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35 Seiten

Fisteip - Teil 6

Romane/Serien · Spannendes
Sie nahmen am Tisch Platz, Lea reichte die Teller herum (warf Tommy dabei wegen der Wahl des Geschirrs einen undefinierbaren Blick zu), Tommy schnitt das Brot in dicke Scheiben, legte es auf dem Holzbrett zurecht. Er hantierte mit dem schweren langen Messer ohne hinzusehen, fühlte die Dicke der Scheiben mit dem Zeigefinger der Hand, mit der er das Brot hielt.
Sondra erzählte eine Menge komischer Geschichten aus Montreal, versicherte dabei immer wieder, wie unglaublich das Brot schmeckte, bis sie sich die fünfte Scheibe nahm und fragte: „In welchem Supermarkt habt ihr das gekauft? Das ist das leckerste Brot, was ich je gegessen habe.“ Sie wedelte mit der Scheibe vor ihrem Gesicht herum.
„Ich muss gestehen, es ist selbst gebacken.“
„Ich werde davon so viel essen, bis mir schlecht ist.“
Die Katzenbande kam herein, begrüßte den Besuch und legte sich dann großzügig verteilt ins Wohnzimmer. Sondra erzählte bei einem weiteren Stück Brot, dass sie gezwungen war, ihr französisch aufzumöbeln, weil man in Montreal mit Englisch nicht akzeptiert wurde. Sprach man Englisch, musste man sich gleichzeitig als US-Bürger outen, um in Ruhe gelassen zu werden.
„Was habt ihr Mädchen vor heute?“ fragte Tommy, „wenn ihr was trinken wollt, lasst den Wagen stehen und ich hol euch ab, wenn ihr nach Hause wollt.“
„Das wäre klasse.“
Er konnte vorhersagen, wie die Mädchen die gemeinsamen Stunden verbrachten: zunächst sprachen sie über aktuelle Dinge, allgemein und persönlich, über die Wahl der Schuhe, über nette Typen, die herumliefen, über dämliche Typen, die in der Überzahl waren. Über die letzte Bikinidiät. Über Hautcremes. Dann, wenn sie sich ein paar süße Cocktails gesüffelt hatten, sprachen sie über die gemeinsame alte Zeit, so sicher wie das Amen in der Kirche. Dabei würden sie ausgelassen Gackern wie die Hühner und die Aufmerksamkeit der einsamen männlichen Barbesucher auf sich ziehen. Hatten sie diese wieder abgewimmelt, sprachen sie über ihre eigenen Männer, aktuelle und verflossene.

Um zwei Uhr holte er Douglas vor dessen Haus ab, hatte sich angeboten zu fahren, weil er sowieso nüchtern bleiben würde. In der Brusttasche seiner Jacke, einer ockergelben Wildlederjacke, steckten seine Zigaretten und das Mobile, über das ihn Lea, aber auch Larry Johnson im Notfall erreichen konnten.
„Was macht Lea, während du weg bist?“ fragte Douglas, stieg auf dem Beifahrersitz und schnallte sich an.
„Sie ist mit einer alten Freundin unterwegs. die beiden haben sich aufgebrezelt wie zwei Schwestern der Nacht und kommen bestimmt nicht vor Sonnenaufgang nach Hause. Doug, du sagst mir, wie ich fahren muss, Okay? Ich kenn mich auf der Strecke nicht wirklich aus.“

Im Bistro setzten sich Lea und Sondra in den hinteren Teil des Raumes, der mit efeuverzierten Spalieren abgetrennt war und wo sie ungestört waren. Die Bedienung kam zu ihnen an den Tisch, kaum dass sie Platz genommen hatten. Es war ein junges Mädchen mit auffallend dicken Brillengläsern.
„Hi Lea“, sagte sie, reichte die kleine Speisekarte und lächelte breit, „Sondra, schön dich zu sehen. Bleibst du länger?“
„Nur übers Wochenende. Wie läuft’s bei dir?“
„Es geht alles seinen Gang. Wisst ihr schon, was ihr bestellen wollt?“
„Lass uns fünf Minuten zum Auswählen.“
Anne machte ein ‚alles bestens’ Handzeichen und ging hinüber zum nächsten Tisch.
„Jesus im Himmel“, flüsterte Sondra, „sie sollte ihr Trinkgeld für eine Augen-OP sparen. Ihre Brillengläser werden von mal zu mal immer dicker, wenn ich sie sehe.“
Sie waren mit Annes älterem Bruder zur Schule gegangen, einem eingebildeten Grobklotz, der das Geschäft seines Vaters übernommen und den gut laufenden Gemischtwarenladen innerhalb von drei Jahren in den Ruin gewirtschaftet hatte. Lästerliche Mäuler in der Stadt hatten behauptet, er habe es mit Absicht getan, um sich an seinem Alten zu rächen, aber vielleicht war er auch einfach nur unfähig und desinteressiert gewesen. Anne war ein hübsches Mädchen, von ihrem Augenproblem einmal abgesehen, und sie war froh gewesen, in dem Bistro einen Job bekommen zu haben. Jeder wusste, dass sie das Geld zu Hause abgab, um ihre Eltern zu unterstützen (was ihr Bruder nicht für nötig hielt) und gewöhnlich bekam sie mehr als die üblichen zehn Prozent Trinkgeld. Seit kurzem hatte sie einen Freund, der am Bates studierte und mit dem sie sich heimlich treffen musste. Er hieß Abraham und er war süß wie Zucker. Sie war verrückt nach ihm.
Lea und Sondra begannen mit Zwiebelsuppe, diskutierten dabei über die Jungs aus ihrem Jahrgang und was aus ihnen geworden war. Einige von ihnen konnte man als Straßenecken-Steher in Bar Harbor beobachten (wo es im Sommer den weißen Abschaum für gewöhnlich hinzog, wie Leas Mutter immer bemerkt hatte), ein paar waren ganz weggegangen, zwei waren gestorben. Einer bei einem Motorradunfall, der andere an Aids. Wurde Lea an Rob mit dem Motorradfimmel erinnert, kamen automatisch die Erinnerungen an die Schulparty zurück. Dort war in jener Nacht mehr Alkohol geflossen als bei einer russischen Beerdigung, sie hatten Pot geraucht, bis zum Haare kräuseln und die ohrenbetäubend laute Musik hatte nur deshalb den Hausmeister der B. Franklyn High School nicht geweckt, weil sie sich in dem Musikproberaum verschanzt hatten. Hundertprozentig schalldicht. Lea hatte mit Rob getanzt und eine Tüte mit ihm geteilt, waren beide gleichzeitig auf Tuchfühlung gegangen. Bevor sie allerdings alle Hemmungen hatten ablegen können, war jemand in den Raum gestürmt, hatte der Musikanlage den Netzstecker gezogen und panisch geschrieen, dass der Hausmeister mit der Polizei im Anmarsch sei. Der hatte nämlich ein zugekifftes Pärchen vor dem Gebäude entdeckt und sie so lange ausgequetscht, bis sie von der heimlichen Party erzählt hatten.
Die Party war vorbei, die Kavallerie im Anmarsch. Die meisten hatten die Cops erwischt, aber Lea, Rob und ein paar andere waren durch das Fenster der Jungentoilette geklettert und durch den Park und über das Baseballfeld geflüchtet. Die anderen hatten dicht gehalten, niemanden verraten und Rob hatte Lea immer mit einem besonderen Grinsen begrüßt danach, erinnerte sich daran, wie Lea ihm an den Hintern gepackt und durch das Fenster geschoben hatte, weil er zum eigenständigen Klettern zu besoffen gewesen war. Als sie von seinem tödlichen Unfall gehört hatte, nicht weit von Lewiston auf einer Landstraße, hatte sie das sehr traurig gemacht. Auf der Beerdigung hatte sie seine Frau und seine kleine Tochter kennen gelernt und bei all der Trauer um einen alten Freund hatte sich noch der Beigeschmack eines schlechten Gewissens gemischt, als seine Witwe nach ihre Beileidsbekundung sie nur skeptisch angesehen und gesagt hatte: ‚Du bist also Lea? Rob hat mir von dir erzählt.’
O Gott, hatte sie tagelang gedacht, was hat er seiner Frau erzählt von mir? Pack mich doch mal richtig an, so wie Lea es gemacht hat? Zieh doch auch mal ’ne Tüte mit mir durch?
Sie war froh gewesen, dass sie mit ihrer Tochter die Gegend verlassen hatte.
„Wie sieht’s bei euch mit dem Nachwuchs aus? Schon was geplant?“ fragte Lea. Sie war neugierig, etwas von Sondra zu diesem Thema zu hören. Schließlich hatte sie ihren Louis nicht einfach nur so geheiratet und war mit ihm nach Kanada gegangen. Sondra löffelte den Rest der Zwiebelsuppe, legte den Löffel beiseite. Sie arbeitete in einer Kindertagesstätte und mochte sich so auf eigenen Nachwuchs gut vorbereitet haben.
„Nichts in Planung“, erklärte sie, „und das kann auch ruhig so bleiben. Wir planen einen Umzug in nächster Zeit und wenn man dann etwas nicht braucht, ist es ein Bauch wie ein Walfisch oder plärrende Blagen, die alle zwei Stunden an einer deiner Zitzen hängen.“
„Du bist ganz eindeutig noch nicht so weit“, bemerkte Lea glucksend, „eine potentielle Mutter hätte sich anders ausgedrückt.“
„Und bei dir? Hast du ein kleines geheimes Geheimnis?“
„Nicht mal ein großes geheimes Geheimnis. Ein Eis zum Nachtisch?“
„Den größten Eisbecher, den sie hier haben.“
Der größte Eisbecher, der auf der Karte abgebildet war, nannte sich Kill-I-Man-Charo und darüber mussten sie so lachen, dass sie sich jeder einen bestellten. Nach dem Eis zogen sie in die nächste Bar, begannen dort mit bunten Cocktails. Neben der Theke stand eine alte Musikbox, aus der die Hits der sechziger Jahre dudelten und Sondra rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, wiegte die Schultern im Takt.
„Gehen wir irgendwo tanzen? Gibt es diesen alten Schuppen noch? Wo auf der Bühne immer hunderte von Kerzen gebrannt haben und alle fürchteten, irgendwann würde das ganze Gebäude abfackeln?“
„Das ist er dann auch“, sagte Lea trocken, schlürfte an ihrem Cocktail, „aber hinter dem College gibt es eine kleine Discothek. Die spielen dort Musik, bei der uns die Trommelfelle implodieren werden.“
„Hauptsache, wir können abtanzen wie früher.“ Sie grinsten sich an und Sondra setzte hinzu: „Geht Tommy mit dir tanzen?“
„Letztes Jahr waren wir auf dem Sommer-Festival im College“, sagte Lea, machte mit dem Oberkörper lockere Tanzbewegungen, „da hat die Collegeband richtig Dampf abgelassen. Wir haben zwar nicht getanzt, aber ich habe mit ihm gewettet, dass er nicht nach oben geht und einen Song durchsingt.“
„Was ist dann passiert?“
„Sie werden ihn wohl jedes Mal wieder fragen, ob er auf dem Festival auftreten will. Er ist nach oben auf die Bühne, hat mit dem Sänger gesprochen und dann hat er drei Songs von U2 gegröhlt und nicht mal die Zigarette dafür ausgemacht. Ich wette nie wieder mit ihm.“
Sie blieben noch auf zwei weitere Cocktails, erzählten lachend alten Geschichten aus der Schulzeit, die damals längst nicht alle zum lachen gewesen waren. Vor dem tanzen hätte Lea sich gerne gedrückt, aber es hätte keinen Sinn gehabt, Sondra auch nur zu fragen, ob sie es auf ein anderes Mal verschieben könnten – war sie einmal auf Touren, lief sie wie ein Duracell-Karnickel.
Sondra schlürfte ihren blauen Cocktail, der wie Badewasser aussah, saugte ihren Strohhalm an einem Eiswürfel fest und versuchte, ihn angesogen aus dem Glas zu befördern. Auf halbem Weg fiel er immer wieder auf den Boden des Glases zurück.
„Er hat einen netten Akzent“, sagte sie ohne Zusammenhang und Lea sah sie stirnrunzelnd an, bis sie begriff, wen sie meinte. „Aus welcher Gegend kommt er? Ist er einer der Bostoner Iren?“
Lea dachte an Davids üble Attacke, an seine Worte, dass Tommy aus seinem Leben ein Geheimnis machte und er sie irgendwann (aber sicher) im Stich lassen würde. Davids ruhiges eindringliches Gesicht, als wolle er ihr nur helfen, einen Gefallen tun, als läge ihm etwas an der Sache.
„Ich hab’s vergessen“, sagte Lea, schämte sich sofort für diese Lüge, „ich konnte es nicht mal wiederholen, als er mir es gesagt hat, geschweige denn es mir merken. Er war in der Army und ist viel rumgekommen.“

