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6 Seiten

Bran - Der blinde Rabe -2-

Romane/Serien · Fantastisches
Nachdem ihn Jolanda gefunden hatte, lag er fast zwei Wochen im Fieberwahn, aus dem er völlig geschwächt erwachte. Bran hatte einen harten Kampf hinter sich und einen noch härteren vor sich, denn nun musste er erst einmal heilen. Es brauchte vier Monate, bis all die tiefen Wunden und Schnitte soweit verheilt waren und die frischen Narben nicht mehr so sehr spannten, so dass er sich einigermaßen Schmerzfrei bewegen konnte. Erst mit der Zeit wurden die Narben weicher, wobei Jolandas Tinkturen eine große Hilfe waren. Es dauerte auch beinnahe ein halbes Jahr, bis der Rest von Brans Sehfähigkeit zurückkehrte und der Junge gelernt hatte sich blind zu bewegen, ohne dass er ständig irgendwo dagegen stieß. Die alte Heilerin lehrte Bran auch seine Kunst zu nutzen und damit wurde er auch sicherer, denn die Aura konnte er überraschen klar sehen. Er fragte sich, ob die Beeinträchtigung seiner Augen vielleicht seien übernatürliche Sicht geschärft hatte. Er fragte sogar Jolanda darum, aber selbst die Heilerin konnte ihm das nicht beantworten.
Aber nicht nur die körperlichen Narben machten dem Jungen Bran zu schaffen, er hatte auch tiefe Seelische Wunden davongetragen und jene wogen fast ebenso schwer. Seit diesem schrecklichen Tag verfolgten Bran schlimme Alpträume, die zwar mit der Zeit nicht mehr ganz so häufig auftraten, aber nichts an ihrer Intensität verloren hatten.
Tatsächlich dauerte es fast zwei Jahre bis Bran gelernt hatte zurecht zu kommen. Aber danach brauchte er nicht einmal mehr wirklich seinen Stock, denn er nahm die Welt mit all seinen anderen Sinnen und mithilfe des Aurasehens wahr und fand sich so gut zurecht.
Der Heilerin gelang es sogar Bran die Kräuter zu lehren, die er bald überraschend gut auseinanderhalten konnte, wobei er die Pflanzen hauptsächlich an ihrem Geruch erkannte und natürlich auch an ihrer Aura. Bald darauf fand er sich hervorragend im Haus der Heilerin, in ihrem Garten und auf der Lichtung zurecht. Jolanda war klar, dass sie nicht für immer bei Bran sein würde und darum nahm sie ihn sehr bald zum Kräutersammeln in den Wald mit. Der junge Mann lernte auf diese Weise wieder eine neue Umgebung und Welt kennen. Dort in den Wäldern wurde schnell klar, dass Bran nicht nur ein Späher und Findern war, sondern zudem auch ein Baumflüsterer und ein Nebelweber. Nebelweben gehörte zu den niederen Künsten, was bedeutete dass es oft bei ganz gewöhnlichen Menschen vorkam. Es war eine einfache Fähigkeit, mit der man mehr oder minder dichten Nebel hervorrufen konnte und taugte so recht gut zum verstecken und verbergen.
Das Baumflüstern war eine der hohen Künste und kam sehr, sehr selten vor. Im Grunde konnte so jemand mit bestimmten Bäumen kommunizieren, was insbesondere für einen fastblinden jungen Mann inmitten eines dichten Waldes eine ausgesprochen nützliche Gabe war.
Jolanda, die selber mehr als eine Kunst beherrschte fand es dennoch verblüffend dass sich bei Bran so früh schon gleich drei Gaben entfaltet hatten. Das deutete gemeinhin auf einen ganz besonderen Menschen oder sogar auf einen Clan-Abkömmling hin und damit lag die Heilerin auch ziemlich richtig.

