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10 Seiten

Schattenmacht - Das letzte Licht -2-

Romane/Serien · Fantastisches
Ein kleiner, barocker Friedhof im Norden Englands


Erschöpft lasse ich mich auf einer Bank nieder und blicke Uriel hinterher, der mich noch hier her begleitet hat und sich dann in den Himmel schwang. Kurz kann ich noch seine Silhouette gegen den dunklen Himmel sehen, dann verschwindet er . Er wird die Engel warnen vor.... ja vor was eigentlich? Ich habe keine, aber wirklich absolut keine Ahnung was wir da vor etwa zwei Stunden in New York auf diesem kleinen Platz gesehen und zerstört hatten. Es war zerstört, Shanael hatte es ganz und gar verbrannt. Zumindest konnte ich nach dem Feuersturm, den sie entfacht hatte, nichts mehr von dieser verzerrten Falschheit wahrnehmen. Aber was war es eigentlich? Das frage ich mich noch immer.
Ein Gähnen zwingt mir die Lippen auseinander. Ich glaube das letzte Mal, dass ich so müde war, ist jetzt schon fünfzig Jahre her.
Es ist seltsam, ich muss nicht essen und nicht trinken, aber ich kann müde werden und sogar so etwas ähnliches wie schlafen. Eigentlich ist es eher wie ein Dösen und kein wirkliches Schlafen. Jedenfalls bei mir. Engel schlafen tatsächlich, was ich von Uriel weiß.
Nicht so oft wie Menschen und auch nicht so lang, aber sie tun es tatsächlich. Ich selbst lege mich nur alle paar Tage für einige Stunden nieder. Ich bin selten wirklich müde, aber heute, heute bin ich wirklich erschöpft.
Ich erhebe mich und laufe langsam über die gepflasterten Wege bis ich an meinem Grab angelangt bin. dort bleibe ich stehen und betrachte den im Stein gemeißelten Namen, meinen Namen. Einen kurzen Moment werde ich traurig. Selbst Shanael, Lucifers Schwester durfte ihren Namen behalten, aber mir hat keiner, nachdem ich etwas Übernatürliches wurde einen gegeben. Irgendwie macht mich das traurig. Aber nein das stimmt ja gar nicht, ich habe ja so etwas ähnliches wie einen Namen erhalten.
Von Ihm, denn er nannte mich Hoffnung. Die Erinnerung zaubert ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Bald schon würde ich den gefallenen Engel wiedersehen. In nur wenigen Tagen würde sich wieder ein Jahrhundert vollenden und ich würde da sein, Ihn wieder in die Arme schließen und das geben, was nur ich ihm geben konnte.

