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11 Seiten

Mortal Sin 2006- Blurred Reality

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Du kannst die Realität ignorieren, aber du kannst nicht die Konsequenzen des Ignorierens der Realität ignorieren.
- Ayn Rand


In der warmen, würzigen Luft des Sommers lag der unverkennbare Duft von Gefahr und Kriminalität, der es unter ihrer Haut vor Spannung und freudiger Erwartung kribbeln ließ. Gierig inhalierte sie mit jedem Atemzug die besondere energetische Atmosphäre, welche ihr trotz der anhaltenden hohen Temperaturen eine Gänsehaut bescherte.
Sie befand sich im nördlichen Teil der Stadt; einer verrufenen Gegend, in die sich die brave Bevölkerung Saint Berkaines kaum verirrte. Grausame Kreaturen, Gesetzlose und Ausgestoßene, also der gesamte Abschaum der Gesellschaft, verkehrten in den Straßen und zahlreichen Bars, die sich aneinanderreihten.
Wenn man die Anwesenheit von solch verschlagenen und hinterhältigen Menschen nicht ge-wöhnt war, dann wurde man durch die Wucht der menschlichen Sünden von den Füßen gerissen und in einen tiefen, modrigen Sumpf gezogen, aus dem es kein Entrinnen gab.
Hier existierte keine Moral; kein Anstand, stattdessen herrschte purer Egoismus, Chaos und Brutalität. Es war genau die richtige Gegend für ihre Kollegen und sie, die mal mehr, mal weniger, Gäste in diesem düsteren Viertel waren. Immerhin war alles Vergnügliche an jeder Ecke mit Leichtigkeit zu erwerben: Waffen, Drogen, Alkohol und Sex. Man hatte die Qual der Wahl an allem erdenklich Illegalen, woran man sich erfreuen konnte und das einem das Herz höher schlagen ließ.
Ophelia Cecilia Dahlia Monroe flanierte schwärmerisch auf schwindelerregend hohen High Heels zu einer Bar namens Parasite, gefolgt von Brolin Delaney, der, seitdem sie ihren Wa-gen verlassen hatten, bedacht darauf war eine Distanz von zwei Metern zu ihr zu halten. Beim Gedanken an das merkwürdige Verhalten ihres Kollegen schlich sich ein verwegenes Schmunzeln auf ihre vollen Lippen.
Mit Brolin hatte sie, während ihrer ganzen Zusammenarbeit, gerade Mal ein paar Sätze ge-wechselt, die sie an zwei Händen abzählen konnte. Für sie war seine extreme Schüchternheit unerklärlich und befremdlich, dennoch hatte er etwas Angenehmes an sich. Zwar war er nicht gerade der Klügste, gelinde gesagt, aber er hielt seine Klappe und ging ihr nicht permanent auf die Nerven. Sie hatte ihre Ruhe und konnte sich mit sich selbst und ihrem Auftrag be-schäftigen, statt sich mit den nichtigen Anliegen und Problemen eines Kollegen herumschlagen zu müssen. So wie heute Abend.
William hatte Brolin und sie losgeschickt, um einen neuen Auftraggeber zu treffen. Ophelia sollte dabei die Kontaktaufnahme und Verhandlungen übernehmen, da der Typ expliziert nach ihr als Killerin gefragt hatte, während ihr stiller Kollege bloß als Begleiter fungieren würde. Für sie war diese Maßnahme absolut überflüssig und Verschwendung von kostbaren Ressourcen, denn Brolin konnte in jener Zeit genauso gut eine Zielperson töten und Geld verdienen, anstatt wie ein Klotz an ihrem Bein zu hängen.
Sich zu beschweren zeigte bei William Cunningham jedoch selten Wirkung, daher hatte sie sich dafür entschieden sich gar nicht erst die Mühe zu machen zu widersprechen und war mit Brolin losgezogen.