Die Clans oder auch Clanleute, wie die Bauern oft sagten waren dem einfachen Volk stets unheimlich. Es gab neun verschiedene Clans, die je mehrere Familien umfassten. Der Katzenclan, der Rabenclan, der Wolfsclan, der Bärenclan, der Schlangenclan, der Pferdeclan, der Falkenclan, der Fuchsclan und der Drachenclan. Der Tiername offenbarte eine Affinität, also eine Art der Wesensverwandtschaft zwischen den angehörigen eines Clans und dem Tier, das für den Clan stand. Also konnte man Fuchsclanleute durchaus als gerissen, Schlangenclanleute als schnell, Drachenclanleute als weise, Bärenclanleute als stark und gutmütig, Pferdeclanleute als stolz, Katzenclanleute als heimlich, Wolfsclanleute als mutig, Falkenclanleute als weitsichtig und Rabenclanleute als mystisch bezeichnen.
Niemand wusste so genau wer oder was die Clanleute waren, aber man war sich einig, dass sie unmöglich Menschen sein konnten. Nein sie mussten etwas Übernatürliches sein und darum misstraute ihnen das einfache Volk und der Adel schien die Clanritter beinnahe zu fürchten. Die Clanritter waren die Krieger der verschiedenen Clans und sie waren verdammt gut in ihrem Gewerbe. Ihre Kunst war legendär.
Viele Menschen glaubten diese Krieger könnten sich in das Tier des Clans verwandeln oder wie ein Geist verschwinden. Viele glaubten auch, dass die Clanleute von Dämonen abstammten oder vielleicht selbst solche waren. Halbblutkinder, der Clans wurden in manchen Gegenden verehrt, meistens aber gefürchtet. Darum suchten viele Mütter die Herkunft ihres Kindes zu verschleiern, wenn sie sich mit einem Clanmann eingelassen hatten. Man sagte ein Halbblut direkt zu töten brachte lange Zeit Pech oder Schlimmeres, letzterem verdanke Bran ja, dass er noch lebte. Denn er war wirklich ein Clanhalbblut.

Nur etwa ein halbes Jahr bevor die Männer kamen, seine Mutter und ihn fortzerrten und man ihnen dann diese schrecklichen Dinge antat, offenbarte Brans Mutter dem Jungen ein lang gehütetes Geheimnis. Thomas, der Mann, den er bis zu seinem zwölften Lebensjahr als Vater kannte und fürchtete, der zu seiner Mutter manchmal so grob war und der bald nach Brans zwölften Geburtstag an einer Lungenentzündung starb, dieser Mann war nicht sein Vater.
Noch heute konnte sich Bran ganz deutlich an den Ausdruck im Gesicht seiner Mutter erinnern, als sie ihm davon erzählte, wie er gezeugt wurde. Es war eine der schönsten Erinnerungen an seine Mutter, die er hatte. Auch an den Klang ihrer Worte konnte er sich gut erinnern.

