hauchte er ihr vollkommen überzeugt ins Ohr.
„Aber, der von Tante Vivian...“ Sie stand unvermittelt auf, „ von der ich den Namen habe, der hat sie vergessen oder nicht aufgepasst, oder vielleicht war er auch sauer, weil sie ihn nie eingeladen, oder...“
„Schscht“ unterbrach er ihren Ausbruch, legte beruhigend seine Fingerspitzen auf ihre zitternden Lippen, hielt dann ihr Gesicht ganz fest in seinen Händen, sah sie direkt an „Hör mir zu.“ Tränen schimmerten in ihren Augen.
„So war es nicht Süße, so war es nicht.“
Er dachte zurück an jenen nassgrauen Tag vor einem halben Jahr, als seine Schwester starb, sie war noch so jung, gerade mal zwanzig Jahre alt, alle meinten sie hätte ihr Leben noch vor sich, doch dann rammte ein übermüdeter LKW-Fahrer ihren Wagen, sie hatte keine Chance.
“ Als Tante Viv starb war er da, ihr Schutzengel“, fuhr er fort.
„Wirklich?“
Sie schniefte ein bisschen, wischte sich mit den flachen Händen über Augen und Wangen, sah ihn erwartungsvoll an. Er zog sie wieder zu sich auf den Schoß.
„Aber ja.“
Niemand hatte sich Gedanken darüber gemacht, wie viel Vivian von dieser Tragödie mitbekam. Tante Viv ist im Himmel, hatten sie ihr gesagt und sie schien mit der Antwort zu frieden zu sein.
„Nicht wir bestimmen, wann unsere Zeit hier zu Ende ist, dafür ist jemand anders zuständig, aber Tante Vivs Engel war bei ihr, fing sie ganz sanft mit seinen Flügeln auf und flog mit ihr davon, ohne dass es ihr weh tat, dass war seine Aufgabe, verstehst du das?“
„Huhmm“, meinte sie während sie gleichzeitig nickte und den Kopf schüttelte. Maurice lächelte, sicher war es schwer zu verstehen.
„Weißt du Vivian, ich denke es kann nicht schaden, seinen Schutzengel einzuladen, kann ja sein er mag auch Lasagne.“
Vivians Gesicht hellte sich, von einem zauberhaften Lächeln überzogen, auf.
Ein kleines Klingelgeräusch verkündete, dass die Lasagne fertig war.
„Essen ist fertig“, rief die Kleine, als sei nicht geschehen.
„Decken wir den Tisch, du die Sets, ich die Teller, ok?“
Sie nickte zustimmend, lief in die Küche, um die Sets zu holen. Noch immer nachdenklich stand er auf, als er sah, dass Vivian vier Sets auf den Tisch legte lächelte auch er...schien es so als hätte er diese schwere Aufgabe auf ohne Geena bestanden.


©Angela Redeker
 
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Kommentare  

Hallo, "Lasagne für den Schutzengel" - eine wirklich ergreifende, tolle Geschichte. 5 Pkt. Gruß Sabine

Sabine Müller (13.06.2006)

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