Das Spiel der Bobcats war eine herbe Enttäuschung. Dass sie die meisten der Spiele einer Saison verloren war keine Überraschung, aber dass sie so haushoch verlieren würden, war deprimierend. Nach dem Spiel besuchten Tommy und Douglas noch eine Bar, von der Douglas sagte, sie sei abgefahren, und in der sie sich mit Gewalt bis zur Theke durchzwängen mussten. Sie standen dicht gedrängt zusammen, gaben brüllend ihre Bestellungen auf. Auf dem hinteren Teil der Theke, die wie ein Laufsteg verlängert war und zu dem man unmöglich durchdringen konnte, tanzten zwei Mädchen in hochhackigen Schuhen. Douglas nahm das Bier und das Wasser für Tommy entgegen, verrenkte den Hals, um einen besseren Blick auf die Mädchen werfen zu können. Sie tanzten zu einer Musik, von der nur die Bässe zu hören waren – alles andere ging unter in dem Gejohle der Männer, die die besseren Plätze an der Theke erwischt hatten.
„Wouh“, machte Tommy, „sieh dir diese Schuhe an.“
„Was denn auch sonst. Viel mehr haben sie ja nicht an.“
Sie tranken und betrachteten die Mädchen, die ihre Sache wirklich gut machten und natürlich der Grund dafür waren, weshalb die Bar so überfüllt war. An den Happy-Hour-Getränken lag es sicher nicht.
„Ich bete die ganze Zeit, dass sie mal herüber getänzelt kommen“, sagte Douglas in sein Glas, bestellte sich mit einem Wink über seinem Kopf ein zweites Bier, „ich würde sie mir gerne mal aus der Nähe ansehen.“
Zehn Minuten später zerschlug sich die Hoffnung, denn die Mädchen vollführten ihre letzten Drehungen, die grellen Lampen, mit denen sie angestrahlt wurden, erloschen und sie verließen auf ihren langen Beinen ihre Tanzbühne. Schlagartig verstummte das Gejohle der Männer, viele tranken aus und gingen.
„Sieht so aus, als würden die Mädchen nicht wiederkommen.“
„Ich nehm noch einen“, sagte Douglas. Er drehte den Rücken zur Bar, wo er sich anlehnen konnte, starrte vor sich hin und schüttelte den Kopf, als würde er über etwas nachdenken, was ihm auf der Seele lag. Tommy konnte fast davon ausgehen, dass es seine Unzufriedenheit mit dem Job und seinem Leben war, über das sie spätestens nach dem nächsten Bier sprechen würden.
„Sarah“, seufzte er, „ich hab versucht, mit ihr zu reden. Über unsere Situation, über das alles, aber weiß der Teufel, entweder hab ich mich so verflucht blöde ausgedrückt, dass sie mich nicht verstanden hat, oder sie hat mir nicht zugehört und wollte es nicht zugeben. Jedenfalls hat sie das Buch beiseite gelegt, in dem sie seit Wochen liest, hat mich mit großen Augen angesehen und erstmal nichts gesagt. Ich dachte, sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen, ob es wirklich schlimm wäre, Lewiston den Rücken zu kehren, aber alles, was sie mich fragte, war: ‚Du bist unglücklich, Doug?’ ‚Ja’, sag ich, ‚das ist genau das, was ich dir zu sagen versuche’. Und sie hebt die Beine von der Couch, rutscht nach vorn und sagt: ‚Wann hast du das letzte Mal geweint, Doug?’“
„Autsch“, machte Tommy, „volle Breitseite.“
Douglas verzog das Gesicht zu einem verzweifelten Grinsen.
„Was antwortet man auf so eine Frage? Glaub mir, ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Mit so einer scheiß Frage. Ich hab so zu schwitzen angefangen, dass ich dachte, es würde auf das Polster tropfen wie Öl.“
„Und was hast du ihr geantwortet?“
„Was hättest du Lea geantwortet?“
„Bei der letzten Beerdigung“, antwortete Tommy prompt, „und näher würde ich nicht darauf eingehen, weil es mich noch immer zu sehr mitnimmt. Emotional gesehen.“
„Das hätte Sarah mir nicht abgekauft.“
Douglas wühlte abwesend in seiner Jackentasche herum, fand endlich das gesuchte Plastikfläschchen mit dem Nasenspray gegen seinen Heuschnupfen. Er hatte einmal vermutet, dass es kein wirklicher Heuschnupfen war, der ihn immer wieder plagte, dass es wohlmöglich etwa psychosomatisches sein könnte, aber darüber hatte Doc Campbell nur die Nase gerümpft. An so neumodischen Kram würde er keine Zeit verschenken, hatte er gesagt, er kannte viele Leute, die das ganze Jahr Heuschnupfen hatten. Bei ihm gab es keine Stauballergien oder Kontaktdermatosen. Er nannte es grundsätzlich Heuschnupfen und behandelte ihn wie auch schon zwanzig Jahre zuvor. Knochen konnte er ganz gut wieder zusammenflicken, aber auf dem neuesten medizinischen Stand war er nicht.
Nachdem Douglas sich eine Prise in jeweils ein Nasenloch gepumpt hatte, atmete er einmal tief durch, griff sich sein Glas und sagte mit leicht belegter Stimme: „Ich hab sie angesehen und dabei versucht, einen Bambi-Blick aufzusetzen. Es wäre teuflisch gut gewesen, wenn ich auf Kommando hätte heulen können.“
„Du hättest dir heimlich die Eier kneifen können.“
„Ich hab sie also angesehen und dabei gedacht, wie ich mich zum Trottel mache und dass ich Idiot mich auch noch selbst knietief in die Scheiße geritten habe und hab ihr gesagt: ‚Ich weine ab und zu unter der Dusche, damit es keiner mitkriegt. Ich sehe an manchen Tagen wirklich schlimme Dinge und damit möchte ich dich nicht behelligen. Deshalb mache ich es heimlich’.“ Douglas zitierte es wie ein Bühnenschauspieler, leicht auf den Beinen schwankend, das unvermeidliche Bier in der Hand, blinzelte mühsam, als versuche er, eine Träne gewaltsam herauszudrücken.
„Hat das gezogen?“
Vermutlich nicht, dachte Tommy, ich hab Sarah-Schatz aus Farmington schon oft genug erlebt, um zu wissen, dass sie die emotionale Bandbreite einer Tickle-me-Elmo-Puppe besitzt.
„Sie hat ‚Na gut’ geantwortet und wieder nach ihrem Buch gegriffen. Danielle Steele. Und dann hab ich den Fehler gemacht, es nicht darauf beruhen zu lassen. Ich konnte meine Klappe nicht halten und wollte von ihr wissen, wann denn so ein fucked na gut als Kommentar zu bedeuten habe. Ob das alles sei, was ihr einfiel, wenn ich ihr sagte, dass ich mit einem Leben nicht zufrieden sei.“ Mit einmal hatte Tommy das Gefühl, der Ausflug zu dem Auswärtsspiel der Bobcats war nur ein Vorwand für Douglas gewesen, um sich den ganzen Ballast von der Seele reden zu können.
Ich wünschte, ich könnte die alten lästigen Erinnerungen mit jemandem teilen, dachte er, machte einen Schritt auf Douglas zu und klopfte ihm auf den Rücken, es täte gut, es alles rauszulassen. Ich könnte in die Kirche gehen und beichten. Aber wenn ich es jemandem erzähle, will ich demjenigen dabei in die Augen sehen. Sehen, ob es noch immer Entsetzen auslöst.
Douglas lachte brüchig, strich sich durch das Haar.
„Das ganze gipfelte in dem Ergebnis, dass ich auf der Couch schlafe und mein geliebter Augenstern Sarah mich mit Missachtung straft. Pest und Teufel, ich bin nicht gerade scharf darauf, nach Hause zu kommen.“
Er trank noch eine ganze Menge, bis Tommy die Zeche bezahlte und für ihn entschied, dass er genug hatte und es Zeit war, den Standort zu wechseln. Auf dem Weg zum Wagen, den sie ein paar Blocks weiter abgestellt hatten, musste Douglas so dringend pinkeln, dass er sich abseits der Lichtkegel der Straßenbeleuchtung an die Hauswand lehnte und laufen ließ. Tommy blieb rauchend einen Schritt hinter ihm, um ihn im Notfall auffangen zu können, sollte er das Gleichgewicht verlieren.
„Du bist ein beschissener Heiliger“, sagte Douglas an die Wand gerichtet, „du trinkst nicht einen Tropfen. Was zur Hölle machst du, wenn du den Geschmack eines Scheißtages wegspülen musst? Und erzähl mir nicht, dass du Scheißtage nicht kennst.“
„Scheißtage, Scheißmonate, Scheißjahre sind meine Erfindung, Douglas“, sagte Tommy, die Zigarette im Mundwinkel steckend, griff nach dem Arm seines Freundes und stoppte sein seitliches ins-Trudeln-geraten, „hast du alles wieder sicher untergebracht? Okay. Als ich in Detroit war für zwei Jahre, weil da ein irischer Kumpel einen Job für mich hatte, hab ich an sieben Abenden die Woche, an einhundertundvier Wochen in diesem Scheißladen Leute verprügelt. Ich hab für einen lausigen Lohn von neun bis acht auf meinem Hintern gesessen, eingequetscht in einem Fischglas von Garagenkabuff und hab Parkkarten abgestempelt. Um viertel nach acht hab ich in Hose und Unterhemd im Box-Club nebenan im Ring gestanden und hab eine Sparringrunde nach der anderen durchgezogen, bis ich nicht mehr konnte. Zwei Jahre lang. Jeden Morgen hab ich mir gewünscht, ich könnte einfach hingehen und dem Boss sagen, er könne sich seinen Job da hin stecken, wo keine Sonne hin scheint, aber mein Freund aus Detroit hat mir mit diesem festen Job schneller zur Einbürgerung geholfen. Wenn ich wieder gesoffen hätte statt des Boxens, wäre schon nach sechs Monaten der Bart ab gewesen.“ Er machte eine horizontale Geste mit dem Zeigefinger an seiner Kehle entlang.
„Du wirst mir damit hoffentlich nicht sagen, dass ich nur geduldig sein muss.“
Geduld, dachte Tommy, die hatte ich schon immer. Die kann man nicht lernen.

