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16 Seiten

Schattenmacht - Das letzte Licht (Einstiegsgedicht und Vorgeschichte)

Romane/Serien · Fantastisches
Vor ab: Ich habe lange überlegt, ob ich diese Geschichte, die mittlerweile über 160 DinA4 Seiten umfasst hier veröffentlichen will. Nun habe ich mich dazu entschlossen, da ich mich unbedingt wieder damit befassen will (ich hänge nämlich an ner gewissen Stelle) und die eine oder andere Rückmeldung mir auch weiterhelfen würde.
Wie dem auch sei, bedenkt bitte beim Lesen, dass es eine reine FantasyGeschichte ist.

Viel Spaß beim lesen....
wünscht euch
Anariel
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Schattenmacht - Das letzte Licht



Zwischen allen Welten


Aus dem kalten Schweigen
einer fremden Nacht
dringt mir ein Lied entgegen,
das so niemals ward gemacht.

So wandert einsam
in den Nebeln,
zwischen Tod und Leben,
eine Frau
aus alten Zeiten,
will den Toten
Trost bereiten.

Ihr Kleid ist Schwarz
und Rot,
ihr Gesicht
so wunderschön,
Ihre Stimme Lieblich
und Ihr Herz
so gut, so rein.

Und die Engel
werden traurig
wenn sie sehen,
wie sie wandert.
Könnt sie doch
mit einem einzigen Satz
ins Himmelreich
eingehen.

Und die Dämonen
fürchten sie
in ihrem Sein.
Weil einzig Sie
berühren konnt allein,
was niemand
zu berühren
wagt.

Und die Toten weinen,
in ihren weichen Armen,
weil nur sie
ihnen Trost
noch gibt.

Doch die starren Wächter
aus kaltem, altem Stein
und die, die Leben
können sie
nicht sehn.

Nur ein einziger,
der sehnt sich
jeweils Hundert Jahre lang,
nach ihren weichen Armen
und ihrem Trostgesang.

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"Doch es wird eine geboren werden in Gestalt eines Menschen, die keine Schuld ihm anlastet und ihn aus reiner Herzensgüte eine Umarmung des Trostes schenkt. Und es soll sein, das sie ihm keine Qual bereitet. So soll sie zum letzten Licht erkoren werden und wird aus eignem Willen, ohne Namen, wandeln zwischen allen Welten. Ihr Geschenk wird die Toten trösten, die Tiere werden sie lieben, die Dämonen und dunklen Geister werden in Ehrfurcht vor ihr sein und die Engel sollen weinen, denn sie wird berühren, was keiner mehr berühren kann……"

-- Buch der Prophezeiungen, Das Erscheinen des letzten Lichtes --


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Das Erscheinen des letzten Lichtes -

Vorgeschichte



Da stehen sie schweigend, so stille erstarrt. Wirken lebendig, gerade so als wären ihre Körper aus Fleisch und nicht aus kaltem Stein gemacht.
Da stehen sie, die Denkmäler vergangener Lebensfreuden und blicken stumpfsinnig und leer. Ihre blicklosen Augen, die manchmal so real erscheinen, sehen doch nichts. Keine Seele spiegelt sich in ihnen wieder, da ist kein Leben, war es niemals.
Da stehen sie, die Wächter, an diesem seltsamen Ort, wo jeder nur zu flüstern wagt und kein lautes Geräusch in diese seltsame Stille dringen kann.

Kalter grauer Nebel fließt über die Erde, umspült vorsichtig ihre starren, harten Körper und verschluckt sie schließlich. Eine schlanke, graue Katze springt mit einem anmutigen Satz auf die brüchige, halbverfallne, alte Steinmauer. Setzt sich dort zwischen den wild wuchernden Efeu, putzt sich elegant die nebelgraue Pfote und blickt sich dann mit wachsamen grünen Augen um. Schließlich springt sie wieder herab und streift mit der ihr eigenen, lautlosen Geschmeidigkeit um die stillen Wächter herum.

Und sie stehen immer noch, still, erstarrt, mit ihren blicklosen, seelenleeren Augen und schweigen.

Ein Windhauch löst mit unbeschwerter Leichtigkeit aus den umstehenden Bäumen ein Rascheln, das aber sogleich wieder verstummt. Die dunkle Gestalt eines Raben löst sich aus dem Nebel, fliegt hoch hinauf und kreist wie ein Vorzeichen am Himmel über diesem Ort. Dann stößt er herab und landet stumm nicht weit von mir, auf einem dieser Wächter. Die klugen Augen des Vogels blicken mich mit unheimlicher Intelligenz an und scheinen mir bis tief in die Seele zu sehen.
Schau niemals einem Raben zu lange in die Augen, sagen die Alten, sonst nimmt er vielleicht deine Seele mit sich.
Ich frage mich, was daran so schlimm sein sollte? Es sind doch die Raben, die unsere Namen kennen, wenn alle anderen sie schon vergessen haben. Es sind doch die Raben, die unsere Seelen in die andere Welt hinübertragen. Es muss schön sein, so fliegen zu können.

Und noch immer stehen sie und schweigen. Ihre leeren Augen sehen nichts.

Der Rabe dreht aufmerksam den Kopf, zerreißt dann mit einem rauem Schrei die atemlose Stille und hebt sich wieder sanft in die Lüfte. Ich blicke ihm einen Moment gedankenverloren nach. Meine Seele hat er nicht mit sich genommen, aber vielleicht wird er wieder kommen, so hoffe ich.

