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5 Seiten

Das Flüstern I

Fantastisches · Kurzgeschichten
© Azzkir
Als das Feuer sein Haar erreichte, stieg mir ein unangenehmer Geruch in die Nase. Der zarte Rauch kroch in meine Nasenlöcher und breitete sich rasch in meinem ganzen Körper aus. Ein letztes Mal nun, spürte ich wie Liam Alvarez durch meine pochenden Adern fuhr. Ist dies seine Rache?
Er lag vor mir. Hier direkt vor mir und brannte. Seine viel zu weit geschnittene Robe hatte sich nun fast vollends im wilden Tanz der Flammen aufgelöst. Und wieder dieser gräßliche Geruch...
Das Kichern in meinem Kopf stimmte mir leise zu, sodass ich mit meinem kleinen Stock beruhigten Gewissens gegen Liams Körper stoßen konnte. Ich glaubte, sein Fleisch würde sich dadurch lockern, und die Flammen könnten so schneller in sein Inneres eindringen. Dann würde endlich dieser böse Geruch verschwinden...

Ich weiß noch genau, wann mich diese Stimme in meinem Kopf das erste Mal besuchte. Ich wohnte mit Bruder Lorenzo in einer kleinen, baufälligen Hütte weit ab von Varuna. Dort gab es solche Gerüche nicht... nur weite Landschaften, gesäumt von saftigen Wiesen und knorrigen Bäumen. Hier und da erlaubte man sich für landwirtschaftliche Arbeiten einige Felder umzugraben. Niemanden störte das, nicht einmal Bruder Lorenzo, dessen Naturverbundenheit so grenzenlos war, wie die weiten Untiefen der hohen See.
Zunächst war es nur dieses leise Rauschen im Ohr, doch schon bald erzählte mir dieses Geräusch seine ganz persönliche Geschichte... . Doch aus Angst, man könne mich für Besessen halten, habe ich niemandem etwas von meinem neuen Freund erzählt. Niemandem, außer meinem Tagebuch. Genauer genommen war es nicht mein Tagebuch, es war nichteinmal meine Idee, ein Solches zu führen. Vielmehr kam Bruder Lorenzo eines Tages zu mir, und drückte mir Federkiel und Pergament in die Hand. Wer konnte ahnen, das er es eines Tages wagen würde, einen verstohlenen Blick darauf zu werfen? Er, als ein Diener der Eluive?
Mit starrem Blick fixierte ich seine hellen, blauen Augen doch ich konnte nur Schmunzeln über seine lächerlichen Ausflüchte. Was meinte er damals? Das Flüstern sei das Böse in mir, es komme von Alatar selbst. Ich solle es einfach ignorieren... . Instinktiv griff ich nach dem Dolch, der noch starr in meiner Scheide ruhte. Nur schemenhaft konnte ich das zitternde Klirren des Dolches vernehmen, als ich ihn einige Millimeter aus der Scheide hob. Lorenzo taumelte nach hinten, doch die Holzwand des sperrigen Raumes bot ihm keine Gelegenheit zu Flucht. Dann - mit einem metallischen Surren – riss ich den Dolch aus dem Lederriemen und stürmte auf ihn zu. Mein Atem wurde schneller und schneller, das rasende Blut in meinen Adern drohte jeden Moment, sie unter einem gewaltigen Druck zu zerbersten. Doch dann – ich konnte mich kaum mehr im Zaum halten – kehrte dieses Gefühl zurück... . Ich weiß nicht was es war, aber es brachte mich dazu, nur wenige Zentimeter vor Lorenzo inne zu halten. Mein Blut pumpte immernoch in gewaltigen Schüben durch meinen Körper. Seine Augen... diese weichen, guten Augen... . Sie starrten mich an und wimmerten förmlich nach Gnade. Ich hörte immer klarer, irgendwann konnte ich Lorenzos Stimme vernehmen. „Alexiel, du kannst dich dem Bösen wiedersetzen...“ rief er mir ruhig zu. Ein weiteres Mal trafen sich unsere Blicke. Ich stand starr da, die Hand immernoch weit, zum Stich ausholend, hinaufgerissen. Plötzlich wurden Lorenzos Worte von etwas viel Höherem verdrängt... doch er hörte nicht auf zu sprechen. Seine dünnen, alten Lippen bewegten sich einfach weiter, aber ich hörte ihn nichtmehr. Doch vom einem Moment zum Anderen, hörte ich es ganz klar... Die Stimme ertönte in meinem Kopf und dachte garnicht daran, meinen Geist zu verlassen. Erst leise... und dann vollkommen klar. "Tu es... Tu es! Stich zu!"