Langsam wird der Himmel heller und der Morgen graut. Der Rabe in der alten Linde erwacht und stößt einen verschlafenen, rauen Schrei aus. Ich wende mich von meinen Grab ab und gehe langsam weiter. Auf der alten, halbverfallenen Steinmauer sitzt die graue Katze und putzt sich. Als sie meiner ansichtig wird, springt sie von ihrem Platz herunter, umschmeichelt mir die Beine und begleitet mich schließlich. Mein Ziel ist ein kleines Mausoleum, in dem eine sehr freundliche Frau beerdigt ist. Ich kannte sie schon, als ich noch Mensch war. Sie starb nur zwei Tage nach meinem Verschwinden und sie war die erste Seele, die ich in die Arme nahm.
Damals war ich einfach nur auf der Suche nach an einem Ort, an dem ich mich zurückziehen konnte und kam an diesem Mausoleum vorbei. Davor saß sie und blickte mir überrascht entgegen und sie staunte noch mehr, als ich sie freundlich ansprach.
Sie war traurig und ich nahm sie in die Arme. Sie machte sich Sorgen um ihre Tochter und das sie dieser nicht mehr einen bestimmten Brief hatte geben können. Ich ließ mir von ihr genau beschreiben wo dieser Brief sei und versprach, das ich versuchen würde, ihn ihrer Tochter irgendwie zuzuspielen. Sie freute sich, ihre Traurigkeit fiel von ihr ab und als sie mich nach mir frage, erzählte ich meine Erlebnisse. Ich werde nie vergessen, wie sie mir daraufhin die Schulter tätschelte und meinte, dass wenn ich tief im Innersten fühlen könne dass etwas richtig ist, es das auch sei. Als Uriel kam, um sie mit sich zu nehmen, ging sie lächelnd, aber zuvor meinte sie noch, das ich doch ihr Mausoleum benutzen könnte, wenn ich einen Platz zum ruhen suche. Es war auch das erste mal, dass ich Uriel alleine antraf und der Engel lächelte mich mit seinem typischen, sanften Lächeln an.
Noch erstaunter war ich allerdings, als er nur kurz später wieder bei mir auftauchte und mir anbot, mir zu helfen meinen Ruheort herzurichten. Ein Angebot, das ich zu dieser Zeit gerne annahm. Ich hielt mein Versprechen und schaffte es tatsächlich der Tochter den Brief ihrer Mutter zuzuspielen.
Fünf Jahre später, nachdem sie an einer Lungenentzündung gestorben war, nahm ich sie selbst in die Arme. Uriel hatte sein Angebot ernst gemeint und half mir sehr. Das war der Beginn unserer Freundschaft.
Ich weiß bis heute nicht, was die anderen Engel und der Schöpfergott davon halten, das sich der Todesengel mit mir angefreundet hat, aber ich denke nicht, dass er deswegen Schwierigkeiten bekommen hat. Auch wenn ich glaube, das Michael es nicht gerne sieht.
Mittlerweile habe ich das Mausoleum erreicht. Ich betrete es, gehe zur hinteren Wand und öffne dort die verborgene Klappe, durch die man über eine schlichte Treppe das Gewölbe darunter betreten kann. Klappe, Treppe und Gewölbe waren schon vor mir da. Ich habe bis heute noch nicht den Sinn darin erkannt, einen geheimen Raum unter einem Mausoleum einzurichten, aber für mich ist es praktisch.
Mittlerweile sind alle, die es vielleicht gewusst hatten schon längst nicht mehr unter den Lebenden und außer Uriel, weiß Nichts und Niemand wo mein Ruheort liegt. Was mir ganz recht ist.

