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4 Seiten

AKK-Guerilla

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Heute ist es soweit. Der große Tag ist da.
Ich überprüfe letztmalig meine Ausrüstung. Ich trage meine schwarzen Turnschuhe mit den dünnen Sohlen, eine lange schwarze Sporthose und einen schwarzen Rollkragenpulli.
In meinem schwarzen Rucksack befindet sich eine Taschenlampe inklusive Ersatzbatterien, ein kurzes Brecheisen, ein kleiner Bolzenschneider, ein Seil, ein Armeemesser, Energieriegel, zwei Flaschen Wasser, ein paar kubanische Zigarren, ein mit Rum gefüllter Flachmann und natürlich die Flagge.
Der Rest liegt bereits in meinem Auto.

Von der Schuhcremedose lacht mich der Erdal-Frosch an. Ich schmiere mir mein gesamtes Gesicht oberhalb meines Vollbarts mit Schuhcreme ein und betrachte mich danach noch mal im Spiegel, während ich meine schwarze Hafenarbeitermütze und die schwarzen Lederhandschuhe anziehe.

Mir wäre wohler wenn ich schon eine Antwort auf meinen Brief erhalten hätte.
Doch auch so glaube ich fest daran, dass es mir gelingen wird.
Der Plan ist perfekt. Ich muss nur den Anfang machen. Den ersten Dominostein umwerfen. Alles andere ist ein Selbstläufer.

Ich nehme meinen Rucksack und verlasse die Wohnung. Im Hausflur grüße ich meine Nachbarin. Doch irgendwie scheint sie verunsichert zu sein und beeilt sich grußlos in ihrer Wohnung zu verschwinden.
Draußen steige ich in meinen alten 2CV.
Am besten nehme ich den Weg durch die Stadt. Sollte ich scheitern oder nicht zurückkommen können, möchte ich die Stadt, die Leute und die Lichter wenigstens ein letztes Mal gesehen haben.

Während meiner Fahrt werde ich geradezu euphorisch bei dem Gedanken wie ich das Leben der Menschen auf meinem Weg in Kürze verändern werde. Sie werden ein Teil vom großen Ganzen sein. Meinen Weckruf können sie einfach nicht überhören.

Bald werde ich die Grenze überqueren. Ich bin bereits auf der Rheinstraße und in der Nähe der Theodor-Heuß-Brücke.
Nichts und Niemand kann mich jetzt mehr aufhalten!
Doch, was ist das? Der Wagen vor mir zeigt mir die Kelle!
Nein! Das kann, das darf nicht sein!!!
Sollte ich wirklich im letzten Moment von den reaktionären Kräften aus dem eigenen Lager gestoppt werden?

Ich folge dem Wagen und fahre rechts ran. Zwei Polizisten steigen aus und sehen sich fragend an, als ihr Blick auf meine schwarzen Klamotten und das schwarz bemalte Gesicht fällt.
Das zu erklären könnte schwierig werden.
Ich kurbele vorsorglich beide Fenster runter während die beiden Polizisten schon mal den Sicherheitsriemen an ihren Pistolenholstern öffnen.
Dann stehen sie rechts und links von meinem Wagen.
„Führerschein und Fahrzeugpapiere!“ sagt der auf der Fahrerseite und schiebt unsicher ein „Bitte“ nach.
Der andere zeigt auf den Rucksack auf meinem Beifahrersitz und fragt „Dürfen wir da mal einen Blick rein werfen?“
„Ähm, selbstverständlich. Ist nix Verbotenes drin.“ antworte ich.
Während der eine mein noch bartloses Bild auf meinem Führerschein begutachtet, inspiziert der andere den Inhalt meines Rucksacks.
Ich konzentrier mich auf den auf der Fahrerseite. Er blickt immer wieder zwischen mir und dem alten Foto auf meinem Führerschein hin und her.
„Das sind also Sie? Unter dem Bart und der schwarzen Farbe sehen Sie so aus?“
Ich nicke eifrig.
„Wozu brauchen Sie ein Brecheisen und einen Bolzenschneider?“ höre ich aus der anderen Richtung.
Ich überlege wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Die erste Geschichte die mir einfällt ist, ich sei Agent des Verfassungsschutzes und ermittle gegen die militante neue Rentnerbewegung, welche sich wegen den andauernden Nullrunden bei den Renten gegründet hat. Einen Namen dafür hab ich auch: Rentnerarmeefraktion, kurz RAF.
Doch das wäre zu unglaubwürdig.
Mein zweiter Gedanke ist, ich könnte mich als Spezialgärtner für Nachtschattengewächse ausgeben. Aber ich glaube für so einen kreativen Beruf wie den des Gärtners wirke ich einfach zu maskulin.
„Nun, wozu brauchen Sie das ganze Zeug und weshalb sind Sie so angezogen?“
Ich habe keine Zeit mir was aus den Fingern zu saugen. Also beschließe ich die Wahrheit zu sagen. Wirklich alles. Wenn sie hören was ich vorhabe müssen sie mich einfach gehen lassen. Vielleicht helfen sie mir sogar.

