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2 Seiten

Klischeehaft

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Neulich in einer Cottbuser Kneipe.
Ich hatte noch Zeit, bevor mein Zug in meine westliche Heimat Abfahrt hatte, deshalb suchte ich einen der örtlichen Schankbetriebe auf.
Es war verhältnismäßig voll, aber an einem Tisch mit fünf jungen Herren war noch ein Plätzchen frei. Die Männer fielen vor allem durch ihr fehlendes Haupthaar, sowie durch das Tragen viel zu warmer Bomberjacken ins Auge. Der Haarausfall war zweifellos die Folge von Chemotherapien und auch die Bomberjacken ließen sich mit der Vermeidung von Schüttelfrostanfällen erklären.
Offenbar waren die Herren zur Kur im schönen Cottbus.
Als Mensch, der stets an den Ängsten und Nöten seiner Mitmenschen interessiert ist, erwartete ich eine interessante Unterhaltung. Ich wurde nicht enttäuscht.
Leider hatte ich den Anfang der anregenden Diskussion verpasst. Da ich ähnliche Diskussionen aber aus westdeutschen Unterschichtenschankbetrieben kannte, konnte ich problemlos den Faden aufnehmen und mein jahrelang erworbenes Fachwissen beisteuern.
Wurde ich anfangs noch misstrauisch beäugt, so lauschte man doch nach kurzer Zeit andächtig meiner Weisheit.
„Ja, da ist was Wahres dran. Ich meine es ist doch so, die kommen zu uns rüber, nehmen uns die Frauen und die Arbeitsplätze weg.“ Zustimmendes Gemurmel. „Sie sind unwillig unsere Sprache zu erlernen oder sich unserer Kultur anzupassen.“ stellte ich fest. „Sie liegen uns auf der Tasche, obwohl sie nie oder kaum ins Renten- und Sozialsystem eingezahlt haben.“ Damit hatte ich endgültig die Symphatien auf meiner Seite.
Die erste Stufe war damit erreicht. Ich hatte eine Verbindung aufgebaut. Nun konnte ich meine völkerverständigende Missionsbotschaft an den Mann bringen.
„Allerdings.“ Sagte ich und merkte bereits eine leichte Abwehrhaltung bei meinen Zuhörern. „Allerdings, muss man die Dinge auch ein wenig differenzierter sehen.“ Auf den Gesichtern meiner Gegenüber standen große Fragezeichen. „Ich meine, es sind nicht alle so.“ Auch mit diesem Satz schien keiner etwas anfangen zu können. Trotzdem fuhr ich fort. „Es gibt auch gute Ossis.“
Damit hatte ich wohl zuviel Toleranz ausgestrahlt, denn ich sah mich gezwungen, das bodenständige Lokal überstürzt und mit leichten Lädierungen zu verlassen.
Zum Glück bin ich ein positiv gesinnter Mensch. Man konnte es ihnen nicht übel nehmen. Immerhin waren sie offensichtlich krank und konnten daher nicht klar denken. Außerdem muss man zu ihrer Verteidigung sagen, dass sowohl der Anteil der Ossis, als auch der Wessis mit ostdeutschem Migrationshintergrund, speziell in Cottbus sehr hoch ist. Da sind Probleme und Konflikte vorprogrammiert.
Mit der Erkenntnis, dass Toleranz nicht herbeigeredet werden kann, setzte ich mich in den Zug um den unzivilisierten Teil Deutschlands zu verlassen und in den weniger unzivilisierten Teil Deutschlands zu gelangen.
Kurz vor Frankfurt (am Main) gellte der Ruf „Fohrkorddn bitte!“ durch den Zug. Ich war daheim.
 
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Kommentare  

Chapeau! witzige pointe. allerdings schwank ich: das lyrische ich ist so nah dran am authentischen, daß es mir fast schon zu platt vorkommt. dennoch: das spiel mit dem klischeé paßt ja nun gerade zum protagonisten, also - ein unentschieden, aber grün für die pointe.

tratus von Klueck (25.09.2010)

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