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6 Seiten

Schatten

Schauriges · Kurzgeschichten
Da sind Schatten, überall um sie herum. Sie bedrängen sie, zerren an ihrem Schein, ersticken immer mehr von ihrem Licht. Wie gierige Blutegel saugen sie sich an ihr fest.
Sie sitzt an der Bar, lacht und raucht und trinkt.
Da sind Schatten, in ihren Augen, auch in ihrem Blick. Wer weiß wie, der kann sie deutlich sehen, wenn ihr Blick durch die Räumlichkeit schweift. Ihre Augen wirken müde. Überhaupt wirkt sie müde und beim näherkommen bemerke ich, das sie ein wenig älter ist, als man im ersten Moment erkennt. Als ich mich zwei Stühle weiter ebenfalls an die Bar setze, bemerkt sie mich, ihr Blick streift mich. Sie schenkt mir ein kurzes Lächeln, an dessen Rändern Traurigkeit aufblitzt. Ich bestelle ein Glas Rotwein und frage nach Nüssen. Ich rauche nun schon seit vielen Jahren nicht mehr. Sie jedoch qualmt eine nach der anderen. Selbstmord auf Raten, ich kann es ihr nicht verdenken.
Aus der Nähe wird mir immer klarer, das es ihr nicht wirklich gut geht, auch wenn sie nach außen hin so scheint. Sie spielt es für die Welt, setzt sich eine Maske auf. Aber dicht unter der Oberfläche lauert die Müdigkeit und die Traurigkeit und ein zigfach gebrochenes Herz. Mein Wein kommt und die Nüsse, ich danke dem Barmann und bezahle gleich. Dann ziehe ich mein Notizbuch und den Stift aus der Tasche. Ich will heute noch etwas schreiben, meine Gedanke auf Papier bringen. Am besten geht das bei einem Glas Wein an der Bar.

Ihr Blick schweift wieder, streift mich erneut und ich schenke ihr ein kleines Lächeln. Die Schatten in ihren Augen verdichten sich kurz. Ihr Blick schweift wieder von mir fort, sie bestellt einen weiteren Drink, raucht noch eine weiter Zigarette.

Sie hat nicht nur Schatten um sich herum und in ihren Augen. Da sind auch Schatten in ihr, in ihrem vernarbten, zu oft verwundetem Herzen und auf ihrer müdegelebten Seele. Ihre Maske schafft es nicht mehr ganz ihr Inneres zu verbergen. Die Welt hat sie enttäuscht und das Schicksal ihr vermutlich übel mitgespielt. Die Traurigkeit darüber schimmert durch die Maske, auch ihre innere Erschöpfung und die lähmende Müdigkeit, die sich in ihrem Herzen breitgemacht haben, scheinen schon durch die Maske. Die Maske ist als eine solche zu erkennen, ihr Lachen eine Spur zu laut, ihr Lächeln eine Spur zu kalt, ihre Hände sind wie kleine Vögel. Sie flattern umher und suchen beständig etwas, womit sie sich beschäftigen können. Sie offenbaren eine Unsicherheit, die sich langsam in ihr Wesen gefressen hat, eingeimpft von andren, scheinbaren freundlichen Mitmenschen, die ja immer nur das beste für einem wollen. Letzteres ist natürliche eine Lüge, aber bis man diese Lüge erkennt, haben sie einem oft schon ihr Gift eingeflösst. Es ist nicht einfach dieses Gift wieder loszuwerden und wenn man es nicht schafft, wird man selber zur Giftfabrik und flösst das eigene dann anderen ein. Oder man zerbricht an dem Gift der anderen und dann verschlingen einem die Schatten. Sie sind überall, um uns, in uns und sie gieren stetig nach dem bisschen Licht in uns. Ich kann die Schatten sehen, andre können dies sicherlich auch. Aber ich hab mit noch niemanden darüber gesprochen. Warum auch? Mir können sie schließlich nichts mehr antun, diese Schatten. Im Gegenteil, für mich sind sie so etwas wie Verbündete.

