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28 Seiten

fisteip - teil 7

Romane/Serien · Spannendes
Ohne ein weiteres Wort, ohne einen letzten Blick, stand Tommy auf, verließ das Zimmer. Abe hockte auf dem Flur ein paar Türen weiter, telefonierte mit seinem Mobile, das er zwischen Schulter und Kinn geklemmt hielt, um die Hände frei zu haben. Er blätterte ruhelos in dem Taschenbuch, knickte die Seiten, rollte es zusammen. Er würde nicht viel Freude daran haben, sollte er es noch länger so behandeln.
Tommy ging an ihm vorbei ohne ihn zu bemerken, reagierte auch nicht, als Abe ihm nachrief, was David denn angestellt habe und er habe ihm hoffentlich ordentlich das Fell gegerbt.
„Nein“, säuselte Abe ins Telefon, „hier ist alles in Ordnung. Mein Zimmernachbar hatte gerade Besuch von dem Mann mit der Hausordnung. Hör mal, honey...“ Er wisperte weiter, ging in das gemeinsame Zimmer zurück, in der Hoffnung, nach dem Telefonat das Schachspiel fortzusetzen, aber David war im Aufbruch und das Schachspiel ein einziges Chaos. David hatte ein paar Schulunterlagen zusammengekramt (zumindest sah es danach aus), nahm seine Jacke vom Haken an der Tür und rauschte ab ohne ein Wort. David Abgang Bühne links. Abe warf sich auf sein Bett, zwitscherte weiter süße Worte in das Ohr seiner Freundin und betrachtete das Cover des Taschenbuches. David und seine Art von Zoff waren schon längst aus seinem Gedächtnis verdrängt.

Das Puzzle hatte klare Ränder bekommen, dort ein Farbton, hier eine klar Form, mehr nicht, aber noch kein erkennbares Bild. Immerhin war er auf dem richtigen Weg, das wusste er, aber der Weg gefiel ihm nicht. Schwarz und rot wie die Hölle, glühend weiß an den Rändern. Das war das Bild.
Keine Splittergruppe, dachte Tommy, wer käme schon auf die Idee, eine irische, paramilitärische Splittergruppe in den USA aufzubauen? Aktionen in der neuen Welt würden die britische Regierung sofort die Truppen aus Nordirland abziehen lassen? Selten so was Lächerliches gehört.

„Ich war bei David und hab mit ihm über diesen seltsamen Anruf gesprochen. Da hab ich ihm einiges aus der Nase gezogen und was dabei rausgekommen ist, hat mir nicht gefallen. Fast wünschte ich, ich könnte dir etwas anderes beichten. Einen unglücklichen Seitensprung. Eine uneheliche Tochter in Wyoming. Ich weiß noch nicht, wo ich anfangen soll, Lea, deshalb rolle ich die Sache von hinten auf. Es gibt eine alte Verbindung zwischen David und mir, von der ich bis vor ein paar Stunden nichts wusste. Ich hab damals mit seinem Dad zusammen gearbeitet, er war ein paar Jahre jünger als ich und einer meiner besten Freunde. Er hatte es drauf. Ich kann nicht sagen, was es war, aber man konnte sich in jeder Situation auf ihn verlassen, voll und ganz. Es ist selten, dass man so jemanden trifft. Wir hatten einen harten Job und trotzdem hat er es geschafft, seine Frau und das Baby so gut zu versorgen, wie es nur ging. Er war ein guter Vater. Ich kannte David nur als Baby, da konnte er noch nicht einmal laufen, deshalb habe ich ihn nicht wieder erkannt. Ich bin weggegangen und hab sie aus den Augen verloren und woher sollte ich wissen, dass Kieran seine Familie nach Boston gebracht hat. Und jetzt ruft jemand bei mir an, will über die alten Zeiten plaudern und möchte, dass ich wieder in die alte Sache einsteige. David konnte mir nur sagen, dass sein Dad...“
„Du solltest mir besser die Wahrheit sagen“, sagte Lea. Sie nahm einen Schluck Wein, hielt das Glas zwischen beiden Händen. Drückte sie zu fest zu, würde es zerbrechen und sie könnte sich an den Splittern verletzen. Ihre Stimme klang dünn und klar, als sei sie ebenfalls aus Glas.
„Selbst, wenn du David nur als Baby kanntest, müsstest du ihn wieder erkannt haben, als er sich dir vorgestellt hat. Es ist außerdem sehr unwahrscheinlich, dass ihr hier am Bates zusammen trefft. Also sagst du mir besser die Wahrheit, Tommy Gallagher, und wenn es wirklich uneheliche Drillinge in Popoma sind, kann ich besser damit leben, als wenn du mich anlügst.“
Er machte eine entschuldigende Geste, hob die Schultern, legte den Kopf schief.
„Er hat sich am Bates unter einem falschen Namen eingeschrieben. Sein richtiger Name ist Darren Finnigan. Wäre es dir lieber gewesen, es wäre eine andere Frau? Könntest du damit besser leben?“
„Nein, bestimmt nicht“, sagte Lea, „ich würde dir sagen, dass du zu ihr gehen und mit ihr leben kannst, wenn du möchtest. Aber was will die Army von dir? Das hab ich noch nicht verstanden.“
Tommy seufzte und es klang verdammt ehrlich, als er sagte: „Ich hab keine Ahnung. Wirklich, ich weiß es nicht. Wenn der Kerl sich wieder meldet, treffe ich mich mit ihm und dann werden wir sehen, was dabei rauskommt.“
Lea goss den Wein nach, musste sich beherrschen, um nicht zu schnell zu trinken. Es war keine gute Idee, sich mit Lichtgeschwindigkeit zu betrinken.
„Kann es sein, dass David nur so oft bei mir im Café aufgetaucht und am Video mitgearbeitet hat, weil er etwas über dich rausfinden wollte? Er hat mich benutzt.“ Sie sprach das letzte Wort wie einen Fluch aus, verzog das Gesicht und brauchte einige Sekunden, um wieder neutral zu wirken.
„Vergiss ihn“, sagte Tommy sanft, „er ist nicht wichtig.“
„Ich dachte, er sei ein Freund.“
Nicht nur David hatte ihr weh getan, von dem sie dachte, er sei ein Freund – Tommy hatte ihr noch mehr weh getan, bis auf die Knochen, bis ins Herz. Deshalb stellte sie ihm die Frage, von der sie wusste, dass sie ihn treffen würde. Hoffentlich tat es ihm genauso weh, hoffentlich noch mehr. Eine Antwort wollte sie nicht wirklich hören und vermutlich würde sie eine ehrliche Erklärung auch nicht bekommen. Hauptsächlich wollte sie sehen, wie er reagierte auf ihre Frage.
„Der Vater von David, dein Freund, war er mit dir in Maze?“
Er hatte sich unter Kontrolle, verdammt ärgerlich unter Kontrolle, nur seine Stimme war plötzlich heiser.
„Kieran war nie in Maze. Wie kommst du auf Maze, wer hat dir davon erzählt?“
„Niemand hat es mir erzählt. Es war das Foto, was du als Lesezeichen benutzt. Du hast die Ränder abgeschnitten, aber ein Rest der Schrift auf der Rückseite war noch zu lesen. 1987 ist lange her. Was hast du dort getan? Auf dem Wachturm gestanden?“
Dieses Foto. Er hätte es vernichten sollen, zusammen mit den anderen Sachen, aber jeder brauchte etwas, um sich an alte Zeiten zu erinnern. Es war nur ein Foto, hatte er gedacht, es hatte für ihn eine Bedeutung und für niemanden sonst. So weit so gut. Und jetzt dampfte es.
„Wir drei, wir auf diesem Foto, waren dort in U-Haft. Die Anklage war lächerlich und nach drei Tagen haben sie uns wieder raus gelassen. Das Auto, in dem sie uns angehalten haben, war ausgeliehen und nicht gestohlen und der Fahrer war nicht betrunken genug gewesen für eine Anklage. Es war nichts Großes.“
Und er hoffte, sie hätte sich Davids E-Mails nicht angesehen, hatte sich keine genaueren Informationen über Maze aus dem Internet geholt. Seine harmlose Erklärung würde sonst wie ein Kartenhaus zusammenfallen, denn niemand, der wegen Trunkenheit am Steuer und Autodiebstahl in Untersuchungshaft genommen wurde, landete für drei Tage in Maze.
Lea wirkte, als habe sie einen Schlag auf den Kopf bekommen, als sei sie punch drunk aus dem Ring gestiegen. Endlich fasste sie einen Entschluss, setzte sich gerade und mit erhobenem Kinn hin, stellte das Glas beiseite.
„Okay“, sagte sie, „mit diesen Dingen kann ich leben. Ich brauche nur etwas Zeit, um über die Tatsache hinweg zu kommen, dass du so viel vor mir versteckt hältst. Selbst nach dieser Sache wirst du mir sicher nicht mehr erzählen, das weiß ich, selbst wenn du es mir hoch und heilig versprechen würdest. Also – wie sollen wir weitermachen? Gehen wir schlafen und stehen wir morgen früh auf, essen unser Frühstück und gehen zur Arbeit, als wenn nichts gewesen wäre?“
Sie sah ihm an, dass er sich genau das wünschte. Er hatte gebeichtet, wollte, dass sie ihm verzieh und sie beide bei Null anfangen konnten. War das wirklich so einfach? Es schien, als sei er den Tränen nahe und nur, weil sie ihn liebte, glaubte sie daran, dass er es ernst meinte, dass er ihr nicht nur etwas vorspielte.