Gedankenversunken ging die Brünette weiter und kam der gesuchten Bar stetig näher, die von Außen genauso heruntergekommen und schmutzig aussah, wie die Gebäude um sie herum. Alles hatte ein ganz spezielles, surreales Aussehen, das unecht, bizarr und überspitzt wirkte, wie der Schauplatz eines Schwarz-Weiß Comics. Ja, die Nordstadt Saint Berkaines war eine andere Welt; ein Paralleluniversum, das neben der Realität der gesetzeskonformen Bewohner existierte. Eine Welt, in der das Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung vorherrschte. Eine Welt, in der man der Überzeugung war, dass hier niemals die Sonne aufging und es hell wurde, denn die Dunkelheit hatte das Viertel fest im Griff und schnürte einem die Kehle zu.
Auch Ophelia spürte manchmal diese Beklommenheit, wenn sie hier unterwegs war, doch schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle und stellte ihre mentale Stärke über das erniedrigende Gefühl der Schwäche. Sie duldete dieses schlicht und ergreifend nicht, sowohl bei sich selbst, als auch bei ihren Mitmenschen. Schwäche ekelte sie einfach an.
Sie schüttelte sich, ehe sie vor dem Eingang des Parasite zum Stehen kam und darauf wartete, dass Brolin zu ihr aufschloss.
„Bist du soweit, Delaney?“, fragte sie ihn tonlos, als er neben ihr auftauchte. Wie erwartet, nickte er ihr bloß stumm zu und vermied es ihr dabei in die Augen zu sehen.
„Dann lass uns loslegen.“ Ophelia ging voran und betrat die gut besuchte Bar. Kaum hatte sie einen Fuß hineingesetzt, da traten ihr die ersten Schweißperlen auf die Stirn. Es war unsagbar stickig und heiß, sodass sie froh war nur mit einem silbernen, tief ausgeschnittenen Glitzerminikleid bekleidet zu sein.
Natürlich zog sie mit ihrem äußerst freizügigen Outfit, was kaum etwas der Fantasie übrig ließ, alle Blicke auf sich, was sie in vollen Zügen genoss. Ihr war es völlig gleichgültig, dass vermutlich alle Besucher der Bar sie für eine Prostituierte hielten. Erhobenen Hauptes stolzierte sie direkt zum Tresen der Bar und fragte den Barkeeper nach ihrem Auftraggeber, denn so hatte es William mit ihm am Telefon besprochen. Jener deutete auf abseits gelegene Sitzgruppe, in der sie einen Mann erblickte, der halb im Verborgenen saß.
Sein Name war Franklin Palmer und bereits der erste Blick auf ihn verriet ihr, dass er ein recht merkwürdiger Kerl war. Er strahlte etwas aus, das ihr Misstrauen weckte und ihren In-stinkt in Alarmbereitschaft versetzte.
Fast schon überfordert saß er einsam in der Nische und schaute sich die übrigen Gäste der Bar an, die sich voll laufen ließen und ausgiebig vergnügten. Ihm schien das Dasein der vielen anderen Menschen nicht geheuer zu sein. Die Brünette schätzte ihn daher als einen Einzel-gänger ein; als ein Typ, der nicht oft raus kam. Nicht zum ersten Mal stellte sie sich in diesem Moment die Frage, aus welchen Löchern diese Typen immer wieder wie die Kakerlaken krochen, um den Weg zu William zu finden und die Dienste seiner Killer in Anspruch zu nehmen.
„Ich gehe rüber und wickle das Geschäft ab, Delaney. Die Sache wird nicht lange dauern“, wandte sie sich an ihren schwarzhaarigen Kollegen, der mal wieder nur zu einem Kopfnicken im Stande war. Ophelia rollte entnervt mit den Augen. „Setz dich einfach an die Bar und genehmige dir ein paar Drinks. Der Erste geht auch auf mich.“ Sie fischte einen Zwanzigdollarschein aus ihrer Dior Clutch und drückte ihm diesen in die Hand, bevor sie ihr langes Haar energisch hinter ihre Schultern warf und sich hüfteschwingend zu Franklin Palmer begab.
Meter um Meter näherte sie sich ihm und erregte seine Aufmerksamkeit. Seine Augen richte-ten sie auf sie und inspizierten sorgfältig ihren jungen, sexy Körper. Mein Gott, Männer waren alle gleich!