Ich betrachte sie, diese Frau, die hier in der Bar Kleidung trägt, die einer etwas jüngeren Frau bestimmt gestanden hätten. Jedoch an ihr, dieser nicht mehr ganz schlanken, Mitvierzigerin, die zu viel raucht und zu viel trinkt und deren Gesicht so verlebt ist, dass auch die dicke Schicht an Make Up und Puder die Versehrtheit darin übertünchen können, nun an dieser Frau wirkt diese Kleidung, als gehöre sie nicht hinein. Als wäre es eine Verkleidung, die nur verbergen soll, was sich darunter befindet.

Sie bekommt ihren nächsten Drink und leert ihn mit einem einzigen Schluck fast zur Hälfte. Bei mir hingegen leert sich das Glas Wein nur sehr langsam. Ich bin nicht hier um mich zu betrinken, von daher nippe ich nur an dem Getränk. Nun jedoch bestelle ich mir ein Wasser. Ich habe Durst und ich trinke niemals Alkoholisches gegen den Durst. Das ist nicht gesund, außerdem will ich später noch bei klaren Verstand sein. Es gibt noch etwas zu tun für mich. Nun jedoch sitze ich an der Bar, nippe an meinem Wein, knabbere hin uns wieder eine der Nüsse, lösche meinen Durst mit Wasser und schreibe meine Gedanken in mein Notizbüchlein. Außerdem beobachte ich die Gäste, die Kellner, die Kommenden und die, die nach Hause gehen und natürlich beobachte ich auch sie, die mit mir an der Bar sitzt, zwei Stühle weiter und die Schatten, die sich um sie drängen. Sie nimmt einen Drink nach dem anderen und qualmt dabei. Ihr Blick huscht herum und in den Rändern ihrer Augen offenbart sich stille Verzweiflung. Ab und zu scheint sie jemand zu erkennen und grüßt sie. Tatsächlich setzen sich zwei Frauen eine zeitlang zu ihr an die Bar, trinken und rauchen und lachen mit ihr zusammen. Dieses Lachen wirkt ehrlich, doch ihres ist eine Spur zu rau, zu laut. Schließlich erheben sich die beiden und verlassen den Ort. Sie wollen nachhause. Sind müde, sagen sie, doch ich glaube, dass sie nur einen Vorwand suchen um zu gehen. Die beiden gehen, doch sie, sie bleibt zurück, alleine an der Bar, zündet sich die nächste Zigarette an und bestellt noch einen Drink.

Irgendwann, es ist weit nach Mitternacht, die Bar wird bald schließen und ich überlege gerade, ob ich mit meinen Gewohnheiten brechen und tatsächlich noch ein drittes Glas Wein bestellen soll, da kramt sie in ihrer Handtasche herum, zieht schließlich ihre Geldbörse hervor und winkt dem Kellner. Nachdem sie ihre Zeche bezahlt hat, trinkt sie ihren letzen Drink leer, drückt ihre Zigarette aus und erhebt sich leicht schwankend. Mit etwas unsichern Schritten verlässt sie die Kneipe und wendet sich nach rechts. Offenbar will sie zur Bushaltestelle, die nicht sehr weit entfernt ist. Ich lächle leise und packe mein Notizbuch ein und genieße den letzen Schluck Wein, dann erhebe ich mich und besuche noch die Toilette. Erst dann verlasse auch ich die Kneipe und folge ihr. Wie erwartet ist sie bis zur Bushaltestelle gewankt und wartet nun dort an dem zugigen Unterstand. Es ist kühl geworden und der Wind hat eine eisige Note bekommen, doch ich glaube die zieht nicht nur deswegen ihre Jacke fester um sich. Ich glaube sie spürt die Schatten, die sich noch mehr um sie herum verdichtet haben und sich an dem letzten kleinem Funken Licht in ihr laben.