Sie legten sich schlafen, Lea zögerte keine Sekunde, sich wie üblich an seine Seite zu drücken. Er legte seinen Arm um sie, sie versuchten beide zu schlafen, aber es gelang ihnen nicht. Sie sprachen nicht miteinander, lagen eng beieinander, hingen ihren Gedanken nach. Es kam Lea vor wie die Geschichte, die Tommy von seinen Eltern erzählt hatte, dass sie sich über ein langes gemeinsames Leben hinweg ohne Worte verstanden hatten. So musste es sich anfühlen, selbst, wenn man in einer Krise steckte wie jetzt. Dass selbst diese Episode aus seinem Leben erfunden sein könnte, daran dachte sie nicht. Ihr schwirrten sehr viele Gedanken durch den Kopf, konnte keine Ordnung hineinbringen und es nicht abstellen.
Die Katzenbande merkte, dass etwas nicht stimmte, sie kamen zu ihnen ans Kopfende, veranstalteten ein Schnurrkonzert und lagen so eng beieinander, wie sie es sonst nie taten wegen ihrer unterschwelligen Geschwisterrivalität.
Ich werde ihn nicht aufgeben, dachte Lea, egal, was er noch alles auspacken muss, um das eine oder das andere zu erklären.
Erst beim Aufwachen durch den Klingelton des Weckers merkte sie, dass sie irgendwann eingeschlafen sein musste, konnte nicht sagen, wann das gewesen war. Sie fühlte sich gut, bewegte sich zögernd und erst da kam die Erinnerung zurück. Es war kein Schock. Sie würde damit umgehen können, wenn Tommy es konnte. Sie berührte seinen Arm und er reagierte, in dem er sie einmal fest an sich drückte, dann los ließ. Ihre Diskussion während des Frühstücks, das nur aus Kaffee bestand, war knapp.
„Ich bin auf deiner Seite“, sagte sie, „aber sorg dafür, dass David in den nächsten Tagen nicht im Café auftaucht. Es könnte sonst passieren, dass ich ein paar Kaffeebecher zerbreche.“ Sie konnte ehrlich lächeln, dabei kämpferisch aussehen, und setzte hinzu: „Egal, was du vor hast, ich bin dabei, wenn du mich brauchst.“
Er sah nicht glücklich aus, als sie das sagte; aber es war das einzige, was sie im Moment tun konnte. Keine Vorwürfe, keine unnötigen Fragen, keine Verlassens-Drohungen. Selbst, wenn sie die noch anbringen wollte, würde sie auf den richtigen Zeitpunkt warten müssen, soviel stand fest. Als wenn nicht gewesen wäre, machten sie sich auf den Weg zur Arbeit, der einzige Unterschied war, dass sie sich statt eines kurzen Abschieds vor der Tür lange in den Arm nahmen, sich festhielten und diesen Augenblick so lange wie möglich hinaus zögerten. Lea stand auf den Zehenspitzen, hielt ihr Gesicht an seine Brust gepresst, ihre Hände lagen an seinem Rücken. Ihr Kopf war seltsam leer, sie war einfach nur voller Hoffnung, dass sie diese Krise zusammen angehen würden.
„Wir müssen los“, flüsterte Tommy, „ich komme wie üblich ins Café. Alles bleibt beim Alten, das verspreche ich dir. Es wird nichts passieren.“
Ich kann nicht loslassen, dachte Lea, kann nicht wahr sein, dass ich jetzt so albern werde.
„Komm schon“, sagte sie, fast schon lachend, mehr zu sich als zu ihm, „lass mich los. Der Alltag ruft.“

Es war fraglich, ob sie es wirklich schafften, sich auf den Alltag zu konzentrieren, sie bemühten sich, aber es gelang ihnen nicht wirklich. Tommy vermutete hinter jedem fremden Gesicht einen Angreifer, war nervös und kurz angebunden seinen Kollegen und Larry gegenüber, die hinter seinem Rücken Witze darüber rissen, ob möglicherweise der Haussegen schief hing.
Im Café konnte Lea nicht genug arbeiten, um Tommys Geständnis vollkommen zu verdrängen, immer wieder schoben sich undeutliche Bilder vor ihr geistiges Auge, wo sie Tommy etwas schlanker und sehr viel jünger in einer Gefängniszelle sitzen sah, die aussah wie die Todeszelle aus einem amerikanischen Dokumentarfilm. Sie sah ihn dort ruhelos auf und ab wandern, immer mit einer Zigarette zwischen den Lippen, immer in einem orangen Overall, auf dessen rechter Brusttasche eine Nummer gedruckt war. Sie konnte nicht wissen, dass es in Gefängnissen wie Maze etwas anders zuging. Die irischen Insassen beharrten auf ihren Status als politische Gefangene, organisierten sich untereinander so stark, wie es unter normalen Kriminellen nicht üblich war, nahmen gewöhnlich an keinem Arbeitsdienst teil und trugen private Kleidung. Es war noch immer ein Gefängnis. Tatsache war auch, dass ein Mann aus dem Griff der republikanischen Organisation nicht mehr auskam, wenn er einmal so tief mitgewirkt hatte. Lea ließ an diesem Tag einige Tassen und Teller fallen, verwechselte Bestellungen und schloss mit sich die Wette ab, dass die Kasse bei der Abrechnung nicht stimmen würde. Der einzige Lichtblick war, das David nicht auftauchte, um sie noch einmal davon zu überzeugen, dass Tommy beim geringsten Problem das Weite suchen würde.
Wie war noch sein richtiger Name? dachte sie, als sie wieder eine zerbrochene Tasse vom Boden aufsammelte, Darren. Den Nachnamen hab ich vergessen. Mein Gott, er hat mich vor lauter Berechnung von Anfang an belogen.
Sie hatte beim unliebsamen Gedanken an David das Gefühl, etwas vergessen zu haben; etwas bohrte sich in ihren Hinterkopf und flüsterte ihr etwas ein. Sie verstand kein einziges Wort, hatte auch keine Lust, sich auf diese Stimme zu konzentrieren. Das Café machte sie eine Stunde früher zu als sonst, räumte schnell auf und brachte die Einnahmen zur Bank. Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis, mit jemandem über diese Sache zu sprechen, es jemandem zu erzählen und zu hören, dass sie Tommy nach so einer Sache sofort vor die Tür hätte setzen sollen, aber hörte sie auf alle guten Ratschläge? Sicher nicht. Sie wollte nur hören, dass sie es richtig gemacht hatte und dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Um das zu hören, würde sie sich die Person, der sie es erzählte, gut aussuchen müssen.
In der Bank von Auburn, auf der anderen Seite des Flusses, plauderte sie gezwungen ausgelassen mit der Frau hinter dem Schalter, die sich gewöhnlich darüber ausließ, wie angeschwollen ihre Füße nach einem langen Tag waren und ob es Lea nicht ähnlich ginge. Sie sagte, es seien bei ihr eher die Knie, die ihr weh taten, jeder hätte wohl seine kleinen Schwachstellen. Eingebaut von Mutter Natur. Carole Oatman, die außer ihren aufgeblähten Füßen und einem asthmakranken Cockerspaniel nichts zur privaten Ablenkung hatte, reichte ihr den Einzahlungsbeleg über die Theke, lächelte und versprach wie jeden Abend, sie würde in ihrer Mittagspause auf einen Kaffee vorbeikommen. Das sagte sie und tat es trotzdem nie. Hinter Lea ließ jemand einen schweren Gegenstand auf den dunkel gefliesten Boden fallen, es polterte durch die ganze Halle und sie fuhr erschrocken zusammen. Sie war zu nervös, um darüber noch einen Witz reißen zu können. Außerdem lief vor ihrem inneren Auge ein ganz anderer Film ab. Sie dachte an die hektischen Bilder eines Banküberfalls, an Geiselnahme und Schießereien, die blutig endeten. An einen Überfall hatte sie in der Bank noch nie gedacht und jetzt reichte schon ein lautes Geräusch und sie dachte nur noch an Dinge, für die man auch in den Knast kommen konnte. Nicht nur wegen Trunkenheit am Steuer.
Sie kam früher nach Hause als sonst, erwartete nicht, dass Tommy schon da wäre, rief deshalb nicht „Hallo“, als sie zur Tür hereinkam. Sie war in Gedanken, nahm kaum Emelda wahr, die ihr vor die Füße lief und sie in die Küche zu locken versuchte. Im Schlafzimmer zog sie sich um, ließ die Klamotten auf dem Bett liegen. Die Schmutzwäsche türmte sich und würde es wohl auch noch weiter hin tun, wenn Lea sich nicht darum kümmerte. Aber im Augenblick sah sie sich um, konnte über die Unordnung und die Wäsche hinwegsehen und sie ignorieren. Sie war zu sehr abgelenkt – kam ihr Kopf zur Ruhe, tauchten die Zweifel und Bedenken wieder auf, besonders, wo sie jetzt allein zu Hause war. Hunger hatte sie nicht wirklich, ging aber trotzdem in die Küche, um sich ein Sandwich zu machen. Sie musste etwas essen, um ihren Motor in Gang zu halten. Als sie die Kühlschranktür öffnete, hatte sie augenblicklich Emelda neben sich.
„Okay“, murmelte sie, „für dich fällt auch was ab. Wo steckt Feo?“
Der Kater war normalerweise immer der erste am Fressnapf. Lea füllte die Näpfe, entsorgte die leeren Dosen in den Mülleimer und stieg im Flur die Treppe nach oben. Im Hinterkopf hatte sie den Gedanken, der Kater könnte krank sein oder sich verletzt irgendwo hingelegt haben. Sie hatte mal eine Katze gehabt, die auf der Straße angefahren worden war und sich mühsam nach Hause geschleppt hatte. Ihr rechtes Vorderbein war zertrümmert und ihr Kiefer gebrochen, aber sie hatte dreibeinig noch einige Jahre gelebt. Katzen kamen einfach nach Hause, wenn es ihnen nicht gut ging und hofften auf Hilfe. Lea dachte, Feodore könnte etwas Giftiges gefressen haben, vielleicht hatte er schon irgendwo hingekotzt und sie brauchte nur den Spuren zu folgen. Sie hatte sich umgezogen, war in Pulli, alter Jeans ohne Gürtel, die ihr im Kreuz abstand und voller Farbflecken war, an den Füßen hatte sie nur dicke Socken. Ihre Schritte auf der Treppe und auf dem Flur waren lautlos. Die Tür zu ihrem Arbeitszimmer war nie abgeschlossen, weil die Katzen an geschlossenen Türen grundsätzlich herumkratzten, sie war höchstens mal angelehnt – so wie jetzt. Sie hörte schon vor dem Zimmer, bevor sie die Tür mit den Fingerspitzen berührte, dass der PC an war. Das Geräusch des Ventilators war deutlich zu hören und sie glaubte, sie hätte vergessen, die Kiste auszuschalten. Ihre ausgestreckte Hand berührte die Tür, schob sie ein Stück weiter auf und ihr Blick fiel auf den erleuchteten Bildschirm. Vor dem Computer saß Tommy, war mit dem Drehstuhl ein Stück zur Seite gerollt, saß schief da und hatte eine Hand über den Mund gelegt. Lea wollte sich nicht anschleichen, aber als sie sah, dass er Outlook geöffnet hatte und einzelne Mails anklickte und löschte, brachte sie keinen Ton heraus. Feo saß auf dem Bündel Kataloge, die Lea sich schicken ließ und dann doch nichts bestellte, weil sie nichts von dem gebrauchen konnte. Tommy klickte die nächste Datei an, öffnete die angehängten Bilder. Er murmelte etwas, rieb sich das schlecht rasierte Kinn. Lea zuckte zusammen, obwohl sie die Bilder nur kurz sah, die Tommy da durchklickte und komplett löschte. Schwarz-weiß Fotos, alle nur ein Thema. Lea machte einen Schritt zurück Richtung Tür, wäre wieder verschwunden, aber Feo wurde auf sie aufmerksam und gurrte. Offensichtlich war ihm eingefallen, dass es Futter bedeutete, wenn Lea zu Hause war. Tommy wirbelte herum, stoppte die Drehung mit einem Fuß ab, sprang vom Stuhl hoch, der hinter ihm bis an das Regal rollte.
„Lea!“
Sie flüchtete vor ihm die Treppe herunter, rannte in die Küche und schlug die Tür hinter sich zu. Noch während sie die Tür ins Schloss krachen ließ, dachte sie, weshalb sie ausgerechnet in die Küche gerannt war. Die Küche war ihr nie sonderlich beschützend vorgekommen. Mit dem Rücken am Kühlschrank stand sie da, die Arme vor der Brust verschränkt, außer Atem, mit rasendem Puls, der sich nicht mehr beruhigte. Diese Fotos von Soldaten, Demonstrationen, wütenden Handgemengen, von Menschen, die aus zerstörten rauchenden Straßen flüchteten, im Hintergrund immer wieder Mauern und Häuser, an denen Parolen und drei Buchstaben geschrieben waren. Immer wieder politische Parolen an den Wänden. Bilder von behelmten Soldaten mit Gewehren, unscharfe Fotos von bewaffneten Männern, deren Gesichter wegen Skimasken nicht erkennbar waren.
„Lea?“ rief er, war bereits an der Küchentür, klopfte mit der flachen Hand dagegen, „David hat dir diese Fotos geschickt. Ich hab sie gelöscht, damit du dir sie nicht ansiehst, obwohl es in den Nachrichten schlimmeres zu sehen gibt. Es war gemein von ihm, sie dir zu schicken. Komm schon, mach die Tür auf und lass es mich erklären.“
„Die Tür ist offen“, erwiderte Lea. Innerlich zitterte sie, aber ihre Stimme war ruhig. Er kam zögernd herein, sah sich um, setzte sich seufzend an den Küchentisch. Auch er war nur auf Socken, schob die Füße vor, sah sie vorsichtig an.
„Pressebilder“, sagte Lea, „mehr nicht?“
„Was soll ich sagen?“ Tommy fuhr sich über das Kinn, legte die Hände auf dem Tisch zusammen. „Wenn man aus Belfast kommt, wird man mit diesen Dingen groß. Man bekommt es tagtäglich hautnah mit, Lea. Das ist das normale Leben der Leute dort.“
„Es geht nicht um diese Fotos, die ich gesehen habe, sondern dass du an meine E-Mails gegangen bist und sie gelöscht hast. Das sind meine privaten Briefe und da hattest du nichts dran verloren.“
„Du hast sie nicht gelesen.“
„Aber ich hab sie auch nicht gelöscht. Hast du geglaubt, ich merke das nicht?“
„Ich wollte es heimlich machen und vielleicht hättest du es wirklich nicht gemerkt. Entschuldige.“
Lea setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Bist du auf einem von diesen Fotos drauf?“
„Nein“, sagte Tommy nachdrücklich.
„Darf ich sie mir ansehen und du erzählst mir etwas darüber?“
Tommy machte ein bedauerndes Gesicht.
„Würde ich ja tun, aber ich hab die letzte Mail gelöscht, als du mich erwischt hast.“
Lea lehnte sich zurück, berührte seine Hände. Sie machte ein Gesicht, als habe sie ein Ass im Ärmel.
„Du weißt, wie man die Kiste anmacht, wie man Programme startet und Dateien löscht. Aber löschen, großer Junge, heißt in diesem Falle immer in den Papierkorb verschieben.“
„Und?“
„Die Mails liegen im Papierkorb und lassen sich wieder herstellen. Vollkommen problemlos.“
Tommys Antwort darauf kam sehr spontan und ehrlich.
„Schöne Scheiße“, sagte er.
„Da musst du jetzt durch, Tommy. Du zeigst mir die Fotos und danach darfst du sie löschen. Wenn du Glück hast, stell ich auch keine weiteren Fragen darüber.“
Das ist die gerechte Strafe für diese heimliche Aktion, dachte er, verdammt. Woher soll ich wissen, dass löschen nicht gleich löschen ist?

