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5 Seiten

Selena - Kapitel 06

Romane/Serien · Spannendes
© Alexander
Der alte Mann kehrte vom Gang zum Markt in sein Haus zurück.
„Und?“
„Sie haben einige Leute verhaftet und eine Ausgangssperre ausgerufen.“, berichtete er.
„Jemand von unseren Leuten dabei?“, fragte Jerome.
„Niemand wichtiges.“
Zufrieden biss Jerome von seiner gefüllten Brottasche ab.
Die Thekenfrau schien darüber keinesfalls zufrieden zu sein. Mit Verhaftungen war zu rechnen gewesen. Egal ob die Leute dem Untergrund angehörten oder nicht. „Wir warten bis zum Morgen.“, teilte sie den anderen mit. Es schien am sichersten.
Selena hingegen hatte nicht vor zu bleiben. Als sie zur Tür ging, stellte sich ihr Jerome in den Weg.
„Wir bleiben hier.“, stellte er klar.
Sie schenkte ihm ein höhnisches Grinsen. „Tut das, ich werde jetzt gehen.“
Wogegen der Mann etwas einzuwenden hatte.
Selena trat einen Schritt näher. „Tritt beiseite oder ich verpasse dir eine Abreibung, die sich gewaschen hat.“ Ihre Drohung ließ ihn scheinbar kalt.
„Jerome!“, sagte die Thekenfrau. „Lass sie gehen.“
Nur widerwillig trat er beiseite.
Selena drehte sich halb rum. „An euer Stelle würde ich nicht bis zum Morgen warten.“, lautete ihr Rat.
„Wieso?“, hackte die Anführerin neugierig nach.
„Diejenigen, die verhaftet wurden, mögen nicht zum Untergrund gehören, können aber jemanden kennen, der ihm angehört. Selbst wenn nicht, hören und sehen die Leute mehr als ihr glaubt.“ Sie wusste, wovon sie sprach.
Die Albin öffnete die Tür, schaute sich um und verließ das Haus.
Die Abenddämmerung war angebrochen. Auf der Straße waren nur wenige Leute unterwegs, die beeilten sich nach Hause zu gelangen, ohne von einer Patrouille aufgegriffen zu werden.
Nava trat ans Fenster. Die Anführerin sah, wie die Fremde in eine Nebenstraße ging. Sekunden später kam eine Patrouille aus derselben Richtung. Die Soldaten wirkten nicht so, als wäre ihnen jemand über den Weg gelaufen. Wenn dem so wäre, hätten sie die Person nämlich verhaftet. Und irgendwie bezweifelte Nava, dass sich die Fremde einfach verhaften ließ.

***
Selena ahnte ja nicht, wie recht sie hatte, als sie die Untergrundkämpfer warnte, nicht bis zum Morgen zu warten. Bei der Befragung der Festgenommenen waren die Biester nicht zimperlich. So kam es, dass ihnen einer sagte jemanden zu kennen, der im Kontakt zum Untergrund stand. Dieser Jemand wurde noch in der Nacht verhaftet und befragt. Nach einer Stunde gab er ihnen die nötigen Informationen von einem Unterschlupf. Wie sich herausstellte, hatte eine Patrouille das Haus bereits am späten Tage durchsucht. Bewohnt wurde es von einem alten Mann.
Ein Sturmtrupp drang ins Haus ein. Widererwarten trafen sie auf Widerstand. Dem alten Mann gelang es einen der Soldaten zu töten und einen weiteren zu verletzten, bevor man ihn tötete. Sehr zum Missfallen von General ZeRan, der nach der Erstürmung das Haus betrat und die Leiche des alten Mannes sah. Seine Anweisungen hatte er klar und deutlich formuliert. Noch vor Ort degradierte er den Truppführer zum einfachen Gefreiten.
Sie hatten das Versteck zwar gefunden, doch außer dem alten Mann war niemand im Haus. Falls die Gesuchten hier gewesen sind, waren sie verschwunden. Eher beiläufig bemerkte ZeRan den verbeulten Teekessel. Er hielt seinen Handrücken dran. Der Kessel war noch warm. Sein Blick ging umher. Dabei entdeckte er auf der Anrichte zwei Tassen mit Teekräutern darin.
Wieso sollte sich eine Person zwei Tassen mit Tee machen? Dafür gab es nur eine Erklärung.