Und noch immer sind sie still und stehen schweigend, unbeweglich. Denkmäler verlorener Lebensfreude. Stumme, stille Wächter an diesem seltsamen Ort, wo jeder nur zu flüstern wagt.
Ich trete langsam näher an den Wächter heran, betrachte ihn sinnend. Dann hebe ich die Hand, streiche sanft über einen der steinernen Flügel und blicke in das starre Gesicht des Friedhofengels.
Mein Blick schweift zum Sockel, auf dem er steht. Wandert über rote, halbverblühte Rosen und immergrünem Efeu, um den in abgeblätterten Gold geschriebenen Namen zu lesen.
Lange stehe ich dort, neben dem Wächter, die Hand noch immer auf seinem steinernen Flügel.
So starr sie stehen, so leblos ihre Gesichter sind und ihre Augen so blicklos und leer, so sind die steinernen Wächter doch nicht blind. Sie sehen!
Sie sehen die Toten und die Lebenden, die Engel und die Dämonen. Nur mich, mich sehen sie nicht. Selbst dann nicht, wenn ich sie berühre. Für ihre Blicke bleibe ich unsichtbar und für mich bleiben ihre Augen leer und blicklos.
Sie sehen die Lebenden, doch diese sind so von ihrem Leben vereinnahmt, so dass sie diese Blicke meist nicht wahrnehmen. Sie sehen die Toten und manch eine verwirrte Seele, die sich noch nicht so recht von dieser Welt lösen will, sucht Schutz bei ihnen. Doch erhalten sie meist nur Schweigen, das auf seine Art auch Trost bringen mag.
Sie sehen die Engel, die manchmal diesen und andere solche Orte besuchen und so manche traurige, bereits gestorbene Seele mit sich nehmen. Manchmal kommen sie auch, um die noch Lebenden zu stützen und unsichtbar zu trösten.
Sie sehen aber auch die Dämonen und dunklen Geister. Das ist der eigentliche Grund, warum sie hier stehen und wachen, so stumm, so still und starr. Denn die dunklen Wesenheiten ertrage die Blicke der steinernen Wächter nicht und bleiben fern. Und so beschützen sie die Toten, die noch nicht hinüber gegangen sind und die Lebenden, die hier her kommen. Diese Menschen, die hier nach Trost suchen, oder einfach nur ihrem Kummer folgen und manchmal stille, bittre Tränen weinen.
Aber mich, mich sehen sie nicht, die stummen Wächter.
Aber ich sehe, ebenso wie sie, die Lebenden und die Toten, die Engel und Dämonen. Die Lebenden sehen mich eben sowenig, wie sie die Blicke der Wächter sehen. Doch die Toten können mich sehen. Manchmal finde ich eine einsame dieser Seelen, die traurig und verängstigt an einen dieser Wächter geschmiegt sitzt. Dann setze ich mich dazu und nehme sie in die Arme. Gewähre den Trost einer liebevollen Berührung bis ein Engel kommt, oder auch ein Rabe und den Toten mit sich nimmt.
Auch die Engel und Dämonen können mich sehen, nehmen mich wahr. Doch sie ertragen meine Gegenwart nur schwer. Die Engel werden traurig und die Dämonen fürchten sich ein wenig vor mir. Beides aus ein- und demselben Grund.

Der Nebel wird dichter und verschluckt immer mehr von diesem Ort. Breitet eine graue, weiche Decke des Schweigens über den Friedhof. Je weiter der stille Abend voranschreitet, um so dunkler wird es. Doch noch immer kreist der Rabe am Himmel. Ich wende mein Gesicht von dem Wächter und dem Grab ab und suche mit den Blicken nach der schwarzen Silhouette im dunkler werdenden Himmel. Endlich entdecke ich ihn und beobachte, wie er immer weiter herabsinkt um dann nicht allzu weit entfernt zu landen. Diesmal setzt er sich auf die Steinmauer und wieder betrachtet er mich mit dieser seltsamen Intelligenz in den dunklen Augen.
Ein stilles Lächeln huscht über mein Gesicht. Mein Blick kehrt zurück zu dem Wächter, der mich doch nicht sehen kann. Selbst wenn ich sie berühre bemerken sie mich nicht einmal.
Sie sehen mich nicht, ebenso wenig, wie die Lebenden. Sie können mich nicht wahrnehmen, die Wächter. Die stillen, stummen Wächter, deren Augen ewig blicklos bleiben werden, für mich.
Denn ich bin keines von all dem! Ich bin weder Engel, noch Dämon, weder Lebend noch Tot.
Ich war nie ein Engel, werde es wohl auch niemals sein. Niemals hatte ich Schwingen zum fliegen und mein einziger Flug wird der mit dem Raben sein, wenn er mich denn einst mit sich nehmen wird.
Es gab auch nie etwas dämonisches in mir und auch die lange Zeit meiner einsamen Wanderschaft hat nichts dergleichen in mir entstehen lassen.
Ich bin, nein ich war einmal vor langer Zeit eine ganz gewöhnliche menschliche Frau. Aber das ist schon lange her. Ich bin nicht mehr am Leben, nicht mehr wirklich, aber ich bin auch niemals gestorben.
Der Nebel wird immer dichter und hat nun die letzten Flecken Himmel verschlungen. Er taucht diesen seltsamen stillen Ort und die starren, steinernen Wächter in ein weiches Grau. Alle Konturen beginnen nun langsam weicher zu werden in der zunehmenden Dunkelheit, während das Licht immer mehr schwindet. Jetzt könnte man wirklich fast glauben, das sie nicht aus Stein sind. Wie sie so stehen und schweigen. Diese Wächter, die mich nicht sehen können.
Kaum kann man es glauben, aber das Schweigen vertieft sich noch und wird in seiner Lautlosigkeit geradezu ohrenbetäubend.
Erneut zerreißt der Rabe mit seiner rauen Stimme die Stille. Ich wende ihm noch einmal meinen Blick zu und hebe grüßend die Hand. Jetzt erst erhebt er sich in die Luft und fliegt beinnahe lautlos in einen nahen Baum. Von dort oben schenkt er mir noch einen weiteren Blick und macht sich dann erst daran sein Gefieder zu reinigen.
Die Nacht hat endlich Einzug gehalten an diesen Ort und das Licht des aufgehenden Mondes kann den nunmehr dichten Nebel kaum durchdringen, so dass es nur die Nebelschleier versilbert. Ein Rascheln lässt mich meinen Blick von dem Raben abwenden. Suchend blicke ich mich um und entdecke schließlich die graue Katze von vorhin wieder. Erneut ist sie auf die Steinmauer gesprungen und bedenkt mich mit einem scharfen Blick aus den grünen Augen.
Nach einigen Momenten springt sie wieder herab, streicht an den starren, stummen Wächtern vorbei und umschmeichelt mir schließlich die Beine. Ein weiteres Lächeln entlock sich mir. Ich beuge mich hinab und streichle dem geschmeidigen Tier sanft den schmalen Rücken. Sie beginnt zu schnurren und reibt sich noch stärker an meinen Beinen.