Als ich zu ihr gehe verdichten sich meine eigenen Schatten, aber mir können sie schon längst nichts mehr antun. Ich lächle und sie, die meine Schritte gehört hat und nun aufsieht, bezieht dieses Lächeln auf sich. Ich lasse sie in dem Glauben und amüsiere mich darüber, dass sie zurücklächelt.
Der Bus, übrigens der letzte an diesem Abend, würde frühestens in einer halben Stunde hier halten und dankenswerter Weise ist die Straßenlaterne, die hier in der Nähe stand ausgefallen, so das die Bushaltestelle nur noch von der Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite beleuchtet wird und so im düsteren Halbschatten liegt. Zudem ist zu dieser Zeit selbst hier in der Stadt kaum etwas los. Die Straße ist wenig befahren und auf dem Bürgersteig sind im Moment auch keine Leute zu sehen.
Mein Lächeln wird breiter, der Ort wird genügen, zumindest für den ersten Schritt. Für alle folgenden Schritte weiß ich bereits einen Ort, der besser geeignet ist.
Mit einem freundlichem Lächeln wende ich mir ihr nun ganz zu uns spreche sie endlich an.
“Entschuldigen sie Madam, wenn ich sie so dreist anspreche, aber sie sind mir schon den ganzen Abend über aufgefallen. Ich bin noch nicht so lange hier in Deutschland und kenne mich noch nicht so gut aus. Vielleicht möchten sie mir helfen?”
Etwas schüchtern und benommen blickt sie auf und lächelt zaghaft. Mein lange geübter, französischer Akzent tut seine Wirkung. Sie fühlt sich sofort geschmeichelt und gibt mir vertrauensvoll die Hand.
“Natürlich helfe ich ihnen, sehr gerne sogar. Mein Name ist übrigens Margit.”
Ganz französischer Gentleman, den ich hier gebe, nehme ich galant ihre Hand und drücke einen hauchzarten Kuss auf deren Rücken. Aus der Nähe kann ich nicht nur ihr Parfüm riechen, sondern auch den Verfall, den es kaschieren soll. Ich lächle.
“Mein Name ist Jackob…. aber meine Freunde nennen mich auch gerne Jack.”
Ein kurzes Grinsen huschte über mein Gesicht. Mein Herzschlag beschleunigt sich, nun da es wirklich begonnen hat und die Schatten verdichten sich um uns herum.

Zwei Abende später sitze ich wieder in einer kleinen Kneipe, aber nicht in der selben. Dort werde ich sobald nicht wieder hingehen. Auch hier sitze ich wieder an der Bar und habe neben einem Wasser auch ein Glas Wein stehen, Rotwein und natürlich Knabbernüsse. Ich liebe diese Dinger einfach. Mein Notizbüchlein habe ich auch dabei, aber noch nicht hervorgeholt. Hinter der Bar hängt ein Fernsehgerät an der Wand, das für gewöhnlich den Sportsender zeigt, aber auf Wunsch wird auch mal der Sender gewechselt. Im Moment laufen Nachrichten und die haben meine Aufmerksamkeit.
Die Frau hinter der Bar stellt gerade den Ton lauter, offenbar ist sie ebenfalls interessiert. Auch um diese schlanke Frau hat es Schatten, auch in ihren Augen lauern welche…. aber sie kommen nicht wirklich an sie heran. Ihr Licht ist trotz der harten Prüfungen, die sie bisher durchlitten hat, stark und hell geblieben. Sie ist keine Verlorene und daher interessiert sie mich nicht wirklich.
Wohl aber interessieren mich nun die Nachrichten.

Eine adrett gekleidete, schlanke, blonde Reporterin blickt gerade ernst in die Kamera.
“Der Schlächter hat wieder zugeschlagen,” beginnt sie mit gewichtiger Stimme, “und versetzt erneut die Stadt und ihre Umgebung in Angst und Schrecken. Heute morgen wurde erneut die schrecklich zugerichtete Leiche einer Frau gefunden. Ein Jogger entdeckte heute frühmorgens als erster die aufgeschlitzte und verstümmelte Leiche im Stadtpark, nahe des Sees. Laut den Berichten weiterer Augenzeugen war die arme Frau, wie auch schon die anderen Opfer des Schlächters, zwischen zwei Bäumen hängend und ganz offenbar fachmännisch ausgeweidet und ausgeblutet aufgefunden. Der junge Mann rief sofort die Polizei, ist aber im Moment noch nicht bereit mit der Presse zu sprechen. Er steht angeblich auch unter Schock und wird daher ärztlich behandelt. Bei dem Opfer handelt es sich um die arbeitslose Verkäuferin Margit Weber, die noch am Abend zuvor in ihrer Stammkneipe von zwei Freundinnen lebend gesehen worden ist. Offenbar lauerte ihr der Mörder auf dem Heimweg bei der Bushaltestelle in der Eckerstraße nahe eines großen Supermarktes auf, überwältigte die arme Frau und verschleppte sie in den nahen Stadtpark, wo er sie auf brutalste Weise tötete.
Wer ist diese Bestie, die diese armen Frauen nicht nur auf schreckliche Art um ihr Leben bringt, sondern sie auch noch auf so grausame Art verstümmelt und ihres Blutes beraubt?
Wozu nimmt der Schlächter immer das Blut, die Herzen und meist auch die Leber und Nieren seiner Opfer mit? Was will er damit? Haben wir es gar mit einem verrücktem Kannibalen zu tun?
Hierzu habe ich nun Polizeisprecher Klaus Krause hier. Herr Krause, können sie mir und den Menschen dieser Stadt etwas darüber sagen?”