Also fange ich an zu erzählen:
Zunächst eine kleine Geschichtsstunde. Als Deutschland nach dem 2.Weltkrieg in Besatzungszonen aufgeteilt wurde, hat man auf kulturelle und regionale Zusammenhänge wenig Rücksicht genommen. Deshalb gehören die Mainzer Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim (AKK) auf der rechten Rheinseite bis heute zu Hessen und dessen Landeshauptstadt Wiesbaden.
Es gab unzählige politische Versuche dieser Fremdherrschaft über Mainzer Territorium und Bürger ein Ende zu machen. Alle erfolglos.
Also gründeten die Mainzer Bewegungen wie „Rechts des Rheins ist auch noch Mainz“. Schließlich sollte kein Mainzer dazu gezwungen sein das Schandmal WI auf dem Nummernschild zu tragen.
Doch nichts half.
Die Lage scheint aussichtslos. Das heisst, sie schien aussichtslos. Bis ich auftauchte.

Ich erkläre den Polizisten den einfachen, aber genialen Plan. Ich werde ins Wiesbadener Rathaus eindringen und die Mainzer Flagge, mit dem weißen Wagenrad auf rotem Grund, an dem Gebäude hiessen.
Bevor es hell wird, werde ich auf dem Weg zurück nach Mainz, weitere Flaggen an Laternenpfählen aufhängen (eine kleine ausklappbare Leiter liegt auf der Rückbank) und Hauswände mit Plakaten bekleben. Unter Mainzer Symbolen wie dem Mainzer Rad, der Skyline mit dem Mainzer Dom, der Gutenbergstatue, den Mainzelmännchen und der Narrenkappe, stehen Slogans wie „Freiheit für die AKK!“, „Die AKK ist mainzigartig!“ und „Nieder mit der Wiesbadener Besatzungsmacht!“.
Die Menschen werden diese Botschaft verstehen, werden scharenweise auf die Straße gehen und mit mir, als Wortführer der Massen, wird das Volk einen ähnlichen Triumph erringen wie 1989 in Leipzig.

So wirklich überzeugt wirken die beiden Ordnungshüter noch nicht. Einer der beiden war sogar so uninteressiert, dass er zwischenzeitlich am Funkgerät im Streifenwagen war.
Jetzt stehen sie beide vor der Fahrertür.
Ich schüttele meinen letzten Trumpf aus dem Ärmel. Ich erzähle ihnen von dem Brief.

Sozialist oder nicht, für politische Ideen braucht man Verbündete. Wer wäre da besser geeignet als der Mann, der anfangs mit zwölf Mann und sieben Gewehren ein grausames Regime gestürzt hat. Natürlich Fidel Castro!
In meinem Brief habe ich ihm in Aussicht gestellt, wir würden nach der Rückeroberung der AKK die sozialistische Republik Moguntia ausrufen und einen Absatzmarkt für kubanischen Zucker, Rum und kubanische Zigarren schaffen.
Ich machte den beiden Jungs in Uniform klar, dass wir nicht ewig auf unsere Souveränität verzichten können. Derzeit sind wir zwar Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, aber seien wir ehrlich, wir spielen die erste Geige in einem Verliererorchester.
Bislang hab ich zwar noch keine Antwort aus Kuba, aber Castro kann unmöglich nein sagen.

Ich bin enttäuscht. Der Funke scheint nicht übergesprungen zu sein. Die beiden schauen sich an. Der eine zeigt mit seinem Zeigefinger auf seine Schläfe und macht eine drehende Bewegung, der andere sagt, „Ja, der Krankenwagen ist schon unterwegs.“ Und an mich gewandt „Keine Angst. Man wird sich um Sie kümmern.“.
Soll es das wirklich gewesen sein? Alles vorbei, nur weil zwei Menschen nicht an die große Sache glauben?

Ich bin verzweifelt. Doch als der Krankenwagen kommt und einer der beiden Sanitäter, die mich zum Wagen bringen, aufmunternd sagt „Das passiert manchmal. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben das beste Fachpersonal. Das wird schon wieder.“, da werden mir plötzlich die Zusammenhänge klar!
Das Zeichen mit dem kreisenden Zeigefinger! Das Geheimzeichen einer anderen Separatistenbewegung!
Die Polizisten, die Sanitäter, sie sind alle eingeweiht! Sie haben in mir den Mann erkannt, der ihre Träume wahr machen kann! Die Krankenwagenfahrt ergibt nun Sinn! Ein trojanisches Pferd! Sie schmuggeln mich über die hessische Grenze!

Man gibt mir eine Spritze. Wahrscheinlich ein Leistung steigerndes Präparat. Schließlich wird es eine lange Nacht. Wir wollen Geschichte schreiben.
Mir wird ein wenig schwarz vor Augen. Aber wenigstens habe ich jetzt Gewissheit, mein Plan wird aufgehen. Morgen sieht die Welt völlig anders aus!

Viva Moguntia!
 
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Kommentare  

super und äußerst intelligent geschrieben! in meiner heimatstadt gab es vor 25 jahren auch mal einen aufstand wegen der nummernschilder.
in einer politisch völlig desinteressierten gesellschaft macht uns dein protagonist hoffnung. ich beantrage, das westliche westfalen an moguntia anzuschliessen :-)

lg


Nicolas van Bruenen (27.02.2007)

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