Sie saßen gemeinsam vor dem Bildschirm, Tommy erzählte von den Dingen aus seinem früheren Leben in Belfast und Umgebung, von der ständigen Anwesenheit der britischen Soldaten. Von den Straßenbarrikaden, den Peace Lines, der zentimetergenauen Abtrennung der protestantischen und katholischen Straßen. Er fand auch Zeit, von der anderen Seite des Lebens in Belfast zu erzählen, von dem engen Zusammenhalt der Familien, von den endlosen Festen und Feiern, den Tanzabenden in den Pubs, dem schwarz gebrannten Whiskey, von den vielen rotzfrechen Kindern, die sich so endlos zu vermehren schienen dass man schon an menschliche Zellteilung glauben konnte und die jeden Winkel ihres Bezirks kannten. Er ließ viele Dinge aus. Autobomben, abgerissene Gliedmaßen in Vorgärten, die Angst in den Augen der Kinder, die in ihren Schuluniformen morgens und nachmittags an Wache stehenden Soldaten vorbeigehen mussten. Ab und zu ein toter Soldat auf der Straße, in seinem Blut liegend. Für Lea war diese andere Welt fremdartig und unverständlich, sie konnte sich ein Leben dort nicht vorstellen, obwohl sie es wirklich versuchte und ihr fiel an der ganzen Sache nicht auf, dass Tommy nicht sagte, wie seine Rolle ausgesehen hatte. Hatte er zuvor immer behauptet, bei der irischen Armee Dienst getan zu haben, sagte er jetzt nichts, was seine Aufgaben in Belfast gewesen waren. Sie fragte nicht, weil sie keinen Durchblick hatte. Sie wusste nicht, dass die Armee der Republik Irland in Nordirland überhaupt nichts zu suchen hatte; dass ein Nordire, der in Belfast groß geworden war, kaum der irischen Armee beitreten würde. Ein Fehler in seiner Geschichte, der jedem aufgefallen wäre, der etwas Ahnung hatte.
Lea lebte in ihrer Kleinstadt in Maine, hatte zwar den Informationsgott Internet auf ihrem Rechner, benutzte ihn aber nur, um Bücher und Musik zu bestellen, sich Songs zu saugen, auf die Nachrichtenseiten zu sehen. Sie grub selten tiefer. Ein paar Links, die sie sich angelegt hatte, führten auf Chatrooms, auf eine Stephen-King-Fanseite, auf Online-Shops, wo sie Katzenspielzeug kaufte. Was sonst suchte man im Internet? Ab und zu ein paar Informationen zum aktuellen Tagesgeschehen. Mehr nicht. Tommy erzählte, diesmal wahre Geschichten, von Kieran und seiner Familie, vom Leben im Grenzgebiet zwischen Republik und britischer Kolonie. Es war eine kleine süße Rache, dass er Lea von Davids, Darren Finnigans Kindheit erzählte, von seinem Sprachfehler, der ihn daran gehindert hatte, eine normale Schule zu besuchen.
„Er war nicht dumm“, sagte Tommy, „aber er redete nicht. Sein Vater meinte, es sei ein Trauma, es gab eigentlich keine andere Erklärung. In Belfast ist es nicht schwer, an ein Trauma zu kommen. Erst eine spezielle Sprachschule hat ihm geholfen, das hat Kieran geschafft, es hat ihm eine Schulausbildung und das College ermöglicht. Er ist dem entkommen, aber anstatt dass er diese Episode vergisst, hat er sich einspannen lassen.“
„Das nenn ich dumm“, bemerkte Lea murmelnd, „aber lassen wir das Thema David.“
Sie lehnte sich gegen seine Schulter, hakte sich unter seinen Arm, deutete auf den Bildschirm, der ein Bild des alten Belfast zeigte. Das Belfast, das er auch noch kannte und hoffentlich endlich der Vergangenheit angehörte.
„Das sind die Straßenbarrikaden, die errichtet wurden, um die britischen Soldaten aus den katholischen Straßen fernzuhalten. Es gab damals eine Ausgangssperre für die katholischen Viertel und die Soldaten hatten eigentlich die Aufgabe, diese zu überwachen, aber die Einwohner haben sich abgeschottet und wollten nicht kontrolliert werden. Das ging jahrelang so und die britischen Streitkräfte wurden immer wieder verstärkt. Es eskalierte irgendwann.“
„Aber das sind Kinder, die da stehen.“
Tommy legte den Kopf schief, hatte sofort die Bilder vor Augen, wie er mit seinen Geschwistern auf den Barrikaden am Anfang der Straße gespielt hatte.
„Wir hatten keine Spielplätze“, erklärte er.