***
Der Tod des alten Mannes war ein schwerer Schlag für den Untergrund. Schon seit Jahren gewährte er ihnen Unterschlupf und versorgte sie mit Informationen. Nava hatte den Mann gemocht. Je länger sie über das Gesagte der Fremden nachdachte, desto mehr gelangte sie zu der Ansicht, sie könnte recht haben. Irgendetwas an ihr war anders. Sie wusste nicht was, konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass eben dem so war.
Mitten in der Nacht, beschloss Nava, dass man den Unterschlupf wechselte. Wovon sich Jerome wenig begeistert zeigte. Ein kurzer scharfer Wortwechsel folgte zwischen ihnen. Der alte Mann verabschiedete sie mit wenigen Worten, seinen letzten.
Wer auch immer die Fremde war, sie hatte Recht behalten. Vorläufig konnten sie keinen anderen Unterschlupf aufsuchen. Es war einfach zu gefährlich. Darum verbrachten sie die Nacht in einem Dachverschlag.
Eine Patrouille marschierte die Straße unter ihnen entlang. Am liebsten hätte sie sich auf die Soldaten gestürzt um Rache zu nehmen. Dadurch würde der alte Mann aber nicht wieder lebendig werden. Darum sprach sie stumm einen Trauervers.

***
Schon kurz nach Anbruch der Nacht war niemand mehr auf den Straßen unterwegs, außer den Patrouillen. Ein Fünfertrupp marschierte die Nebenstraße entlang, vorbei an einer kleinen Nische zwischen zwei Häusern. Die Dunkelheit verbarg sie jedoch geschickt. Was wohl nicht in der Absicht der Erbauer lag.
Wie ein Geist schälte sich Selena aus dem Schatten, schaute den Soldaten nach und blickte die Straße entlang. Die lag verlassen da, wie man es bei einer Ausgangssperre erwarten konnte. Die Fensterläden der Häuser waren verschlossen. Durch Ritzen und Spalten sah man bei wenigen Häusern Lichtschein. Er war jedoch zu schwach und spärlich um die Straße auszuleuchten.
Selena blickte zu den Soldaten zurück. Die Orks und Urikais hatten das Ende der Straße erreicht und bogen um die Ecke. Sie trat aus der Nische, bewegte sich praktisch geräuschlos und ging in Richtung Tor.
Obwohl sich die Albin in dem Land Zuhause fühlte, obgleich sie woanders geboren, aufgewachsen und gelebt hatte, konnte sie nicht länger in der Stadt bleiben. Ihre Begegnung mit den Mitgliedern des Untergrunds war nicht förderlich gewesen. Mit Sicherheit hatten einige der Gäste vom Wirtshaus den Biestern Rede und Antwort gestanden, was die Hausdurchsuchungen und Ausgangssperre untermauerten.
Je länger man an einem Ort blieb, desto wahrscheinlicher war es, dass man früher oder später aufgegriffen wurde. Daran hatte Selena kein Interesse. Noch war sie auf der Suche nach ihrem Platz in dem ihr unbekannten Land.
Das Tor war verschlossen. Auf den Wehrgängen patrouillierten ein Dutzend Biester. Vor dem Tor hielten 5 Orks und Urikais Wache, davon 2 direkt am Tor. Auf der Straße hatte sich eine Schlange gebildet. Die Leute hatten es nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt geschafft, bevor das Tor geschlossen wurde.
Bei den Wartenden handelte es sich um Händler, Reisende, Bauern und Kaufleute. Zwei Pritschen- und ein Planwagen. Auf einem Pritschenwagen lagen Holzbohlen. Der Andere transportierte Säcke mit Mehl und Körnern. Unter der Plane vom Planwagen befanden sich mehrere Kisten und ein aufklappbarer Tisch, typisch für Wanderhändler.
Ein Biest schritt die Warteschlange ab, sah nur flüchtig hin und knurrte ungehalten. Seine beiden Kumpanen standen mehrere Schritte auseinander. Keiner machte einen pflichtbewussten Eindruck. Die Soldaten auf den Wehrgängen der Mauer kümmerten sich um die Dinge vor der Mauer und nicht um die dahinter.
Für Selena war es nicht sonderlich schwer unentdeckt zu den wartenden Wagen zu gelangen. Da die Biester mit Sicherheit Kontrollen durchführten, sobald das Stadttor geöffnet wurde, machte es keinen Sinn sich auf der Ladefläche zu verstecken. Darum kroch sie unter die Wagen, inspizierte jeden Einzelnen, beschloss den Planwagen für ihre Zwecke zu nutzen.
Im Gegensatz zu den Biestern blieben ihre Sinne scharf und die Instinkte intakt. Vollkommen frei von aufkommender Langeweile oder Müdigkeit. Wie ihre Vettern, die Elben, brauchten Albe weniger Schlaf als die anderen Völker. Zumindest in Eurasien. Hier hingegen galt das nur für ihre Verwandten und die Orks und Urikais.