Die Engel, denen ich begegne, bereite ich Traurigkeit, den Dämonen Furcht, den Toten schenke ich Trost und die Lebenden sehen mich nicht. Aber auch solche Wesen wie der Rabe und die Katze können mich sehen. Jedes Tier nimmt mich wahr, doch im Gegensatz zu allen anderen sehen sie mich ohne Vorbehalte, Furcht oder Trauer. Für sie bin ich einfach nur natürlich und gehöre hier ebenso her, wie sie selbst.

Langsam richte ich mich wieder auf, hebe die Hand und streiche erneut, beinnahe zärtlich, über den steinernen Flügel des Friedhofengels vor mir. Wieder blicke lange in das starre Gesicht und die leeren Augen, die mich nicht sehen. Dann lasse ich meinen Blick wieder schweifen, über diesen so seltsamen, stillen Ort, an dem man nur zu Flüstern wagt. Doch meine Augen kehren zurück zu der steinernen Gestalt vor mir und in meiner Erinnerung verwandelt sich der Stein unter meinen Fingern in weiche Federn.
Eine einzige Tat reichte um mich, wie mancher glaubt, zu verdammen. Aber das hier ist keine Verdammnis. Ich empfinde es nicht so und ich bin auch nicht traurig über mein seltsames Dasein, irgendwo zwischen Leben und Tot.
Nur eine einzige Tat. Das ausstrecken einer Hand, um eine freundliche, liebevolle Berührung zu schenken. Eine Berührung, die dazu gedacht war, einem gefallenen Wesen Trost in seinem Schmerz zu geben. Mehr nicht, nur eine Berührung, geboren aus Güte und Mitleid. Eine Berührung, die verboten war und auch gar nicht hätte möglich sein sollen.
Aber sie war möglich und ich wusste nichts von dem Verbot. Und dennoch reichte es um mich in diese Existenz zwischen den Welten zu verbannen.
Ich glaube deswegen fürchten mich die Dämonen, weil ich berührte was nicht berührt werden konnte. Deshalb sind auch die Engel traurig, weil ich berührte, was nicht berührt werden durfte. Deshalb bin ich fähig den Toten Trost zu schenken. Denn ich berührte nur das, was nicht berührt werden konnte und durfte, weil ich Trost spenden wollte.

Der Blick meiner Augen löst sich von dem steinernen Gesicht vor mir und wandert erneut zum Sockel.
Das Grab ist leer, das weiß ich. Kein Körper, keine Knochen ruhen darin.
Und dennoch muss sich jemand um dieses Grab kümmern. Jemand muss den Efeu zuschneiden, Blumen in die Vase stellen und wieder und immer wieder den Namen mit Goldfarbe ausbessern.
Es muss so sein, denn nach beinnahe dreihundert Jahren kann man den Namen noch immer lesen. Kann man noch immer meinen Namen lesen.

Langsam wende ich mich von meinem leeren Grab und dem darauf stehendem Wächter ab. Lasse meinen Blick erneut schweifen und setze mich schließlich in Bewegung. Mit eleganten Schritten laufe ich den gepflasterten Weg zwischen den Gräbern entlang und lausche in die stille Nacht hinein. Meine hohen Schnürstiefel mit dem Absatz geben klackernde Geräusche von sich, die kaum einer der Lebenden hören wird. Ich bin noch immer von dieser Welt, aber nicht mehr länger wirklich in ihr und darum hören nur ganz wenige Lebende meine Schritte oder meinen Gesang. Noch immer trage ich das selbe Kleid, wie in dieser einen so schicksalsträchtigen Nacht vor so langer Zeit.

Die Dunkelheit umhüllt diesen Ort nun wie ein weiter, weichfließender Mantel und spielt mit dem silbrigen Nebel ein Fang-Mich-Spiel. Hier und dort, wo sich der Nebel an den steinernen Wächtern fängt verwirbelt er sich mit der Dunkelheit und formt seltsame, schöne Gestalten.

