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4 Seiten

Damals 7. Kapitel

Romane/Serien · Erinnerungen
© axel
7. Kapitel
Die folgenden Erlebnisse ereigneten sich etwas später. Sie beginnen um 1875 noch vor dem ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) und handeln von den Urgroßeltern, Großeltern und Verwandten väterlicherseits, die im damaligen Pommern (Westpommern) einer weiteren Provinz des preußischen Staates unter Kaiser Wilhelm II. in der Nähe von Stettin und Stargard und zwar im damaligen Wulkow lebten.
Stargard liegt in Hinterpommern am Nordrand des fruchtbaren Pyritzer Weizackers am linken Ufer des Flusses Ihna (Ina) und ist eine der ältesten pommerschen Städte. Dort in der Nähe - genau genommen in der Nähe von Wulkow - hatte der einfache Bauer Hubert Usterich seine Weideflächen, Kornfelder, Ställe und ein stattliches Bauernhäuschen.
Sieben Kinder hatte ihm seine Frau Gerda geschenkt. Keines war ihm gestorben. Das war ein großes Glück. Sechs Buben waren es und nur ein Mädchen. Das Mädchen musste bereits im zarten Kindesalter (vier Jahre) bei der Hausarbeit helfen, die Jungs draußen dem Vater auf dem Feld zur Hand gehen. Dadurch sparte sich Hubert Usterich die Knechte ein.
Er war glücklich zu schätzen. Die anderen Kleinbauern in seiner Umgebung beneideten ihn dafür, denn sie mussten sich Knechte und Mägde halten, weil die meisten ihrer Kinder spätestens nach dem zweiten Lebensjahr verstorben waren.
Die Jungs arbeiteten für ihren Vater so schwer, dass einige von ihnen schon frühkindliche Schäden davon trugen. Waren die Kinder mal nicht schnell genug, gab es was „hinter die Ohren“ wie man das nannte. Soll heißen der Vater teilte Schläge aus, mal weniger hart, mal auch ganz kräftig. Er hatte keine Zeit um genauer hinzuschauen wo er da nun hinschlug.
Das war damals durchaus üblich. Die Leute hätten dumm geschaut, wenn er seine Buben nicht körperlich gezüchtigt hätte.
Man muss dazu noch bedenken, dass die Menschen damals gewöhnt waren einem willkürlichen Staatssysthem ausgeliefert zu sein, dem Adel, und ganz oben dem Kaiser bedingungslos zu gehorchen hatten. Selbst die Großbauern hatten damals eine ungeheure Macht. Die Folter war erst 1815 abgeschafft worden und die Schuldtürme, in dem jene Leute landeten, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, gab es noch lange bis etwa 1868. Die Meinungsfreiheit exestierte erst so ein bisschen seit 1848, seit man gewagt hatte revoltieren.
Der Starke befahl immernoch höchst brutal und der Schwächere hatte zu gehorchen ohne zu protestieren und das musste er schon von klein auf lernen, damit er nirgendwo aneckte, weil es sonst sogar lebensgefährlich für ihn werden konnte.
Kleinbauer Hubert Usterich war also sehr stolz auf „seine braven Jungs“ wie er sie nannte, denn sie hielten die Schnauze und arbeiteten vom Morgengrauen bis zur Dämmerung für ihn. Dass Kinderarbeit eines Tages verboten sein würde, diese Vorstellung hätte sämtlichen Leuten der damaligen Zeit und - zwar sogar global - ein ungläubiges Grinsen entlockt, denn dafür schaffte man sich ja schließlich die Kinder an. Auch waren sie dazu da, einen später zu versorgen, wenn man alt und schwach war.
Genauso hart hatte die kleine Tochter, die auch noch das jüngste Kind war, in Haus und Hof zu helfen. Was eine gute Schule für sie war, denn anderes würde sie ja letztendlich als erwachsene Frau später auch nicht tun. So mistete die Kleine zum Beispiel je älter sie wurde die Ställe aus, fegte den Hof, besserte die Kleidung der Jungs aus, melkte die Kuh, holte Wasser aus dem Brunnen und so weiter und sofort.
Zeit fürs Spielen gab es bei dieser Kinderschar kaum. Manchmal ergriff Alois der jüngste Sohn einen Bleistift und zeichnete den Hof und die Kühe. Man war verdutzt, denn Alois konnte alles fotografisch genau zeichnen. Auch hatte er einen ungeheuren Farbensinn. Immer wenn Geburtstag war und die Tanten und Onkel, Nichten und Kusinen von weit her angereist kamen - denn endlich konnte man mal Kuchen essen, was eine seltene Köstlichkeit war - , porträtierte Alois sie wenig später.