***
Nava, Celin, Lorana, die Thekenfrau, und Jerome verließen die Stadt getrennt voneinander. Die Frauen schlossen sich einer Gruppe Arbeiter an, die von einem Großgrundbesitzer angeworben wurden, um auf den Feldern zu arbeiten. Zusammen mit 6 Frauen brachen sie wenige Stunden nach Ablauf der Ausgangssperre in Richtung Stadttor auf.
Lüstern tasteten die Soldaten die Frauen ausgiebig ab. Etwas gutes musste der Morgendienst ja haben. Anschließend ließ man sie passieren und wendete sich einem Kutscher zu.
Nava konnte ihren Ekel über die Abtastung, den Gestank der Biester und deren Glanz in den Augen im Zaum halten. Scheinbar gleichgültig ließ sie die Prozedur über sich ergehen. In Wahrheit hätte Nava den Ork am liebsten umgebracht. Es war nicht das erste Mal, dass man sie abtastete. Bei ihrem Tun kam es häufiger vor. Jedes Mal überkam sie der Drang dem Biest die Kehle aufzuschlitzen. Zu gerne hätte sie dann in seine Augen gesehen.
Nachdem die Stadt hinter ihnen lag, nickte Nava Celin schlicht und unbemerkt von den anderen Frauen zu. Wenige Schritte später knickte Celin ungeschickt um. Ob es simuliert oder in echt geschehen war, konnte Nava definitiv nicht ausschließen. Die junge Frau hatte die Angewohnheit in entscheidenden Momenten sehr ungeschickt zu agieren. Was der Kampf im Wirtshaus einmal mehr verdeutlichte.
Nava und Lorana kümmerten sich um ihre Schwester, wie sie den anderen sagten, und gaben vor nachzukommen, sobald Celin wieder gehen konnte. Um sich nicht allzu sehr zu verspäten, gingen die Arbeiter weiter. Dem einen oder anderen war es sogar egal. Was ihnen sogar recht war, denn so fiel ihr Fehlen bei der Ankunft der Plantage des Großgrundbesitzers nicht weiter auf.
„Sie sind außer Sichtweite.“ Informierte Lorana ihre Weggefährtinnen.
Als Celin aufstand, merkte Nava, wie sie beim Auftreten zusammenzuckte. Sie nickte Lorana zu und die kampferprobte Elbin ging voran, während Nava dicht bei Celin blieb. Ihr Humpeln verschwand nach einigen Schritten.

***
Der Planwagen verließ als Erster die Stadt. Kurz vor Öffnung des Stadttores war die Nachtwache abgelöst worden. Wie erwartet wurde der Wagen kontrolliert. Selbst eine Kiste öffneten die Biester, unter kleinlauten Protest des Händlers. Anschließend passierte der Wagen die Kontrolle und fuhr auf der Hauptstraße entlang.
Beim Anfahren eines Hügels wurde der Wagen langsamer. Da nutzte Selena ihre Chance. Erst ließ sie ihre Füße über den Boden schleifen, um sie aufzulockern. Das Stunden lange Ausharren ging auch an ihr nicht spurlos vorüber. Danach ließ sich die Albin einfach fallen. Durch eine geschickte Körperspannung verlief der Fall ohne nennenswerte Blessuren.
Schnell war sie auf den Füßen, schaute dem Planwagen nach, klopfte sich den Staub und Dreck ab und ging den Weg zur Kreuzung zurück, an der der Planwagen kurz vorher abgebogen war, und folgte dem anderen Straßenverlauf.
Ihr Gefühl leitete sie.
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Ende, Kapitel 6
© by Alexander Döbber
 
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Kommentare  

Schade um den alten Mann, aber Selena lässt sich nicht klein kriegen. Welche Abenteuer werden sie auf den Straßen erwarten.

Petra (05.11.2010)

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