Tommy schnitt danach das Thema Irland und Belfast nicht mehr an, wusste allerdings nicht, ob Lea sich die falschen Gedanken darüber machte und nur nichts sagte. Sie stritten sich nicht, gingen aber seltsam vorsichtig miteinander um, woran man sah, dass ihr Verhältnis sich nicht über Nacht normalisiert hatte.
Tommy traf Sarah, Douglas’ Frau, an der Tankstelle in der Brooks Avenue an der 202, als er dort am Morgen den Dienstwagen auftankte. Er erkannte sie an der anderen Zapfsäule, winkte kurz zu ihr hinüber. Sie wirkte gestresst, aber da sie jemand war, der nie Ruhe fand, war das nichts Besonderes. Sie grüßten sich, Tommy wollte nach dem Bezahlen einfach nur zu seinem Wagen gehen und wieder wegfahren, aber Sarah trat einen Schritt auf ihn zu und fragte ihn, ob er fünf Minuten Zeit habe.
Sie hatten beide die Wagen an den Zapfsäulen stehen, setzten sie um und kauften sich je einen Pappbecher Kaffee an der Tankstelle. Vor dem Möbelhaus, das direkt neben der Tankstelle lag, setzten sie sich auf eine Gartenbank, die dort mit anderen Gartenutensilien ausgestellt war. Tommy nahm nur einen Schluck des Kaffees, versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, wie übel er schmeckte und wartete, dass Sarah den Anfang machte.
„Doug sagte irgendwann mal, du wärst ein harter Brocken.“
Welcher vernünftige Mensch fing eine solche Unterhaltung an? Bei Tommy schrillten alle Alarmglocken.
„Er meinte das Boxen, wahrscheinlich.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Er war mit dir unterwegs. Stimmt das?“
„Hast du keine Angst, er könnte eines Tages einfach in seinen Wagen steigen und davonfahren? Oder etwas Schlimmeres anstellen, weil er keinen Ausweg mehr sieht? Er ist jemand, der ständig eine Waffe bei sich trägt und sie auch zu benutzen weiß.“
„Das ist doch Blödsinn.“ Sarah behauptete, Kerle würden immer zusammenhalten, egal, was passierte, das sei typisch und sie hätte gar nichts anderes erwartet. Sie stürzte den Kaffee herunter, obwohl er wie flüssige Schuhcreme schmeckte, fingerte die ganze Zeit an dem angehängten Preisschild der Messinggartenbank herum, auf der sie saßen. An ihrem Unterarm waren dicke tiefe Kratzer, die Tommy an die Spuren der Katzenspikes denken ließ. Als sie seinen Blick bemerkte, versuchte sie, den Ärmel ihrer Bluse darüber zu ziehen, machte aber keine Bemerkung deswegen. Sie fuhr fort, dass Douglas in seinem Job unzufrieden sei und diesen Frust (ungerechtfertigt!) an ihr ausließe – sie seien kaum noch in der Lage, normal miteinander umzugehen, jedes Gespräch endete sofort in einem Streit. Deshalb würde Doug ihr aus dem Weg gehen und extra Überstunden machen, nur, um nicht nach Hause kommen zu müssen. Oder er sagte, er sei mit Freunden unterwegs.
„Dann sagt er, er war mit dir unterwegs“, sagte sie.
„Er will sich nicht von dir trennen“, sagte Tommy, „er will nur, dass du zu ihm hältst, wenn er ein neues Leben beginnen will. Gibt es in Lewiston irgendwas, was dich festhält? Was dich daran hindert, mit ihm zu gehen, wenn er dich fragt?“
„Wo will er hin?“ kreischte sie, warf den Oberkörper nach vorn, verdrehte dabei die Augen, „hat er dir etwas erzählt, wovon ich noch nichts weiß?“
„Das war nur eine Vermutung“, sagte Tommy vorsichtig, unangenehm berührt darüber, wie jemand jedes Wort in den falschen Hals kriegen konnte. Dazu brauchte es schon ein besonderes Talent. Er hatte Geduld mit ihr, versuchte, ihr klar zu machen, dass sie versuchen sollte, ihre Ehe zu retten, sollte ihr noch etwas an der Beziehung liegen.
„Natürlich liegt mir etwas daran“, schnappte sie zurück, „was hältst du denn von mir? Es ist nur peinlich, dass Doug dich vorschickt, um mir das zu sagen.“
„Er weiß nicht, dass ich hier mit dir rede.“
„Und du lässt dich auch noch dazu einspannen.“
Tommy seufzte statt einer Antwort und sah in die entgegengesetzte Richtung. Hinter der Schaufensterscheibe des Möbelhauses standen zwei Verkäuferinnen, starrten unverhohlen zu ihnen hinüber. Sie hatten sich zwischen die künstlichen Blumengestecke und Plastikkübel gestellt, die Arme unter den Brüsten verschränkt.
Dear me, dachte Tommy, spätestens morgen weiß jeder von diesem öffentlichen Rendevouz auf einer Bank neben der Tankstelle. Ich will gar nicht wissen, was die beiden sich da gerade für Schwachsinn einfallen lassen, um ihn in Lewiston und Auburn zu verbreiten. Was für eine Seuche.
„Ich verstehe ja, dass du ihm helfen willst, aber glaubst du nicht, dass du uns das Problem allein lösen lassen solltest?“
„Ich seh nicht gern dabei zu, wie Douglas unglücklich durch die Gegend läuft. Er ist mit seinem Latein an Ende. Er könnte eine Dummheit begehen.“
„Douglas ist nicht der Typ für Dummheiten.“
„Er könnte irgendwann damit anfangen.“
Und hoffentlich fängt er bei dir an, dachte Tommy, beobachtete die schlanken manikürten Finger, die an dem Preisschild drehten und zogen, diese Finger, die niemals Ruhe fanden, du hättest es verdient, für deine blinde Verbohrtheit die Quittung zu bekommen.
Er brauchte keine Ausrede, um sich zu verabschieden und sie dort allein sitzen zu lassen. Auf dem Weg zurück ins College hatte er die Szene vor Augen, wie Sarah nach Hause kam und Douglas förmlich in den Boden stampfte, weil er es gewagt hatte, einen Dritten zur Ehekrisenbewältigung einzuschalten.

Nur zu gerne hätte Tommy sich allein auf die privaten Probleme konzentriert, die ihn schon genug in Anspruch nahmen, aber dazu kam noch sein aktiviertes Alarmsystem, das ihn dazu brachte, alltägliche Zeichen misszudeuten und Gespenster zu sehen, wo keine waren. Jede Bemerkung, die sich auf seine irische Herkunft bezog, interpretierte er als einen persönlichen Angriff und hatte Mühe, die Rechtfertigungen zu unterdrücken, die ihm sofort auf der Zunge lagen. Es hätte nur noch schlimmer werden können, wenn der Präsident von Sinn Fein mal wieder in Washington gewesen wäre – das hieß jedes Mal, dass die Nachrichten voll waren mit dem Lieblingsthema der Iren, was man so beiläufig als „the troubles“ bezeichnete. Er brauchte fast zwei Wochen, um zu begreifen, dass ihn niemand als alten Belfaster identifizierte, dass David sein Wissen noch immer für sich behielt und ihm einfach aus dem Weg ging. Lea fragte, ob es nicht einfacher sei, die Gegend zu verlassen. Manchmal konnte sie verdammt direkt sein.
„Es war einfacher, als ich allein war“, sagte er, „aber das bin ich jetzt ja nicht mehr.“
Bislang gab es keine weiteren Anrufe dieser vermeintlichen Splittergruppe und Tommy hatte auch nicht das Gefühl, beobachtet zu werden. Er glaubte nicht daran, aber vielleicht hatten sie sich davon überzeugen lassen, dass Tommy ihnen keine Hilfe sein würde. Er hoffte es, aber er bezweifelte es.
Sie werden es nicht unversucht lassen, mich mindestens einmal persönlich zu sprechen, dachte er.