Ich schreite langsam die halbe Treppe hinunter, dann drehe ich mich um und greife nach der Klappe, die Innenseitig einen Griff aufweist und hebe sie wieder an ihren Platz. Ich bin vielleicht nicht so stark wie ein Engel, aber auch meine körperlichen Kräfte sind um einiges gewachsen, seit ich aus der Welt genommen wurde. So fällt es mir nicht sonderlich schwer die dicke Steinklappe wieder an ihren Ort zu bringen. Gebückt steige ich die letzten Stufen in völliger Finsternis hinab. Ich brauche nicht mehr unbedingt Licht, selbst in tiefer Dunkelheit kann ich noch relativ gut sehen. Dennoch nehme ich das Päckchen Streichhölzer am Fuß der Treppe auf und entzünde die dort stehende, dicke, weiße Kerze. Ich nehme sie hoch und trete in dem nunmehr weichen Licht weiter in den Raum hinein. Am anderen Ende befindet sich eine gemauerte Bank und darauf habe ich Decken und Kissen gehäuft, um es bequem zu haben. Daneben steht ein kleiner, kniehoher Tisch, an einer der Wände ein Schreibtisch mit Stuhl und auf dem Tisch liegen einige Bücher. Das ist alles. Einiges habe ich gefunden, vor allem die Decken. Das Meiste jedoch hat der Todesengel für mich besorgt.
Ein Lächeln gleitet über mein Gesicht.
Lange Zeit hatte ich mich gefragt, warum ausgerechnet ein Engel mit mir befreundet sein möchte, aber irgendwann habe ich es aufgeben.
Müde stelle ich die Kerze auf dem kleinen Tisch ab, hänge meinen feuchten Umhang über den Stuhl und setze mich auf mein Lager. Die graue Katze hat mich bis hier herunter begleitet und springt nun auf meinen Schoß. Liebevoll kraule ich das Tier und frage mich immer noch, warum ich so erschöpft bin. Was an diesem Erlebnis in New York hat mich so sehr erschöpft?
Vermutlich waren es die fremden, so intensiven Emotionen die beinnahe ungefiltert über mich hereingebrochen sind. Ich seufze leise.
Schließlich blase ich die Kerze aus und lege ich mich auf die Seite. Während sich die Katze an meine Brust kuschelt gleite ich auch schon in den diffusen Zustand, den ich Schlaf nenne.
Stunden später schreckt mich ein lautes, schepperndes Geräusch aus meinem Ruhezustand auf. Ich sitze kerzengerade auf meiner Schlafstatt und lausche konzentriert. Meine Innere Uhr sagt mir, dass ich mich vor drei Stunden niedergelegt habe. Noch immer lausche ich in die Dunkelheit und höre, wie die Gittertür des Mausoleums leise quietscht. Dann folgt ein neues Scheppern und irgendetwas fällt klirrend auf den Steinboden über mir. Es folgt eine neue Stille und dann der Aufprall eines schweren Körpers irgendwo über mir. Ich strenge alle meine Sinne an und nehme schließlich eine Resonanz wahr. Uriel ist in dem Raum über mir und er hat Schmerzen!
In Windeseile springe ich auf die Beine und gehe den Schritt zwischen Hier und Dort, um ohne Umwege in das Mausoleum über mir zu gelangen.
Ich finde den Todesengel auf dem kalten Stein kniend vor. Sein linker Flügel hängt traurig herunter, seine Kleidung ist zerrissen und er blutet aus mehreren, tiefen Kratzwunden. Alles in allem sieht er schrecklich mitgenommen aus.
Mit wenigen Schritten bin ich bei der Klappe, reiße sie auf und laufe dann zu meinem ungewöhnlichen Freund um ihm vorsichtig aufzuhelfen. Schließlich schafft er es und lässt sich benommen von mir in meinen Ruheort hinunter führen, wobei er sich schwer auf mich stützen muss. Nachdem ich ihn endlich auf mein Lager bugsiert habe, gehe ich zurück und schließe die Klappe wieder.
Als ich dann zurückkomme sehe ich, das der Engel bereits sein Bewusstsein verloren hat. Ich versuche die Kerze zu entzünden und bemerke irritiert, dass meine Hände zittern. Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren. Endlich schaffe ich es und betrachte besorgt den besinnungslosen Engel im Licht der Kerze. Erleichtert bemerke ich, dass seine Verletzungen bereits anfangen zu heilen, was immer recht schnell geht bei Engeln. Bis zum Abend würden wohl die meisten einigermaßen verheilt sein. Das hoffe ich jedenfalls. Nun beuge ich mich vorsichtig über Uriel, streiche ihm eine Strähne seines hellbraunem, kinnlangen Haares aus dem Gesicht und decke ihn dann anschließend mit einer der Decken zu.
Dann lasse ich mich, immer noch am ganzen Leib zitternd auf dem Stuhl nieder und betrachte ihn lange. Beklommen frage ich mich, wer oder was so stark ist, um einem so mächtigem Engel wie ihm solche Wunden zuzufügen? Hatte man Uriel vielleicht verstoßen, so wie Ihn? Oder war der Engel etwas ganz anderem begegnet?
Die graue Katze, die sich bei dem Aufruhr in eine Ecke verzogen hatte, kommt wieder zu mir, springt mir in den Schoß und umschmeichelt mir die zitternden Hände. Gedankenverloren streichle ich das Tier und bemerke wie ich langsam wieder ruhiger werde. Mein Blick ruht immer noch auf Uriel, der tief und fest schläft.

Die Stunden scheinen dahin zu schleichen und ich bin noch immer nicht ganz ausgeruht. Lange betrachte ich Uriel und mache mir Gedanken. Was oder wer hatte den Engel nur so zugerichtet?
Ich mache mir wirklich Sorgen, aber im Moment kann ich nicht viel mehr tun, als zu warten bis Uriel wieder zu sich kommt. Etwas später, es ist mittlerweile Mittag, nehme ich die graue Katze hoch und gehe den Schritt zwischen Hier und Dort, um an den kleinen Brunnen des Friedhofes zu gelangen. Ich brauche weder Nahrung noch Flüssigkeit, aber Engel brauchen das tatsächlich. Genauso wie sie schlafen müssen, müssen sie auch essen und trinken. Zwar braucht es sehr, sehr lange, bis ein Engel verhungert oder verdurstet ist, aber es ist tatsächlich möglich. Ich finde das seltsam. Warum ist das bei mir anders, wenn doch selbst Engel auf solche Dinge angewiesen sind?
Aber ich hatte, seit ich aus der Welt genommen wurde noch nicht einmal Hunger oder Durst, noch nicht einmal die Lust etwas zu mir zu nehmen. Langsam schüttle ich den Kopf. Im Endeffekt ist es auch egal. Aber ist es das auch wirklich? Was sagt das über mich?
Ärgerlich schüttle ich erneut den Kopf und verbanne die Fragen aus meinen Kopf. Ich habe mich das schon oft gefragt und immer noch keine Antwort gefunden. Als ich Uriel darum fragte schien er verblüfft. Er wusste das nicht!
Außerdem habe ich jetzt andere Probleme.