Als sie schließlich bei ihm ankam und vor ihm positionierte, sprang er plötzlich hektisch auf und versuchte sein zerknittertes beigefarbenes T-Shirt zu glätten. Er war ein verflucht kleiner Mann. Sie schätzte ihn auf nicht mehr als 1,70m, aber seine Statur war kompakt und muskulös. Der ungepflegte Dreitagebart und der katastrophale Haarschnitt, den er sich sicherlich selbst verpasst hatte, schrien ihr lautstark und demonstrativ entgegen, wie wenig Niveau und Selbstachtung er besaß.
„Sie müssen Ophelia Monroe sein“, begrüßte er sie und streckte ihr seine rechte Hand entgegen, die sie umgehend ergriff.
„Ich bin momentan die einzige anwesende Frau und komme auch noch direkt auf Sie zu und Sie erkennen mich unverzüglich als Ophelia Monroe. Unglaublich, was für eine Kombinati-onsgabe Sie besitzen!“, zog sie ihn ohne Hemmung auf und machte unmissverständlich klar, dass sie sich von Höflichkeiten nicht einwickeln ließ.
Ihr Metier war ein hartes Pflaster, da gab es keinen Platz für Schmeicheleien und förmliches Gehabe. Und nur, weil sie eine Frau war, musste ihr Gegenüber nicht glauben, dass er sie verarschen könne.
„Ähm…danke“, stammelte er perplex, da er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Die Killerin schürzte abfällig die Lippen und hatte kein großes Interesse daran sich mit diesem offen-sichtlichen Schwächling und Versager zu unterhalten, doch er hatte einen Auftrag für sie und deshalb musste sie sich fügen.
„Sie haben sich bei meinem Boss gemeldet, um einen Mord in Auftrag zu geben“, leitete sie das nachfolgende Gespräch ein, das hoffentlich nicht allzu lange dauern würde.
„Genau.“ Er wartete ab, bis sie sich gesetzt hatte, ehe er sich selbst neben sie niederließ. Nervös knetete er seine Hände, was ihren Eindruck, dass er sich unwohl fühlte, nur noch ver-stärkte.
„Und Sie haben ausdrücklich darum gebeten, dass ich mich mit Ihnen treffe.“
„Das ist ebenfalls korrekt.“
„Ich bin allerdings nicht alleine gekommen, Mr. Palmer. Ich bin in Begleitung eines Kollegen.“ Ophelia deutete demonstrativ auf Brolin, welcher gelangweilt mit einem Glas Whiskey vor sich am Tresen der Bar hockte.
„Warum sind Sie nicht alleine gekommen?“, fragte er in einem Ton, der sie ihre Ohren spitzen und ihre Skepsis ihm gegenüber anwachsen ließ.
„Seine Anwesenheit ist für das Geschäftliche nicht relevant.“ Die brünette Killerin kehrte rigoros zum eigentlichen Grund ihres Treffens zurück, da sie nicht ihre kostbare Lebenszeit an diesen Kerl verschwenden wollte. Außerdem war sie nicht gekommen, um sich rechtfertigen zu müssen. „Also, kommen wir endlich zur Sache und Sie sagen mir, was ich für Sie tun kann, Mr. Palmer.“
Für ihn war ihr Tempo irritierend und schien ihn regelrecht zu überfordern, denn sie konnte es hinter seiner Stirn rattern sehen. Schon wieder ein Mann mit Spatzenhirn!
„Lassen Sie mich raten: Ich soll jemanden für Sie töten“, kam sie ihm zuvor, da sie die Warterei satt hatte.
„Ja, deswegen sind Sie hier, aber…“
„Aber was?“
„Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich mich für mein Anliegen an die Richtigen gewandt habe.“
„Wie bitte?“, erreichte ihre Stimme vor Empörung und Fassungslosigkeit unnatürlich hohe Frequenzen. „Wie zur Hölle kommen Sie dazu meine Kollegen und mich in Frage zu stellen? Verdammt, wir sind die Besten unseres Fachs.“ Ophelia Monroe fühlte sich von ihm aufs Gröbste beleidigt, dabei war er ein Niemand; ein schwaches Männchen ohne Rückgrat.