Langsam schreite ich weiter, während mich der Nebel sanft umtanzt. Die Stille ist so umfangreich, so dass man jedes noch so kleine Geräusch hört. Meine eigenen Schritte klingen mir in den Ohren laut, auch wenn ich weiß dass sie kein Lebender hört. Die graue Katze hat beschlossen, das sie mich begleiten möchte und läuft geschmeidig neben mir her. Immer wieder blickt sie mich mit ihren schönen grünen Augen an. Geradeso, als wolle sie fragen, wohin wir denn jetzt gehen. Der Gedanke lässt mich leise auflachen. Ich gehe in die Hocke und streichle das Tier, das dies mit einem kehligem Schnurren beantwortet.
Es ist seltsam, dass mich Katzen so sehr mögen. Wo auch immer ich hinkomme, gibt es dort eine Katze, so sucht sie früher oder später meine Nähe.
Viele Lebende sehen es mit Erstaunen und oft auch genug mit Schrecken, wenn eine Katze in ihren Augen mit der leeren Luft schmust. Andere glauben dann, es wäre ein Geist anwesend oder tun es als seltsam ab. Es gibt so viel, das sie nicht sehen. Sie könnten es sehen, wollten sie es. Aber die Lebenden wollen gar nicht sehen. Diese Erkenntnis hatte ich schon, als ich noch ein ganz normaler Mensch war. Denn schon damals sah ich Dinge, die von anderen nicht gesehen wurden.

Ich erhebe mich wieder und gehe weiter. Ohne Ziel streife ich nun selbst, wie eine Katze, um die starren, stummen Wächter herum. Der leere Weg, die stummen Wächter, die Gräber, der Nebel und die Dunkelheit malen ein schaurig schönes Bild. Wie damals, in dieser einen seltsamen Nacht, die mein Leben so verändert hat.
Eine späte Besucherin hastet an mir vorbei, ohne mich zu sehen. Die Frau hat den Mantelkragen hochgeschlagen, es muss wohl kühl geworden sein. Kurz besinne ich mich und bemerke, das es nicht nur kühl, sondern sogar kalt geworden ist. Seit ich nicht mehr so ganz in dieser Welt bin nehme ich solche Dinge nur noch am Rande wahr. Nur wenn ich mich darauf konzentriere kann ich solche Dinge wie Kälte oder Wärme spüren. Seit Jahrhunderten habe ich nicht mehr gegessen, nicht mehr getrunken und ich trage noch immer das selbe Kleid. Ein edles, barockes Gewand aus schwarzen und rotem Satin, Samt und Spitze. Die weiten Ärmel sind vom Handgelenk bis zu den Ellbogen geschlitzt, so dass sie die engen Ärmel aus rotem Satin darunter freilegen. Die Zeit hat keine Spuren an mir zurückgelassen, aber heute passt das Kleid besser zu mir, als damals. Doch schon damals liebte ich es. Und in dieser Nacht vor so langer Zeit, da trug ich es zum ersten mal.
Ich entdecke eine Bank und setze mich darauf. Die Katze springt anmutig auf die Sitzfläche und steigt dann, wie selbstverständlich, auf meinen Schoß, damit ich sie weiterkraule. Ein sanftes Lächeln huscht über meine Züge. Die Frau von vorhin ist stehen geblieben und sieht sich suchend um. Hat sie vielleicht doch kurz meine Anwesenheit gespürt?
Neugierig beobachte ich die Lebende, die sich nun um die eigene Achse dreht und dann unverwandt auf die Stelle starrt, an der ich sitze. Sie sieht mich nicht, starrt durch mich hindurch und plötzlich verstehe ich, was geschehen ist. Die Frau hat die Katze gesehen, wahrscheinlich nur aus dem Augenwinkel. Hat bemerkt wie das Tier auf die Bank gesprungen ist und nun ist sie von einer Sekunde zur anderen verschwunden, diese graue Katze. Ich weiß was passiert ist. In dem Moment, als sie auf meinen Schoß kletterte, hat sich die Katze aus ihrer Welt herausbewegt und in meine Ebene hinein. So ist sie nun, solange sie auf meinen Beinen sitzt genauso unsichtbar für die Lebenden, wie ich selbst.

Ein leises Lachen löst sich von meinen Lippen und die Frau fährt zusammen, blickt sich erschrocken um. Nun merke ich auf. Sie ist also empfänglicher und sensibler, als andere Menschen. Vermutlich hat sie mein Lachen als geisterhaftes Echo vernommen. Zumindest nimmt sie wahr, das sich etwas Übernatürliches in ihrer Nähe aufhält. Ich vermute, das sie auch die Toten, Engel und Dämonen so wahrnehmen kann. Nun schlägt sie den Mantel wieder hoch und geht weiter, langsamer diesmal und aufmerksamer.
Nachdenklich blicke ich ihr nach. Es gibt sie also immer noch, diese ganz besonderen Frauen, die man zu meiner Zeit noch immer als Hexen verbrannte.
Der Nebel hat nun sein Spiel mit der Dunkelheit aufgegeben und sie sich zu eigen gemacht. Das Licht des Mondes hat er nun ebenso verschlugen, wie die stummen, starren Wächter, deren blicklose Augen mich nicht sehen. Wie die Gräber und Blumen, die sorgsam geschnitten Büsche, die teilweise dem Verfall anheim gegebenen Mauern, die Bäume und die Wege, die diesen seltsamen Ort durchziehen. Man kann jetzt nur noch wenige Schritte weit sehen.

Während ich noch immer die Katze kraule sehe ich mit leeren Blick in den Nebel hinein, in diese so dichte Dunkelheit. Meine Gedanken verweilen in der Vergangenheit, in der einen so schicksalhaften Nacht, vor so langer Zeit. Damals, im Spätherbst, brachte der Abend auch Nebel.

