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7 Seiten

Endlich wieder Krieg!

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
Wenn die Menschen trotz der Religionen so schlecht sind,
wie würde es ohne sie sein?
(Benjamin Franklin)



Viele Freunde habe ich nicht.
Aber einen.
Einen großen.
Er wohnt weit weg.
Ganz weit weg.
Er ist groß und stark.
Es gibt nur zwei auf dieser Welt, die immer recht haben.
Er und der Liebe Gott.
Wenn die beiden mal nicht die gleiche Meinung haben, dann hat mein großer, weit weg seiender Freund immer recht.
Mein Freund hat einen Beruf, den erst so ungefähr vier Dutzend Menschen auf dieser Welt hatten.
Sie alle waren zu dem Zeitpunkt, als sie diesen Beruf ausüben durften, die mächtigsten Männer der Welt.
Dies haben sie jeweils selbst festgelegt.
Jeder für sich alleine.
Und jeder erklärte es der Welt auf seine Weise.
Das fand ich schon immer okay.
Zunächst wurde den Indianern erklärt wo sie hingehören, nämlich ins Reservat.
Dann wurde es immer besser.
Immer ausgeklügelter.
Im letzten Jahrhundert wurde es perfektioniert.
Die Nation meines großen Freundes wurde zur Weltmacht.
Man muss allen Menschen nur immer lange genug alles so erklären, bis sie es begreifen.
Die meisten haben nun endlich begriffen, dass das Land meines großen Freundes die einzige Weltmacht ist.
Und die wenigen, die das nicht begreifen, denen muss man es erklären.
Bis sie es begreifen.
Wie auch immer, das ist egal.
Mit allen Mitteln wird es ihnen erklärt.
Wer aufmuckt wird mit Waffengewalt auf den richtigen Weg gebracht.
Koste es was es wolle.
Und das finde ich geil.
Total geil!
Damals zum Beispiel in Korea.
Aber manchmal müssen andere Länder auch nur deshalb überfallen werden, weil mein Freund bzw. seine Vorgänger neue Waffen ausprobieren mussten.
Auch das ist okay, denn wenn andere Länder das Land meines großen Freundes überfallen wollen, muss mein Freund ja wissen, ob seine Waffen so funktionieren, wie es ihm vorschwebt.
Einige meinen, manchmal ginge es auch um Öl.
Aber das kann so nicht stimmen.
In Afghanistan z.B. gibt es kaum welches.
Aber trotzdem haben „wir“ dort alles plattgemacht.
1991 am Golf sind „wir“ damals nicht so recht weitergekommen.
Deshalb werden wir das jetzt wieder gutmachen.
Es ist ja nicht so, dass wir verloren haben.
Es ging halt nicht ganz so, wie es sich der Vorgänger meines Freundes damals vorgestellt hatte.
Wahrscheinlich war der auch nicht ganz so stark, wie mein Freund, der jetzt sein Amt übernommen hat.
Deshalb haben sie wahrscheinlich den von damals abgewählt und den neuen (meinen großen und starken Freund) dafür eingesetzt.
Na jedenfalls haben wir gegen das große Afghanistan glorreich gewonnen.
Der, den wir tot oder lebend haben wollten, ist zwar offensichtlich entkommen, aber unseren Krieg gegen dieses gefährliche Land haben wir gewonnen.
Und das ist ja die Hauptsache.
Und den anderen Typen, wegen dem mein großer starker Freund eigentlich diesen Krieg geführt hat, den bekommen wir auch noch irgendwann.
Wahrscheinlich hat die beste Armee der Welt ihn mutwillig erst mal laufen lassen.
Denn wie ich aus sicherer Quelle hörte, war dieser Osama Bin wasweißichwiedernochhieß vor nicht allzu langer Zeit noch ein großer Freund meines Freundes bzw. dessen Vorgängers, weil sie damals zusammen einen anderen, großen Feind bekämpften, der eigenartigerweise damals auch gegen Afghanistan Krieg geführt hatte.
Dann hat sich dieser Mann allerdings total gewendet.
Er ist jetzt der Hauptfeind meines besten Freundes.
So ganz begriffen habe ich das nicht, aber da mein großer Freund immer alles richtig macht, brauche ich nicht weiter darüber nachzudenken.
Nun jedenfalls geht bald wieder ein Krieg los.
Das ist geil.
Ich und mein Freund, wir werden die Sieger sein in diesem Krieg.
Das ist ganz sicher.
Natürlich geht es nicht um Öl bei diesem Krieg.
Es geht wie ich gehört habe darum, den dortigen Machthaber zu stürzen, weil er biologische und chemische Waffen besitzt.
Vielleicht sogar Atombomben, die dort hergestellt wurden.
Atombomben sind übrigens die Dinger, die einer der Vorgänger meines Freundes damals nach dem zweiten Weltkrieg direkt über Japan erfolgreich abgeworfen hat.