Weil sie beide so viel getrunken hatten, dass es mit dem Autofahren zu gefährlich gewesen wäre, ließen sie den Cherokee stehen und machten einen gemütlichen Spaziergang zur Discothek hinüber. Auf dem Weg dorthin kamen sie am Café vorbei und Sondra wollte unbedingt einmal hineingehen.
„Du kennst es doch“, sagte Lea, „es hat sich nichts geändert.“
„Komm schon, komm schon“, drängelte Sondra, „lass uns nur einmal reingehen.“
Sie presste sich die Nase an der Eingangstür platt, hüpfte herum, als Lea seufzend die Schlüssel herauskramte und das Café aufschloss. Sie machte nur das Licht hinter der Theke an, ging nach vorn und schloss die Tür wieder ab.
„Das war das, wovon du immer geträumt hast“, sagte Sondra, fand die Musikanlage und drehte den Sound etwas weiter auf.
„Du hast es durchgezogen und es geschafft. Wie sieht dein nächstes Ziel aus? Expansion?“
„Bestimmt nicht.“
„Na und was hast du sonst vor?“
„Ich weiß noch nicht. Ich bin aus dem gröbsten raus, das Café läuft gut, allerdings nur während der Schulzeiten. Vielleicht sollte ich in den Sommermonaten etwas anderes machen. Etwas Touristenmäßiges.“
„Die wirst du dir ganz schnell wieder wegwünschen.“ Damit hatte Sondra vermutlich sogar recht. Wenn sie in den Sommerferien mit Sondras Eltern ans Meer oder an einen der Seen gefahren waren, hatten sie sich schon als Kinder über die Massen von Ausflüglern an den Strandbuden und an den besten Strandabschnitten aufgeregt. Dass viele Laden- und Restaurantbesitzer nur von den Touristen lebten, von den Hotels ganz zu schweigen, schien ihnen damals nicht einzuleuchten. Ein paar Touristen waren ja Okay, aber mussten es immer so viele sein? Und mussten sich die meisten von ihnen so unmöglich benehmen?
Sondra machte ein paar Tanzbewegungen und eine lockende herausfordernde Handbewegung. Sie verbrachten die nächsten zwei Stunden mit ausgelassener Tanzerei. Sie drehten sich und sangen lauthals und mit vollem Einsatz: „You just call out my name, and you know whereever I am, I’ll come running to see you again. Winter, spring, summer or fall, all you have to do is call and I’ll be there, you’ve got a friend.”
„Wie ist er denn sonst so?“ rief Sondra, drehte sich um die eigene Achse und fing sich perfekt ab. Wenn sie tanzten, konnten sie noch so viel getrunken haben, dann war der Alkohol im Blut absolute Nebensache, als könnten sie es abschalten.
„Wer?“ fragte Lea, obwohl sie es wusste, auf wen Sondra anspielte.
„Komm schon, erzähl’s mir. Ich nehm dir ja ab, dass er nett ist, aber so richtig kann ich mir euch beide nicht vorstellen.“
Und wenn uns hier jemand sieht, der draußen vorbeigeht, wird denken, dass wir begnadet durchgeknallt sind.
Lea hüpfte an die Theke, dimmte das schwache Licht noch etwas und sagte: „Glaub es oder glaub es nicht, er stellt sich dabei nicht ungeschickt an.“
Sie hatten schließlich keine Lust mehr, bis zur Discothek hinüber zu wandern, Lea ließ einen Kaffee durchlaufen und als sie dachten, sie könnten zu Hause noch ganz gut den Kühlschrank plündern, rief Lea Tommy an und fragte, wo er gerade sei.
„Ich hab gerade Doug zu Hause abgesetzt.“
Sarah hatte pikiert und fast ungnädig reagiert, als Douglas und Tommy vor der Tür gestanden hatten. Douglas hatte Tommy den Schlüssel gegeben, weil er selbst das Schlüsselloch nicht mehr fand, aber bevor Tommy die Tür öffnen konnte, zog Sarah sie von innen auf, blieb im Türrahmen stehen und betrachtete ihren Mann skeptisch.
„Hallo Sarah“, sagte Tommy, „wir hatten nach dem Spiel noch ein Bier und es ist etwas spät geworden.“
„Willst du noch mit reinkommen?“ Sarah machte einen Schritt zur Seite, Douglas schlich an ihr vorbei und tat so, als würde er ihren Blick nicht bemerken.
„Ich muss nach Hause“, sagte Tommy, drehte sich halb zu seinem schräg eingeparkten Wagen um, fuhr etwas leiser fort: „Doug ist nicht gut drauf in letzter Zeit, was?“
„Wüsste nicht, was dich das angeht.“
Sie war schnippisch bis ins Mark, machte eine Handbewegung in seine Richtung und erst jetzt bemerkte Tommy die Veränderungen an ihr – ihr Kleid war in Unordnung, ihr Haar so verstrubbelt, in ihrem Gesicht nur noch verwaschene Spuren eines Make-ups. Sarah war bisher immer nur gepflegt und ordentlich aus dem Haus gegangen, etwas anderes wäre ihr nie in den Sinn gekommen, und der Anblick, den sie jetzt bot, mochte nur daher rühren, dass sie ruhelos auf Douglas gewartet hatte, dabei eingeschlafen war, aber Tommy roch in ihrem Atem eine Mischung aus Pfefferminze und Alkohol, in ihren Augen lag ein verwirrter Ausdruck. Er konnte mit ihr nicht über die Eheprobleme diskutieren, nicht vor der Haustür und nicht um diese Uhrzeit, deshalb nickte er nur und bevor er noch etwas sagen konnte, hatte Sarah die Tür bereits zugeschlagen.
Tommy steckte die Hände in die Hosentaschen, wartete einen Moment auf der stillen einsamen Straße. Wenn sie sich drinnen im Haus stritten, taten sie es leise. Tommy hoffte, dass sie sich zusammensetzten und bei einem Glas Wein über alles sprachen; dass sie endlich wieder zueinander fanden. Er setzte sich in den Wagen und fuhr nach Hause. Als sein Mobile klingelte, war er gerade erst ein paar Meter bis zur nächsten Straßenecke gefahren.
„Ich bin in zehn Minuten bei euch“, sagte er.
Er hielt vor dem Café auf der Straße, schaltete den Motor ab und beobachtete die Mädchen in dem schwach erleuchteten Café. Sie saßen Beine baumelnd auf der Theke, tranken Kaffee und kicherten über etwas. Mit Sicherheit erzählten sie sich alte Geschichten, erinnerten sich an gemeinsame Dinge und Tommy fand es rührend, sie zu beobachten. Er konnte sich gut vorstellen, wie die beiden vor zehn Jahren gemeinsam Lewiston auf den Kopf gestellt hatten und er hätte noch länger bei seinem Wagen gestanden, eine Zigarette geraucht und sie einfach nur beobachtet, hätte Lea ihn nicht entdeckt und herein gewunken. Sie kam ihm an der Tür entgegen, schloss für ihn auf.
„Hi mein Großer“, sagte sie, „trink noch einen Kaffee mit uns.“ Sie grinste zu Sondra hinüber. „Wir sprechen gerade über unsere lieben von uns gegangenen Haustiere, die wir als Kinder hatten. Hamster, Sittiche, Goldfische, Katzen, die wir aus der Nachbarschaft angeschleppt haben.“
„Wir haben eine Menge Blödsinn mit ihnen angestellt.“
Tommy zog sich einen der Hocker heran, grinste darüber, dass die beiden so ausgelassen angetütert waren.
„Erzähl mal“, sagte Sondra, „hattest du als Kind auch Haustiere?“
„Wir hatten immer Hunde“, sagte er, „immer welche, die möglichst groß und hässlich waren, damit sie nicht geklaut wurden.“
Er fuhr sie nach Hause, wo sie den Kühlschrank plünderten und sich beim essen das Café-Video ansahen, darüber debattierten, welche Version besser war und welche Musik besser passen könnte.
„Mir ist im Café wieder der Song eingefallen, den du dauernd spielst“, sagte Tommy, „you’ve got a friend. Das solltest du reinnehmen. Ist auf jeden Fall besser als das Banjo-Gedudel.“ Er sagte, er wolle schlafen gehen, würde am nächsten Morgen den Cherokee abholen, damit sie keinen Ärger bekamen.
„Wir machen noch ein bisschen“, sagte Lea, „schlaf gut. Und das ist ’ne gute Idee.“
„Humpelt er?“
„Nur manchmal. Ein bisschen. Ich hab doch erzählt, dass er in der Army war und dabei hat er ganz fürchterlich was abbekommen.“ Lea sprach leise, machte eine Geste über ihre Seite bis zum Bein hinunter. „Die Narben sehen schlimm aus und an seinem Bein war’s wohl am schlimmsten. Wenn wir mal zum schwimmen fahren, behält er immer das T-Shirt an.“
„Ich kenne einige, die sich das zum guten Vorbild machen sollten.“
Sie aßen Eiscreme aus dem Becher, Hot Dogs mit viel Senf und Ketchup, machten sich eine halbe Pizza heiß und sahen sich schließlich noch einen Spielfilm an, den sie beim Zappen entdeckten.
„Kommt zu mir, Katzen“, sagte Sondra, schnappte sich Emelda, die nicht rechtzeitig flüchten konnte.
Sie sahen sich immer wieder das Video an, fanden es wirklich eine gute Idee, den Song dort unterzubringen und irgendwann sagte Lea (sie hatte schon die ganze Zeit darüber nachgedacht): „Hast du einen blassen Schimmer, wo Maze liegen könnte?“
Sondra war zu sehr damit beschäftigt, der murrenden Katze ihre Streicheleinheiten aufzuzwängen, als dass sie richtig zugehört hätte. Sie sah Lea nur kurz an, zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Keine Ahnung. Wo genau soll das denn sein?“
„Es könnte hier irgendwo sein oder auch in Irland, das weiß ich ja nicht. Ich hab ein altes Foto von Tommy gefunden, da stand Maze 1987 auf der Rückseite. Ich dachte, es könnte dort mit der Army gewesen sein. Oder er hat da mal gearbeitet.“ Sie tunkte einen Tortilla Chips in den scharfen Dip, hinterließ eine Reihe von roten Tropfen auf dem Holztisch, die sie mit dem befeuchteten Zeigefinger entfernte, so gut es ging.
„Es ist nicht wichtig“, sagte sie, „aber ich bin doch neugierig, was er schon so alles getrieben hat. Viel erzählt er mir ja nicht.“
„Hast du schon mal das Naheliegendste versucht?“
„Im Netz hab ich nichts gefunden, was mir weiter geholfen hätte.“
„Ich meinte eigentlich, ihn direkt zu fragen, wo er war“, sagte Sondra. Emelda schaffte es endlich, sich aus ihrem Griff zu befreien und hopste wie ein Gummiball von der Couch.
„Das bringt nichts.“ Lea schnitt eine Grimasse, als wolle sie etwas besonders ekeliges ausspucken. „Entweder macht er sich darüber lustig, oder er behauptet, es sei so lange her, dass es niemanden mehr interessiere. Und dann sag ich, dass es mich aber interessiert, worauf er dann wieder sagt, dass überhaupt nichts Besonderes dran sei yadda yadda yadda. Ich erwische ihn dabei, dass er dann irgendwelche Dinge erzählt, von denen ich glaube, dass er sie sich gerade ausgedacht hat, nur, um mir irgendwas zu erzählen.“
„Stell ihn auf die Probe“, sagte Sondra. „Du findest übers Netz raus, wo Maze liegt und fragst ihn danach.“
„Dann müsste ich zugeben, dass ich ihn aufs Glatteis geführt habe.“
„Lass uns online gehen“, sagte Sondra mit plötzlichem Eifer. Sie schlichen am Schlafzimmer vorbei zur Treppe (Sondra bemerkte flüsternd und dabei kichernd: „Er schnarcht ja gar nicht“, und Lea antwortete: „Nicht, wenn er auf dem Bauch liegt.“) und gaben sich Mühe, die Stufen nicht knarren zu lassen.
„Ich muss nur den Lautsprecher ausmachen“, sagte Lea, rollte den zweiten Stuhl an den Schreibtisch und schaltete die Kiste ein, „ich hab mal mitten in der Nacht gesurft und vergessen das Ding leiser zu machen und bin auf einer Seite gelandet, wo jemand wie ein Irrer ‚Achtung’ brüllte, wenn man einen Link anklickte. Tommy ist unten aus dem Bett gefallen.“
Sie klickten sich in eine Suchmaschine und gaben das Wort ‚Maze’ ein. Dann erweiterten sie die Suche auf ‚Maze + Irland’. Darauf war Lea nicht vorbereitet. Einen Moment lang dachte sie, sie hätte sich verlesen, das konnte es nicht heißen, nie im Leben, aber da stand es. Und es war nicht nur ein Treffer, es waren hunderte. Sie schluckte mühsam, griff nach Sondras Hand an der Maus, die den ersten Treffer öffnen wollte.
„Nein“, sagte sie tonlos, „das ist zu heikel. Das will ich nicht sehen.“
Sondra sah sie von der Seite an, nickte und dachte, dass sie Lea noch nie so blass gesehen hatte. Sie lotste den Mauszeiger in die rechte obere Ecke, beendete die Verbindung.
„Lass uns nach draußen gehen“, sagte sie.
Sie saßen Stundenlang auf der Veranda, wie zwei Indianerkinder in eine gemeinsame Decke gehüllt, die Köpfe gesenkt und sich nur flüsternd unterhaltend.
„Es hat nichts zu bedeuten“, wisperte Lea, aber sie wusste in ihrem Inneren, dass es sehr wohl etwas bedeutete – vermutlich mehr, als ihr lieb war, „er kann dort gearbeitet haben. Er kann Freunde besucht haben. Ich muss mir keine Gedanken machen deswegen.“
„Ich mit meiner blöden Idee. Hoffentlich merkt er nicht, dass etwas nicht stimmt.“
„Das ist wie damals mit Flurry.“
„Oh, hör auf“, stöhnte Sondra unglücklich, „sonst seh ich ihn wieder vor mir.“
„Und es war deine Idee gewesen, ihn sich noch mal anzusehen.“
„Aber du hast angefangen zu graben.“
„Nur, weil du mir den Floh ins Ohr gesetzt hast, er könnte noch leben.“
Es wurde kalt und ungemütlich auf der Veranda und Lea flüsterte, sie wolle wieder reingehen. Obwohl ziemlich alles dagegen sprach, machte sie eine Flasche Wein auf und sie sprachen nur noch über ihre Eltern, die Tatsache, wie gut es war, Einzelkind zu sein und über verpasste Gelegenheiten der letzten zehn Jahre. Als sie endlich müde wurden, war ihnen der Weg ins Schlaf- und Gästezimmer zu weit und sie schliefen auf der Couch ein, vor dem laufenden Fernseher. Die Katzen waren begeistert, sie machten sich über die liegengebliebenen Reste her. Feo zog sich ein Stück Wurst aus einem angebissenen Hot Dog und brachte es hinter der Couch in Sicherheit.