Sie erzählte ihm, wie sie, gerade einmal achtzehn Jahre alt, sich auf den Weg machte durch den Wald zu Jolanda zu gehen und die Salbe für den armen Rücken ihrer Mutter zu holen. Ihr ältester Bruder begleitete sie, denn zu diesen Zeiten und gerade in diesem Alter sollte keine junge Frau alleine durch den Wald spazieren.
Zudem konnten beide so ihre Kunst üben, denn beide waren damit geboren worden.
Ihr Bruder war ein Fährtenfinder und sie selbst eine Windpfeiferin, was beides zur niederen Kunst gehörte. Als Windpfeiferin konnte sie Wind herbeirufen und ihn gewissermaßen kontrollieren und ihr Bruder als Fährtenfinder beinahe jede Fährte oder Spur finden und verfolgen. Von daher war für die beiden der Marsch durch den Wald eine gute Gelegenheit und ein großer Spaß. Nebenher lasen sie noch Reisig und Feuerholz auf um Jolanda eine Freude zu machen und weil sie einfach irgendeine Aufgabe brauchten.
Während so Brans Mutter, Ahmarill und ihr Bruder durch den Wald gingen trafen sie auf einen Gutgekleideten Fremden, einen sehr attraktiven Fremden, wie Brans Mutter bemerkte. In dem einen Augenblick noch unterhielten sie sich freundlich, im nächsten schon lag ihr Bruder bewusstlos auf der Erde, der Fremde hatte sie gepackt und hielt ihr den Mund zu.
Bran erinnerte sich gut an das seltsame, stille Lächeln seiner Mutter als sie in ihrer Geschichte fortfuhr.
Der Mann hätte ihr deutlich gemacht, dass er sie auch mit Gewalt nehmen würde, da sie vermutlich seine letzte Chance sei es weiterzugeben. Aber eigentlich, so dieser Fremde, wollte er ihr nicht wirklich weh tun. Weil sie Angst gehabt hatte vor dem, was geschehen hätte können, wenn sie sich gewehrt hätte, ließ sie sich von den Fremden tiefer in den Wald bringen und schrie auch nicht. Doch zuerst bestand sie darauf nach ihrem Bruder zu sehen und der Mann ließ es zu. Danach brachte er sie sehr tief in den Wald und behielt sie fast drei Tage bei sich.
Ahmarill war verblüfft wie sanft und zärtlich der fremde Mann vorging und auch darüber, wie viel Zeit er sich dabei ließ. Als sie ihn fragte warum er das mache, lächelte er und meinte, dass wenn er ihr schon die Unschuld stehlen würde, sie dieses dann wenigstens genießen können sollte. Schließlich sei es etwas unendlich Wertvolles, was er ihr da nahm und darum wolle er ihr etwas Annäherndes zurückgeben.
Als sie ihn fragte warum er es denn überhaupt täte, da wurde der Fremde still und erzählte ihr nur, dass man hinter ihm her sei, dass er einen Nachkommen zeugen und etwas weitergeben musste, bevor man ihn fing. Er offenbarte ihr schließlich auch, dass er zu den Clan-Leuten gehöre und zwar zum Rabenclan. Er zeigte ihr einen kleinen, filigranen Silberanhänger, der einen stilisierten Raben zeigte und schenkte ihr das Ding anschließend, damit sie wenigstens eine Erinnerung an ihn hätte, denn seinen Namen wollte er ihr zu ihrer eigenen Sicherheit nicht nennen. Nach diesen drei Tagen zeriss der Mann ihr die Kleidung, verpasste ihr einige Schrammen, Kratzer und Blutergüsse, die zwar ziemlich groß waren, aber überraschend wenig schmerzten. Ahmarill nahm an, dass der Mann die Kunst anwandte um das zu erreichen.
Brans Mutter lächelte wieder als sie ihm sagte, dass diese drei Tage mit dem Rabenclanritter im Wald zu den schönstens ihres Lebens gehört hätten und ihr Lächeln wurde breiter, als sie erzählte das sie tatsächlich schwanger geworden sei. Aber diese Schwangerschaft sei wirklich sehr seltsam gewesen. Ihr Mondblut sei ausgeblieben, aber ansonsten hätte man ihr nichts angemerkt, bis dass sie verheiratet worden war und zwar mit dem Mann, den Bran bis zu seinen zwölften Lebensjahr als Vater gekannt habe und der dann an einer Lungenentzündung gestorben war. Ahmarill hatte nicht wählerisch sein können, denn auch wenn man ihr wegen der Umsicht des fremden Rabenclanritters zwar die Geschichte abnahm, dass sie sich gewehrt und gegen ihren Willen genommen worden war, so galt sie dennoch als beschmutzt. Im Endeffekt war es sogar ein Glück, dass jemand sie dennoch heiraten wollte und das so schnell. Sie dachte nicht lange darüber nach und sagte schnell ja, auch wenn Thomas manchmal grob und schnell wütend wurde.
Sie runzelte die Stirn, aber nur kurz, dann lächelte sie ihren Sohn wieder an.
Erst als die Hochzeit mit Thomas vollzogen war, meinte sie, da begann das Leben in ihr wieder zu wachsen, geradeso als hätte es genau auf diesen Augenblick gewartet. Und Thomas, der war mächtig stolz sobald ein Kind gezeugt zu haben.
Ahmarill konnte nur vermuten, dass der Rabenclanritter mit der Kunst dafür gesorgt hatte. Bastardkinder waren nicht gerne gesehen und es wurde häufig dafür gesorgt, dass sie oft gar nicht lebend zur Welt kamen. So aber stellte niemand in Frage, dass Thomas der Vater sei. Es war ein weiteres Glück, dass sie selbst schwarzhaarig war und dass in der Familie ihres Ehemannes des Öfteren grüne Augen vorkamen, denn Bran hatte die tiefschwarzen Haare und die klaren, Jadegrünen Augen seines Rabenclanvaters geerbt.
Bran konnte sich noch gut erinnern, wie sie ihm damals zärtlich einige Strähnen seines Haars aus dem Gesicht strich, ihm lächelnd in die Augen blickte und ihm dabei sagte, dass er ganz nach seinem Vater schlagen würde.