Der Engel würde, sobald er zu sich kam, wohl Durst haben. Also wäre es besser ich habe dann zumindest etwas Wasser für ihn. Ich gehe die wenigen Schritte zum Brunnen und warte erst einmal, denn eine der Lebenden füllt dort ihre Gießkanne. Während sie vorne über gebeugt dasteht setze ich die Katze auf dem Boden. Sie streicht mir noch einmal um die Beine, dann spaziert sie mit hoch erhobenen Schwanz gemächlich davon. Ich muss lächeln, während ich ihr hinterher blicke. Ob sie wohl ein Zuhause hat?
Es ist ein schöner, sonniger Herbsttag und es sind erstaunlich viele Menschen auf dem kleinen Friedhof, den ich wohl mein Zuhause nennen kann. Irgendwie bin ich hier ja jetzt Zuhause. Der hübsche, steinerne Friedhofsbrunnen wird aus einer Quelle gespeist. Von daher ist sein Wasser klar, rein und müsste zum verzehr geeignet sein. Allerdings habe ich nun ein anderes Problem, denn woher bekomme ich nun ein sauberes Gefäß?
Ich weiche einem Lebenden aus und lasse mich schließlich auf einer kleinen Mauer in der Nähe nieder. Müde streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und denke nach. Bisher habe ich mich nicht mit solchen Problemen auseinandersetzen müssen. Also, woher bekomme ich jetzt ein sauberes Gefäß? Aus einer Gießkanne kann ich Uriel ja schlecht trinken lassen.
Vielleicht würde ich ja bei dem derzeitigen Pfarrer fündig werden. Vor etwa einhundertfünfzig Jahren hatte man ein kleines Pfarrhaus in der Nähe der Kirche und damit auch in der Nähe des Friedhofes gebaut. Seither lebte dort immer wieder einmal ein Priester. Der jetzige Pfarrer ist ein etwas rundlicher, älterer, kleiner Mann, mit einem offenen, freundlichem Gesicht und einem herzlichem Gemüht. Er beschäftigt sich sehr gerne in dem kleinen Garten des Pfarrhauses.
Ich weiß das, weil ich ihm schön öfter an schönen , sonnigen Tagen dabei zugesehen habe. Für gewöhnlich setze ich mich dann in die große Eiche, die gleich neben dem Garten steht. Ich laufe normalerweise ungern am Tag herum.
Nicht, weil mich vielleicht jemand sehen würde, sonder weil ich dann so vielen Lebenden ausweichen muss, die mich nicht sehen. Außerdem zeigen sich die Seelen der Toten viel eher in den dunklen Stunden. Für gewöhnlich folge ich der Nacht, wie ein Schatten durch die ganze Welt und kehre nur hier her zurück, um zu ruhen. Aber manchmal bleibe ich dann länger. Dann sehe ich am Tage den Lebenden zu, wie sie ihr Tagwerk verrichten und ganz besonders gerne sehe ich dem Pfarrer beim gärtnern zu. Vor allem weil ich in der Eiche einen sicheren Platz habe, von wo ich zusehen kann, aber niemanden in die quere komme. Wie gesagt, ich mag es nicht, wenn die Lebenden durch mich hindurchgehen. Das fühlt sich sehr, sehr unangenehm an. Außerdem wird mir dann immer besonderst stark bewusst, das ich nicht mehr wirklich in dieser Welt bin.