Mein großer Freund und seine Landsleute können also sehr stolz darauf sein, die Erfinder dieser Bomben gewesen zu sein.
Was ich nicht so ganz verstehe ist, dass das Land meines großen starken Freundes auch solche biologischen und chemischen Waffen besitzt wie das Land, dem mein großer starker Freund gerade den Krieg erklärt.
Aber kein anderes Land auf diesem Planeten kommt auf die Idee, meinem großen starken Freund deshalb mit Krieg zu drohen.
Aber das wird schon richtig so sein.
Es wird sich keiner getrauen, das Land meines großen starken Freundes anzugreifen.
Aber vielleicht geht es ja auch gar nicht um diese Waffen.
Vielleicht geht es um die Menschenrechte, die im Lande des Feindes mit Füßen getreten werden?
Dort werden viele Menschen geknechtet und gequält.
Im Lande meines großen starken Freundes dagegen ist soweit alles in Ordnung in Sachen Menschenrechte.
Das bisschen Rassenhass ist ja kaum der Rede wert.
Oder die Sache mit dem Ku-Klux-Klan.
Das ist letzten Endes ein internes Problem der Neger im Lande meines großen starken Freundes.
Deswegen muss man auch nicht unbedingt einen Krieg anfangen.
Aber es gibt bestimmt einen Grund, einen Krieg zu entfachen.
Vielleicht geht es um die Terroristen, die in diesem Lande, das mein großer starker Freund angreifen möchte, angeblich leben sollen.
Und wenn wir keinen geeigneten Grund für einen Krieg finden, schieben wir es eben auf den elften September 2001.
Vielleicht hatte einer der Terroristen, die die Flugzeuge auf das WTC stürzen ließen, einen Hund, der im Irak geboren wurde.
Diese komischen Selbstmordkommandos müssen ausgeschaltet werden.
Komischerweise hat der beste Freund meines besten Freundes in einem Land namens Israel auch einige Selbstmordattentäter ausgebildet, die sich dann an geeigneten Orten in die Luft sprengen.
Zum Beispiel in Kaufhäusern, in Bussen oder in Kindergärten.
Auch das verstehe ich nicht so recht. Wenn die anderen es machen ist es falsch.
Aber wenn mein Freund und seine Verbündeten exakt dasselbe machen, so ist es richtig.
Das muss daran liegen, dass mein großer starker Freund immer und jederzeit alles richtig macht.
Und er ist auch der einzige auf der Welt, der niemanden zu fragen braucht, wenn er losschlägt.
Alle anderen müssen nämlich erst fragen.
Dann werden Resolutionen erlassen und alles verläuft sich irgendwie im Sande.
Langweilig.
Und öde.
Irgendwie.
Mein großer starker Freund ist da gaaanz anders.
Er ist ein Mann der Tat.
Wenn er beschließt, dass es losgeht, dann geht es auch los.
Er ist ein Held.
Ein richtiger echter Held, der sich von niemandem etwas sagen lässt.
Der sich an keine Regeln halten muss.
Nein.
Er erstellt sogar selbst die Regeln für alle anderen.
Wow!!
Und alle anderen sollten sich an diese von ihm selbst erstellten Regeln halten.
Sonst kann nämlich mein größer starker Freund ganz schön böse werden.
Mächtig böse!!
Na mir kann es egal sein.
Hauptsache es gibt wieder mal einen richtig geilen Krieg.
Wo Bomben detonieren.
Häuser explodieren.
Menschen sterben.
Auch Kinder.
Das ist vielleicht schlimm.
Aber es gehört nun mal dazu.
Zu einem richtigen und wichtigen Krieg.
Verluste sind eingeplant.
Auch in den Reihen der Soldaten meines Freundes.
Aber hoffentlich sterben nicht allzu viele seiner gut ausgebildeten Helden.
Das würde mich ganz sehr traurig machen.
Die meisten davon kenne ich aus Filmen.
So wie Rambo zum Beispiel.
Aber der gewinnt immer.
Also mache ich mir keine Sorgen um ihn.
Andere Helden kenne ich aus Video-Spielen.
Sie sind dort drin unsterblich.
Selbst wenn sie schwer verletzt werden, können sie schon nach kurzer Zeit wieder mit voller Kraft kämpfen.
Sie haben dort nämlich nicht nur ein, sondern mehrere Leben.
Ob das bei den richtigen Soldaten im richtigen Leben mittlerweile auch so ist, weiß ich gar nicht so genau.
Aber ich denke schon.
Neuerdings kann man die ja sogar klonen.
Also selbst wenn einer von ihnen wirklich richtig echt sterben würde, so würden wieder und wieder Hunderte von neuen seiner Sorte hergestellt werden können.
Das ist doch ganz super!
Die anderen haben diese Technik noch nicht.
