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Hallo Ossi!

Poetisches · Amüsantes/Satirisches
Heut traf ich Oswald, den gescheiten,
den kenn ich – das ist lange her –
noch aus den "guten alten Zeiten",
da war er Spitzen-Funktionär.

Sein Ehrgeiz war einst ohnegleichen.
Wenn er was sagte, dann sprach Gott.
So stellte er im Kreis die Weichen
wie vorher in der FDJ.

Jetzt, sagt er, sei ja alles mieser,
vielleicht mit Ausnahme vom Bier.
Und ruiniert sei er von dieser
Gesellschaft, lebe von Hartz vier.

Sein Weib war immer schon Friseuse,
heut heißt's Frisörin. Doch sie nimmt
das gar nicht übel, ist nicht böse,
solange nur das Trinkgeld stimmt.

Das gehe so schon viele Jahre,
er lebe gut damit zumeist:
Sie macht den Leuten schöne Haare,
derweil er halt den Haushalt schmeißt.

„Ach Oswald, wie die Jahre rennen“,
sag ich, „dass man's kaum glauben kann.“
„Du kannst mich ruhig Ossi nennen!“,
sagt er und grinst mich freundlich an.

„Mach's gut!“, sag ich, und ich entweiche.
Ich schau ihm nach und glaub es kaum:
Wie wurde aus ostdeutscher Eiche
ein solcher schlapper Gummibaum?

www.wolfgang-reuter.com, 16. 01. 2006
 
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Kommentare  

Hallo Michael,

vielen Dank für Deine weiterführenden Gedanken zum Thema Biografie-Katastrophen. Nur in einem Punkt möchte ich Dich ergänzen: Alt-Nazis hatten aus meiner Sicht in Ost und West sehr unterschiedliche Perspektiven. Mag sein, dass Wissenschaftler wie Ardenne und Sportler wie Brauchitsch in der DDR trotz „getrübter“ Vergangenheit neue Betätigungs- und Bewährungsfelder fanden – Nazi-Politiker und -Juristen hatten im Osten keine Chance.

Anders in der BRD: Allein die Nazi-Vergangenheit des einstigen Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten (1958 – 1966) und späteren Bundeskanzlers (1966 – 1969) Kurt Georg Kiesinger spricht da für sich und stellt nur die Spitze eines tiefbraunen Eisberges in der BRD dar. Er war es ja auch, der dem von Dir erwähnten Alt-Nazi Hans Filbinger als seinem Nachfolger in Baden-Württemberg ins Amt des Ministerpräsidenten verhalf.

Die endlose Liste der im Westen zu neuen „Ehren“ gelangten Alt-Nazis ist auch nachlesbar im 1965 in der DDR erschienenen „Braunbuch der Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik“.


Wolfgang Reuter (12.04.2013)

Hallo Wolfgang und Michael,
Grundlegende Änderungen in den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen machen solche Biografie-Katastrophen möglich.
Übrigens: Das Schmunzeln das ich gemeint habe, ist natürlich ironischer Natur. Ansonsten gebe ich dir, lieber Wolfgang, in deiner Einschätzung voll recht. Tillich bildete wohl eher eine Ausnahme. Aber es gab auch viele Wissenschaftler und sonstige gesellschaftliche Kräfte, die zwar SED-Mitglieder waren (zum Teil als Überzeugung, zum Teil aber auch weil sie zu diesem Schritt gezwungen worden waren), die aber ansonsten keinem das Rückgrat gebrochen haben. So muss bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit jeder Fall einzeln betrachtet werden. Einige ehemalige Stasi-Leute haben nach der Wende auch Karrieren in den Arbeitsagenturen und Job-Centern gemacht, so wie auch ehemalige NSDAP-Mitglieder nach dem Ende des Dritten Reiches in der Altbundesrepublik in ihren Karriereleitern steil nach Oben klettern konnten, wie übrigens in der DDR auch. Da denke ich an Manfred von Ardenne, der in der NS-Zeit mit Werner von Braun zusammengearbeitet hatte oder an den ehemaligen Rennfahrer Manfred von Brauchitsch, der sogar Adolf Hitler die Hände geschüttelt hatte. In der Bundesrepublik war der ehemalige Nazi-Richter Filbinger, der später sogar zum Ministerpräsidenten von Baden Württemberg aufgestiegen war, ein passendes Beispiel von vielen. Leider wurden nach dem Ende der DDR auch viele fähige Leute abserviert, die in der Wirtschaft eines vereinigten Deutschlands ebenfalls gute Dienste zum Wohle der Allgemeinheit hätten verrichten können.
LG. Michael


Michael Brushwood (10.04.2013)

Ach so, noch zurück zu deiner Frage, wieso solche "Biografie-Katastrophen" möglich sind? Meine Vermutung: Weil es nur selten stämmige Eichen, dafür aber mehrheitlich schlappe Gummebäumchen gibt, die beim ersten Stürmchen umknicken oder den Schwanz einziehen und den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Und wer das weiß, bleibt Sieger und kann die Gummibäume manipulieren. Bedauerlich, aber vorläufig wohl kaum zu ändern...

Michael Kuss (09.04.2013)

Gerade deshalb, lieber Wolfgang, hab' ich geschmunzelt, weil ich ahnte, dass deine teil-ironischen Hinweise auch mit schmerzhaften Mundwinkel verbunden sind. Und ich hab' geschmunzelt, weil es mich freut, dass da endlich mal jemand Farbe und nicht herum eiert. Übrigens: Mir musst du nichts erläutern, du rennst offene Türen ein. Ich hab' in meinem Freundes- und Bekanntenkreis genug Ossis, mit denen ich das Thema von verschiedenen Seiten betrachtet und besprochen habe; sowohl Wendehälse und schlappe Gummibäume wie auch standfeste ostdeutsche Eichen mit Charakter. Es gibt nämlich beide Exemplare (obwohl ich nicht weiß, welches überwiegt).

Michael Kuss (09.04.2013)

Hallo Michael und Michael,

ein bisschen tun mir beim Schmunzeln die Mundwinkel weh;

denn einerseits hat sich so mancher einstige "Klassenkämpfer" nach der Wende als Schönredner, Pfeife, Feigling und Versager entpuppt;

aber andererseits hat Deutschland viele gebildete und fähige DDR-Leute (nicht nur gute Köche bei der Stasi, sondern auch Lehrer, Akademiker, Künstler, Sportler ...) auf den Müll verbannt - als Rache für ihr einstiges DDR-Engagement. Es gibt auch wenige Ausnahmen - wie Stanislaw Tillich, vor der Wende Stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz, heute sächsischer Ministerpräsident.

Kurzum: Mein Schluss gibt nicht nur dem Oswald Schuld an seiner heutigen Misere, sondern fragt auch ein wenig nachdenklich: Wie wurden solche Biografie-Katastrophen möglich?


Wolfgang Reuter (09.04.2013)

Auch dieses ist ein Resultat der Deutschen Einheit!
Ein hübsches Schmunzelgedicht!
LG. Michael


Michael Brushwood (09.04.2013)

schmunzel...schmunzel...

Michael Kuss (09.04.2013)

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