Sie waren am Abend erst spät zu Bett gegangen, es regnete seit Stunden und die Katzen hatten sich an ihre unsichtbaren Schlafplätze verzogen. Tommy durchquerte auf dem Weg von der Küche ins Schlafzimmer zurück den offenen Flur und sah Feo auf einer der oberen Treppenstufen liegen, erkannte im halbdunkeln nur seine reflektierenden Augen.
„Wenn’s da gemütlicher ist als bei mir im Bett, bitte schön“, sagte Tommy und er antwortete mit einem bestätigenden Gurren.
Lea roch verführerisch – sie hatte irgendeine Bodylotion benutzt, lag auf der Seite langgestreckt und hatte den Kopf in eine Handfläche gestützt.
„Mit wem redest du?“ fragte sie.
„Feo. Er boykottiert mein Bett.“
„Du schläfst ihm in letzter Zeit zu unruhig.“
Darauf hielt Tommy den Mund. Es hatte seit dem Maze-Zwischenfall noch keinen Sex gegeben, beide schienen nicht besonders wild darauf zu sein und weder Lea noch Tommy wagten einen Anfang dazu. Er kroch in seine Betthälfte zurück, lag einen Moment einfach nur da und lauschte dem Regen.
Sie werden mir irgendetwas anbieten, dachte er, oder mir drohen. Eher das letztere. Wenn ich auch bezweifle, dass es eine wirkliche Splittergruppe ist. Möglich, es sind amerikanische Radikale, die mir irgendwie auf die Schliche gekommen sind. Was sollten Aktivisten einer Splittergruppe in Maine oder Boston?
„Tommy?“
„Hnh?“
„Wenn die sich noch mal melden...“
Er griff zu ihr hinüber, legte seine flache Hand auf ihren Bauch und flüsterte: „Das werden sie nicht. Ich gebe dir mein Wort, dass du nichts mehr mit ihnen zu tun haben wirst.“
Lea legte ihre Hand, viel kleiner und schmaler, auf seine und hielt sie fest. Der erste bewusste Kontakt, der sich seit Tagen ergab und sie stellten beide erleichtert fest, dass es weder unangenehm noch der falsche Zeitpunkt war.
„Darüber mach ich mir keine Gedanken“, sagte sie, „ich will nur, dass sich zwischen uns nichts ändert. Mit allen anderen Problemen komm ich schon zurecht.“
Sie rückte näher an ihn heran, hielt ihn fest und schlief schnell ein. Es tat gut, sie an seiner Seite zu haben und auch, wenn er wusste, dass die Sache aus seiner Vergangenheit noch nicht abgeschlossen war, würde er alles möglichst von ihr fernhalten. Das war das einzige, was er wirklich für sie tun konnte.
Er träumte von Belfast und von Una und war sich darüber bewusst, dass er träumte. Es war ein seltsames Gefühl, durch den Traum zu gehen und mit offenen Augen darauf zu warten, was als nächstes passieren würde. Er sah Una in orangen Shorts auf sich zukommen, sie waren irgendwo in ihrem Viertel unterwegs, was er sofort wieder erkannte, wenn auch einige Häuser in Größe und Reihenfolge nicht zueinander passten. Sie kam auf ihn zu, lächelte und winkte und obwohl sie allein in der Straße waren, hatte er das Gefühl, dass sie nicht ihn sondern jemand anderen meinte. Er wollte sich umdrehen und nachsehen, ob doch noch jemand hinter ihm war, aber noch in der Bewegung, die schleichend langsam erfolgte, als stecke er in Sirup, veränderte sich das Bild und er beobachtete, wie sich seine Umgebung in eine dunkle Waldlichtung verwandelte. Una stand unmittelbar vor ihm, sah ihm in die Augen und er hörte ihre Stimme in seinem Kopf, ohne dass sie den Mund bewegte.
„Tommy?“ sagte sie, ihre flüsternde Stimme direkt in seinem Kopf, „steh auf, Tommy.“
Beim Klang ihrer Stimme bemerkte er, dass er auf der Straße lag, die direkt durch die Lichtung führte, sah seinen ausgestreckten Arm, unter dem das Blut wie im Zeitraffer auf den Asphalt lief. Er dachte, er würde in Panik geraten, aber der Anblick und die Erinnerung daran ließen ihn müde werden und er bemühte sich, die bittende Stimme zu ignorieren.
„Tommy? Komm schon, komm hoch mit dir.“
Er tauchte aus dem Traum auf; strampelte sich mühsam nach oben und begriff, dass es nicht Una war, die mit ihm sprach. Lea saß an seiner Seite, hatte einen Arm über ihn gelegt und sagte: „Wach endlich auf. Wir haben verschlafen.“
„Scheiße“, murmelte er, griff sich an den Kopf und verscheuchte die letzten Reste des Traums.
„Hast du von Una geträumt?“
„Wie kommst du darauf?“
„Du hast ihren Namen gemurmelt.“
Sie strich ihm über den Kopf, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Kaffee läuft schon durch. Ich spring schnell unter die Dusche und dann kannst du ins Bad.“
Er warf einen Blick auf die Uhr. Hervorragend. Die erste Nacht, die er wieder durchgeschlafen hatte und prompt fiel sein Wecker aus. Während er sich anzog, rief er Larry im Büro an und sagte, dass er sich etwas verspäten würde.
„Du klingst ja, als wärst du gerade erst aufgewacht.“
„So ist es“, sagte Tommy.
Er verließ das Haus, noch bevor Lea aus der Dusche war, hinterließ ihr eine kleine Nachricht auf dem Block neben dem Telefon. Im Wagen rieb er sich über Kinn und Wangen und hoffte, dass er nicht so stachelig aussah wie es sich anfühlte, aber selbst wenn, konnte es ihm den Tag nicht verderben. Im Waschraum brachte er mühsam sein Haar in Ordnung, putzte sich die Zähne und versuchte seine Uniform wieder in Schuss zu bringen. Seinen leicht verspäteten Dienst trat er dann mit dem Fahrrad an, war den ganzen Morgen auf dem Campus unterwegs, kontrollierte die Notruftelefone und versuchte, das Kettenrauchen etwas einzuschränken. Er war froh darüber, dass David ihm nicht über den Weg lief, ihm so noch etwas Zeit blieb, sein Thermostat abkühlen zu lassen.
Lea kam mit tropfendem Haar aus dem Bad, rief, dass jetzt frei sei und genehmigte sich noch einen Kaffee. Als er nicht antwortete, warf sie einen Blick aus dem Fenster. Sein Wagen war weg.
„Konntest es wohl nicht abwarten“, sagte sie, machte schnell noch eine Dose Katzenfutter auf und kippte den Inhalt in das Doppelschälchen. Sie entdeckte Tommys Nachricht auf dem Einkaufsblock, riss das Blatt ab und steckte es auf der Fahrt zum Café an den Rückspiegel. Tommy hätte eine viertel Stunde auf sie warten können, ganz klar, und statt einer Erklärung für seine Eile hatte er ein dickes großes Herz gemalt. Sie öffnete das Café eine Stunde später, konnte den Lieferanten dazu überreden, noch einmal vorbeizukommen.
„Ich hab ganz einfach verschlafen“, sagte sie, unterschrieb den Lieferschein und Barry grinste mit schief gelegtem Kopf, „zum Glück sind mir die Katzen übers Gesicht gelaufen und wollten ihr Frühstück haben. Selbst mir kann so was passieren, oder?“
„Wenn’s noch mal vorkommt, dass ich vor verschlossener Tür stehe, ruf ich dich zu Hause an.“