Vielleicht sind diese Länder auch zu arm dazu.
Aber das ist auch nicht weiter schlimm.
Um die ist es nicht schade.
Und schon gar nicht um deren Kinder, die auch bei diesem wichtigen Krieg getötet werden werden.
Diese besagten Kinder würden später alle als Terroristen ausgebildet werden und versuchen, meinen großen starken Helden anzugreifen und umzubringen.
Oder das gesamte Land meines großen starken Freundes.
Und genau das muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindert werden.
Warum wollen einige auf dieser Welt das einfach nicht begreifen?
Wahrscheinlich sind die zu blöde dazu.
Sicherlich haben sie bei weitem nicht die Intelligenz meines großen starken Freundes.
Wie dem auch sei.
Das muss jeder mit sich selbst und seinem Gewissen abmachen.
Wie gesagt, es ist nicht schlimm, wenn alle in diesem Land, das mein großer starker Freund angreift, sterben würden.
Denn dies würde einen neuen Krieg mit diesem Land vermeiden.
Und so würde es immer weiter gehen.
Allen, die nicht der Meinung meines großen starken Freundes sind, wird sofort der Krieg erklärt.
Dann wird das jeweilige Land mitsamt seiner Bevölkerung komplett ausgerottet.
Allerdings ...
Gegen wen soll mein Held dann noch einen Krieg führen, wenn er alle Kriege gegen alle Länder, deren Bürger nicht seiner Meinung sind, gewonnen hat?
Eine grausige Vorstellung für mich!
Eine richtige Horrorvision.
Hilfe!
Dann könnte man nie wieder real Blut spritzen sehen.
Oder live zuschauen, wie Menschen getötet, gequält, vergewaltigt bzw. abgeschlachtet werden.
Es würde dann sehr langweilig werden auf diesem Planeten.
Na egal.
Jetzt steht erst mal ein schöner Krieg ins Haus.
Da ich arbeitslos bin, werde ich mir alles live im Fernsehen anschauen.
Bei einem Bierchen im Fernsehsessel, dazu leckere Chips.
Das ist die neue Qualität des Krieges.
Wen es interessiert, der kann seinen Helden live bei der Arbeit zuschauen.
Und er wird somit immer über den aktuellsten Stand der Dinge informiert.
Oben rechts am Bildschirm müsste noch ein Ticker mitlaufen, der Auskunft über die Gesamtzahl der getöteten Feinde gibt.
So ähnlich wie bei meinem neuesten Video-Spiel aus dem Land meines großen starken Freundes.
Das ist ein gutes Training für einen Krieg.
Denn bei diesem Spiel muss man erst alle töten, um dann endlich ans Ziel gelangen zu können.
Vielleicht wird neuerdings sogar live gezeigt, wie die Soldaten meines großen und starken Freundes ihre Feinde abmeucheln.
Wie sie ihnen die Kehle durchschneiden.
Wie sie sie aus nächster Nähe mit ihren modernen Waffen abknallen.
Wie sie sie abschlachten.
Das stelle ich mir ganz geil vor.
Gesehen habe ich das ja alles schon.
Und zwar in den Filmen, die fast alle aus dem Land meines großen und starken Helden-Freundes kommen.
Da wird das alles schon mal vorab gezeigt.
Gewissermaßen original- und detailgetreu.
Und dort gewinnen auch IMMER die Guten.
Also die Soldaten, Einzelkämpfer bzw. Helden meines großen starken Freundes.
Das ist immer so super.
Man fiebert da richtig mit.
Ich hoffe immer, dass alle durchkommen.
Und meistens passiert das auch.
Und sie beschützen natürlich auch die Schwächsten Mitglieder im Lande meines großen Freundes.
Vor allem, wenn Frauen und Kinder in dem Land meines großen und starken Freundes bedroht werden von dem bösen und übermächtigen, heimtückischen und hinterhältigen Feinden.
Dann werden sie sie mit allen Mitteln verteidigen.
Aber Krieg ist Krieg.
Da können die Soldaten meines großen und starken Freundes natürlich keine Rücksicht auf Frauen und Kinder des Feindes nehmen und nur deren Männer ermorden.
Nein!
Da müssen alle dran glauben.
Sie hätten sich ja auch ergeben können.
Oder vorher auswandern sollen.
Denn mein großer und starker Freund hat sie ja lange genug und lange vorher alle ausreichend gewarnt.
Und jedermann weiß ja auch, dass mein großer und starker Freund keinen Spaß macht, was diese Angelegenheit betrifft.
Und natürlich auch keinen Spaß versteht.
Solange alle das machen was er sagt, ist alles in Ordnung.
Aber wehe einer stellt sich ihm entgegen.
Oder einer schießt sogar mal quer
Dann ist aber wirklich Schluss mit lustig ...