Ich war eine junge schöne Frau. Ich war wirklich eine schöne Erscheinung. Mein dichtes, schwarzes Haar fiel mir bis über die Hüften. Ich hatte große, leicht schrägstehende, blaue Augen, feingeschnittene Gesichtszüge und volle, sinnliche Lippen. Meine Figur entsprach den damaligen Idealen. Alles in allem bin ich wohl eine schöne Frau, auch in dieser Zeit, denn ich habe mich seither nicht verändert. Eigentlich sollte Schönheit ein Segen sein.
Doch mir wurde sie eher Fluch, als Segen. Meine Familie gehörte dem unteren Adel an, doch nachdem mein Vater in einem dieser vielen Kriege damals sein Leben lies, verarmten wir schnell. Ein reicher, adliger Mann wurde meiner ansichtig und wollte mich fortan haben. So also wurde ich im Alter von sechzehn Jahren verheiratet.

Unvermittelt muss ich an meine Hochzeitsnacht denken und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Meine Hände verkrampfen sich bei der Erinnerung kurz im Fell der Katze. Ihr mahnender Laut holt mich zurück. Sanft streiche ich ihr Fell wieder glatt und kraule sie als Wiedergutmachung, was sie tief schnurrend annimmt.

Meine Heirat war für meine Familie gut, doch ich litt, still und stumm, so schweigend, wie die steinernen Wächter. Oh, ich lebte im Luxus, aber ein Käfig bleibt ein Käfig, selbst wenn seine Gitter aus gold sind. Meine Hochzeitnacht war alles andere als schön. So galant dieser Mann zuvor war, er verwandelte sich, sobald ich ihm gehörte. Ja gehörte, denn ich war nichts weiter als Besitz. Nichts weiter als ein schönes Schmuckstück, das man vorführt. Mein Ehemann nahm mich, wann es ihm passte und er verfluchte mich, weil ich nicht empfing. Doch was hätte ich schon tun sollen?
Also fand ich mich damit ab und behielt mir mein liebevolles Wesen. Ich hatte ein Händchen dafür verletzte Tiere gesund zu pflegen. Und mein Mann lies mich tun, was ich wollte, solange ich ihm zu Willen war und stets die schöne Frau an seiner Seite blieb. Also lebte ich jahrelang in meinem goldenen Käfig, bis zu dieser einen seltsamen Nacht, in der ich zwanzig Jahre alt wurde. Bis zu dieser Nacht im Spätherbst, als ich berührte, was nicht berührt werden konnte und durfte.

Ich trage eine Tasche bei mir, passend zum Kleid. Ich hatte sie damals bei mir und so blieben mir die Dinge, die darin sind, auch außerhalb der Welt. Ich hole sie heran und ziehe eine Maske heraus. Eine wunderschöne Maske, die das halbe Gesicht bedeckt. Verziert mit glänzenden Federn, die meisten davon schwarz, einige blau und Grün gefärbt. Während ich sie betrachte huscht erneut ein Lächeln über meine Lippen.

Es gab einen Maskenball, einen Maskenball zu meinem Geburtstag und ich trug dieses wunderschöne Kleid, das ich mir selbst ausgesucht hatte und das ich so unglaublich schön fand und dazu diese Maske, die ich mir ebenfalls selbst aussuchen durfte. Ich mochte schon immer dunkle Farben und schlichte Schnitte, doch mein Mann bestand darauf mich in aufwendig verzierte und pompöse Kleidung zu hüllen. Ich war ja sein schönstes Schmuckstück und das hatte richtig präsentiert zu werden. Ein ironisches Lächeln zuckt über meine Züge, während ich diesem Gedanken folge. Ich weiß bis heute nicht, was ihn dazu brachte mir an diesem Tag meinen Willen zu lassen.
Der Ball fand in dem Jagdgut meines Mannes statt und der Abend brachte Nebel mit sich.
Er ballte sich langsam in den Senken des nahen Flusses zusammen, wurde immer dichter und kroch dann langsam die Hügel herauf, um sich zwischen die Bäume des nicht weiten Waldes zu krallen. Schließlich schickte er zerfetzte, graue Schleier in die offenen Flächen des Parks, der das Gut umgab.
Irgendwann im Laufe des Abends wurde es mir zu warm im Saal und so trat ich auf eine der Terrassen hinaus. Die frische Luft tat mir gut und so wurde ich Zeugin, wie der Nebel mehr und immer mehr des Landes verschluckte. Am Horizont hatten sich dicke, dunkle Wolken zusammengeballt. Ferne Blitze und Donnergrollen kündeten ein nahendes Gewitter an.
Schon als Kind sah ich manchmal Dinge, die andere nicht sehen konnten. In dieser Nacht, dieser so seltsamen, schicksalhaften Nacht sah ich die Engel am Himmel kämpfen. Und ich sah, wie einer davon, von all den anderen bedrängt immer mehr an Höhe verlor und schließlich wie ein Stein fiel. Mir stockte der Herzschlag. Bevor ich wusste was ich tat, hatte ich auch schon die Maske in die Tasche gesteckt und lief los.

Woher hätte ich auch wissen sollen, dass es alle einhundert Jahre so ist? Dass ER alle einhundert Jahre beinnahe frei ist und seine Ketten verschwinden für eine, nur eine einzige Nacht. Woher hätte ich denn wissen sollen, das sie, die Engel Ihn alle einhundert Jahre erneut niederwerfen müssen, damit er das nächste Jahrhundert gefangen bleibt? Ich war doch nur eine junge, menschliche Frau. Keiner hat es mir gesagt.
Alles was ich sah, war ein Wesen, das aus dem Himmel gefallen war und das vermutlich Hilfe brauchte. Mehr nicht. Es war mein Herz, das da sprach.