Tommy und Scott saßen zusammen in der Telefonzentrale, es war aber so wenig zu tun, dass Tommy sagte, er würde draußen nach dem Rechten sehen und ihn zum Nachmittag ablösen. Er hatte das Gefühl, ein wenig für sich sein zu müssen, vielleicht flüchtete er aber auch nur aus der Umgebung der Telefonzentrale.
Wenn dieses Arschloch von Anrufer mich auch noch im Bates erreicht, möchte ich nicht vor den Augen der Kollegen ausrasten.
Er fuhr mit dem Rad zum Parkplatz, entdeckte wieder zwei Wagen, die so schief eingeparkt waren, dass sie anderen den Platz wegnahmen. Er warf einen Blick auf die Nummernschilder, kontrollierte die Parkausweise hinter den Scheiben und wusste, wer die Fahrer waren. Es waren viele Ausweise, die er selbst ausgestellt hatte, aber die anderen hatte er zumindest teilweise im Gedächtnis. Von den Schülern gab es nicht viele, die einen Parkplatz zugesprochen bekamen, deshalb war es nicht schwer, sich die Namen und Gesichter der Auserwählten zu merken. Die beiden Jungs hatten öfters Probleme mit dem gerade Einparken.
Euch knöpf ich mir noch vor, dachte er, aber erst, nachdem ich einen Kaffee getrunken habe.
Weil er schon mal auf dem Rad saß, rollte er vom Parkplatz auf die College Street und folgte dieser langen geraden Straße, bis er in die Holland Street abbog. Genau an der Ecke, die er etwas zu sehr anschnitt, fuhr er fast mit einem Mann zusammen, der nach vorn gebeugt ging, weil er gerade dabei war, sich eine Zigarette in der hohlen Hand anzuzünden. Tommy bremste ab, riss den Lenker herum und sie konnten einen direkten Crash verhindern, schrammten noch einmal aneinander vorbei und der Jackenärmel des Mannes blieb am Lenker hängen.
„Ho-whouh“, machte Tommy, fing das kippende Rad ab und stellte sich auf die Füße. Er kannte ihn vom sehen und von den verschiedenen Schulfesten.
„Hi Schulbusfahrer“, sagte er.
Der Mann, von der großen und hageren Sorte, deutete mit der Zigarette auf das Rad und sagte: „Wie nennt man das? Entwendung von Schuleigentum? Oder reine Zweckentfremdung?“ Er grinste, steckte sich die Zigarette zwischen die Zähne, machte einen Schritt zur Seite.
„Das würdest du auch tun, wenn der Schulbus in deine Garage passen würde.“
Sie gingen grinsend aneinander vorbei, folgten weiter ihren Wegen. Tommy stellte das Rad, vor dem Café ab, klappte den Ständer mit der Fußspitze aus und winkte Lea durch das Fenster zu. Sie hob die rechte Hand und malte mit dem Zeigefinger die Figur nach, die er ihr am Morgen in der Küche hinterlassen hatte. Er nahm sich Zeit für einen Kaffee und blieb an der Theke sitzen, bis Lea ein paar Minuten Zeit für ihn hatte.
„Wieso bist du heute Morgen so schnell verschwunden?“ Sie griff über die Theke, strich ihm über das stoppelige graue Kinn und flüsterte ihm zu: „Du hättest dir Zeit für eine Rasur nehmen können.“
„Ach komm, das merkt doch sowieso keiner.“
Er hielt den Kaffeebecher auf Augenhöhe, den Ellebogen auf die Theke gestützt.
„Du hast ein Rad geklaut“, bemerkte sie, „wie willst du das Larry erklären, wenn er dich erwischt?“
„Hast du Lust, heute Abend mit mir essen zu gehen? Oder wir sehen uns einen Film an.“
„Gerne“, sagte Lea, „wir machen uns einen schönen Abend.“
Sie dachte bereits an ein bestimmtes Restaurant, in das sie ihn schleppen würde, selbst wenn sie ihn dazu in seinen Anzug zwingen musste. Der Thailänder war nicht gerade billig, aber richtig stilvoll und der perfekte Ort für ein Versöhnungsessen. Wenn Tommy schon ein Essen vorschlug, musste er auch damit rechnen, nicht nur eine Pizza essen zu gehen.
„Ich fahr dann mal wieder“, sagte Tommy, leerte seine Tasse und ließ sich einen Donut für unterwegs mitgeben. Es erwischte ihn niemand mit dem entwendeten Rad, in seinem Büro machte er einen kurzen Bericht an Larry und ließ die beiden Chaosparker mit einem schriftlichen Verweis belegen, obwohl er wusste, dass eine persönliche Ermahnung mehr bringen würde. Scott war in der Telefonzentrale fast eingeschlafen, als Tommy ihn ablöste, sagte, er würde in den Schulgebäuden nach dem Rechten sehen. Bevor er verschwand, drehte er sich zu Tommy herum, der mit dem Drehstuhl an die Konsole rollte, und sagte: „Tu mir nur einen Gefallen. Quarz nicht wieder den ganzen Raum zu.“
„Werde mir Mühe geben.“
Es kamen nur zwei kurze Anrufe rein. Tommy diskutierte mit einem Studenten darüber, wieso die Spraydosen in der Autowerkstatt jetzt unter Verschluss blieben und mit einer Studentin, die sich eindeutig über ihn lustig machte. Sie alberte herum, tat so, als sei sie betrunken und machte komische Geräusche, was Tommy zum lachen.
„Ich könnte rauskriegen, wer du bist“, sagte er noch immer lachend, „und dann überprüfe ich persönlich, was du in deine Zigarette gedreht hast.“
Im Hintergrund begannen mehrere Mädchen zu lachen, es wurde schnell aufgelegt und Tommy hakte dieses Gespräch als Verarsche ab. Er machte sich einen Tee, spielte mit dem Teebeutel herum und meldete sich mit „Sicherheitsdienst“, als das nächste Telefonat rein kam.
„Tommy?“ fragte eine männliche Stimme.
„Ja“, sagte er knapp und noch immer fröhlich, weil er an den Anruf dachte und sich noch immer vorstellte, wie die Mädchen gackernd in ihrem Zimmer hockte und überlegten, was sie als nächstes anstellen sollten. Er behielt die Farbe seines Tees im Auge, an der er sah, wann er genug gezogen hatte. Dazu brauchte er nicht auf die Uhr zu sehen. Er erstarrte, seine Nackenhaare stellten sich auf, noch bevor die Stimme weiter sprach – er ahnte etwas, hätte die Verbindung unterbrechen können, aber was hätte das genutzt. Er hätte einfach Sekunden später noch mal angerufen.
„Tommy“, sagte der Anrufer, „wir müssen uns sehen. Ich kann dir am Telefon nicht sagen, um was es geht, aber es ist dringend. Können wir uns nach deiner Schicht treffen?“
„Keine Chance“, sagte Tommy. Er hielt die Augen geschlossen, versuchte sich an die Stimme zu erinnern, ob er in seinem Gedächtnis das passende Gesicht dazu fand. Er war sich fast sicher, dass er den Mann nicht kannte, der so tat, als seien sie dicke alte Freunde.
„Treffen wir uns auf dem Campus“, sagte er, „entweder so oder gar nicht. In einer Stunde bin ich in der Sporthalle.“
„Für unser Gespräch brauchen wir keine Zeugen.“
„Es werden keine Zeugen dabei sein.“
Tommy legte auf, lehnte sich in dem Stuhl zurück und starrte eine Weile an die Decke. Wie weit war ihm da jemand auf die Schliche gekommen?
Ich werd's rausfinden, dachte er, im Grunde kann er einiges wissen, aber solange er kein Interesse hat, zur Polizei zu gehen, ist es in Ordnung. David mag glauben, dass es eine Splittergruppe ist, aber daran glaube ich nicht. Er will mit mir reden, Okay. Das wird nicht heißen, dass er mich abservieren wollen, das hätten sie ohne Kontaktaufnahme einfacher haben können.
Er sagte zu Scott, er müsse in der Sporthalle aufräumen und ein paar Sachen reparieren, eine Liste erstellen von den Dingen, die sie neu anschaffen mussten.
„Ich brauch nicht lange“, sagte er und Scott nickte, „wenn was ist, hab ich das Telefon dabei.“
In der Sporthalle war es totenstill. Er schaltete die Oberlichter an, die Neonröhren sprangen krachend an. Die Eingangstür ließ er angelehnt, kontrollierte kurz die Umkleideräume und Duschen. Soweit war alles in Ordnung. Am Boxring sah er nach der Beseilung, nach dem Mattenboden und suchte dann ein paar der anderen Sportgeräte zusammen, die nicht mehr die Besten waren. Obwohl er beschäftigt war, bemerkte er sofort, als der Mann im Freizeitdress die Halle betrat, stehen blieb, dann näher kam. Er war etwas kleiner als Tommy, schlank und hatte einen modischen Haarschnitt. Er sah nicht aus wie ein irischer Dorftrottel, hatte auch mit Sicherheit keine verräterischen Tätowierungen auf der Haut. Tommy setzte sich auf den Stapel Turnmatten, die abgeschabt und wund an den Ecken waren. Außerdem hatten sie einen Wasserrohrbruch mitgemacht und waren auch nach einer ausgedehnten Trocknungsaktion nicht wieder die Besten geworden.
„Setz dich“, sagte Tommy, „wie soll ich dich ansprechen? Wenn dir kein Name einfällt, bist du Paddy.“
„Paddy ist schon in Ordnung.“
Sie saßen auf Abstand nebeneinander, wie zufällige Sitznachbarn in einem Kino.
„Was wollt ihr von mir?“