Hm ...
Da fällt mir gerade etwas ein.
Das ist aber jetzt merkwürdig.
Ich muss mal schnell was überlegen.
Ich überlege gerade ...
... was passiert eigentlich, wenn Deutschland immer wieder NEIN sagt zu den Kriegsplänen meines großen starken Helden?
Wird er dann auch gegen uns vorgehen?
Wird er uns dann auch alle töten?
Meine Eltern?
Meine Großeltern?
Meine Geschwister?
Nein, das glaube ich nicht.
Oder doch?
Was wäre denn, wenn es so wäre?
Mir läuft es gerade ganz kalt den Rücken herunter.
Ich bekomme jetzt echt ein wenig Angst.
Ein wenig Angst vor meinem besten Freund.
Aber mich würde er bestimmt verschonen, weil ich ja sein Freund bin.
Oder?
Stimmt ja ...
Wie soll ich dem Soldaten, der gerade mordlustig auf mich zurennt so schnell erklären, dass ich eigentlich sein Freund bin.
Weil ja sein oberster Chef mein allerbester Freund ist.
Und weil ich ja mit dem, was er Politik nennt, immer einverstanden bin.
Weil er ja immer recht hat.
Aber wiederum ...
... wieso gehen denn dann im Moment so viele Menschen in allen Ländern der Welt auf die Straße und demonstrieren GEGEN einen Krieg?
Einen, der noch gar nicht begonnen hat?
Einen Krieg, der ganz wichtig ist.
Wichtig für den weiteren Bestand der Menschheit.
- Wahrscheinlich sind die alle verrückt.
Wie kann man gegen einen gerechten Krieg demonstrieren?
Einen Krieg, der notwendig ist, um die Welt vom Bösen zu befreien.
Das verstehe ich nicht so ganz.
Ich muss also noch viel Fernsehen schauen und warten, bis mein großer starker Freund das alles allen Menschen so erklärt hat, dass nicht nur sie, sondern auch ich das begreife.

Am Besten wird es sein, wenn ich auswandere.
Direkt in das Land meines großen und starken Freundes.
Dort müsste ich ja sicher sein.
Bin ich auch.
Zumindest weitestgehend.
Zumindest dann, wenn ich nicht gerade in einem Hochhaus bin, das von einem Flugzeug angesteuert wird, das feindliche Terroristen (warum auch immer) gekidnappt haben ...



(geschrieben im Februar 2003)
 
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Kommentare  

Exht geiler Text. Und wenn alle verrecken gibs auch Frieden... lol lol lol

- (28.07.2006)

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