Ich lief, bald kam ich in den Wald und der stärker werdende Wind zerrte an meinen Kleidern. Das Gewitter stürmte mit Macht heran und die ersten dicken, schweren Regentropfen fielen herab. Dann schien es, als würde der Himmel alle seine Schleusen öffnen und ich war innerhalb von Minuten völlig durchnässt. Blitze zuckten über den Himmel und der Donner grollte laut und hallend durch den Wald.
Meine kunstvolle Hochsteckfrisur hatte sich aufgelöst und nun hing mir mein schwarzes Haar in schweren, nassen und wirren Strähnen ins Gesicht. Meine Kleider klebten mit schwer und nass am Körper. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich brauchte, aber schließlich fand ich Ihn. Ich weiß bis heute nicht wie, aber ich nehme an, das mich mein Herz führte.

Ich wusste nicht wer Er war oder was. Aber es war egal, denn alles was ich sah, war ein gefallenes, verletztes Wesen, das ganz offensichtlich Schmerzen litt. Körperliche und auch seelische.
Er lag auf der Seite, zusammengekrümmt und die Arme schützend vor das Gesicht gelegt. Sein tiefdunkelrotes, langes Haar verdeckte den Rest des Gesichts. Selbst in der Dunkelheit des Gewitters konnte ich erkennen, das seine pechschwarzen Federschwingen mit Blut getränkt waren, das langsam in den Boden unter ihm sickerte. Er trug nichts weiter als eine zerrissene Hose und so konnte ich im Schein der Blitze die Wunden auf seiner blassen Haut sehen.
Erschrocken blieb ich stehen und näherte mich nun vorsichtiger. Ich konnte ein kaum wahrnehmbares Geräusch hören und identifizierte es schließlich als leises Schluchzen. Als ich erkannte, das es von diesem Wesen stammte, zerriss es mir beinnahe das Herz vor Mitleid.
Da stand ich also, mit aufgelösten Haaren und völlig durchnässt mitten in einem vom Gewitter durchtobten Wald und starrte auf ein Wesen, das wohl so noch niemals jemand zuvor gesehen hatte. Aber alles was ich sah war ein gefallenes Wesen, das Schmerzen litt und der Drang in mir Ihn zu berühren und tröstend in den Arm zu nehmen, wurde übermächtig. Ich musste einfach irgendetwas tun, um diese völlige Hoffnungslosigkeit, die seiner Haltung anhaftete, zu lindern. So näherte ich mich langsam und vorsichtig. Ruhig kniete ich neben dem Gefallenen nieder und streckte die Hand aus......

Seitlich von mir brachen Äste. Ein weiterer Engel landete rechts, etwas hinter mir. Ich musste es nicht sehen, ich wusste einfach, das es ein Engel war. Als ich meinen Blick wandte, erkannte ich helles Haar, ein strenges Gesicht, schneeweiße Flügel und das Schwert, das er in Händen hielt.
"Berühr ihn nicht," sprach er mit klarer Stimme, "du würdest ihn nur noch mehr Schmerzen bereiten. Es ist Teil seiner Strafe. Kein Wesen dieser Welt kann ihn berühren ohne ihm Schmerz zu bereiten! Außerdem ist es verboten!"
Seine Stimme klang streng und hatte einen harten Unterton. Doch was er von seinem Standpunkt aus nicht sehen konnte war, dass meine Hand bereits warm auf den pechschwarzen Flügel ruhte und Er schrie nicht vor Schmerz. Ich wandte meinen Blick wieder dem Gefallenen zu und erkannte keinerlei Anzeichen dafür, dass ich ihm weh tat. Nein ich würde ihm keine Schmerzen bereiten. Vielleicht würde jede andere Berührung das tun, aber meine nicht. Auch das wusste ich einfach und so ließ ich meine Hand sanft und leicht die weichen, nassen Federn entlang gleiten, bis ich die nackte Schulter leicht berührte. Der gefallene Engel erstarrte, als erwarte er Schmerz, der aber nicht kam.
Nach Augenblicken, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, rührte er sich, richtete sich halb auf und sah mich an. Erst jetzt bemerkte ich die schmalen, gebogenen Hörner, die aus seiner Stirn sprossen. Ich blickte in dunkle, wilde Augen, in deren Tiefe ein helles, heißes Feuer loderte.
Die Engel sehen darin das Feuer der Rebellion, die Menschen meinen die Hölle zu sehen, doch ich, ich sah darin die Leidenschaft einer Idee. Aber diese Augen waren nicht nur wild und dunkel. Sie waren auch müde und voller unerfüllter Sehnsucht. Auch sein Gesichtsausdruck, der ungläubig wirkte zeigte die selbe Sehnsucht. Es war die Sehnsucht nach einer liebevollen Berührung, einer Umarmung, die keinen Schmerz bereitete. Noch immer lag meine Hand leicht auf der Schulter des Gefallenen und nun streckte ich langsam den zweiten Arm aus, um eben diese Umarmung und den damit verbundenen Trost anzubieten.
Ich konnte hören, wie der zweite Engel hinter mir, jener mit dem Schwert, sich bewegte. Doch ich achtete nicht darauf. Meine ganze Aufmerksamkeit gehörte dem Geschöpf vor mir, das nun zögernd meine Einladung annahm. Er bewegte sich so, als könne er nicht glauben was geschah. Als könne er nicht glauben, das die Berührung nicht doch noch Schmerz bereiten würde. Doch die Sehnsucht war stärker und schließlich schlang er seine Arme um mich und ergab sich dieser Umarmung, die wider Erwarten nicht weh tat. Aus einem Impuls heraus begann ich ein altes Wiegenlied zu singen, das schon meine Großmutter sang und das Wesen in meiner Umarmung vergrub sein Gesicht an der rechten Seite meines Halses.