„Wir brauchen deine Unterstützung, Tommy. Es war Zufall, dass wir dich gefunden haben und haben überlegt, wie wir auf dich zugehen, ohne dich zu verschrecken. Deshalb haben wir David vorgeschickt. Dieses Treffen jetzt ist heikel, aber notwendig. Wir sind keine Bedrohung.“ Er setzte ein Lächeln auf, auf das Tommy nicht reagierte. „Wir wollen, dass du bei uns einsteigst. Dein Leben wird sich nicht verändern, niemand erfährt etwas von deiner Vergangenheit.“
„Ich kenne dich nicht“, erwiderte Tommy, „ich weiß nicht, worauf du hinaus willst. Um dir irgendeine Zusage machen zu können, will ich erstmal wissen, was für ein Verein ihr seid. Aber vermutlich bin ich nicht mal ’ne Hilfe für euch. Ich bin ein Oldtimer.“
Tommy notierte etwas auf dem Notizblock, zeigte es Paddy, steckte sich dann den Zettel in den Mund, kaute unbeeindruckt und schluckte ihn runter. Er war fast sicher, dass Paddy verkabelt war und ein Wort wie IRA oder Bombe aus ihm herauskitzeln wollte. Auf dem Zettel hatte gestanden:
NENN MIR DEN NAMEN EURER GRUPPE SONST BIN ICH SOFORT WEG
Paddy sah sich um, als wolle er noch mal sicher gehen, dass sie allein waren, sagte dann sehr zögernd: „Wir sind eine Splittergruppe der INLA.“
„Nie gehört.“
„Wir sind die IPLO.“
„Oh. Soweit ich gehört habe, hatten die schon in der Heimat kaum mehr als fünf Mitglieder. Erstaunlich.“
„Wir haben uns weiter entwickelt.“
Tommy glaubte kein Wort von dem, was er hier hörte. Die IPLO hatte einige Mitglieder der INLA und der IRA abserviert, hatten eigentlich alle sofort unter die Erde gebracht, die ihnen quer gekommen waren. Und diese Typen mussten wissen, dass er schon immer auf einer ganz anderen Schiene gefahren war.
„Zur Weiterentwicklung braucht ihr einen Oldtimer? - Ich bedaure“, sagte Tommy, stand auf und machte eine Handbewegung zur offenen Tür hinüber. „Ich wüsste nicht, wie ich euch helfen könnte. Du kannst verschwinden.“
„Wir werden wieder auf dich zukommen.“
„Das könnt ihr euch sparen.“
„Was ist, wenn die Collegeleitung von deiner Vergangenheit erfährt?“
Tommy machte einen Schritt auf den Mann zu, berührte ihn mit dem Zeigefinger an der Schulter.
„Ich hab mich in Luft aufgelöst, bevor die mir irgendwelche Fragen stellen.“
„Du würdest vollkommen unnötig ’ne Menge aufgeben.“
Tommy wies nachdrücklich mit dem Kinn zur Tür, war dabei nicht unfreundlich, sagte kein weiteres Wort mehr. Paddy ging durch die Tür, verschwand und ließ einen nachdenklichen Tommy zurück, der es schwer hatte, sich wieder auf die Bestandsaufnahme der Sportgeräte zu konzentrieren. Es stand für ihn fest, dass sie irgendetwas von ihm wollten, ihm aber noch nicht sagten, was und auch mit der wahren Identität hinter dem Berg hielten. Das eine mochte mit dem anderen in direktem Zusammenhang stehen.
Vielleicht versuchen sie mich einfach nur mit falschen Versprechungen in ein Flugzeug zu locken und bevor ich mich versehe, lande ich in Heathrow und werde ausgeliefert. Aber sie könnten mich auch einfach kidnappen – sie (welcher Gruppierung sie auch immer angehören) haben keinen Grund, höflich mit mir umzugehen.
Er brauchte ein wenig länger, um die Bestandsaufnahme, für die er eigentlich gar nicht zuständig war, zu beenden, meldete sich bei Larry ab und sagte, dass er eine Stunde früher Feierabend machen wolle. Sein direkter Weg führte ihn nicht nach Hause sondern ins Polizeiquartier. Chief Timothy Blake hatte einen seiner Deputies dazu verdonnert, seinen Wagen zu waschen, als Tommy ihn bedauernd angrinste, warf Charlie den Schwamm in den Eimer und sagte: „Und das ist noch nett, was er mir aufhalst. Einen der Neuen, den wir frisch von der Akademie bekommen haben, hat er im Streifenwagen mit raus genommen, ist mit ihm die Landstraße bis nach Lisbon Falls gefahren und hat ihn dort rausgeschmissen. ‚Wenn du innerhalb von zwei Stunden wieder im Büro bist, kannst du bleiben’, hat er zu ihm gesagt.“
„Hat er’s geschafft?“
„Er hat sich ein Taxi gerufen und war in einer Stunde zurück. Der Taxifahrer muss den Geschwindigkeitsrekord gebrochen haben. Und er hat ihm fünfzig Dollar Trinkgeld versprochen.“
Er grinste und fügte schadenfroh hinzu, schob den Seifenlaugeneimer mit dem Fuß näher an die schmutzige Radkappe heran: „Natürlich hat er die Quittung eingereicht und das Geld sofort ersetzt bekommen. Hat einfach gesagt, dass es mit dem Chef abgesprochen sei und er habe ihn zu dieser Fahrt eingesetzt.“
„Ist Douglas da?“
„Ja“, bekam er zur Antwort, „der sitzt am Computer.“
Tommy betrat das Gebäude, begrüßte die alte Heather Cushman an der Zentrale. Ihm fuhr durch den Kopf, was passieren würde, wenn er einem der Polizisten etwas von den Anrufen und dem Besuch erzählte und sagte, dass er erpresst wurde. Dank Heather würde das in Windeseile durch LA sein. Es hatte ohnehin keinen Sinn, mit dieser Angelegenheit zur Polizei zu gehen – er musste es allein in den Griff kriegen.
Er klopfte an die Glastür des Büros, in dem Douglas vor dem Computer saß, mit offenen Augen zu schlafen schien – jedenfalls blinzelte er erst und reagierte mit einem Zusammenzucken, als Tommy gegen das Glas klopfte.
„Wie geht’s?“ sagte er und Douglas hob abwägend die Schultern.
„Alles bestens“, sagte er, „sieht man doch, oder? Blake hat mich zur Büroarbeit verdonnert, weil ich ihm ein paar passende Antworten gegeben habe. Bin ich auch selber Schuld, nicht wahr? Wenn ich zu Hause schon den Mund nicht aufkriege, sollte ich es dem Chef gegenüber auch nicht tun.“
Mit einer ausladenden Bewegung schaltete er den PC aus, drehte sich Tommy zu. Er sah übernächtigt aus.
„Was führt dich her?“
„Können wir bei einem Becher reden? Ich muss dir was erklären.“
„Als du das letzte Mal hier warst, hast du dich mal eben in ein Verhör eingemischt. Komm mit in den Aufenthaltsraum, bevor Blake dich sieht.“
Sie saßen am geöffneten Fenster, hörten undeutlich Charlies Waschaktion auf dem Parkplatz, ansonsten wehten nur die Vogelstimmen und die Geräusche der wenig befahrenen Straße nebenan herein. Tommy erzählte ihm von dem misslungenen Treffen mit Sarah an der Tankstelle.
„Das hat sie mir schon vorgeworfen“, sagte Douglas säuerlich, „dass ich dich vorschicke, um ihr zu sagen, was los ist.“
„Tut mir echt leid“, sagte Tommy, „ich hatte gehofft, es würde was bringen.“
„Du musst dich nicht für Sarah entschuldigen. Ich hab schon überlegt, ob sie ein ganz anderes Problem hat. Irgendwas Hormonelles oder so.“
„Ihr solltet einfach mal wieder miteinander reden.“
Douglas seufzte, sah aus dem Fenster.
„Ich glaube, der Zug ist inzwischen abgefahren. Ich muss wieder an die Arbeit. Wenn Blake mich hier erwischt, drückt er mir noch den Job als Schülerlotse aufs Auge.“
„Meld dich bei mir, wenn du einen trinken gehen möchtest.“
„Mach ich.“
Er fuhr nach Hause, kümmerte sich um die Katzen und tat Lea den großen Gefallen und mähte den Rasen, der schon wieder auf Wadenhöhe hochgewuchert war. Vor dem Rasenmäher flüchteten ein paar Kaninchen und ein Dachs rannte keifend in die entfernte Hecke und verschwand. Diese Viecher sahen wirklich komisch aus, wie tiefer gelegte Hunde. Als Lea nach Hause kam, hatte er bereits geduscht, sich rasiert und umgezogen und sagte, es sei Okay, zum Thailänder in die Lisbon Street zu fahren.
„Im Elephant waren wir schon lange nicht mehr“, sagte er. Was seinen guten Grund hatte. Für regelmäßige Besuche dort waren die Menüs zu teuer. „Müssen wir vorher noch an den Geldautomaten?“
„Ist kein Problem“, rief Lea, „ich hab Geld geholt, als ich die Einnahmen weggebracht hab.“
Sie zog eines ihrer neuen Kleider an, das oben eng am Hals anlag, aber die Schultern und den größten Teil der Beine frei ließ. Es war dunkelbraun. Tommy musste sich Mühe geben, wenn er auch nur vergleichbar so gut aussehen wollte. Er zwängte sich in den guten Anzug, nachdem er das weiße Hemd übergezogen hatte.
„Was ist da?“ fragte sie, als er mehrmals die rechte Schulter des Anzugs kontrollierte. Er verdrehte den Kopf, trat vor den Spiegel und wischte immer wieder mit der Hand darüber.
„Ist nur ’ne blöde Angewohnheit“, sagte er ausweichend, „manchmal sind bei Anzügen die Schultern oben blank geschabt.“
Sie sah ihn fragend an und er erklärte: „Bei Anzügen, die man nur bei Beerdigungen trägt. An der Stelle scheuern die Särge beim tragen.“
Lea hatte ein sicheres Gespür für seine dumme Bemerkungen, wann er sie auf den Arm nahm und wann nicht; sie schlug mit der flachen Hand nach seinem Arm, schlug noch mal nach, als sie ihn nicht richtig traf.
„Hast du einen Tisch reserviert?“
„Ja“, sagte sie, „und deshalb sollten wir jetzt auch endlich los.“