Tommy hatte den Wecker nicht gestellt, aber er wachte gewohnheitsgemäß um sieben Uhr auf. Er drehte sich brummend auf die Seite, blinzelte und hob den Kopf aus dem Kissen. Hätte Lea neben ihm gelegen, hätte er sich wieder umgedreht und weitergeschlafen, aber ihre Betthälfte war unberührt. Die Kuhle in dem Kopfkissen rührte von einer der Katzen, die dort zusammengerollt geschlafen hatte.
Ich kann wohl nicht damit rechnen, dass sie früher aufgestanden ist, um Frühstück zu machen, dachte er, hebelte sich mühsam aus dem Bett, stellte die Füße auf den Boden und wartete, bis seine Seele nachgekommen war. Auf dem Weg ins Bad dachte er über die drohende Katastrophe zwischen Doug und Sarah nach. Was für eine unglaubliche Scheiße.
Er pinkelte in aller Ruhe und mit geschlossenen Augen, nahm sich vor, in den nächsten Tagen bei Douglas anzufragen, ob er Lust auf eine Runde Ein-Arm-Sparring habe. Doug würde zusagen und er hätte die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.
Im Wohnzimmer, wo die Katzen sich über die Reste der nächtlichen Fressorgie hergemacht hatten, lagen Lea und Sondra auf der Couch, jede den Kopf auf einer Seitenlehne, die Füße in der Mitte zusammengeschoben. Sondra hatte sich die Augen-Kriegsbemalung bis zur Stirn hinauf verschmiert, einen Arm unter den Kopf geschoben und schnarchte ganz leise durch die Nase. Tommy wollte gar nicht wissen, was sie die ganze Nacht getrieben hatten.
Er schlich sich durch die heruntergefallenen Verpackungsreste und DVD Hüllen, durch Katzenspielzeug und Zeitungen zur Couch, kniete sich vor Lea und berührte vorsichtig ihre Schulter. Es amüsierte ihn immer wieder zu beobachten, dass sie wie eine Katze aus dem Schlaf erwachte; gewöhnlich machte sie ein leises fragendes Geräusch, begann sich noch mit geschlossenen Augen zu strecken und sah sich dann erst um, ob sich ein Aufwachen überhaupt lohnte.
„Guten Morgen“, flüsterte er, als sie ihn anblinzelte, „soll ich euch ein Frühstück machen oder fangt ihr dann an zu kotzen?“
„Wir haben längst nicht so viel gesoffen, wie wir gekonnt hätten. Lass uns draußen frühstücken.“ Sie sah sich um und entdeckte die Flasche auf dem Tisch. Sie lag neben zwei halb gefüllten Gläsern. Oh Gott, sie hatten sie zu zweit leer gemacht.
„Ach was.“ Er wandte den Kopf und deutete mit dem Kinn in die wage Richtung der Unordnung. „Es ist in Ordnung, wenn ich das Frühstück mache und ihr beiden beseitigt das Chaos.“
„Hah!“ machte Lea, „guter Scherz.“
Im Hinterkopf hatte sie den Stich des schlechten Gewissens wegen der Sache mit dem Foto, deshalb konzentrierte sie sich auf das Frühstück und konnte alles andere unterdrücken. Außerdem – wenn sie ihn vor sich sah, unrasiert, vom Schlaf noch ein wenig zerknautscht, das kurze graue Haar in alle Richtungen abstehend, mit dem ihm typischen Ausdruck auf dem Gesicht, das so selten wütend und außer Kontrolle war; Tommy, der, seit er in Lewiston war, noch nie etwas in böser Absicht oder mit Hintergedanken getan hatte – was konnte da diese halb abgeschnittene Notiz auf der Rückseite eines alten Fotos schon bedeuten.
Sie weckte Sondra relativ ruppig, bewegte ihre Füße, bis sie ihr an den Hintern treten konnte und sagte: „Hey, wir kriegen Futter, wenn wir aufräumen. Was sagst du dazu?“
„Lass uns raus essen gehen“, murmelte Sondra.
„Wie ihr wollt“, sagte Tommy, „dann gehen wir ins Black Watch. Auf dem Rückweg können wir den Cherokee abholen.“
Es dauerte etwa bis zehn Uhr, bis sie alle drei fertig waren (wobei Tommy nicht die Ursache der Verzögerung war) und endlich das Haus verließen. Lea warf noch auf dem Weg nach draußen eine verdächtige Sprudeltablette ein, behauptete, es sei nur vorbeugend, aber so, wie sie vorsichtig den Kopf drehte, hatte sie einen anständigen Kater. Sondra ging es besser – sie war entweder besser im Training oder hatte nicht ganz so viel getrunken. Logischer war, dass sie weniger getrunken hatte, weil sie kein schlechtes Gewissen zu ertränken gehabt hatte.
„Ich hab noch gar nicht gefragt, wie euer Spiel war“, sagte Lea. Sie ging zwischen Tommy und Sondra, hatte sich bei ihm eingehakt. Das Sonnenlicht brannte in ihren Augen, bohrte förmlich Löcher in ihren armen Schädel, deshalb setzte sie ihre Sonnenbrille auf.
„Die Bobcats haben verloren“, Tommy klang nicht sonderlich bedauernd, aber schließlich war es nicht seine Mannschaft, die sich ständig das Fell über die Ohren ziehen ließ, „und bei Doug hängt der Haussegen schief.“ Er ging nicht näher darauf ein. Lea sagte, ihr sei zwar nicht schlecht („Haha“, machte Sondra), aber trotzdem würde sie nicht viel essen können und redete sich heraus, nach dem Gelage wieder an ihre Figur denken zu müssen. Um nichts in der Welt hätte sie zugegeben, einen Kater zu haben.
Sie nahmen Platz im Black Watch und begannen über ihre Bestellungen zu diskutieren. Tommy war flexibel in der Hinsicht seiner Frühstücksgewohnheiten – er konnte ein großes Standardfrühstück ohne Probleme verdrücken, war aber auch mitunter mit einem Kaffee zufrieden.
Sie bestellten die ganze Palette und Lea hielt sich sehr tapfer beim Anblick der Eier mit Schinken, der belegten Bagels, Pfannkuchen und Sirup. Während des Essens kam John Cole, einer der Bates Lehrer, an ihren Tisch und grüßte in die Runde. Er war mit seiner Frau im Black Watch, die von ihrem Platz herüberwinkte, als Tommy aufsah.
„Ich will euch gar nicht lange beim Essen stören“, sagte John, „ich wollte nur schnell loswerden, dass die Grafitti-Schmierereien wieder losgehen. An der Sporthalle und an der großen Werkhalle.“
„Ich kümmere mich morgen darum“, sagte Tommy, legte die Gabel zur Seite, „Sprayer oder Marker?“
„Sprayer“, erklärte John, „roter Autolack. Vermutlich aus der Werkstatt.“
Die Farbdosen bekam jeder ohne Probleme aus den Werkstätten, wenn man scharf darauf war. Mit solchen Problemen hatten sie immer mal wieder zu kämpfen. Die meisten Schmierfinken erwischten sie nur durch Zufall, aber da so ein Grafitti immer eine sehr persönliche Note hatte (was wohl auch der Sinn der Sache war) und man die gezeichneten Vorlagen dann meist bei dem Verdächtigen finden konnte, war das keine aufregende Sache. Nur wieder etwas, worum Tommy sich kümmern würde. Als John Cole an seinen Tisch zurückgekehrt war, lehnte Lea sich in ihrem Stuhl zurück und schlug ein Bein über das andere.
„Du weißt, wen er da geheiratet hat?“ fragte sie an Tommy gewandt.
„Nein, weiß ich nicht.“
Sondra saß in der perfekten Position, um unauffällig zu dem anderen Tisch hinübersehen zu können.
„Das Gesicht kenn ich irgendwoher“, sagte sie nachdenklich, „aber ich komm auch nicht drauf.“
Lea ließ sie nicht lange zappeln.
„Das ist die Schwester von Chief Blake. Auf einer Wahl zur Miss Kürbis würde sie nur gewinnen, weil alle Angst vor dieser seltsamen Familie haben.“
„Nimm dir noch einen Streifen Speck“, sagte Tommy ungerührt.

Den Rest des kurzen Sonntages verbrachten sie mit Faulenzen, saßen im Garten, tranken Eistee und genossen die Ruhe und die Sonne. Tommy hatte das Chaos aufgeräumt, machte den Cherokee und seinen Nissan sauber, indem er den Wasserschlauch an den Dreck hielt, die linke Hand in die Hosentasche geschoben. Er hatte das Gefühl gehabt, die beiden mit ihren Gesprächen allein lassen zu müssen und außerdem war es immer eine blöde Situation, als Außenstehender die vielen Insider-Witze und Bemerkungen nicht zu verstehen. Der kurze Sommer ging in Maine schnell zu Ende, der Indian Summer kündigte sich bereits in der kühlen abendlichen Luft an und bald würden wieder Eis und Schnee einsetzen. Es hatte lange gedauert, bis Tommy sich an den Rechtsverkehr gewöhnt hatte, aber an meterhohen Schnee und Glatteis auf den Straßen würde er sich nie gewöhnen. Er würde wieder den Nissan an besonders schlimmen Tagen einfach stehen lassen.
„Louis ist ein Sechser im Lotto“, sagte Sondra verträumt, zupfte an Grashalmen und kleinen Vergissmeinnicht herum, „er hat einen guten Job in einem großen Labor. Ist ein Wunder, dass er dort untergekommen ist. Er nennt den Laden nur die Griechen-Mafia. Wenn dein Namen nicht auf ‚populus’ endet, hast du dort eigentlich keine Chance. Ich behaupte gerne, ich hätte ihn nur geheiratet, um aus dem Hummer- und Krabbensalat rauszukommen, aber ich liebe ihn wirklich. Ich wäre mit ihm überall hin gegangen.“ Sie blinzelte zu Lea hinüber, die bäuchlings auf der gestreiften Decke lag. „Ich könnte nicht mehr ohne ihn. Okay – manchmal kann ich auch nicht mit ihm, aber das kommt sehr selten vor. Ist Tommy auch derjenige, den du in zwanzig Jahren noch neben dir haben möchtest?“
„Absolut“, murmelte Lea, „obwohl es mir schon Sorgen gemacht hat, dass...“
„Weil er so viel älter ist?“
„Nein“, sagte Lea, hob den Kopf, pustete nach einer Hummel, die vor ihrem Gesicht herumflog, „damit kommen wir klar. Meine Mutter hat einen Narren an ihm gefressen. Wenn sie nicht so weit weg leben würde und dafür bin ich dem Schicksal sehr dankbar, wäre sie jeden Abend bei uns auf der Couch, glaub es mir. Ich hab jedes Mal dieses alberne Bild vor Augen, dass Tommy in einem Supermarkt-Einkaufswagen sitzt, Roberta ihn rüber in ihren Wagen heben will und ich sage: ‚Finger weg, Mom. Ich hab ihn zuerst gesehen.’“
„Das ist grotesk.“
Sie sahen gleichzeitig zu Tommy hinüber, der ihnen seine Kehrseite zuwandte, mit der lädierten Hand in der Hosentasche um den Nissan herumwanderte, in der anderen Hand den Gartenschlauch und den Straßenstaub abspülte. Lea und Sondra sprachen es nicht aus, aber sie sahen sich nur an und dachten darüber nach, ob es Tommy gefallen würde, mit Mutter und Tochter zusammen zu leben. Sie lachten schallend, überrascht darüber, wie ähnlich ihre Gedanken waren, als Sondra flüsterte: „Mit der Tochter schon, dear, aber nicht mit dieser Mutter.“
Sondra machte ein paar Schritte durch das Gras, bückte sich und hob etwas auf.
„Hier liegen ja überall Kippen rum“, sagte sie und Lea antwortete: „Er schnickt sie überall hin. Ich kann ihn anmeckern deswegen, das nützt überhaupt nichts. Und wenn er glaubt, ich seh’s nicht, pinkelt er in die Büsche.“