„Nun ja, Sie machen auf mich einen sehr impulsiven, aggressiven und gewissenlosen Ein-druck, Miss Monroe.“
„Was haben Sie denn erwartet, Mr. Palmer? Eine gehorsame und zurückhaltende Frau? Haben Sie mich aus diesem Grund für den Auftrag angefragt? Glauben Sie etwa, dass Sie in diesem Metier mit einer Frau besser bedient sind, weil Frauen in Ihren Augen das emotionalere und moralischere Geschlecht sind?“ Zwar öffnete ihr Gegenüber den Mund, aber sie fuhr aufgebracht dazwischen.
„Wenn Sie die ernsthafte Absicht hatten gute Menschen unter einer Gruppe Auftragskiller zu finden, dann sind Sie vollkommen naiv und fern der knallharten Realität. Meine Kollegen und ich sind risikobereite und sich an Qualen ergötzende Gemüter. Wir sind Sadisten, Narzissten und Mörder, wie es sich gehört und wohl kaum jemanden überrascht, mit Ausnahme von Ihnen“, beendete sie ihre wütende Rede. Anschließend förderte sie eilig eine Zigarette zu Tage, zündete diese an und gönnte sich drei kräftige Züge.
Es herrschte zunächst eine unheimliche Stille, bis er sich zu Wort meldete.
„Es tut mir aufrichtig leid, Miss Monroe. Ich wollte Sie weder beleidigen, noch Ihr Können und Sie als Person kritisieren. Dies steht mir auch nicht zu. Ich bin einfach angespannt“, gab er freimütig zu. „Ich bin das erste Mal in dieser Gegend unterwegs und habe mit Auftragskillern zu tun. Ich hoffe, dass Sie mir das zu Gute halten und mir verzeihen.“ Ihrer Meinung nach versuchte er sich bloß schmierig und einschmeichelnd aus der Affäre zu ziehen, denn in seinen hellbraunen Augen machte sie unverkennbar einen Funken von Häme und Unaufrichtigkeit aus. Dieser Mann wurde ihr immer suspekter.
„Ich nehme Ihre Entschuldigung an, Mr. Palmer“, kam es von ihr übertrieben freundlich und mit einem reizenden Augenaufschlag. „Ich habe Verständnis dafür, dass diese Situation neu und überfordernd für Sie.“ Sie legte so viel Verachtung in ihre Stimme, wie es ihr möglich war.
„Ich schlage vor, dass wir die Sache vergessen und über die Details Ihres Auftrags sprechen, denn ich gehe davon aus, dass Sie nun keine Zweifel mehr an meinen Kollegen und mir haben.“ Ophelia schaute Franklin bedrohlich und düster an, um ihn davor zu warnen noch ein einziges Mal Kritik an ihr zu üben.
„Nein, ich habe keine Zweifel mehr, Miss Monroe. Wir können den Auftrag besprechen, doch was ist mit Ihrem Kollegen? Langweilt er sich denn nicht, wenn er so lange alleine an der Bar sitzen muss?“, äußerte er verdächtig. Es hatte den Anschein, als wolle er Brolin unbedingt loswerden, aber warum?
„Ich denke er kommt zurecht.“ Mit einem belustigten Grinsen schaute sie zu Brolin Delaney herüber und würgte sein verstecktes Vorhaben ab. Ihr Gesprächspartner folgte ihrem Blick.
Mittlerweile war ihr Kollege leicht angetrunken und hantierte in diesem benebelten Zustand gedankenlos mit seinem Taschenmesser, das er ständig mit sich trug, herum, als sei es ein harmloses Spielzeug.
Unverständlich und fast schon entsetzt schüttelte Franklin Palmer den Kopf, ehe er sich wie-der an sie wandte.
„Wissen Sie eigentlich, dass Sie beide nicht ganz normal sind?“
„Na und? Normal zu sein, ist doch langweilig“, äußerte sie stolz darauf, anders zu sein, als die Durchschnittsmenschen, die auf dieser Welt ihre unbedeutenden Leben führten; die nichts Besonderes waren und in Vergessenheit geraten würden, so wie er.