Er zeichte alle so typisch, dass man sich wiedererkannte. Die Verwandtschaft war erstaunt und man fragte sich, was will der Bub denn mit diesem unnützen Talent? Er würde später sein Dasein auch nur als Knecht fristen können. Wenn er Glück hatte konnte er bei seinem Bruder auf dem Hof arbeiten. Alois war darüber zwar ein wenig traurig, aber er ließ sich nicht beeinflussen. Er sparte sein knappes Geld, das er sich auf anderen Höfen verdienen durfte, immer wenn er Zeit dafür von seinem Vater bekam, und er kaufte sich schließlich einen Malkasten.
Alois hielt die ländliche Umgebung in eindrucksvollen Bildern fest. Jeder staunte der das sah, aber man schüttelte trotzdem den Kopf über ihn, denn was sollte Alois Vater mit solchen Bildern anfangen? Man bedauerte schließlich Hubert Usterich, dass er solch einen seltsamen Sohn geboren hatte, der eine merkwürdige Fähigkeit besaß, wie etwa eine Verrücktheit.
Eines Tages war der Vater so zornig über die üblen Gerüchte, dass er seinem Sohn den Malkasten entriss und zertrümmerte. „Arbeiten sollst du, du Esel und nicht Flausen im Kopf haben!“, brüllte er ihn an und gab ihm eine schallende Ohrfeige. „Aber Vater“, schluchzte der Junge, vielleicht kann ich eines Tages damit sehr viel Geld verdienen!“
Alois, so hieß es später, soll künstlerisch hochbegabt gewesen sein, aber er fügte sich und arbeitete wieder nur als Knecht. Später im ersten Weltkrieg, wurde er Soldat und starb auf dem Schlachtfeld.
Es war klar, dass Bruno Usterich eines Tages den Hof erben würde. Er war zwar der Älteste, jedoch zum Kummer seines Vaters nicht der Stärkste. Sehr dünn war er und klein und auch wenn er sich viel Mühe gab, stark und männlich zu wirken, behielt er doch sein helles Piepsstimmchen. Bruno war Frauen nicht zugeneigt, aber er mochte seine kleine Schwester sehr gerne.
Julius hingegen, war zwar auch recht schmal gebaut und sah ebenfalls so ganz und gar nicht nach einem typischen Bauernjungen aus, hatte aber großes Interesse an Frauen und eine dunkle tiefe Stimme. Wenn es zur Dorfschule ging und die anderen nur Unsinn machten, weil sie gerne in Feld, Wald und Wiese herum tobten, konzentrierte er sich lieber auf das, was er gerade gelernt hatte und begann noch einmal still alles für sich zu wiederholen. Sein kleiner Kopf sagte ihm, wenn ich im Untericht nicht aufpasse, kann ich vielleicht später nichts anderes werden, als nur ein Knecht meines Bruders und das will ich nicht.
Da er überhaupt nicht lernunwillig war, wie die übrigen zappeligen Landkinder, hatte er bald das Lernziel seiner Klasse erreicht und konnte sogar anderen Kindern helfen. Das tat er sehr geduldig und zeigte bereits ein frühes Talent andere zu führen und anzuleiten. Er wurde schließlich zu einer sehr guten Unterstützung des Lehrers. Herr Köchner brauchte ihm niemals mit dem Rohrstock auf die Finger zu schlagen. Julius machte alles sofort. Schnell hatte er sämtliche Klassen der Dorfschule übersprungen (es gab nur sechs Sitzreihen, die je eine Klasse darstellten) und der Lehrer hätte ihn frühzeitig entlassen können, doch Julius war für ihn wichtig und so konnte sich der Junge noch ein Weilchen vor der langen und schweren Feldarbeit drücken.
Schon früh dachte Julius darüber nach, was er wohl am Besten später einmal werden könnte, ohne sich derart einschüchtern zu lassen, wie der jüngste Bruder. Er wollte wenig über seine Träume reden, um seinen Vater nicht zu erzürnen und dafür hart kämpfen, um sie zu verwirklichen, denn er kannte nur ein Ziel, raus hier, nicht mehr auf dem Lande leben, ein Städter in feinen Kleidern werden.
Stundenlang übte er, selbst bei halb herunter gebrannter Kerze und auch wenn alle bereits schliefen, zu schreiben, um dadurch eine noch schönere Handschrift zu erlangen. Alles was er nur lesen konnte, las er und wenn es nur kleine Werbezettelchen waren und gab es neue Bücher in der Biliothek seines alten Lehrers, las er sie ruhig auch fünfmal durch, selbst wenn sie uninteressant waren, um sich an ein rascheres Lesen zu gewöhnen und ganz nebenbei verbesserte er seine Aussprache.

Fortsetzung folgt:
 
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