Sie verabschiedeten Sondra am frühen Abend, dann schliefen Lea und Tommy miteinander, diesmal ohne vorangegangene Rangelei. Lea blieb halb auf ihm liegen, ihre schmale Hand in seiner ruhend. Er war dabei wegzudämmern und fast hätte sie ihm die Fotosache gestanden, aber sie wusste, dass es den Abend verderben würde, wenn sie es tat. Sie kam mit sich darüber ein, dass ihr eigenes schlechtes Gewissen Strafe genug war und sie es irgendwann vergessen würde. Inzwischen war sie zu einer plausiblen Lösung gekommen: Er war als Soldat dort eingesetzt gewesen und vielleicht war es sogar dort passiert, was auch immer ihm diese Narben beschert hatte. Das war Grund genug, irgendwo einen Neuanfang zu versuchen. Er hatte eine reine Weste – anders hätte er keine Green Card und keine Staatsbürgerschaft bekommen. Tommy Gallagher war Gold wert und daran würde sich auch nichts ändern.

Tommy war bereits zur Arbeit gefahren, als Lea noch zu Hause aufräumte, die CD einpackte, auf der ihr Café Video war, auf die Innenseite des Inletts notiert hatte ‚Banjo löschen, ersetzen durch You’ve got a friend – James Taylor’. Urheberrechtlich hatte der Mann sicher nichts dagegen, schließlich würde sie das Video nicht verkaufen.
Endlich rief Sondra an und bestätigte, dass sie gut zu Hause angekommen sei und dass sie mit dem nächsten Wiedersehen nicht wieder ein halbes Jahr warten sollten.
Jetzt kann ich endlich los, dachte Lea, bevor Barry mit dem Gebäck vor dem Café steht und nicht reinkommt.

Tommy holte sich einen Becher Tee und warf einen Blick auf den Dienstplan, um zu sehen, ob sich jemand krank gemeldet hatte, dann schnappte er sich eines der Fahrräder und fuhr, den Pappbecher am Rand zwischen die Zähne geklemmt, zur Werkstatt hinüber. Während der Fahrt nippte er an dem Tee, grüßte zu den ersten Studenten hinüber, die unterwegs zu ihren Vorlesungen waren. An der Backsteinmauer, direkt neben dem großen Rolltor zur Werkshalle entdeckte er das am Sonntag erwähnte Grafitti und konnte mit diesen drei Buchstaben zunächst nichts anfangen, weil er überlegte, wofür diese Abkürzung stand. Drei Buchstaben, roter Autolack, gerade so groß, dass man die Sprühbewegung aus dem Ellebogen vollführen konnte. Tommy war vom Rad gestiegen, hielt es neben sich fest, nahm den letzten Schluck Tee.


Fad? Was konnte das heißen? Fuck was? Er verzog das Gesicht, seine Schulter, in die die erste Kugel eingeschlagen war, begann dumpf zu brennen und er wusste, dass es keine Abkürzung für irgendwas war. Fad stand da vor ihm an der Mauer, nicht FAD und es sollte auch nicht Fuck sonst was bedeuten. Fad, besser gesagt, Lough Fad war ein See in einer öden einsamen Gegend in Inishowen. Er war nur einmal dort gewesen. Einmal zu oft.
Das kann niemand wissen, dachte Tommy, das ist unmöglich. Wer sollte mir auf die Schliche gekommen sein? Und selbst wenn es so wäre – sie würden keine Sekunde damit verschenken, mir zur Erinnerung Fad an die Mauer zu schreiben.
Da wusste jemand bescheid.
Das Grafitti an der Sporthalle brauchte er sich gar nicht erst anzusehen. Er stieg auf das Rad und drehte ein paar Runden über den Campus, darüber grübelnd, wer es sein könnte, wer bescheid wusste und es ihm auf diese Art mitteilen wollte. Über das warum konnte er noch nicht nachdenken.
Eins nach dem anderen, dachte er, erstmal muss ich wissen, wer es ist. Jemand, den ich kenne? Ein Fremder, der herumlaufen und es ausplaudern wird?
Er kehrte in das Büro zurück, übernahm den Telefondienst, der ihn nicht wirklich ablenken konnte von diesen drei Buchstaben. Er spielte tatsächlich mit dem Gedanken, jemanden anzurufen, der ihm helfen könnte, weil er zum ersten Mal ahnte, dass ihm jemand auf die Spur gekommen war, der es ernst meinte.
Larry Johnson fragte ihn, ob er etwas mit dem Hundescherz zu tun habe und sollte das zutreffen, würde er dicken Ärger bekommen. Tommy sah auf, blickte ihn stirnrunzelnd an und meinte: „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Larry war in der Tür stehen geblieben, die Arme vor der Brust verschränkt und machte ein Gesicht, als wolle er dem nächsten an den Kragen gehen.
„Dir trau ich so einen Blödsinn zu, Tommy.“
„Ich hab noch immer keinen blassen Schimmer, Boss“, erwiderte Tommy, hatte ein solches Verlangen nach einer Zigarette, dass er am liebsten sofort raus gerannt wäre, um sich eine anzustecken, „und ich hab wirklich andere Sorgen im Moment. Entweder erzählst du mir jetzt, was los ist, oder du gehst raus und lässt mich meine Arbeit machen.“
Larry kam herein, setzte sich auf den freien Bürostuhl neben Tommy, sah deutlich, dass Tommy angepisst war, was so selten vorkam, dass er darüber hinaus seinen eigenen Ärger zurücksteckte.
„Was ist los mit dir?“ fragte er, registrierte da erst, dass Tommy ‚Boss’ zu ihm gesagt hatte (was er noch nie getan hatte) und das auch noch in einem Ton, der bei ihm die Alarmglocken schrillen ließ.
Inishowen, dachte Tommy, betrachtete seine Hände, die ein paar Papiere auf dem Schreibtisch zusammen schoben, diese gottverdammte verlassene Gegend. Was hätte ich dafür gegeben, wenn ich dort nie gewesen wäre.
„Ich hab schlecht geschlafen“, sagte seine Stimme. In Gedanken war er noch immer am Lough Fad, es war so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte, um ihn herum die Geräusche eines nächtlichen Torfmoores und die herumirrenden Lichter der Taschenlampen. Sein Gehirn noch immer benebelt, eigentlich war er seit Monaten durchgehend betrunken. Und dann tauchten diese Männer auf.
„Du siehst aus, als hättest du gar nicht geschlafen.“
„Das könnte aufs selbe hinauslaufen.“ Er gab sich einen Ruck, schlug die Tür zu diesen Erinnerungen zu, klemmte einen Stuhl unter den Türgriff. „Wer hat dir einen Streich gespielt, Larry?“ fragte er. Er machte ein Gesicht, das sein Boss von ihm sehen wollte und war zufrieden über die Reaktion. Es war gut, wenn Larry glaubte, dass alles wieder in Ordnung war, dass der alte Tommy nur einen kurzen Durchhänger hatte, aber ansonsten alles war wie sonst.
„Irgendjemand“, sagte Larry, fuchtelte mit einer Hand herum, als versuche er eine lästige Fliege zu fangen, „hat einen Köter unter das Bürofenster angebunden. Ich hab hier die Nachtschicht geschoben und die Töle hat die ganze Zeit gekläfft.“
„Hast du den Hund gefunden?“
„Nein“, sagte Larry, „wenn ich nach draußen gegangen bin, war er stumm und verschwunden.“
„Vielleicht ein Streuner.“
„Oder eine von euch Clowns, der mir einen Streich spielen wollte.“
„Ja, sicher“, sagte Tommy grinsend, „wir haben auch alle an einem Sonntag nichts besseres zu tun.“
Er verbrachte eine ausgedehnte Kaffeepause bei Lea, schaffte es, auf dem Weg dorthin drei Zigaretten hintereinander zu rauchen.
Ich muss das einschränken, dachte er.
Er nahm an der Theke Platz, stützte das Kinn in die Handfläche und beobachtete die Gäste in Leas Café, lächelte immer mal wieder zu Lea hinüber.
„Spike kommt nachher vorbei“, erklärte sie, „ich hab ihn angerufen und gesagt, er soll den Song unter das Video legen und mir ein paar Kopien ziehen. Das ist dann die endgültige Fassung.“
Sie dachte einen Moment nach, zeigte auf Tommy und fragte: „Was heißt Video eigentlich auf irisch?“
„Fistéip“, sagte er ohne zu überlegen. Lea schnalzte mit der Zunge und erwiderte, als sie sich bereits wieder abwandte: „Das klingt nicht wirklich irisch. Entschuldige – gälisch. Ich denk mir was anderes aus.“
„Es freut mich für dich, dass das Video endlich fertig ist.“
Sie winkte einem Gast zu, der einen weiteren Kaffee wollte, signalisierte ihm ein Okay und sagte grinsend: „Und ich weiß, was du gerade denkst. Jetzt ist das Thema Video endlich vom Tisch.“
Statt Spike kam David vorbei, etwa eine halbe Stunde, nachdem Tommy wieder zur Arbeit gegangen war.
Den hätte ich nicht unbedingt gebraucht, dachte Lea, setzte trotzdem ihr freundliches Gesicht auf. Sie war gerade dabei, Kaffeebecher aus der Spülmaschine zu räumen, kontrollierte die Ränder nach Risse und Kitschen, um solche Tassen direkt auszusortieren.
„Hi“, sagte David. Er legte seine Tasche auf die Theke, zog den Reißverschluss auf. „Ich hab dir was mitgebracht. Spike hatte keine Zeit.“
Am liebsten hätte sie ihn vollkommen ignoriert, aber sie sagte sich, dass er noch immer ein Gast des Cafés war und sie sich professionell ihren Kunden gegenüber verhalten sollte.
„Ich danke dir“, sagte sie, „möchtest du einen Kaffee? Ich hab ’ne neue Mischung im Angebot.“
Er legte die CDs, es waren fünf Stück, auf die Theke, stellte seine Tasche, in der seine Bücher und Seminarunterlagen waren, zwischen seinen Füßen ab.
„Sehr gerne“, sagte er.
Sie füllte eine Tasse, schob sie David entgegen, rührte aber die CDs, die vor ihr lagen, nicht an. An den anderen Tischen ließ sie sich Zeit beim Kassieren, Kaffee austeilen und Geschirr abräumen, nur um nicht so schnell wieder zu David gehen zu müssen. Hätte er sie nicht vor den Kopf gestoßen mit seinen Bemerkungen über Tommy, hätte sie ihn einiges über ihren Fund im Internet fragen können. Auf dem Tablett brachte sie die Tassen hinter die Theke, zuckte zusammen und ärgerte sich sofort darüber. Sie musste den Eindruck hinterlassen, als sei sie eine hypernervöse Pute, nur weil David sich räusperte und sagte: „Entschuldige bitte, Lea. Ich weiß, ich hab mich saudumm benommen. Das kann ich wohl nicht wieder gut machen, was?“
„Verbieg dich nur nicht“, sagte Lea, lächelte aber, dankbar dafür, dass er sich entschuldigte und es offensichtlich ehrlich meinte.
„Es hatte seine Gründe. Vielleicht kann ich dir das alles irgendwann mal erklären.“
„Irgendwann vielleicht mal“, stimmte Lea zu, sie deutete mit dem Kinn auf seine Tasse. „Schmeckt der Kaffee? Soll ich ihn im Programm behalten?“
David lächelte entschuldigend, einen Mundwinkel verzogen (diese Mimik erinnerte sie an Tommy) und sagte flüsternd: „Ich sage nur ein Wort: Sportsocken.“
Lea brauchte eine Sekunde um zu begreifen, was er meinte. Dann kicherte sie, hielt sich den Handrücken gegen die Lippen.