Ich schüttle erneut den Kopf. Meine Existenz ist schon sehr seltsam. Aber mein Problem habe ich immer noch nicht gelöst. Ich denke aber, das der Pfarrer heute sicher in seinem Garten sein wird und wie immer wird er auch eine Kanne mit Eistee oder ähnlichem herumstehen haben.
Diese kann ich mir sicher ausleihen. Ich kann natürlich nicht fragen, aber ich habe ja auch nicht vor das Gefäß zu behalten. Ich habe schließlich keine große Verwendung dafür. Mein Entschluss steht fest, ich stehe wieder auf und gehe den Schritt zwischen Hier und Dort.
Ich blicke mich aufmerksam um und weiche dann etwas weiter an die Eiche zurück, bei der ich erschienen bin. Verwundert betrachte ich die vielen Menschen im Garten des Pfarrhauses. Irgendeine Art von Party findet dort statt und als ich ein Geburtstagslied höre, weiß ich auch was für eine. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, verschwindet dann aber gleich wieder. Ich weiß nicht ob ich das nun einen glücklichen Zufall nennen soll, oder einen unglücklichen. Zum einen stehen mindestens ein halbes duzend verschiedener Saftkannen herum, andererseits sind hier aber auch viele Menschen.
Ich frage mich, wie ich mich durch all diese Menschen bewegen soll, ohne dass einer durch mich hindurch läuft. Gerade habe ich mich abgefunden das ich das nicht verhindern kann, als sich das Fest doch als Glück entpuppt. Einer der Gäste stellt eine leere Glaskanne und ein Glas unachtsam nahe des Zauns ab, nicht weit von mir entfernt. Ich nutze die Gelegenheit.
Zurück am Brunnen spüle ich Glas, sowie Kanne gründlich aus und fülle sie dann anschließend mit klarem Wasser. Dabei achte ich sorgsam darauf, sie nicht loszulassen, denn sonst sind die Dinge sofort wieder für die Lebenden zu sehen. Ich wende mich ab, weiche einer Frau aus und gehe erneut den Schritt zwischen Hier und Dort und erscheine diesmal gleich in meinem Ruheort. Leise stelle ich die gefüllte Kanne auf meinem Schreibtisch ab und sehe nach Uriel. Er schläft noch immer sehr, sehr tief, aber zumindest sehen seine Verletzungen schon viel besser aus. Ich öffne die Schublade des Schreibtisches, hole eine neue Kerze hervor, stelle sie auf und entzünde sie. Dann setze ich mich wieder auf den Stuhl und nehme mir eines meiner Bücher, um zu lesen.