Die scharfe Klinge eines Schwertes an der linken Seite meines Halses ließ mich aufblicken. Ich sah in das Gesicht eines verwirrten und entsetzten Engels.
"Aber...," seine Stimme klang ungläubig, "aber wie?"
Er schien sich zu fangen, als weitere Gestalten vom Himmel herab kamen und um uns herum landeten. Es waren weitere Engel und sie zerrten Ihn aus meinen Armen. Er ließ es widerstandslos geschehen, aber zuvor flüsterte mir der Gefallene etwas zu. Im Endeffekt gab er mir einen neuen Namen. Ich sah wie ihre Hände rote Male auf seiner Haut hinterließen und begriff jetzt erst, was ihm Berührungen normalerweise antaten. Dann waren sie alle plötzlich, von einem Moment zum anderen, verschwunden und ich kniete alleine, bis auf die Haut durchnässt in einem dunklen, sturmgepeitschten Wald.

Nur kurze Zeit später tauchte der Engel mit dem Schwert wieder auf. Heute weiß ich das sein Name Michael ist.
"Es ist euch Menschen verboten ihn zu berühren," sprach er mit strenger Stimme, "und die Strafe dafür ist der Tot."
Er hielt mir sein scharfes Schwert an die Kehle, das dabei kurz aufglühte und ich erwartete den tödlichen Stich. Doch dann stockte der Engel, als ich nicht bettelte, sondern ihn einfach nur ansah. Da begriff er, dass es weder Eigennutz noch Berechnung, noch nicht einmal der Wunsch nach Vergeltung war, der mich tun ließ, was ich tat. Als er erkannte dass es einfach nur der Wunsch war, einem anderen Wesen Trost zu schenken, wich der Erzengel einen Schritt zurück und schien plötzlich fruchtbar traurig zu werden. Schließlich ließ er sein Schwert wieder sinken.
"Du hast aus gutem Herzen heraus gehandelt und obwohl deine Tat verboten ist, kann ich dich dafür nicht töten. Ich wünschte ich könnte es, denn nun wirst du zwischen die Welten gebannt." Er sah mich mit traurigen Augen an. "Wenn du aber zugibst einen Fehler begangen zu haben und dafür um Vergebung bittest, dann kann ich dich töten und du gehst ins Himmelreich ein."
Doch ich sah ihn weiterhin nur an, lange und stumm. Ich hatte nichts Falsches getan, das wusste ich und selbst wenn ich um das Verbot gewusst hätte, dann hätte ich dennoch getan, was ich getan habe. Einfach weil es richtig war. Das alles sah er in meinem Blick, dieser Engel Namens Michael und so nickte er nur leicht. Er sprach mit Tränen in den Augen das Urteil über mich und erklärte mir, was es für mich bedeutete.
Tage später sah ich zu, wie mein Mann nach mir suchen ließ. Wie er schließlich, mit Pomp und Gloria einen leeren Sarg beerdigen lies und geheuchelte Tränen vergoss. Es gab nichts was man beerdigen konnte, darum war der Sarg leer, denn seit dieser Nacht bin ich aus der Welt genommen. Seit dieser seltsamen, schicksalsträchtigen Nacht, in der ich dem gefallenen Engel den Trost einer liebevollen Umarmung schenkte. Seither war ich jedes mal da, wenn sie ihn niederwarfen, um Ihm Trost zu spenden. Auch wenn ich genau weiß, dass dies meine "Verdammnis" um ein weiteres Jahrhundert verlängert.

Mein Blick kehrt in die Gegenwart zurück. Heute regnet es nicht, obwohl der Nebel mittlerweile schwer und nass geworden ist. Die Katze auf meinem Schoß schnurrt, gerade so, als wolle sie mir Trost spenden. Aber ich bin nicht traurig. Viele denken es wäre eine Art der Verdammnis, meine seltsame Existenz zwischen Tot und Leben. Selbst die Engel glauben das. Alle bis auf Ihn und einen anderen, der mich nicht mit dieser Trauer in den Augen ansieht. Es ist keine Verdammnis, nicht in meinen Augen. Ich habe hierin meine Bestimmung gefunden und ich werde bleiben, solange, bis auch Er endlich wieder frei ist.

Als hätten ihn meine Gedanken gerufen lässt sich jemand neben mir auf die Bank sinken. Ich muss den Blick nicht wenden um zu wissen, das es jener Engel ist, der mich als einziger ohne diese Trauer ansieht. Ich denke er versteht warum ich tat, was ich tat und tue, was ich tue. Trotzdem wende ich ihm mein Gesicht zu und lächle ihn an. Ich mag ihn.
"Hallo Uriel," grüße ich, "was führt dich zu mir?"
Uriel mit den grauen Schwingen, der Engel des Todes, lächelt zurück.
"Du weißt warum ich hier bin. In nur wenigen Tagen ist es wieder so weit. Seine Ketten werden sich lösen. Er wird eine Nacht lang beinnahe frei sein und wieder niedergeworfen werden."
Der Engel sieht mich lange an, die Augen voller Verständnis.
"Ich soll dich fragen, ob du wieder da sein wirst, oder ob du endlich um Vergebung bitten wirst." Er lächelt leicht. "Ich weiß aber, das du wieder da sein wirst, wie immer. Nicht wahr?"
Ich lächle. "Warum fragst du Uriel, wenn du es doch schon weißt?"
Er lacht leise auf. "Weil die Frage gestellt werden muss und einzig ich deine Gegenwart ertragen kann." Sein Lächeln wird sanft. "Und weil ich verstehe warum du tust, was du tust."
Einige Zeit sitzen wir einträchtig auf der Bank, an diesem so seltsamen Ort, an dem man nur zu flüstern wagt und wo die steinernen Wächter stehen, die mich nicht sehen, wohl aber den Engel an meiner Seite. Dann hebt er erneut seine Stimme. "Ich weiß das Er etwas zu dir gesagt hat, damals in dieser so schicksalsträchtigen Nacht, in der du ihn das erste mal in die Arme genommen hast." Der Engel sieht mich scharf an. "Willst du mir endlich sagen was?"