Bran kniff die Augen fest zusammen und hob beinnahe lautlos die Hand um sie aufs Gesicht zu pressen und irgendwie die Aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Doch vergeblich, heiß quollen einige unter seinen Lidern hervor und benetzten seine vernarbten Wangen mit salziger Flüssigkeit.
Er wollte nicht daran denken, nicht an seine Mutter und nicht an all das, was er verloren, was man ihm auf so grausame Art genommen hatte. Aber seine Finger fanden den winzigen Anhänger, der noch immer an dem Lederband um seinen Hals hing. Keiner hatte sich getraut ihm dieses Schmuckstück abzunehmen, sonst hatte man ihm fast alles genommen,aber dieses Stück nicht. Dafür waren die Menschen einfach zu abergläubisch. Bran seufze lautlos, denn der Schlaf blieb aus und seine Gedanken kreisten herum, fanden keine Ruhe und landeten immer wieder dort, wo er sie nicht haben wollte.



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* Windpfeifer rufen den wind herbei und kontrollieren ihn bis zu einem gewissen Grad, häufig verwenden sie als Hilfsmittel verschiedene Pfeiftöne um dies zu erreichen. Daher rührt auch der Name

*Fährtenfinder finden wie der Name schon sagt fast jede Fährte oder Spur und können ihr folgen, das macht sie zu ausgesprochen guten Jägern und Fährtenleser.

*Baumflüsterer kommunizieren auf einer inneren, rein intuitiven Ebene mit Bäumen oder anderen großen Pflanzen. Für den Begabten hört sich diesen wie ein vielstimmiges Flüstern an und auch sie selbst sprechen in einer Art Flüstersprache mit den Bäumen.

*Nebelweber haben die Fähigkeit dicken dunst oder Nebel herbeizurufen. Je nach Stärke und Ausprägung der Gabe variiert die Dichte des Nebels. Diese Kunst ist vor allem praktisch um sich oder anderes zu verbergen und zu verstecken.

* Die Clans sind ein Zusammenschluss verschiedener Familien und Blutlinien, die große Gaben und besondere Fähigkeiten haben. Angeblich sind es übernatürliche Wesen, manche halten sie aber auch für Abkömmlinge von Dämonen oder gar für Dämonen selbst. Die angehörigen der Clans werden für gewöhnlich als Clanleute bezeichnet, wobei es innerhalb der Clans eine eigene Kriegerkaste gibt, die sogenannten Clanritter. Es gibt neun verschiedene Clans, wobei jeder Clan eine besondere Affinität zu “seinem” Tier hat. Der Katzenclan, der Rabenclan, der Wolfsclan, der Bärenclan, der Schlangenclan, der Pferdeclan, der Falkenclan, der Fuchsclan und der Drachenclan.
 
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Kommentare  

Liebe Petra,

wie schön, dass auch dir der zweite Teil gefällt. Freut mich dass es mir gelungne ist, die Liebe von Brans Mutter gut rüberzubringen, war nämlich gar nicht so einfach.
Ich hoffe mal, wenn ich erst mal die Vorgeschichte fertig habe, dass es mir dann leichter aus der Feder fließt.
Im Moment habe ich leider einige Sorgen, von daher fehlt mir etwas die nötige Innere Ruhe zum schreiben, ich hoffe aber, dass auch das bald wieder vorbei sein wird.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (20.06.2010)

Süß, wie du die Liebe von Brans Mutter beschreibst. Obwohl Bran viel Schweres durchmachen musste, scheint er doch Gaben zu haben, die ihm das Leben erleichtern werden.

Petra (19.06.2010)

Hallo Jochen,

es freut mich sehr, dass dir auch die Fortsetzung gefällt.
Es sieht vielleicht nicht so aus, aber diese Geschichte ist bisher überraschend schwierig zu schreiben.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (19.06.2010)

Lebendig und spannend geschrieben. Gut, dass sich Jolande um den Jungen gekümmert hat, so konnte er sich noch einigermaßen gut entwickeln. Bin gespannt wie es weiter geht.

Jochen (18.06.2010)

Hallo Ingrid,

es freut mich sehr, dass auch dir diese Geschichte so gut gefällt.
Schön, dass ich der Story wohl den von mir gewollten mystischen Hauch verleihen kann. Herzlichen Dank dir für deinen Kommentar.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (18.06.2010)

eine sehr schöne geschichte, mystisch und interessant, und der arme bran tut mir sehr leid.
ich bin gespannt, ob bran die clanleute näher kennenlernt, denn er trägt ja wohl etwas von seinem vater in sich.
lieben gruß von mir


Ingrid Alias I (18.06.2010)

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