„Wir haben Spaß und genießen unsere Einzigartigkeit. Das sollten Sie auch mal versuchen“, legte sie ihm wärmstens ans Herz und lächelte angriffslustig.
„Es gibt einen immensen Unterschied zwischen Spaß und gefährlichem Irrsinn.“ Sein Ton wurde rauer; schroffer, dadurch wusste Ophelia, dass dieses Gespräch sich zu einer weiteren hitzigen Diskussion entwickeln würde.
„Warum sind Sie dann an unseren Diensten interessiert? Wieso wenden Sie sich an William Cunninghams Monsterkabinett, das Sie offensichtlich anwidert?“
„Weil es eine Person gibt, die aus dem Weg geschaffen werden muss und ich…“
„Und Sie wollen sich Ihre Hände nicht schmutzig machen“, vollendete sie seinen Satz, denn dies war die Standarderklärung von vielen ihrer Auftraggeber. Ihre Antwort quittierte ihr Gegenüber bloß mit einem kurzen, kaum merklichen Nicken und purer Scham, die ihm ins Ge-sicht geschrieben stand.
„Mein Gott, was sind Sie für eine schwächliche Pussy.“ Höhnischer Spott durchzog ihre melodische Stimme und verlieh ihr einen irrwitzigen Klang. Er glotzte daraufhin unzufrieden und beleidigt aus der Wäsche, was die Killerin herzhaft zum Lachen brachte.
„Ach, gucken Sie nicht so, Mr. Palmer“, meinte sie erheitert. „Es ist gar nicht so schwer jemanden zu töten. Ich zeige es Ihnen.“
Kurzerhand nahm Ophelia ihre Waffe aus ihrer Tasche, die neben ihr auf der gepolsterten Bank lag, und visierte aus Spaß den Kopf eines fremden Mannes an, der sich am anderen En-de des Raumes einen Drink genehmigte.
„Wenn Sie sich hinstellen, dann haben Sie einen stabileren Untergrund und die Waffe besser unter Kontrolle“, korrigierte er sie allen Ernstes, was sie zur Weißglut brachte.
Blitzschnell wirbelte die Brünette herum und drückte den Lauf der Waffe gewaltsam gegen seinen Mundboden.
„Vorsicht, Mr. Palmer. Geben Sie einem Auftragskiller niemals einen Ratschlag, wenn es ums Töten geht. Besonders dann nicht, wenn Sie selbst noch kein einziges Menschenleben ausgelöscht haben“, zischte sie teuflisch, ehe sie ihre Miene weich werden ließ und sich in einen Engel verwandelte. „Und machen Sie sich keine Sorgen: Ich treffe immer mein Ziel.“ Ab-sichtlich bewegte sie ihren Finger am Abzug, um ihn in Angst zu versetzen und für seine Klugscheißerei zu bestrafen.
„Das glaube ich Ihnen aufs Wort“, presste er angestrengt hervor und schluckte schwer.
„Plötzlich so nervös…“ Ophelia genoss die Panik und Ungewissheit in seinen Augen. „Jetzt haben Sie möglicherweise eine Ahnung mit wem Sie es hier zu tun haben.“ Ihr Ton war eisig und eindringlich, denn sie hasste es, wenn jemand sie nicht Ernst nahm und glaubte sie vor-führen zu können.
„Ich weiß, mit wem…“
„Nein, haben Sie nicht, sonst hätten Sie ihr vorlautes Maul gehalten und mir Respekt entgegen gebracht“, fuhr sie bissig dazwischen. „Sie behandeln mich, als hätte ich keine Ahnung von meinem Job, Mr. Palmer. Sie diskreditieren mich, aber damit ich nun endgültig Schluss! Ich werde jetzt zur Toilette gehen und wenn ich wiederkomme, dann werden Sie nichts weiter tun, als mir zu sagen, wen ich töten soll und dann hat dieses Treffen ein Ende.“
Die Brünette zog ihre Hand zurück und ließ ihre Waffe wieder in der Tasche verschwinden, ehe sie ihm den Rücken kehrte und die Toilette aufsuchte. Im Waschraum stützte sie ihre Hände erstmal auf ein Waschbecken und atmete tief durch. Dann wanderten ihre Augen in den mit Schlieren behafteten Spiegel.