Tommy hatte die Sache mit dem nächtlichen Hundegebell, die Larry ihm vor einer Woche erzählt hatte, längst vergessen. Er hatte einen Entschluss gefasst – wenn keine neuen Andeutungen in Form von Grafittis oder schlimmeres (Anrufe zu Hause, schöne altmodische Briefe in dem Briefkasten, der auf seinem Pflock am Gartentor stand) auftauchten, würde er seinen Denkkasten dazu zwingen, Lough Fad wieder zu vergessen. Sein persecution mania könnte einfach außer Kontrolle geraten sein, auch wenn er an diese einfache Lösung nicht wirklich glaubte. Aber er wusste einfach nicht, was er unternehmen sollte, allein mit einem gesprühten Fad an ein oder zwei Wänden des Collegegeländes. Er konnte sich dazu zwingen, an Fuck a duck oder ähnlich albernes zu glauben, das war kein Problem. Also tat er so, als sei alles in Ordnung und hoffte, dass Lea nichts bemerkt hatte.
Er verbrachte fast drei Tage damit, in einem Studentenhaus ein paar elektrische Leitungen zu kontrollieren, hielt sich auf den Fluren vor den Studentenzimmern auf und wurde immer wieder in Gespräche verwickelt. Ein paar neunmalkluge Typen erkundigten sich, ob er Elektriker sei und davon überhaupt Ahnung hatte, was er da machte, und gewöhnlich machte er einen Schritt zur Seite und erwiderte, er könne Hilfe gebrauchen und ob einer von den Jungs mal eben das Kabel halten könne. Dann ließen sie ihn wieder in Ruhe. Bei diesen Reparaturarbeiten, die er in aller Ruhe durchführte, sich für eine Zigarettenpause an das geöffnete Fenster setzte, hörte er Larrys Phantomhund. Es war das nervtötende Bellen eines Terriers, jede Wette, und es klang nicht so, als sei er irgendwo draußen auf der Anlage. Während er den letzten Lichtschalter wieder anschraubte, warf er einen Blick den langen Gang hinunter, wo sich auf der rechten Seite eine Tür öffnete, jemand den Kopf raus steckte und sofort wieder zurückzog. In diesen vier Sekunden, in denen die Tür geöffnet war, war das Kläffen klarer zu hören, dann das Türknallen und es klang, als versuche jemand, dem Hund das Maul zuzuhalten. Tommy packte das Werkzeug ein, brachte den Kasten zurück in die Werkstatt und ging ins Büro. Larry Johnson saß in seinem Büro, hatte den Rücken zur Tür gedreht und telefonierte. Er konnte ihn nicht stören, aber vielleicht konnte er ihm seinen Hundescherz präsentieren.
Im Wohnhaus klopfte Tommy an die Tür, an der nicht nur die Zimmernummer zu lesen war, sondern auch Aufkleber mit Tier- und Herzmotiven angebracht waren, trat zur Seite und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Er hatte kein Recht, die Zimmer zu durchsuchen, aber es war kein Problem, wenn er hereingelassen wurde, sich mal umzusehen. Hinter der Tür waren hektische Geräusche zu vernehmen, als versuche jemand schnell etwas in einem Schrank verschwinden zu lassen, was sich vehement dagegen wehrte. Als sich die Tür öffnete, legte er den Kopf schief, lächelte und sagte: „Hallo, ich bin Tommy Gallagher. Kann ich kurz mit ihnen sprechen?“
Es war das Mädchen, das ihn vor einiger Zeit wegen der Hundehaltung angesprochen hatte, er erkannte sie sofort wieder. Sie machte einen nervösen Eindruck, quetschte sich durch den engen Spalt in der Tür auf den Flur, zog die Tür hinter sich ins Schloss.
„Ich hab sehr viel zu tun“, flüsterte sie blinzelnd, „kann ich nachher zu ihnen ins Büro kommen? Das würde mir besser passen. Wirklich?“
„Wollen sie gar nicht wissen, weshalb ich mit ihnen sprechen will?“
„Weswegen denn?“
„Es geht um den kleinen Untermieter, der seine Klappe nicht halten kann.“ Er beugte sich noch ein Stück tiefer, um nicht so laut sprechen zu müssen. „Sie wissen doch, dass es verboten ist.“
„Ich weiß nicht, wovon sie sprechen.“
Tommy seufzte, pfiff zweimal kurz durch die Zähne und schon kam aus dem Zimmer ein deutliches Kläffen, etwas gedämpft, aber deutlich ein Hund, der im Wohnheim nichts zu suchen hatte.
„Wundert mich, dass ihre Mitbewohner dicht gehalten haben. Was haben sie denen versprochen? Oder haben die einfach die Musik lauter gemacht?“
Er sah kommen, was kommen musste – sie begann zu weinen. Sie senkte den Kopf, schluchzte und das lange offene Haar fiel ihr ins Gesicht. Endlich öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer, ließ Tommy herein, der sich schnell und nur aus den Augenwinkeln umsah, mit ehrlichem Mitleid beobachtete, wie das Mädchen die Klappe an ihrem Schreibtisch öffnete, dabei vor sich hinschluchzte und kaum noch zu atmen schien. Aus dem Schreibtisch kam ein brauner kraushaariger Hund in der Größe eines Jack Russell Terriers, hechelte aufgeregt umher, kläffte einmal und sprang an Tommys Beinen hoch. Seine Besitzerin ließ sich auf das Bett fallen, schlug die Hände vor das Gesicht.
„Sie dürfen ihn mir nicht wegnehmen“, sagte sie, „er kommt ins Tierheim, wenn er nicht hier bleiben darf. Sie werden ihn umbringen.“
Tommy ging in die Knie, tätschelte dem Hund den Kopf und stöhnte innerlich darüber, um was zum Geier er sich noch kümmern musste. Aber dieser kleine Kerl war wirklich niedlich, wenn man von seiner schrillen Stimme absah. Er war ein freundlicher Hund.
„Wie heißt er?“ fragte er, setzte sich neben das Mädchen. Als wüsste der Hund, dass es um ihn ging, sprang er seiner Besitzerin auf den Schoß.
„Das ist Joyce“, schluchzte Tina, „er ist mein Ein und Alles. Bitte nehmen sie ihn mir nicht weg.“
„Wir finden schon eine Lösung. Aber wenn er noch mal abends unter dem Fenster von Larry Johnson kläfft, landet er in der Wurstmaschine der Mensa.“
Tina schaffte es verzweifelt zu lachen. Sie wischte sich mit dem Zeigefinger die Tränen unter den Augen fort.
„Er ist mir ausgebüchst“, sagte sie, „ich konnte ja nicht laut nach ihm rufen und er ist immer wieder vor mir weggerannt, weil er es so lustig fand.“
Tina beruhigte sich endlich, hoffte, Tommy würde sich eine gute Lösung einfallen lassen, so etwas wie eine Ausnahmeregelung der Hausordnung für Joyce. Das musste er einfach tun. Tommy legte eine Hand in den Nacken, betrachtete den Hund, der von seiner Größe kaum auffallen würde, wenn er denn mal die Klappe hielt.
„Ich gebe ihnen mein Wort, dass ich mir etwas einfallen lasse“, sagte er, „ich finde eine gute Lösung. Aber ich muss Joyce mitnehmen.“
Sie holte Luft zu einem unglücklichen Protest, er schnitt ihr direkt das Wort ab, um sich das Geheule nicht wieder anhören zu müssen.
„Ich nehme ihn mit ins Büro“, wiederholte er nachdrücklich, „da können sie ihn besuchen und zum spazieren gehen abholen. Abends nehme ich ihn mit zu mir. Verträgt er sich mit Katzen?“
Tina zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
Tommy erhob sich und fragte: „Können sie mir alles mitgeben? Leine, Halsband, sein Futter. Vielleicht noch seine Decke, damit er sich bei uns im Büro wohler fühlt.“
„Aber er kann doch nicht für immer im Büro bleiben.“ Tina packte die Sachen in eine Tüte, natürlich kramte sie noch ein Dutzend verschiedener Quetschtiere und Bällchen heraus, bei deren Anblick sie wieder zu weinen begann.
„Es ist eine Lösung für heute“, sagte Tommy geduldig, „ich finde schon was besseres. Irgendjemanden, der ihn aufnimmt und wo sie ihn besuchen können.“
Tina war darüber nicht glücklich, aber immerhin sah sie ein, dass sie Joyce nicht weiter im Rand Hall verstecken konnte. Tommy nahm die Tüte, steckte sich Joyce unter den Arm. Er verhinderte eine lange Abschiedsszene, in dem er mit dem Hund einfach aus dem Zimmer marschierte und alle Ratschläge und Tips nicht hören wollte, die Tina noch für ihn hatte. Joyce zappelte in seinem Griff, er packte ihn etwas fester und murmelte: „Du hältst still, mein Freund. Und wenn du dich mit Katzen anlegst, hast du sowieso verloren.“
Auf dem Weg zum Sicherheitsgebäude machte Tommy den kleinen Hund an die Leine und war überrascht, dass er wie selbstverständlich neben ihm herlief. Er kam unbehelligt bis an seinen Schreibtisch, wo er Joyce unter dem Tisch anband, ihm zuflüsterte, dass er bloß seine freche Klappe halten solle. Joyce hechelte und war einverstanden, für eine Weile nicht laut zu geben.
Oben auf dem Schreibtisch erledigte Tommy seinen Schreibkram, ging dabei in Gedanken alle möglichen Personen durch, die einen Hund bei sich aufnehmen könnten. Es gab nicht viele, die auf die Liste kamen, darunter waren auch Douglas und Mrs. Troutman, von der er einfach nur annahm, dass sie sich gerne um einen netten kleinen Kerl kümmern würde. In einem Punkt hatte Tina Recht – das Tierheim war eine denkbar schlechte Alternative.
Obwohl immer wieder Kollegen hin und her liefen, Türen klappten und eine allgemeine Unruhe herrschte, blieb Joyce unauffällig und ruhig. Tommy bückte sich, als wolle er sich im Sitzen die Schuhe zubinden, verschwand mit dem Kopf unter der Tischplatte und flüsterte: „Weshalb hast du bei ihr nicht die Klappe gehalten? Du Verräter.“
Joyce hechelte ihn an, wedelte vorsichtig und blieb stumm. Scott, der den Schreibtisch vor Tommy hatte, kam herein, suchte etwas in seinem Chaos und entdeckte ihn mit dem Kopf unter dem Tisch.
„Was treibst du da?“ fragte er und grinste bei dem dumpfen Geräusch, als Tommy mit dem Hinterkopf unter die Tischplatte schlug.
„Ich hab nur ein kleines Rätsel gelöst und hab jetzt ein großes Problem am Hals.“
Er rieb sich den Hinterkopf und machte eine auffordernde Handbewegung zu Scott, dass er um den Tisch herumkommen sollte.
„Oh“, machte Scott, „das ist der Kläffer, der Larry auf die Nerven gegangen ist. Wo hast du ihn gefunden?“
„Das ist mein kleines Geheimnis. Jetzt such ich so was wie eine vorübergehende Tagesmutter für Joyce.“
„Nimmst du ihn nicht mit nach Hause?“
„Das würde ich für eine Nacht tun“, sagte Tommy, „aber wir haben Katzen im Haus. Das geht ins Auge.“
„Ich könnte es versuchen“, sagte Scott, „meine Frau ist den ganzen Tag zu Hause und er wäre nicht allein.“
Tommy grinste. „Das heißt, deine Frau könnte es versuchen. Aber ich weiß nicht, nach dem du mir erzählt hast, was mit eurem letzten Hund passiert ist...“
Scott machte ein beleidigtes Gesicht.
„Das war ein Unfall“, sagte er, „lass den Kleinen doch mal sehen.“
Tommy löste den Knoten der Leine, hob ihn auf den Schreibtisch. Mit dem Blick zur Bürotür sagte er: „Wir müssen nur aufpassen, dass Larry...“
Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, kam Larry Johnson mit einem Stapel Hängeordner unter dem Arm herein, trat bis vor den ersten Schreibtisch und brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass da ein Hund auf Tommys Schreibtisch hockte. An seiner Stirn begann eine Ader zu pulsieren.
„Ich wusste doch, dass ihr beiden dahinter steckt“, schrie er, „und ich fall auch noch auf eure stinkenden Ausreden herein.“
„Ach du große Kacke“, murmelte Tommy und Scott drehte grinsend das Gesicht zur Seite. Das gab dicken Ärger.