Liams Haare waren fast heruntergebrannt. Im Kampf der Flammen, schlug das Feuer auf seine marode Brille über. Eine hauchzarte Rußschicht benetzte das dreckige Glas, irgendwann hatte sich dieser nachtschwarze Belag zum Rest der Brille hindruch gefressen. Und dann – ein leises Knacken. Zarte Risse zogen ihre unermüdlichen Bahnen über die Gläßer, der Ruß wurde regelrecht aufgesprengt und hinfortgewirbelt.
Die Vorstellung, das Bruder Lorenzo nun im Inneren der Welt bei Eluive saß, und mit ihr die Brocken dieser grausamen Erde zusammenhielt, entlockte mir ein Schmunzeln... eine Geste die mir bisweilen verwehrt blieb. Immerhin hatte ich meinen Stiefvater und Mentor ermordet. Ich hatte nichts mehr zu lachen. Wo sollte ich hin? Wer würde mich aufnehmen? Es hätte nichtmehr lange gedauert bis die ersten Dorfbewohner auf die leere Hülle des Alten gestoßen wären. Also zog ich meinen Dolch aus seiner faltigen Schläfe und verließ das Dorf. Weder Ross noch Gold konnte ich mein Eigen nennen. Ich streifte als Besitzloser durch die weiten Landen Alathairs, immer mit der nicht enden wollenden Gewissheit im Nacken, den nächsten Tag vielleicht nicht zu überstehen. Manchmal meldete sich dann die Stimme in meinem Kopf. Wir sprachen über alles mögliche – nur nicht über den Mord, den schwiegen wir Tod. Das Flüstern half mir, mich in den dunklen Gefilden der Nacht zurecht zu finden. Auch wenn wir wiedereinmal an eine der vielen Kreuzungen angekommen waren, bat ich es um Rat... und wie immer, half es mir. Glücklicherweise kam ich bei meiner Reise ins Nirgendwo an einigen Dörfern vorbei. Die Bewohner jener heruntergekommenen Siedlungen konnten die Stimme auch nicht hören, doch das war mir egal. Denn wenigstens konnte ich diesen Wesen nun eine bedeutende Rolle in meinem bisherigen Leben zusprechen: Sie besaßen Gold.
Genauer genommen war es mein Gold... ich musste es mir nur wieder beschaffen. Meistens waren es noch junge Mädchen, kaum älter als 19 Sommer, die ich für diese Maßnahmen wählte. Das Flüstern mochte ihr süßes Blut und ihre reine, unverdorbene Jungfräulichkeit. Manchmal, wenn ihm ein Mädchen besonders gut gefiel, zerrte ich es in eine dunkle Ecke des Dorfes und machte, dass es ihm nichtmehr gefiel. Ihre Lustschreie verrieten mir, dass sie das Privileg, MICH als letzte Person in ihrem kurzen Leben zusehen, sichtlich genossen.
Die Stimme und ich wuchsen zu einem festen, eingespielten Duo heran. Er hörte mir zu und ich ihm. Nichteinmal Weggabelungen stellten nunmehr ein Problem dar. Es sprach nichtmehr länger einfach nur mit mir. Vielmehr hatte ich das Gefühl, das es das denken für mich übernahm. Ich wusste genau was ich tun musste und wohin ich gehen sollte... denn das Flüstern wies mir den Weg.