Ja, sie war eine atemberaubende Schönheit, die alle in ihren Bann zog. Sinnlich befeuchtete sie ihre Lippen, bevor sie ihrem Spiegelbild einen Luftkuss zuwarf. Ophelia war gefesselt von sich selbst, bis ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte und sie sich von ihrem makellosen Anblick löste. An der Tür stand Franklin Palmer mit versteinertem Gesichtsausdruck und stierte sie an. Der Killerin platzte der Kragen.
„Was haben Sie hier zu suchen?! Das ist die Damentoilette, Sie widerlicher Perverser!“ Er erwiderte nichts auf ihre Beleidigung, stattdessen verschloss er die Tür und kam entschieden auf sie zu. Ophelia wich automatisch ein paar Schritte zurück.
„Was soll das verdammt noch mal werden?“, keifte sie.
„Sie kennen bestimmt noch Danny Carmichael“, äußerte er und beantwortete damit indirekt ihre Frage. Denn als dieser Name fiel, wurde Ophelia schlagartig klar, dass er es tatsächlich geschafft hatte sie zu täuschen. Es war jedoch zu spät, um noch zu entkommen. Sie saß in der Falle.
Ehe sie sich versah, rammte er ihr schon eine Faust ins Gesicht, die sie auf den gefliesten Bo-den beförderte. Niedergestreckt lag sie vor seinen Füßen und musste zusehen, wie sich das frische Blut, das aus ihrem Mund und der Nase floss, über die weißen Fliesen ausbreitete.
Lange Zeit zum Verschnaufen gab der Schweinehund ihr natürlich nicht. Nach seinem Schlag malträtierte er sie mit heftigen Tritten, die ihr die Luft zum Atmen nahmen und ihren Brustkorb in eine schmerzende Flammenhölle verwandelten.
„Jetzt wissen Sie, dass ich nicht gekommen bin, um einen Mord in Auftrag zu geben. Ich bin hier, um Rache im Namen meines Bosses zu üben. Mr. McIntyre ist nämlich völlig ausgerastet, als Danny ihm Ihre nette Nachricht überbracht und erzählt hat, dass Sie drei seiner besten Männer getötet haben.“ Nach dieser Aussage musste die Killerin lauthals lachen, wodurch nur noch mehr Blut auf die Fliesen spritzte.
„Diese Versager sollen ernsthaft zu seinen besten Männern gehört haben? Scheiße, Ihr Boss hat echt mächtige Probleme, wenn er solch inkompetente Wichser für sich arbeiten lässt. Sie schließe ich damit ein“, spottete sie zynisch, während sie sich auf ihre heftig zitternden Beine kämpfte und bemüht darum war nicht das Bewusstsein zu verlieren.
„So inkompetent kann ich nicht sein, wenn ich es schaffe Sie unbemerkt zu hintergehen“, war er amüsiert über ihre Leichtsinnigkeit. „Und nun werde ich Ihnen unerträgliche Schmerzen zufügen, bevor ich Sie töte.“
„Sie wollen mich töten? Dass ich nicht lache“, überspielte sie ihre eigene Wut auf sich selbst, weil sie nicht auf die deutliche Warnung ihres Instinktes gehört hatte. Ihren beißenden Spott sanktionierte er mit einem kräftigen Griff in ihre Haare und dem gnadenlosen Donnern ihres Kopfes gegen das Waschbecken. Rote Sterne explodierten vor ihren Augen, sowie ein heftiger, dröhnender Schmerz unter ihrem Schädel. Ein qualvolles Jaulen kam aus ihrer Kehle, bevor sie erneut auf dem Boden zusammensackte, doch dieses Mal hatte sie nicht die Kraft sich wieder aufzurappeln. Übelkeit und Schwindel brachen über sie herein und zwangen ihren Kreislauf wortwörtlich in die Knie.