Als der Abend naht rührt sich Uriel endlich und setzt sich schließlich stöhnen auf. Sofort erhebe ich mich und bin bei ihm. Meine Stimme kling besorgt.
"Uriel, wie geht es dir?"
Der Engel blinzelt mich erschöpft an.
"Es geht, glaube ich."
Seine Stimme ist rau und brüchig. Er sieht sich verwirrt um.
"Wie bin ich ....?"
Ich lächle ihn an.
"Du bist oben im Mausoleum aufgetaucht und fast zusammengebrochen. Ich habe dich gehört und dann runter gebracht." Ich stehe wieder auf und hole ihm ein Glas Wasser, während ich weitererzähle. "Nachdem ich dich auf mein Lager verfrachtet habe bin ich dann später los und habe etwas Wasser geholt. Ich dachte du würdest sicher durstig sein."
Er nimmt das Glas aus meinen Händen und leert es in einem Zug.
"Woher hast du das?"
Seine Stimme wird langsam wieder etwas fester, auch wenn er immer noch erschöpft klingt.
"Vom Pfarrer, da war eine Geburtstagsfeier."
Nun sieht mich der Engel finster an.
"Du hast es gestohlen?"
Ich ziehe nur die Augenbrauen in die Höhe.
"Ausgeliehen, Uriel. Ich habe vor es zurückzubringen, da ICH ja keinerlei Verwendung für solche Dinge habe."
Ich klinge ein wenig ärgerlich und der Engel duckt sich tatsächlich ein wenig. Das irritiert mich nun aber etwas.
"Entschuldige Hoffnung, ich bin nur..."
Er schüttelt den Kopf. Ich lasse es dabei bewenden, nehme die Kanne auf, fülle sein Glas wieder und setze mich neben ihn.
"Uriel, was ist passiert?" Nun klingt meine Stimme sanft.
Der Engel sieht mich kurz an, trinkt und blickt dann ins Leere.
"Ich wurde angegriffen. Es war kein Dämon oder so etwas. Eigentlich war es nur ein sehr großer Vogel, aber irgendwie..."
Seine Stimme stockt. Alleine das beunruhigt mich schon sehr, denn bisher habe ich das noch nie bei dem Todesengel erlebt. Schließlich fängt er sich und fährt fort.
"Es fühlte sich falsch an, wie verzerrt. Genauso wie.... auf dem Platz." Er sieht mich mit geweiteten Augen. "Ich bin noch einmal nach New York, wollte dort noch eine Runde drehen, nur um sicherzugehen und da kam es. Von hinten und so unglaublich schnell. Es... es war so stark. Hoffnung, ich hatte überhaupt keine Chance! Ich.. mir gelang es, dieses... dieses Ding von mir zu stoßen und dann, dann habe ich den Ort gewechselt. Und der einzige Platz der mir einfiel, war dein Mausoleum. Ich.... ich weiß noch das ich es geschafft habe, aber von da an ist nur noch alles Dunkel."
Er leert sein Glas erneut und stellt es übertrieben vorsichtig auf dem kleinen Tisch ab. Ich kann sehen, das seine Hände zittern. Daraufhin lässt er seinen Kopf in seine Hände sinken, nur ganz kurz und sieht mich gleich darauf wieder an.
"Hoffnung, es... dieses Ding, es hat versucht mich zu... verschlingen. Mir fällt kein besseres Wort ein. Als es sich an mich geklammert hat, dort in der Luft, da fühlte es sich so an, als... als würde es mich aussagen."
Er sieht schrecklich erschüttert aus und ich nehme ihn, ohne darüber nachzudenken einfach in die Arme, was er sich tatsächlich gefallen lässt. Nein er erwidert die Umarmung sogar. Lange Minuten rührt sich keiner von uns, dann löst sich der Engel vorsichtig von mir und lässt den Kopf erneut hängen.
"Jetzt verstehe ich," murmelt er leise," warum Lucifer fast alles über sich ergehen lässt, wenn er das nur alle einhundert Jahre einmal haben kann."
Die Bemerkung irritiert mich nun wirklich. Was meinte der Engel damit, das Lucifer etwas über sich ergehen lässt?
Uriel sieht mich erschrocken an.
"Bitte Hoffnung, bitte vergiss, was ich eben gesagt habe. Ich hätte das gar nicht dürfen!"
Ich sehe ihn lange an.
"In Ordnung ich lasse es erst einmal darauf beruhen, aber irgendwann komme ich darauf zurück."
Der Engel nickt verständig.
"In Ordnung, " komme ich auf das Thema zurück, "du wurdest also von so etwas ähnlichem, wie auf dem Platz angegriffen und konntest gerade noch einmal so entkommen." Der Engel nickt erneut. "Aber wie geht es dir jetzt, Uriel? Wie fühlst du dich?" Er sieht mich wieder an.
"Schwach, schrecklich schwach und ausgelaugt. Ich bezweifle, dass ich mehr als einige Schritte gehen kann. Ich denke aber, das ich mich in einigen Stunden soweit erholt habe." Er sieht sich erneut um. "Wie lange bin ich eigentlich schon hier?"
Jetzt muss ich doch wieder lächeln.
"Es war Morgen, als du im Mausoleum aufgetaucht bist und nun ist die Sonne schon beinnahe untergegangen."
Ich erhebe mich, gehe vor ihm in die Hocke und nehme seine Hände in die meinen.
"Uriel, ich muss jetzt weg. Ich muss zum alten Friedhof in Bonn. Erstens bekomme ich von dort schon seit gestern eine starke Resonanz einer sehr traurigen Seele und zweitens wollten wir uns dort mit Shanael treffen."
Uriel sieht mich erschrocken an und versucht tatsächlich aufzustehen, was ich nicht zulasse. Sanft aber bestimmt drücke ich ihn wieder in seine sitzende Position und bin gleichzeitig erstaunt und erschrocken, dass mir das überhaupt gelingt. Auch der Engel scheint überrascht.
“Ich denke es ist besser, wenn du hier bleibst, Uriel. Ich werde mich mit Shanael treffen und sie mit hier her bringen. Ich kann sie ja auf dem Schritt zwischen Hier und Dort mit mir nehmen.”
Der Mann runzelt die Stirn.
“Glaubst du es ist richtig, ausgerechnet ihr diesen Ort zu zeigen. Sie ist immerhin eine der Gefallenen und sie ist zudem auch noch Seine Schwester.”
Jetzt muss ich lachen.
“Oh Uriel, und ich bin eine junge Menschenfrau, die vor fast dreihundert Jahren aus der Welt genommen wurde und sich in etwas übernatürliches verwandelt hat, weil sie Lucifer umarmt hat und noch immer fest davon überzeugt ist, das es kein Fehler war.”
Erst sieht mich Uriel verblüfft an, dann muss er ein Kichern unterdrücken.
“Oh je, ich bin wirklich nicht so ganz bei mir.”
Er senkt kurz den Blick, nur um mich gleich wieder anzusehen. Ich erhebe mich langsam, aber er stoppt mich noch einmal kurz, indem er mir die Hand auf den Arm legt.
“Hoffnung? Pass gut auf dich auf ja? Da draußen ist etwas, das stark genug ist um selbst mir schlimmen Schaden zuzufügen. Sei vorsichtig, ja?”
Ich lege meine Hand kurz über seine und verspreche es. Als er mich los lässt, weiche ich etwas zurück, mache den Schritt zwischen Hier und Dort und sehe mich auf dem alten Friedhof von Bonn um.
 
