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4 Seiten

Der Spiegel des Todes (2)

Romane/Serien · Spannendes
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Li hatte Posten bezogen. Er saß auf der Fensterbank von Mandys Zimmer und schaute durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen. Das Fenster war leicht gekippt. Er konnte also hören, dass Mandy leise vor sich hin summte. Bei genauerem Hinhören fuhr es ihm durch Mark und Bein. Sie summte die Melodie! Das Flötenspiel, das noch nicht für ihre Ohren bestimmt war!
Ein sanfter Wind ließ die Blätter des Baumes rascheln. Die Äste schienen fast nach ihm zu greifen, ihn forttragen zu wollen, aber da ging seine Fantasie mit ihm durch.
Li versuchte, durch das offene Fenster ins Innere zu kommen. Es dauerte etwas, da er mal wieder vergessen hatte, dass er Flügel besitzt, aber schließlich hat er es doch geschafft. Leise versteckte er sich halb hinter einer Blumenvase. Von hier aus war die Sicht schon viel besser und er konnte besser hören was vor sich ging.
Mandy lag bäuchlings auf ihrem Bett und las ein Buch. Es war ein dickes Buch. Es musste sich wohl um eine Fantasiegeschichte handeln, denn Li konnte einige Bilder erkennen, die mit den Gestalten auf dieser Welt nicht viel gemein hatten.
„Mandy? Wie weit bist du mit deinen Hausaufgaben?“, tönte die Stimme der Mutter von unten herauf.
„Ich fang jetzt an.“ Mandy legte das Buch auf die Seite und setzte sich an ihren Schreibtisch. Li erschrak und versteckte sich vorsichtshalber hinter der Vase, so dass Mandy ihn nicht sehen konnte, denn ihr Schreibtisch stand genau vor dem Fenster, auf dessen Fensterbank Li sich versteckte. Zwar war er für Menschen unsichtbar, aber diese Reaktion konnte er sich nicht verkneifen.
Mandy war wirklich ein außergewöhnliches Mädchen. Sie war für ihr Alter sehr schlau. Es schien, als machten ihr die Hausaufgaben überhaupt keine Mühe. Auch hatte sie eine sehr schöne, klare Schrift. Fast hatte es den Anschein, als wäre sie gelangweilt.
Fasziniert von ihrem Anblick trat Li Schritt für Schritt hinter der Vase hervor. Er setzte sich vor die Vase, lauschte der Melodie, die sie vor sich hin pfiff und bewunderte die Leichtigkeit, mit der sie ihre Aufgaben erledigte. Li zuckte leicht zusammen als Mandy ihren Kopf hob und in seine Richtung schaute. Es war als musterte sie ihn. Mandy legte ihren Kopf schräg und starrte ihn an.
„Wer bist du denn?“, fragte sie plötzlich.
Vor Schreck weiteten sich Li´s Augen. Er war entlarvt! Sie konnte ihn sehen! Li versuchte, so schnell wie möglich zu verschwinden, doch Mandy rief ihn zurück:
„Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken. Bleib doch hier!“ Li wurde stutzig. Am liebsten wäre er zurück zu seinem Meister gerannt um ihn um Rat zu fragen, doch seine Neugier war stärker. Er wollte wissen, wie es sein konnte, dass Mandy ihn sah.
„Du kannst mich sehen?“, fragte er verwundert.
„Warum sollte ich dich nicht sehen können?“, entgegnete das Mädchen ruhig.
„Normalerweise bin ich für Menschen unsichtbar.“
„Oh, also ich kann dich sehen.“, stellte Mandy nüchtern fest. Sie war ziemlich ruhig dafür, dass sie einen bleistiftgroßen Menschen vor sich hatte, dem Flügel aus den Schulterblättern wuchsen.
„Wer bist du?“, wollte Mandy wissen. Li wusste nicht so recht, in wieweit er ihr Auskunft geben durfte, aber er war zu neugierig und wollte wissen, weshalb sie ihn sehen konnte.
„Ich bin ein Fabelwesen, ein Elf, eine Art guter Geist. Im Laufe der Zeit hatte ich schon so viele Namen.“, begann Li zu erklären.
„Und wie alt bist du?“ Die Neugierde des Mädchens war unüberhörbar.
Zaghaft antwortete er: „Weit über 500 Jahre.“ Mandys Augen wurden größer. Hörbar ließ sie Luft durch die Zähne zischen.
„Mich würde interessieren, warum du mich sehen kannst. Hast du eine Erklärung dafür?“ Li fiel zwar kein logischer Grund ein, den das Mädchen hätte nennen können, aber diese Frage brannte ihm auf der Zunge.
„Ich weiß nicht.“ Immer noch beeindruckt streckte Mandy ihre Hand nach Li aus. Erschrocken wich er zurück. Aber was sollte passieren? Sie würde ihn wohl kaum verletzen können. Li war schon oft auf den Schultern von Menschen gesessen und hatte Rast gemacht und sich die Landschaft angesehen.
Li sprang von der Fensterbank auf eines von Mandys Heften, das auf dem Schreibtisch lag. Er setzte sich auf ihre Hand. Behutsam hob Mandy den Arm und begutachtete Li von allen Seiten. Er war ungefähr 10 cm groß und trug sehr altmodische Kleidung. Eine beige Hose, braune Schuhe, ein Schlammfarbenes Hemd und eine dunkelgrüne Weste dazu. Seinen Kopf bedeckte eine rostrote Zipfelmütze. Er sah sehr ulkig aus und passte so gar nicht in diese Zeit.
Eine Weile begutachteten die beiden sich gegenseitig. Schließlich setzte Mandy den kleinen Li wieder auf ihrem Tisch ab und fragte:
„Und was machst du hier bei mir?“ Li schluckte. Er hatte die Frage erwartet, wusste aber nicht was er darauf antworten konnte. Er konnte ja schlecht sagen, dass er auf sie aufpassen sollte, solange der Meister sich einen Plan überlegt, wie er den Tod von ihr fernhalten konnte.
„Ich habe gehört, wie du eine Melodie gesummt hast. Da bin ich neugierig geworden.“, antwortete er nicht ganz wahrheitsgemäß.
Auf die Melodie angesprochen wurde Mandy ganz aufmerksam:
„Ja, diese Melodie habe ich heute auf dem Heimweg gehört. Sie war ganz plötzlich da. Ich konnte gar nicht weitergehen so hat sie mich in ihren Bann gezogen. Und dann auf einmal, wurde sie immer leiser. Aber ich habe sie die ganze Zeit in meinem Kopf gehört. Das war wie Zauberei. Und dann bist du gekommen.“ Sie schaute Li an und blinzelte.
„Kannst du zaubern?“, fragte sie unverblümt. Mit dieser Frage hatte Li nicht gerechnet. So langsam beunruhigte ihn die Neugierde des Mädchens ein bisschen.
„Nein“, log er nur teilweise und weiter, „Ich muss jetzt wieder los.“
Diesmal vergaß Li nicht, dass er Flügel hatte und sauste durch den geöffneten Spalt im Fenster zu seinem Meister zurück.
Mandy war verwundert über die rasche Wendung. Hatte sie den kleinen beleidigt? Sie wusste nicht, was sie von dieser Begegnung halten sollte. Aber sie glaubte nicht, dass sie geträumt hatte.

