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Nachhause kommen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Er stand nun wieder zuhause. Aber er war hier fremd geworden.
Nichts hatte sich an seinem Aussehen verändert. Nichts hatte sich an dem Haus verändert, in dem er aufwuchs. Die Sträucher im Vorgarten waren wie eh und ja akkurat auf eine Höhe gestutzt und der Buchs war zu einer Kugel geschnitten. Selbst das Vogelhäuschen, das auf dem gelben Holzzaun befestigt war, hatte sein Vater neu lackiert und wieder hingeschraubt.
So sehr er sich auch bemühte, er konnte keine Veränderung sehen.
Er ging zum kleinen blauen Bänkchen, das an der Hauswand stand und setzte sich.
Er schloss die Augen und schnupperte. Selbst die frische Morgenluft roch noch wie an dem Tag an dem er gegangen war.
Man konnte den Duft von frischen Kaffee und Lavendel wahrnehmen. Er hatte den Lavendel damals in das kleine Beet gepflanzt, weil er ihn so gerne roch. Nach Frische und Freiheit pflegte er zu sagen.

Freiheit. Das war immer sein größter Wunsch gewesen. Frei sein.
Heute wusste er, was es bedeutet frei zu sein. Es war nicht so, wie er damals zu wissen glaubte. Nein, Freiheit bekam man nicht einfach so.
Man musste einen hohen Preis dafür bezahlen.
Er hatte damals nicht nachgedacht. Einfach gehandelt ohne an die Folgen zu denken.
Jung und freiheitsliebend war er. Oder doch nur jung und dumm?
Alle, denen er wichtig war hat er aufgegeben.
Alle, die ihm wichtig waren haben ihn irgendwann aufgegeben.
Heute leben sie ein Leben ohne ihn. Sie sind glücklich. Sie haben eine Familie, die sie lieben und von der sie geliebt werden. Sie haben ein wunderbares Leben. Und er? Was hatte er? Nichts.
Hinter ihm lag ein Haufen Scherben, den er seine Vergangenheit nannte.
Vor ihm war die Ungewissheit, die seine Zukunft war.

Er öffnete wieder die Augen. Er blinzelte in die Sonne und erkannte eine Gestalt.
Es war der Briefträger. Er sah so aus wie früher, nur die Haare auf seinem Kopf waren leicht ergraut. Er ging den Fußweg um die Ecke zur Haustür und klingelte. Ein paar Sekunden später hörte er das alte vertraute Knarren der Tür.
„Ja?- Ach das Packet.“
Diese warme Stimme seiner Mutter. Wie oft hatte er sie im Traum gehört?
„Na, der Sohnemann besucht die Eltern auch mal wieder?“, sagte der Briefträger.
Stille.
„Ich habe keinen Sohn mehr. Ich hatte mal einen Sohn. Das ist lange her. Er brach mein Mutterherz und lies es zerbrochen zurück.“
Die Stimme seiner Mutter war plötzlich nicht mehr so warm und voller Freude. Sie war kalt und voller Wut. Man könnte die Enttäuschung hören. Er konnte es hören.

Hier war er nicht mehr willkommen.
Er stand auf, um nachhause zu gehen.
Aber wo war er zuhause?
 
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Kommentare  

Bei dem Titel dachte ich eher, dass es sich hierbei wieder nur um einen Euphemismus für "sterben" handelt, aber dieses Mal schlägst du ja eine ganz andere Richtung ein.

Der Text ist stimmig und man kann sich in deinen Charakter hineinversetzen, aber es ist doch alles etwas theatralisch, besonders die Mutter, welche den kleinen Text dann in eine sehr pessimistische Richtung reißt, ist in ihrem Pathos doch ein bisschen übertrieben.

Hau ein bisschen weniger mit dem Holzhammer auf die Tränendrüse und der Text wird umso gewaltiger.


Jingizu (28.03.2012)

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