Irgendwann war die Zeit des Herumstreunerns vorbei. Ich strebte Höheres an... nur nicht hier, nicht hier auf dem Land.
"VARUNA" prangerte in großen, reich verzierten Lettern an einem der zahlreichen Schilder am Wegesrand. Varuna – die königliche Hauptstadt dieser Landen. Nie zuvor durfte ich den Anblick einer solch edlen Stadt genießen. Um so glücklicher war ich, als ich erfuhr, dass jene prunkvolle Hauptstadt nurnoch wenige tausend Fuß von hier entfernt war. Also legte ich noch einen Schritt zu um meine lange Reise endlich zu beenden...

Es waren nurnoch wenige Meter zu laufen, doch schon jetzt konnte ich die gewaltigen Zinnmauern Varunas erblicken. Sie ragten massiv und doch majestätisch in die Luft, botem den grellen Wolken am Himmel ein schon fast gefährliches Hindernis. An einigen Mauervorsprüngen ließ man riesige Wandteppiche und Wappen der Königin herab. Sie verliehen den Zinnen eine angemessen königliche Note. Doch als ich näher kam, konnte ich erkennen, dass sie nicht das einzige Mauerwerk war, dass der Himmel zu verschlucken schien. Hinter ihr konnte man zahlreiche Ziegeldächer vernehmen, die im prallen Schein der Sonne hin und wieder aufblitzten...
Ehe ich mich versah, war ich schon an der breiten Brücke über den Burggraben angekommen. Dort warteten bereits die ersten Varuner Wachen in ihren mythrillblauen, prunkvollen Plattenpanzern. Sie standen ganz stramm am Ende der Brücke, als ich jene mit einem Lächeln auf den Lippen verließ... mein erstes Lächeln seit Wochen. War es dieser wunderbare Morgen? Die Stadt? Etwa die Wachen? Ich weiß es nicht. Selbst heute käme es nur einer anmaßenden Behauptung gleich, zu sagen, ich hätte es herausgefunden... Schien sich mein Leben etwa zu ordnen?
Ich ging weiter, immer weiter. Die Zielstrebigkeit führte meinen Fuß durch diese scheinbar nicht enden wollende Pforte zum Eingang. Rings um mich – die schönsten Blumen, die wenigstens davon habe ich je zuvor gesehen. Der riesige Torbogen kam immer näher und näher. Mein Schritt wurde schneller, ich konnte die herzliche Wärme dieser Stadt förmlich riechen... Oder war es doch wieder nur das süße Blut der Mädchen?

"Halt!" Ich stand nun im Torbogen, wenige Meter von meinem Glück entfernt. Plötzlich schoben sich zwei glänzende Metallplatten vor mein Gesicht. So kurz vor dem Ziel, versperrten sie mir den Weg? Ich ging einen Schritt zurück und erblickte zwei Wachen, die ihre, nur wenige Zentimeter vor mir gekreuzten Hellebarden nun wieder öffneten. "Halt! Ihr seid neu hier, es benötigt noch einige Formalitäten bevor ihr die Stadt passieren könnt!" hallte es aus dem Visir der Wachen. Ich nickte kurz und hielt sogleich inne. Kichern – weder von mir, noch von meinem Freund... . Wie in Trance wanderte mein Blick durch den spitz zulaufenden Torbogen. Das Kichern stammte aus den hohen Kehlen der vier Mädchen, die dort, nur wenige Meter vom Eingang entfernt, Verstecken spielten... Und in diesem Moment wurde mir bewusst, welcher Geruch mich so schnell über den Steinboden schweben lies...

~Fortsetzung folgt~
 
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warte auf die fortsettzung!

darkangel (10.02.2007)

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