Während der Polizeisprecher seine üblichen Floskeln und die üblichen Vorsichtsmassnahmen herunterbetet, wird meine Aufmerksamkeit von dem Bildschirm abgelenkt, denn die Tür der Kneipe hatt sich geöffnet. Herein tritt eine schlanke, ganz ins schwarz gekleidete, elegant wirkende Frau mittleren Alters. Und überall um sie herum sind Schatten, dichte dunkle Schatten, die sich um sie herum drängen. Meine Augen weiten sich kurz. Da sind nur Schatten, aber sie bedrängen sie nicht, sie schmeicheln ihr. Außerdem gibt es kein bisschen Licht mehr in ihr. Ihr dunkler Blick schweift kurz und bedacht durch den Raum und bleibt schließlich an mir hängen. Kurz mustert sie mich, dann glimmt einen winzigen Moment ein unseliges Licht in ihren Augen auf. Breit lächeln kommt sie direkt auf mich zu und begrüßt mich als wären wir alte Freunde, obwohl wir uns bisher noch nie über den Weg gelaufen sind. Meine feine Nase nimmt ihr edles Parfüm wahr und den darunterliegenden, mystischen, leicht animalischen Duft, der uns zueigen ist. Ich lächle ihr breit entgegen. Ich freue mich eine meiner Art zu sehen, da sich unsereins leider viel zu selten trifft.
Sie setzt sich neben mich und bestellt Rotwein und Wasser.
Als sich an einem der Tische einer der Stammgäste lautstark über die Nachrichten und den Mörder auslässt und der Rest der Anwesenden mit einfällt, nutze ich den Radau um meine Gegenüber leise nach ihrem Namen zu fragen. Sie lächelt mich charmant an und ich bemerke, dass sie wohl älter ist als ich.
“Ich bin Elisa,” antwortete sie leise mit weicher Stimme, “oder genauer gesagt Elisabeth… Báthory.” Sie blinzelt mich verschwörerisch an. “Und darf ich auch fragen, wer du bist?”
Jetzt grinse ich breit.
“Mein Name ist Jackob. Freunde nannten und nennen mich auch gerne Jack.” Ich grinse breit, beuge mich zur sogenannten Blutgräfin hinüber und fahre leise fort. “Und London, ja London nannte mich einst -The Ripper-!”
Ich weiche zurück und proste ihr zu. Sie erwidert mein Grinsen, ihre Augen funkeln.
“Ich wusste doch, dass ich diese Handschrift kenne,” lacht sie leise, “und, mein lieber Jack, haben sie Hunger?”
Miene Antwort besteht in einem breiten Grinsen, das meine Fänge entblößt.
“Ich habe immer Hunger, werte Gräfin!”
Und die Schatten verdichten sich um uns herum…..


©Anariel 12.01.2014
 
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Kommentare  

Uii... ein Kommentar!

Es freut mich, dass dir die kleine Geschichte so gut gefällt, Daniel Freedom. Und ich bedanke mci für dein Kompliment.

Liebe Grüße dir


Tis-Anariel (17.01.2014)

Hat mir gut gefallen. Sehr gut geschrieben!

Daniel Freedom (16.01.2014)

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