Zu Hause stieg Tommy unter die Dusche, er hatte das Gefühl, am ganzen Körper nach Hund zu riechen und fürchtete, Feo könnte ihn dafür hassen. Lea kam nach Hause, warf sich zu ihm auf die Couch, drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ich hab Hunger“, sagte sie, „was ist mit dir?“
„Mir reicht irgendeine Kleinigkeit. Soll ich was kochen?“
„Ich hab Steaks gekauft. Und dann sehen wir uns mein Video in der perfekten Fassung an.“
„Bis zum Erbrechen“, murmelte Tommy und kassierte einen Seitenhieb.
Beim Essen berichtete er dann ausführlich von dem Streit mit Larry, der ihm beim Anblick des Hundes vorgeworfen hatte, ihm doch den Streich gespielt zu haben.
„Er ließ sich nicht davon abbringen zu behaupten, wir wären während seiner ganzen Schicht mit dem kläffenden Köter unter dem Fenster hin- und hergelaufen. Ich musste die Studentin ins Büro rufen, die ihm noch bestätigen musste, dass sie Joyce reingeschmuggelt hatte, weil sie so an ihm hing. Er war stinksauer und dachte, wir hätten sie geimpft, unser Spiel mitzuspielen.“
„Und dann?“
„Ich hab Larry gesagt, er solle erstmal nach Hause fahren und sich abreagieren. Tina heulte schon wieder und der Köter kläffte in einem fort. Es war zum wahnsinnig werden. Scott hat den Hund und Tina schließlich zu sich nach Hause gefahren, damit sie sich ansehen konnte, wo er leben würde und wo sie ihn besuchen konnte. Er kam zurück und sagte, sie sei einverstanden, habe aber trotzdem nicht aufgehört zu weinen.“
„Sie hängt an dem Hund.“
„Nur leider hängt der Hund nicht sonderlich an ihr. Er ist sofort durchs ganze Haus gerannt und hat mit den Kindern gespielt.“
„Hunde“, bemerkte Lea geringschätzig, „ich bin froh, dass du nicht auf die Idee gekommen bist, ihn hier her zu bringen.“
Halleluja, dachte Tommy.

Kaum hatte er sich an den Gedanken gewöhnt, dass das Grafitti nichts zu bedeuten hatte, bekam er einen Telefonanruf, eine Woche, nachdem er Joyce bei Scott Soucy untergebracht hatte. Es war früher Abend, sie waren beide zu Hause und hatten sich auf die Terrasse gesetzt, wo sie bei Wein und Tee die spielenden Katzen beobachteten. Lea hatte den King neben sich liegen, aber nicht darin gelesen; Tommy blätterte in einer Zeitung, versunken in den Gedankengängen, die er nicht offenbaren konnte. Die Katzen benahmen sich so albern, dass Lea sagte, Tommy solle den Fotoapparat holen und ein paar Fotos von ihnen schießen. Sie kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Der Fotoapparat befand sich gewöhnlich in der unteren Schublade des Sideboards im Wohnzimmer und als er dort danach suchte, klingelte das Telefon. Er hob ab und meldete sich mit Gallagher, wieder dabei bemüht, den irischen Akzent vollständig abzulegen, seit ihm aufgefallen war, dass er bei Gesprächen am Telefon immer noch etwas stärker ausfiel. Da kam es schon vor, dass er statt Patrick Padraigh sagte. Er überlegte, ob in der Kamera überhaupt noch ein Film war, erstarrte und vergaß es sofort wieder, als er die Stimme hörte. Der Mann begrüßte ihn, nannte ihn beim Namen und sagte, er müsse mit ihm reden. Über die alten Zeiten. Er sprach gälisch und Tommy fiel darauf herein – er antwortete auf Gälisch, sagte, er wüsste überhaupt nicht, worüber sie reden sollten und wollte wissen, mit wem er sprach. Darauf bekam er keine Antwort, nur ein belustigtes Lachen war zu hören.
„Ich bitte dich, Tommy, das ist nicht wichtig. Das hat Zeit, bis wir uns treffen und miteinander reden.“
„Ich hab kein Interesse, mich mit ihnen zu treffen, wenn sie mir nicht mal ihren Namen nennen.“ Er hätte weiter diskutiert mit dieser Stimme (Belfaster Akzent, verdammt), die ein Bild in seinem Kopf entstehen ließ, dass ihm nicht gefiel. Ganz und gar nicht. Ein Gesicht aus den Achtzigern, eines dieser abgestumpften Gesichter mit diesen lächerlichen Frisuren, gekleidet in Jeans, dunklen Hemden und schwarzen Doc Martens, immer mit einer Zigarette zwischen den Lippen. Keine klaren Gesichtszüge, aber Tommy war sich sicher, diese Stimme sofort wieder zu erkennen.
Er legte wortlos auf, als Lea an ihm vorbeiging, mit ihren Fingern seinen Rücken streifte und in der Küche die Kühlschranktür öffnete. Er betete zu Gott (zu jedem Gott, der ihm einfiel in dieser Sekunde) sie hätte nichts von dem Telefonat mitbekommen, nicht gehört, dass er gälisch gesprochen hatte, denn das würde die nächste Frage unwiderruflich nach sich ziehen, mit wem er sich unterhalten hatte.
Mit der Literflasche Orangensaft kam sie aus der Küche zurück, zwei Gläser in der anderen Hand, nahm wieder neben ihm auf der Terrasse Platz. Sie schüttete den Saft ein, erst in sein Glas, dann in ihres und fragte: „Was das gälisch?“
„Was?“
„Eben am Telefon.“
„Ja“, sagte er abwesend, dann bestätigend: „Gälisch.“
Sie sah ihn an, wartete, nahm einen Schluck aus dem Glas, und sagte: „Und?“
„Und was?“
„Wo ist der Fotoapparat, für den du losgegangen bist?“
Er machte eine komische Grimasse, stand auf und holte den Apparat. Sie krochen schließlich gemeinsam durch das Gras, verfolgten die Katzen und Lea verschoss an die zwanzig Bilder, bis der Film voll war. Da sie schon mal im Gras lagen, blieben sie dort liegen, Lea robbte sich an ihn heran, legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Wer war das am Telefon?“ fragte sie, „soweit ich mich erinnere, hast du noch mit niemandem auf Gälisch gesprochen.“
„Es kann ja auch niemand hier.“
„War’s ein alter Bekannter?“
„Nein“, sagte Tommy, „keine Ahnung, wer das gewesen ist. Da hat jemand irgendeinen Blödsinn abgelassen und wieder aufgelegt.“
Er drehte sich ein Stück zur Seite, sein Shirt schob sich nach oben und das lange Gras kitzelte an seinem Rücken. Seine Position musste er ändern, um nicht mehr in die Sonne zu blinzeln. Lea rutschte nach, griff nach der Kamera neben sich, öffnete das Filmfach und entnahm die Filmkapsel.
„Ich hab bestimmt noch einen Film im Kühlschrank“, sagte sie, wollte sich aufrichten und nachsehen, ob sie Recht hatte, aber Tommy legte seine Hand unter ihr Kinn und hielt sie fest. Sie kicherte, war versucht, ihm in den Daumen zu beißen.
„Es hat nicht schon vorher komische Anrufe gegeben, oder?“ fragte Tommy. Seine Hand lag noch immer an ihrem Kinn, sie griff nach ihr und hielt sie fest.
„Nein“, sagte sie, „keine komischen Anrufe. Was meinst du mit komische Anrufe?“
Darauf antwortete er nicht direkt. Er fürchtete, er könnte sich zu weit aus dem Fenster lehnen, sollte es vielleicht unausgesprochen lassen. Lea klopfte auf seine Hand wie zur Ermahnung endlich etwas zu sagen, er zog die Hand weg und sie drehte sich auf den Bauch, um ihn ansehen zu können.
„Wenn mich irgendjemand aufziehen will, ruft er vielleicht noch mal an. Am besten legst du sofort auf, wenn es passiert.“
„David war es nicht, oder?“
Er runzelte die Stirn. „Wie kommst du auf David?“ In seinem Kopf klang es schon wieder wie Dyfatt.
„Er ist der einzige, den ich kenne, der auch aus Irland ist“, sagte sie, „deshalb komme ich auf ihn.“
David ist auch der einzige, mit dem ich Gälisch gesprochen habe, dachte Tommy, und bei dem ich angedeutet habe... Aber hätte er einen Grund für so einen Anruf?
„Sonst nichts?“ fragte er ins Blaue hinein. Sie sah ihm fest in die Augen, ohne auszuweichen oder zu blinzeln.
„Er hätte keinen Grund“, sagte sie, „er ist ein netter Junge und er hat einmal komische Andeutungen gemacht, aber da hat er versucht, mit mir anzubändeln. Ich hab ihm den Zahn gezogen.“
„Was für Andeutungen?“
„Nur wegen unseres Altersunterschiedes. Es spielt keine Rolle.“
Vielleicht doch, dachte Tommy, hatte die erste Begegnung mit David wieder vor Augen, Davids Geständnis, was er von seinem Dad gelernt hatte.
Er stand auf, reagierte nicht auf Leas Frage, was los sei, lief über die Terrasse ins Haus zurück. Er war barfuss, nur in Hosen und T-Shirt, aber als er zurückkam, trug er die alten Wildlederschuhe und hielt den Autoschlüssel in der Hand. Sein Gesichtsausdruck war mehr als abwesend.
„Das ist nicht dein Ernst, oder? Wo willst du hin?“
„In einer Stunde bin ich zurück.“
Sie kniete auf dem Rasen, beobachtete fassungslos, wie Tommy ohne sich umzudrehen um das Haus verschwand, hörte den Motor des Nissans und die Starre fiel endlich von ihr ab. Lea war wie vor den Kopf geschlagen – eben noch hatten sie wie träge Katzen im Gras gelegen, dann sagte sie ein Wort zu viel und er war auf und davon.
Was zum Teufel soll das heißen? Ich kann’s nicht glauben, dass er das gemacht hat.
Sie erhob sich, der Fotoapparat baumelte vergessen an dem Nylonriemen, das Objektiv ganz knapp über dem Boden. Das bemerkte sie nicht, sie drehte sich zu den Katzen um, die unter dem Baum lagen und schliefen, betrat das Haus. Alles wirkte still und verlassen, sie hätte gerne herumgetobt und wäre am liebsten dem Nissan nachgefahren. Schließlich reagierte sie sich ab und versuchte das ungute Gefühl zu verdrängen, indem sie laute Musik anmachte, bis die Wände wackelten und legte sich zusammengerollt in den Sessel vor den Fernseher. Normalerweise stand er zur Tür gedreht, aber Lea drehte ihn zum Fenster herum, beobachtete, wie sich die Gardinen im Luftzug bewegten. Trotz der Musik, die durch das ganze Haus schallte, wurde sie müde und schloss die Augen, ging in Gedanken das Gespräch durch, um vielleicht herauszufinden, was passiert war. Um den Auslöser zu finden.
Es geht um David, dachte sie, ich hoffe, er erklärt es mir, wenn er zurückkommt. Und ich bringe ihn um, wenn er nicht in einer Stunde wieder auf der Matte steht.
Sie schlief ein. Tommy war länger als eine Stunde weg, er kam erst zurück, als es bereits dunkel war und zu regnen begonnen hatte. Sie sah nicht auf die Uhr, öffnete nicht einmal die Augen, als er im Gang das Licht anmachte, zur Musikanlage ging und leiser drehte.