The Thai Elephant Restaurant war das, was die örtliche Zeitung ‚angesagt’ genannt hatte, und das hieß, dass man ohne Tischreservierung gar nicht erst antanzen brauchte. Der Tisch, den sie bekamen, war in Ordnung und sie begannen den Abend mit einem Cocktail, alkoholfrei für ihn.
„Ich bewundere jedes Mal diese Püppchenfiguren“, sagte Lea, worauf Tommy sich auf seinem Stuhl herumdrehte und die geschnitzten Holzfiguren an den Wänden ansah.
„Ob die sich das auch alles abhungern?“
„Sollten sie zunehmen, setzen die einfach nur den Meißel an.“
„Meißel? Wovon redest du?“
„Von den Holzfiguren.“
„Ich rede von der Bedienung“, flüsterte Lea lachend, nahm sich mühsam wieder zusammen, als ein älteres Paar (ihm gehörte ein Teil der Bank von Auburn, sie war ein Tierfreak, unterstützte jede Organisation, von der sie hörte, ohne allerdings jemals auch nur einen Hund angefasst zu haben) an ihrem Tisch vorbeiging und mit einem Nicken grüßte. Sie trug ein Kostüm, in dem sie kaum atmen wagte und das Lea insgeheim Chanel a la Michelin nannte. Die teuerste Art, Speckrollen zu verpacken und ein Dreifachkinn in den Norden zu drücken. Lea fühlte sich noch immer ärgerlich befangen, wenn sie einen der Bankbosse traf – jedes Mal musste sie an die herablassenden Gesichter der grauen Kerle bei der Vertragsunterzeichnung denken. Anders als bei der Kreditvergabe hatte sie die Bosse bei der Tilgung des Kredites und der letzten bezahlten Rate nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und wenn es jetzt noch zu einer Begegnung in der Bank kam, behandelte man sie wie einen Kleinanleger, der um seine Zinsen bettelte und schon dankbar sein sollte, wenn man sein Konto führte.
Sie bestellten sich ein mehrgängiges Menü für zwei Personen, das genug Abwechslung bot und in ihr Budget passte. Eine kleine zurückhaltend-freundliche Person brachte das Essen und neue Getränke, war höflich genug, über Tommys Hantieren mit den Stäbchen hinwegzusehen.
„Und dieser schöne dunkle Teint“, sagte Lea, „hab ich dir erzählt, dass ich mir als Kind die Bräunungscreme meiner Mutter genommen habe? Ich hab mir die Beine eingeschmiert und vergessen, mir die Hände zu waschen. Die Beine sahen klasse aus, aber meine Hände und alles, was ich inzwischen angefasst hatte, Oberarme, mein Gesicht, meine Nase, waren wundervoll mit braunen Flecken verschmiert.“
„Du musst ausgesehen haben wie ein Dalmatiner.“
Während des Essens sprachen sie nicht viel, suchten immer wieder nach Blickkontakt, fühlten sich entspannt und zufrieden. Tommy dachte daran, dass er in diesem Restaurant sitzen und essen konnte, ohne dass jemand wusste, wer er war und was er getan hatte. Er war sicher an diesem Ort, aber niemand konnte ihm sagen, wie lange das noch so anhalten würde. Lea ahnte, dass es vermutlich nicht ewig dauern würde mit dieser Ruhe, aber im Gegensatz zu Tommy war sie sich dessen nicht ständig bewusst. Sie konnte besser damit leben und er ließ sie in dem Glauben. Dieser reichlich teure Restaurantbesuch besiegelte erneut ihre Freundschaft und die Verbindung, die darüber hinausging. Sie fanden zueinander zurück, ohne die Hilfe von studierten Köpfen in Anspruch nehmen zu müssen, sie überwanden Streitereien und Schwierigkeiten, sie überwanden den Altersunterschied, der bei den meisten eine Beziehung von vornherein unmöglich gemacht hätte. Alles in allem war es klar, dass sie füreinander bestimmt waren, auch wenn es sich altmodisch und unrealistisch anhörte. Hätten sie diese Gedanken untereinander ausgetauscht, hätten sie sich auf dem Boden gerollt vor Lachen, denn das war etwas, was viel zu abstrakt für das alltägliche Zusammenleben war.
„Hättest du gern Kinder?“ fragte Lea beim Nachtisch, machte eine abwiegelnde Geste, als sie sein betroffenes Gesicht sah, „ich meine nicht auf der Stelle. Und auch nicht in diesem Jahr. Ich frag nur, weil wir noch nie wirklich drüber gesprochen haben.“
„Du wolltest mir doch nichts beichten und machst einen Rückzieher?“
„Ich würde dich nicht vor den Kopf stoßen mit so einer Sache. Es ist mir nur der Gedanke gekommen, wie du über Kinder denkst.“
„Über eigene Kinder?“
„Natürlich über eigene Kinder. Fremde Kinder sind immer unerzogene Bälger.“
„Mein Leben war immer zu kompliziert für eine Familie, deshalb habe ich mir nicht wirklich Gedanken über Kinder gemacht. Aber ich mag Kinder, wirklich. Ich weiß nur nicht, ob ich in der Lage wäre, sie aufzuziehen.“
„Manchmal stelle ich mir vor, dass du unvermuteten Besuch von der Insel bekommst“, (Tommy entwickelte eine Gänsehaut), „und zwar von einer fülligen rothaarigen Frau, die einen Haufen Kinder hinter sich herschleppt und die ganze Zeit schimpft wie eine polnische Schlampe.“
Sie lachten über diese Vorstellung, Tommy fragte, woher die Frau mit den vielen Kindern das Geld für die Flugtickets nehmen sollte, oder ob sie mit dem Schiff gekommen seien.
„Und wenn es kleine schreiende Kinder sind in deiner Vorstellung“, sagte er, „sind es nicht meine. Immerhin bin ich schon zehn Jahre aus Irland weg. Drehen wir noch eine Runde.“
„Gerne.“
Lea fühlte sich wie eine Bowlingkugel auf Beinen, als hätte sie doppelt so viel gegessen wie Tommy und ein wenig Bewegung konnte nicht schaden. Lea bezahlte, obwohl die kleine in Seide gepackte Bedienung ihm die Rechnung vorlegte, worauf sie einen wirklich missbilligenden Blick der Bedienung zugeworfen bekam.
Sie machten einen langen Spaziergang bis zur Brücke und den Wasserfällen des Androscoggin hinüber, drehten erst um, als es zu regnen begann. Es wurde richtig ungemütlich.
„Der Sommer ist vorbei“, sagte Lea.
„Wie kommst du darauf?“ Tommy entgegnete diese Frage, um sie auf den Arm zu nehmen – sie hatte über ihrem neuen dunkelbraunen Ausgehkleid nur einen marineblauen kurzen Mantel gezogen, der nicht einmal für eine Sommernacht in Maine warm genug war. Sie hatte ihn nur angezogen, weil die Farbkombination so gut aussah. Jetzt hatte sie die Arme unter der Brust verschränkt und versuchte sich warm zu zittern.
„Das hab ich im Gefühl“, antwortete sie, ließ übertrieben die Zähne aneinanderklappern.
„Wie wär’s hier mit der Abkürzung zum Parkplatz?“
Sie bogen in eine kaum beleuchtete dunkle Seitengasse ein, die in einem leichten Bogen direkt an die Rückseite des Parkplatzes führte, wo sie den Cherokee abgestellt hatten. Allein hätte Lea diesen Weg nicht gewählt, zu dunkel und zu unheimlich, der perfekte Schauplatz für eine New-England-Jack-The-Ripper Version. Jedes Mal, wenn Lea diese Gasse und die blinden Rückseiten der Geschäfts- und Wohnhäuser sah, dachte sie an die diversen Serienkiller, die immer wieder ihren Auftritt in den Nachrichten und Special Reports hatten. Es gab Experten für Serienkiller, es gab eine Sondertruppe beim FBI, die aus der Art, wie man sich als Kind den Hintern abgewischt hatte, schließen konnten, ob man als Täter in Frage kam oder nicht. Das alles half jedoch wenig, die Taten zu verhindern und den braven Bürgern die Angst vor dunklen Gassen zu nehmen. Selbst in den geordneten Kleinstädten war man vor dieser Angst nicht sicher, obwohl noch kein Triebtäter in Lewiston geboren worden oder dort aufgewachsen war. Lea wusste nur von einem mäßig bekannten Schauspieler, der bereits als Kinderstar begonnen und es geschafft hatte, auch nach der Pubertät erfolgreich zu bleiben. Sie hatte ihn in dem Ebolastreifen mit Spacey und Hoffman gesehen, im Kino in Lewiston und alle hatten sich darüber amüsiert, dass während seiner ersten Szene in jeder Reihe des Kinosaals die Worte gezischt wurden: „Der ist übrigens von hier.“
Lewiston hatte nicht mit irren Serienmördern zu tun sondern eher mit diversen Drogenproblemen.
Mit einem Brocken wie Tommy an ihrer Seite hatte sie kein Problem in der unheimlichen Straße, sie hakte sich bei ihm unter und vermied Blicke nach rechts und links. Zwar hatte er noch immer sein Handgelenk getaped, aber das würde ihn bei ihrer Verteidigung nicht aufhalten. Kurz, bevor sie den Cherokee ereichten, hörte der Regen auf, aber der kalte schneidende Wind blieb, brachte Lea zum zittern. Sie ließ Tommy fahren, schaltete die Heizung hoch, noch bevor sie sich angeschnallt hatte.
„Das scharfe Zeug hätte dir eigentlich genug einheizen sollen“, sagte Tommy, „so geht’s mir jedenfalls.“
„Männer frieren sowieso nie“, behauptete Lea. In ihm wurde eine andere Erinnerung ausgelöst – nichts, was er selbst erlebt hatte, aber was sie alle bis ins Detail verfolgt hatten. Neben Fernsehen und Zeitungen hatten sie ihre eigenen Quellen gehabt – Informationen, die so frisch und direkt gewesen waren, als wären sie selbst dabei gewesen. Frierende hungernde Männer in einem Gefängnis, in dem sie aus politischen Gründen saßen, gleichzeitig aber nicht als politische Gefangene anerkannt wurden. Ein Journalist hatte geschrieben, dass sie nicht durch den Hungerstreik gestorben wären, wenn Maggie ihnen erlaubt hätte, ihre eigene Kleidung zu tragen. Sie hatte diesen Ausgang des Streiks in Kauf genommen, weil sie prinzipiell nicht mit Terroristen verhandelte.
Tommy wusste sehr wohl, dass er auch schon einige Male gefroren hatte, dass er dachte, er würde einschlafen und sterben, aber auch diese Erinnerung gehörte zu den Dingen, die er Lea nicht erzählen würde. Er behauptete das Gegenteil, in dem er sagte: „Dreh die Heizung ruhig noch weiter auf, ich schwitze gerne vor mich hin.“
„So schlimm ist es auch wieder nicht.“
Lea drückte ihr Kinn in den Kragen hinunter, atmete in den Mantel. Die scharfen Gewürze der thailändischen Küche wärmten ihren Magen, weniger den Rest von ihr, es brauchte schon ein Gericht von der indischen Speisekarte, eines an dem Vorsicht - scharf! stand, um sie komplett in Flammen aufgehen zu lassen. Sie waren nicht sehr spät zu Hause, trotzdem verzogen sie sich unverzüglich ins Schlafzimmer, verfolgt von den schmalen Augen der Katzen, die geduldig auf die Heimkehr der Großen gewartet hatten. Sie liefen probeweise in die Küche, zuckten synchron zusammen, als Leas kreischendes Lachen aus dem Schlafzimmer dröhnte. Die beiden ahnten, dass es an diesem Abend nichts mehr zu essen geben würde.
 
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Kommentare  

So langsam fügen sich die verschiedenen Teile des Puzzles zusammen. Sehr spannend.

Petra (10.04.2009)

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