„Was sagen Sie nun, Miss Monroe? Jetzt ist Ihnen wohl die Lust vergangen mich und meine Fähigkeiten in den Dreck zu ziehen.“ Ophelia befand sich in einer Art Delirium, in der es ihr schwer fiel irgendeinen Außenreiz wahrzunehmen, daher hörte sie seine Worte bloß als ein dumpfes Rauschen. Als er sie allerdings rabiat am linken Oberarm packte und zu sich nach oben zog, war sie bereit ihm trotz ihrer Blessuren die Stirn zu bieten.
„Sie sind ein Nichtskönner; ein Versager, Mr. Palmer“, zischte sie und spuckte ihm Blut ins Gesicht, was eine deftige Ohrfeige seinerseits zur Folge hatte.
„Es ist einfach unfassbar, was für ein teuflisches Biest in Ihnen steckt! Aber das ist es, was so hinterhältig an Ihnen ist und die Männer ins Verderben lockt. Zuerst sehen sie dieses wunder-schöne Geschöpf, bis der abtrünnige und raffinierte Charme zum Vorschein kommt und die hässliche Wahrheit offenbart.“
Während Franklin Palmer auf sie einredete, verschwamm er langsam vor ihren Augen und verwandelte sich in eine schemenhafte Figur, die sie vernichten wollte. Ophelia Monroes Wille, ihn zu besiegen, war ungebrochen, aber ihr Körper gab auf. Sie wusste nicht, wie sie aus dieser lebensgefährlichen Situation entkommen sollte.
Die Antwort auf ihre Frage kam wenige Sekunden später unter einem ohrenbetäubenden Krachen in den Waschraum gestürzt: Brolin Delaney. Ihr Kollege musste die Tür eingetreten ha-ben, denn diese hing schief in den Angeln und war in den Scharnieren gebrochen. Ihr Gegner ließ sie augenblicklich los, sodass sie auf die Fliesen krachte, und warf sich in einen Kampf mit Brolin. Danach ging alles ganz schnell und zog wie ein Traum an ihr vorüber.
Die Killerin bekam nur am Rande mit, dass ihr Kollege die Oberhand gewann, Franklin Palmer zu einer der Toiletten zerrte und dessen Kopf in die Schüssel drückte, ehe er die Spülung minutenlang immer und immer wieder betätigte. Der Klang von rauschendem Wasser echote in ihren Ohren und ließ sie keinen klaren Gedanken fassen.
Irgendwann nahm sie wahr, wie der leblose Körper Franklin Palmers auf den klitschnassen Boden sackte und ihr Kollege auf sie zukam. Kurzerhand zog er sie hoch und stellte sie auf die Beine. Seine Hände blieben dabei ständig sicher und zuverlässig auf ihren Oberarmen, als wolle er sie weiterhin beschützen.
Ophelia hob ihren trüben Blick und bemühte sich Brolin, der vor ihr stand, zu fixieren. Der Schwarzhaarige war verschwitzt und atmete schwer. Sein Gesicht war gezeichnet vom voran-gegangenen Kampf, der seinen Verletzungen nach hart gewesen sein musste. Seine dunkel-braunen Augen bohrten sich in ihre und er hatte eine Miene aufgesetzt, die sie wortlos fragen zu wollen, ob es ihr gut ging.
„Du hast mein Leben gerettet, Brolin“, nannte sie ihn das erste Mal bei seinem Vornamen. Sie hob unter hohem Kraftaufwand ihre Arme und nahm zärtlich sein Gesicht in ihre Hände, was ihn sichtlich überraschte.
„Ich werde niemals vergessen, was du für mich getan hast. Ich werde dir ewig dankbar sein“, sprach sie aufrichtig.
Im Anschluss küsste sie ihn kurz, aber dafür mit so viel Ehrfurcht, wie sie ihrerseits noch keinem Mann jemals zuvor erwiesen hatte. Nachdem sich ihre Lippen von seinen gelöst hatten, errötete er leicht und schaute betreten zur Seite. Die Nähe und Berührungen einer Frau waren Umstände, die ihm fremd waren und mit denen er nicht umgehen konnte.