Er hatte die Musik schon vor dem Haus gehört, selbst bei laufendem Motor.
Ich muss es ihr sagen, dachte er, ich muss so weit gehen wie es nur geht. Oh Mann, ich stecke so tief in der Scheiße, dass ich nicht weiß, ob ich da jemals wieder rauskomme.
Er betrat das Haus, hoffte, er würde es Lea erklären können und alles würde sich wieder beruhigen. Er wusste nicht, dass das erst der Anfang war.
„Lea?“ flüsterte er, warf einen Blick ins Wohnzimmer und sah nur ihre Hand, die auf der Armlehne des umgedrehten Sessels lag. Sie reagierte nicht. Nachdem die dröhnende Musik abgestellt war, kamen auch die Katzen ins Haus zurück, allerdings über die Terrasse, deren Tür Lea offen stehengelassen hatte. Der Regen war hereingeweht, hatte den lackierten Holzfußboden durchnässt. Auf nackten Füßen, weil er die Schuhe in der Schlammecke abgestellt hatte, ging er durch die ganze Etage, schaltete die Lampen an, schloss die Terrassentür. Feo war auf die Anrichte beim Esstisch gesprungen, beobachtete ihn mit missmutigem Gesicht, als sei es Tommy Schuld, dass er nass geworden war.
„Sieh mich nicht so an“, murmelte Tommy, „ich tu mein bestes, um die Sache wieder hinzubiegen.“
Er hockte sich vor den Sessel, in dem Lea sich noch immer nicht gerührt hatte, allerdings sah sie ihn mit einem Auge an, hatte sich das andere auf dem Arm liegend zugedrückt.
„Du bekommst einen steifen Hals, wenn du so liegen bleibst“, sagte er, „geh ins Bett, ich komme nach und erklär dir alles. In Ordnung?“
„Noch ist nichts in Ordnung“, erwiderte sie.
Und er war sich auch nicht sicher, ob er es in Ordnung bringen konnte. David war ganz zuversichtlich gewesen, aber wie lange kannte David Lea? Nicht einmal zwei Monate. Er hatte keine Ahnung, wie Lea reagieren konnte.
Sie ließ sich dazu überreden, ins Schlafzimmer und ins Bett zu gehen, hielt den Kopf erhoben und sah ihm trotzdem nicht in die Augen. Es tat ihm weh, sie in dieser verunsicherten Verfassung zu sehen. Er wartete einen Moment, holte ein Glas und die angebrochene Weinflasche aus der Küche.
Sie hatte nur das Licht auf ihrer Seite angemacht, lag auf der Bettseite, die Tagesdecke hatte sie mit den Füßen herunter geschoben. Sie hatte überlegt, in welcher Position sie eine schlechte Nachricht am besten verkraften würde, hatte sich für das Liegen entschieden und sich ihr dickes Kopfkissen in den Arm gestopft. In ihrer gemeinsamen Zeit hatten sie sich häufig wegen kleiner Dinge in der Wolle gehabt, aber es war nie so weit eskaliert, dass sie nicht mehr miteinander gesprochen hatten. Soweit war es nie gekommen. Lea hatte plötzlich das Gefühl, wenn Tommy keine logische Erklärung für sein seltsames Benehmen hatte, könnte es das erste Mal sein, dass sie nicht mehr mit ihm reden wollte. Er stellte etwas auf ihrem Tisch ab, wo der Wecker stand und eines ihrer Taschenbücher lag, sie wandte den Kopf und beobachtete, wie er ihr einen guten Schluck Wein eingoss, ihr das Glas reichte. Sie nahm es entgegen, musste dafür das Kissen mit einer Hand loslassen, trank aber nicht. Tommy nahm zu ihren Füßen Platz, stützte sich mit einer Hand neben seinem Oberschenkel ab und versuchte einen Anfang zu finden.
„Ich bin zu David gefahren“, begann er endlich, „weil du mich drauf gebracht hast, dass er der einzige Ire sei, den du kennst. Nebenbei ist er auch der einzige, der weiß, dass ich mehr Gälisch spreche als nur sláinte und dia duit. Ich hätte auch bis morgen früh warten können, aber glaub mir, ich hätte die ganze Nacht wach gelegen. Also bin ich zum College gefahren und hab ihn im Rand Hall gefunden, wo er sein Zimmer hat.“

Es war verboten, mit Privatwagen auf das Collegegelände zu fahren, aber an diese Regel dachte Tommy nicht, er fuhr den Nissan einfach bis vor das Rand Hall und ließ ihn dort stehen. Es war früher Abend und Ruhe würde noch lange nicht einkehren im Wohnheim. In der Halle, es saßen dort noch einige Studenten herum und diskutierten über furchtbar wichtige Dinge, fragte Tommy, welche Zimmernummer David McCann habe und obwohl er versuchte, einen entspannten Eindruck zu machen, gelang ihm das wohl nicht wirklich. Der Student, der mit einem Comic auf dem Schoß in der Sitzgruppe saß, sah eingeschüchtert zu ihm auf, hob eine Hand und deutete den rechten Flur hinunter, nannte die Zimmernummer und fügte entschuldigend hinzu: „Aber ich weiß nicht, ob er da ist.“
Tommy nickte nur. Als er gegangen war, sahen sie sich unverhohlen fasziniert an und sofort machten Spekulationen die Runde, was David ausgefressen haben könnte, dass Tommy ihm am Abend noch einen Besuch abstattete. Und dazu noch mit einem Gesichtsausdruck, als würde er ihm mit bloßen Händen vierteilen wollen. David war in seinem Zimmer. Er und Abe spielten Schach, da Brett lag auf Davids Schreibtisch, sie hockten auf ihren ausgeleierten Bürostühlen, hatten zwar die Bücher um sich herum verteilt, schienen aber nicht den Eindruck zu machen, als würden sie noch Luft an die Seiten lassen. Tommy klopfte und stand in der Tür, wartete, bis die beiden ihn ansahen. Abe war nur erstaunt, David mehr schuldbewusst und er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war.
„Kannst du uns einen Augenblick allein lassen?“ fragte Tommy, und obwohl er Abe nicht direkt ansah, den Blick durch das Zimmer schweifen ließ, wusste Abe sofort, dass er gemeint war. Er zog seine rutschende Boxershorts zurecht, nahm seine Jacke und Trainingshose, im vorbeigehen noch ein Buch und sein Mobile und ging vor die Tür, mit einem schrägen Seitenblick auf David, der wie eine Gipsstatue dasaß. Tommy drückte hinter ihm die Tür ins Schloss.
„Ich hab da ein kleines Problem, bei dem du mir sicher helfen kannst“, begann Tommy, setzte sich auf den frei gewordenen Drehstuhl, rollte sich einen halben Meter zurück, um die Beine ausstrecken zu können. „Ich hab vor einer halben Stunde einen seltsamen Anruf bekommen. Jemand hat sich auf Gälisch gemeldet und gesagt, ich solle mich mit ihm treffen und ein wenig über die alten Zeiten plaudern.“
„Verdammt“, flüsterte David. Er sprang auf, stieß an das Schachbrett und die schwarzen und weißen Figuren flogen von ihren Feldern, rollten vom Tisch herunter.
„Ich hab denen gesagt, dass ich es allein schaffe, ich hätte es geschafft, verdammt noch mal, es hätte nur ein wenig gedauert.“ Er versuchte den jammernden Ton abzustellen, aber es gelang ihm nicht. „Dumme Arschlöcher. Ich versteh‘s nicht. Terry – das ist der aus der Splittergruppe -ist auf mich zugekommen, weil mein Dad dich aus Belfast kannte. Sie wollen dich wieder aktivieren und ich sollte vorfühlen, ob du bereit dazu wärst. Ich weiß, der Haken ist, dass du hast wahrscheinlich nie mit jemandem namens McCann zusammengearbeitet. Es ist so, dass ich nicht wirklich David McCann heiße. Wenn die jetzt alles über den Haufen schmeißen, kann ich es auch alles zugeben.“
Tommy drehte sich auf dem Stuhl hin und her, als mache er diese große verneinende Geste mit dem ganzen Körper. Er schien ganz in Gedanken versunken, beobachtete David ganz genau, der wieder Platz genommen hatte und den Kopf gesenkt hielt. Auf dem Schreibtisch, neben einer Cola Light Flasche und einem Mr. Potatoe-Head lag seine Brieftasche, er klappte sie auf, zog ein Foto heraus und legte es auf das Schachbrett.
„Ich bin nicht David McCann“, wiederholte er, „Terry hat mir Papiere und Zeugnisse mit diesem Namen besorgt. Ich bin...“
Tommy sah auf das Foto und wusste es, noch bevor er das Pony wiedererkannte. Dabei war es über ein Jahrzehnt her, dass er es in Dublin gesehen hatte und dass auch nur für einige kurze Momente. Die Erinnerungen sprudelten durch seinen Geist. Es fügte sich alles so blitzschnell zusammen, dass ihm schwindelig wurde. Er kannte die Gesichter, er kannte das Haus im Hintergrund. Pettigoe, County Donegal, im Grenzgebiet nach Nordirland.
„Du bist Darren Finnigan“, sagte er, konnte den Blick nicht von diesem Foto nehmen, „in Belfast hab ich dich oft herumgetragen, als du noch ein kleiner Windelscheißer warst. Ich weiß nicht, weshalb ich dich nicht bei der ersten Begegnung erkannt habe. Es kann nicht nur an den gefärbten Haaren liegen. Wenn man Kinder aus den Augen verliert, vergisst man wohl, dass sie älter werden. Dein Dad hat mich in die Staaten geholt. Wo ist er? Geht es ihm gut?“
„Er ist vor einem Jahr im November gestorben. Die Kugel hat ihn letztendlich doch umgebracht.“
Nach dem genauen Datum brauchte Tommy nicht zu fragen.
Ich hab es geahnt, dachte er, etwas war seltsam an diesem Tag. Kieran ist gestorben und ich hab einen Tag lang wie gelähmt im Bett gelegen. Das nenn ich eine alte Verbindung.
„Kieran war die Verbindung, über die sie dich aufgespürt haben. Sie wissen, dass du offiziell tot und begraben bist, aber sie haben die richtigen Quellen angezapft. Mich haben sie im irischen Gemeindezentrum angesprochen. Terry ist aus Armagh und war in der Army. Es sind eindeutig Falken, wenn du das wissen willst, ob nun Falken oder Tauben. Wenn sie dich haben wollen, sind es wohl Falken, richtig?“
Tommy nickte, versuchte ein paar weitere Teile ins Puzzle zu setzen, aber noch passte alles nicht zusammen.
„Ich hätte wissen müssen, dass es ihnen nicht gefällt, wie ich die Sache angehe, sie haben gesagt, ich solle Fad an die Wände des Campus sprayen und warten, was passiert. Ich hab gefragt, was das zu bedeuten habe, aber sie wollten es mir nicht sagen. Es würde dich aus der Reserve locken.“
Tommy verzog das Gesicht zu einem kurzen Grinsen. „Es hat mich eine Nacht nicht schlafen lassen. Erzähl mir, was diese Gruppe vorhat.“
 
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Kommentare  

Und jetzt kommt - fast - alles heraus. ein richtiger Knüller. Nein, ich werde hier nichts verraten. Sollen sie doch selbst lesen.

Petra (10.04.2009)

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