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Kommentare  

Und schon bist du bei Teil zwei, lieber Jochen.
Es freut mich, dass auch dieser Teil spannend bleibt.Romantisch wird es später noch viel mehr...
Jaaa, Uriel...der Arme hat auch noch so einiges auszuhalten.


Tis-Anariel (19.04.2010)

Uriel ist verletzt, es sieht nicht gut mit ihm aus. Die Schattenmacht hat zugeschlagen. Hoffnung kümmert sich jedoch rührend um ihn. Deine Geschichte ist immer noch sehr romantisch und spannend.

Jochen (17.04.2010)

Ja, Jingizu, so langsam zeigt sich der wahre Feind.
Das nächste Kapitel ist noch heute vor Mitternacht unterwegs.

Huhu Doska,
schön, dass es dir auch noch gefällt.
Mit Shanael und helfen bist du gut dabei.
Hmm....ich dachte ich hätte das ausreichend im Text geklärt. Wenn du bedenkst, dass Hoffnung ja nicht wirklich ein Geist ist, also immer noch irgendwie stofflich ist, und einfach nicht mehr so wirklich ganz in dieser Welt...dann fühlt sich das sicher nicht angenehm an und es erinnert sie auch jedesmal daran, dass sie nicht mehr so wirklich in der Welt ist...Kennst du das Gefühl, das man manchmal hat,wenn es einem plötzlich und aus unerklärlichem Grunde fröstelt und einem so ein richtig kalter Schauder über den Rücken runterläuft? Das ist ja auch nicht unbedingt angenehm, oder? In meiner Vorstellung hat Hoffnung ein ähnliches fühlen, wenn jemand durch sie durchläuft, nur eben innerlich.

Grüße


Tis-Anariel (05.04.2010)

Es scheint also eine finstere Macht zu geben, die sehr stark ist und es sogar mit Engeln aufnehmen kann. Shanael kann vielleicht helfen die Biester zu vernichten. Rührend ist jene Szene geschrieben wie deine Heldin etwas zu trinken für Uriel holt. Es ist zwar etwas Nebensächliches, was mich jetzt interessiert, aber irgendwie möchte ich doch wissen, weshalb es für Hoffnung unangenehm ist, wenn Menschen durch sie hindurch laufen. Hat mir sehr gefallen, dieses Kapitel.

doska (05.04.2010)

So so der wahre Feind tritt also langsam aus dem Schatten hervor und was hat Shanael mit dem Ganzen zu tun?

Das nächste Kapitel wird vielleicht etwas offenbaren


Jingizu (05.04.2010)

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