„Meiiiiiiister!!!! Meister!“, ganz außer Puste von seinem übereilten Aufbruch kam Li bei seinem Meister an.
„Was ist los? Was ist passiert? Warum bist du nicht bei Mandy?“ Die schrecklichsten Gedanken kamen in ihm auf. Was, wenn es schon zu spät war? Wenn sein Plan gar nicht mehr zum Einsatz kam?
„Nun rede endlich!“, schorf verlangte der Meister von Li Antwort. Zwischen zwei Atemzügen quetschte dieser heraus:
„Sie kann mich sehen!“ Der Meister machte ein nachdenkliches Gesicht.
„Interessant.“
„Ja, aber wie kann das sein? Ist sie vielleicht… ist sie vielleicht kein Mensch?“, fragte Li vorsichtig. Der Meister entgegnete ruhig:
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Das hätte ich gespürt. Außerdem lebt sie eindeutig mit Menschen zusammen. Warum sollte sie so etwas tun, wenn sie kein Mensch wäre?“ Das war allerdings wahr. Warum sollte sie.
„Der einfachste Weg herauszufinden, warum Mandy dich sehen kann, ist sie im Auge zu behalten. Hattest du das Gefühl sie habe Angst vor dir?“
„Nein, ich glaube nicht. Sie war eher neugierig.“ Der Meister hatte eine Idee. Li sollte sich mit Mandy anfreunden. So konnte er sie immer im Auge behalten und ihn unterrichten, falls etwas Ungewöhnliches vorfiel.
Also schickte der Meister seinen treuen Diener wieder zu dem Mädchen.
Li machte sich natürlich sofort auf den Weg. Schließlich galt es, keine Zeit zu verlieren.
Der Plan war eher simpel. Li sollte Mandy im Auge behalte. Sobald er spürte, dass der Tod in ihrer Nähe war, sollte er den Meister alarmieren. Dieser wollte inzwischen herausfinden, warum der Tod ausgerechnet Mandy zu sich holen wollte.
 
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Kommentare  

Dankesehr für dein Kommentar! Hat mich wirklich gefreut zu hören, dass es jemanden gefällt.

midnight (05.02.2010)

So, und hier nochmal : Die Fortsetzung ist klasse. Wunderschön plastisch beschrieben, wie sich der kleine Elf Mandy nähert. Ich konnte mir alles wie in einem Film vorstellen.

Jochen (01.02.2010)

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