Die Brünette entschied ihn nicht länger zu quälen, daher drehte sie sich aus seinem Griff und wollte von diesem gottverdammten Ort verschwinden, doch ihre katastrophale körperliche Verfassung machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Ophelia konnte sich nicht selbstständig auf den Beinen halten, weswegen sie unbeholfen auf ihren hohen Schuhen herumtorkelte, als sei sie sturzbetrunken. Sie war wie benommen von den Schmerzen, die ihren Kopf und Brustkorb beherrschten.
Sie dachte jedoch gar nicht daran stehenzubleiben und abzuwarten, bis es ihr besser ging, was ihr zum Verhängnis wurde. Ihre Knie knickten ein und sie wäre auf den Fliesen aufgeschlagen, wenn Brolin sie nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. Mein Gott, wie erbärmlich sie sich fühlte! Ihr Kollege richtete sie auf, legte einen Arm um ihre Taille und presste sie fest an seine Seite.
„Bring mich bitte nach Hause“, bat sie ihn mit immer dünner werdender Stimme, da ihr die Kraft schwand. Er ging ihrer Bitte nach und stützte Ophelia den gesamten Weg aus der Bar zu ihrer Corvette. Niemand interessierte sich dabei für ihre offensichtlichen Verletzungen und das Blut in ihrem fahlen Gesicht. Niemand nahm Notiz von ihnen, da hier Gewalt an der Tagesordnung war.

Brolin Delaney fuhr die Auffahrt hinauf, während ihre Augenlider schwerer und schwerer wurden. Ophelia war am Ende und verfluchte diesen widerwärtigen Bastard, der sie dermaßen zugerichtet hatte. Zur selben Zeit machte sie sich selbst Vorwürfe, weil sie so dumm und hochmütig gewesen war. Dies hatte sie beinahe das Leben gekostet und…
Ihr Gedankengang riss ab, als die Beifahrertür geöffnet wurde und ihr Kollege sie aus dem Wagen hob. Schutz suchend schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und ließ sich von ihm bis zur Eingangstür tragen. Dort setzte er sie kurz ab, um die Tür zu öffnen. Er musste ihren Schlüssel zuvor wohl aus ihrer Tasche genommen haben.
Dann trug er sie rein und legte sie vorsichtig auf die erstbeste Sitzgelegenheit, die er fand: die aus Paris stammende Chaiselongue in der Eingangshalle.
Erschöpft, aber auch erleichtert stöhnte sie und genoss die Gewissheit, Zuhause und in Sicherheit zu sein. Nach einigen Minuten schaute sie hoch zu Brolin, welcher sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Scham betrachtete.
Ohne den Blick von ihm zu nehmen, setzte sie sich wie in Zeitlupe auf und bedeutete ihm mit einem Klopfen ihrer Handfläche auf das Polster der Chaiselongue, dass er sich neben sie setzen sollte. Mit etwas Gegenwehr ging er ihrer Aufforderung nach und ließ zu, dass sie ihren Kopf sanft auf seine linke Schulter legte.
Schweigend saßen sie in ihrer Villa und hörten dem Anderen beim Atmen zu, denn dies war das Einzige, was in der weitläufigen Halle zu vernehmen war. Ophelia Monroe gefiel die Stil-le, da sie ihr die Möglichkeit gab zur Ruhe zu kommen und sich auf sich selbst zu fokussieren. Es gab keine störenden Nebengeräusche, die sie ablenkten und die Kontrolle verlieren ließen. Vielleicht waren es diese Vorteile; diese Erkenntnisse, die Brolin dazu bewogen ein Leben in Stummheit und Lautlosigkeit zu führen.
Seit dem heutigen Abend sah sie ihn in einem anderen Licht und begann ihn zu verstehen. Sie würde ihn nicht mehr unterschätzen und für einen hirnlosen Idioten halten, dessen Existenz sie vorher nicht im Geringsten interessiert hatte. Brolin Delaney war ein bemerkenswerter Mann, den sie mit voller Stolz ihren Kollegen nennen konnte.
 
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