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2 Seiten

Der Bogen der Zeit (1)

Romane/Serien · Spannendes
© Hanim
Der Reiter schlug den Weg Richtung Ufer ein, unten zwischen schmuddeligen Lastkähnen, nackten Kinder, Kötern und rußigen Kohlenschiffern hielt er sich nach rechts. Ritt weiter bis zum alten viereckigen Zollturm, der nicht mehr genutzt wurde und dessen Tor zwar gut geölt war aber offen stand, wieder hinauf in Richtung der alten Moschee und der Medrese. Vorbei an kleinen aber schmucken Häusern der Holzwerker und Fuhrleute, denen der Staub des nahen Schmiedeviertels aber einen Teil des Glanzes nahm, bis er an eine niedrige Mauer kam.
Dahinter erstreckte sich lang und schmucklos, mit einem Dach aus roten Ziegeln, die Medrese der Fathi Moschee.
Es war ein gutes und ein schlimmes Gefühl hier so zu stehen. Er sah den schmalen Eingang, der über den Arkadengang hinein in die Klassenzimmer führte. Wie viele Jahre, dachte er, 10 , 15 ein Menschenalter.....er neigte seinen Kopf, wie er es immer getan hatte, wenn Mullah Uthman sich seiner annahm mit dem Rohrstock und spannte seinen Rücken. Ob der Mullah, er stammte aus Persien und hatte seinen Titel einfach behalten, noch lebte? Er hätte es fast geschafft, ihm den Glauben für immer auszutreiben, mit seiner bösartigen, kleinlichen Art, mit der er seine Schüler behandelte, aber mit der er auch den Koran behandelte.
Ohne Sinn dafür lobte er die Schönheit der Worte, begriff nicht das eigentliche, dass gerade der Inhalt und nicht nur der Klang schön und voller Licht war.

Und dann vernahm er die Stimme des Mullah, über die Jahre brüchiger geworden, aber seine Intonation, seine Ausprache waren unverkennbar.
Er folgte dem Klang und blieb an einem halb geöffneten Fensterladen stehen, lehnte sich gegen die Mauer und schloß die Augen. Wie klein und zerbrechlich war er zu der Zeit gewesen. Hatte nicht hierhin gewollt, jedes mal am Anfang geweint. Die anderen Kinder hatten ihn gehänselt und geärgert, besonders als er irgendwann so groß wie sie oder auch größer gewesen war.
Schmal, unsicher und hochaufgeschossen, aber klug und schnell im Denken, war er ihnen bald voraus beim Lernen.
Aber der Mullah ertrug das nicht, nicht dass dieser Schüler besser wurde als die Anderen, denn Klugheit stand ihm nicht zu.
Leise rezitierte er die Worte des Mullah mit, wie oft hatte er die Ferse schon vor sich hin gesprochen, in der Weite der Steppe, in der Grausamkeit des Schlachtfeldes, in der Kälte der Winternächte und in der endlosen Einsamkeit auf seinen Wegen.
Er war immer allein – bis auf den Schatten, vor dem er nun schon seit mehreren Jahren floh.

Dieser Schatten, der ihn zuerst unmerklich und dann immer deutlicher verfolgte, einhüllte, ihm Furcht und Lohn einflüstern wollte, je nach dem was gerade geschah.
Und dieser Schatten war so stark geworden, dass es ihn zurück in die Heimat getrieben hatte, obwohl er heimatlos war. Denn diesen Ort hatte er verlassen wohl wissend nie wieder zurück kehren zu können in sein altes Leben.

Er stieß sich von der Wand ab, warf seinen Reisemantel zurück, strich seine knielange Jacke gerade, die Seide raschelte. Männer sollten keine Seide tragen, er lächelte grimmig!
Die Linke ruhend auf dem schlichten Säbel, mit der Rechten die Tür des Unterrichtsraums öffnend, trat er ein. Der Mullah sah erst gar nicht hoch. Seine Klasse, halbwüchsige Knaben auf dem Weg zum Mann, lugten verstohlen von ihren Büchern hoch. Es roch nach Bücherstaub, nach der alten kalten Feuerstelle und nach Schülerschweiß.
Der Reiter trat vor und sagte mit klarer aber gedämpfter Stimme:" Saba Acher, Mullah Uthman."
Der Mullah horchte auf. Er blickte zu dem Fremden und gebot, den jetzt aufgeregt tuschelnden Knaben, Ruhe. Licht fiel plötzlich in den Raum als die Sonne ganz unvermutet den wolkenverhangenen Himmel durchstieß und brach sich in kleinen Funken in den schlecht gezogenen kleinen Scheiben der Fenster. Machte den Staub, der in der Luft hing, sichtbar, der in kleinen Glitzerpünktchen Leuchten in das trübe Grau des Raumes brachte.
Wie oft hatte er als Kind das tanzende Treiben der Staubkörner im Sonnenlicht beobachtet. Es war das einzige Fröhliche in dem Raum gewesen.
Der Mullah hielt immer noch ein strenges Regiment, der Reiter sah auf der Hand des einen Knaben blutige Spuren des Rohrstocks.
Es tat ihm weh, das zu sehen. So wie damals, als er selbst das beliebteste Opfer war. Austreiben wollte der Mullah den Wissensdurst, weil nicht sein kann was nicht sein darf.
 
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Kommentare  

Mal lesen, was als nächstes passiert... Die Ferse ist am Fuß, hier muss es Verse heißen.

Tintenkleckschen (23.09.2010)

Es ist alles sehr detailliert und plastisch beschrieben. Man taucht sofort in die Welt des fremden Reiters ein und lässt sich mitreissen.

Jingizu (24.08.2010)

Eine spannende und geheimnisvolle Story aus der arabischen Welt. Gefällt mir gut. Man fragt sich, was der fremde Reiter von dem alten Mullah will.

Jochen (23.08.2010)

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