Ich lächle ihn an. "Er sagte: Ich habe es nicht böse gemeint. Und er nannte mich das letzte Licht, seine HOFFNUNG."
Uriel sieht mich mit einem seltsamen Blick an, dann nickt er.
"Jetzt begreife ich, warum man dich so nennt, wie man es tut. Ich danke dir. Bis bald, Hoffnung."
Mit diesen Worten verschwindet er wieder.

Ich sitze auf einer Bank, inmitten eines vom Nebel verschleierten, nächtlichen Friedhofes, umgeben von stillen, starren Wächtern aus Stein, die mich nicht sehen. In meinem Schoß rekelt sich eine graue, grünäugige Katze und genießt meine Zuwendung. Nicht weit entfernt liegt mein eigenes, leeres Grab, das noch immer jemand pflegen muss. Vor beinnahe dreihundert Jahren war ich eine schöne, menschliche Frau in einem goldenen Käfig, bis zu dieser einen schicksalsträchtigen Nacht, in der ich den berührte, der nicht berührt werden kann und nicht berührt werden darf.
Seit dieser Nacht, in der ich dem Gefallenen Engel Trost schenkte, bin ich kein Mensch mehr und trage auch keinen menschlichen Namen mehr.
Weder die steinernen Wächter sehen mich, noch die Lebenden. Den Toten spende ich Trost, denn es ist meine Bestimmung jenen Trost zu spenden, denen eigentlich keiner mehr Trost spenden kann. Die Engel werden in meiner Gegenwart traurig, denn sie wissen um mein gutes Herz. Die Dämonen fürchten mich, denn ich konnte berühren, was keiner berühren konnte.
Ich bin was ich bin, irgendwo zwischen Himmel und Hölle, Tot und Leben.
Ich bin das letzte Licht dieser Welt.
Ich bin Lucifers Hoffnung!
 
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Kommentare  

Hallo Jochen,
das freut mich ja sehr, dass auch bei dir Interesse für diesen Roman geweckt wurde.
Wie schön, dass dir die Thematik und die Art, wie ich erst nach und nach meinene Leser auflläre, gefällt.
Ursprünglich war die Vorgeschichte "nur" eine dreiteilige Kurzgeschichte bei der es hauptsächlich um die Athmospäre und die eher ungewöhnliche Rollenverteilung ging. Und es sollt enatürlich bis zum Ende spannend und geheimnisvoll bleiben...


Tis-Anariel (19.04.2010)

Ich habe dein tolles Kapitel acht gelesen( zu dem ich mich noch äußern werde) und möchte darum deinen Roman so nach und nach vom Anfang bis zum Ende durchlesen. Hier erst einmal meine Meinung zur Vorgeschichte. Eine tolle Idee mal den "bösen" Luzifer als bedauernswertes Geschöpf und die "lieben" Engel als unbarmherzige Wesen darzustellen. Weil das Menschenmädchen Luzifer getröstet hatte, wird sie zur Bestrafung ihres "Menschseins" beraubt und ein "Zwischenwesen". Es gefällt mir wie du erst so nach und nach den Leser über alles aufklärst. So schwebt ständig ein Hauch des Geheimnisvollen über deiner Geschichte.

Jochen (17.04.2010)

Freut mich, dass es dir gefällt, Doska.
Hmm....da darfst du gespannt bleiben und zu Hoffnung...tja nun, wer weiß schon was sie wirklich ist;-)

Liebe Grüße an dich


Tis-Anariel (04.04.2010)

Ein spannender romantischer Anfang eines fantastischen Romans. Unerbittliche Engel und ein verzweifelter Lucifer kämpfen seit Ewigkeiten gegeneinander. Tröstend steht jedoch mit einem Male ein halb menschliches halb geisterhaftes Wesen Lucifer zur Seite. Hat mir sehr gefallen und ich bin gespannt was du daraus noch machen wirst.

doska (04.04.2010)

Hallo Jingizu,

es freut mich,dass es dir gefällt.
Herzlichen Dank für den Hinweis mit der übertriebenen Großschreibung!
Ich dachte, ich hätte es schon ganz ausgemerzt, dem war aber offenbar nicht so.
Das war am Anfang eine kleine Idee um noch deutlicher zu machen von wem ich schreibe, allerdings wurde mir das irgendwann zu dumm.

Nun, jetzt müsste ich aller raus haben, denke ich, hoffe ich.

Nun denn, dann hoffe ich mal, dass ich den Erwartungen gerecht werden kann. Aber ich denke ich werde dich überraschen.

Mit liebem Gruße


Tis-Anariel (01.04.2010)

Ein sehr atmosphärischer Start deiner Geschichte. Du lässt dir viel Zeit um deine Protagonistin zu erklären ohne dass der Leser sich auch nur einen Augenblick langweilt.

Das einzige was mich beim Lesen marginal gestört hat war das "ER" und "SEIN" usw., aber das muss vielleicht so sein, wenn man den Morgenstern beschreibt.

Ich habe momentan große Erwartungen an die Fortsetzungen und viele verschiedene Ideen wie sich das Ganze nun entwickeln wird - also wirst du uns das hoffentlich nicht vorenthalten.


Jingizu (01.04.2010)

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