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10 Seiten

Imhotep, der Junge aus Heliopolis - Kapitel 7

Romane/Serien · Spannendes
Kapitel 7 – Das Flüstern der Götter


Die Nacht war eingebrochen. Das Geräusch des Zirpens von Heuschrecken, welches man vom angelegten Park aus hören konnte, drang tief bis in den Königspalast hinein. Tutanchamun eilte die Stufen des großen Treppenhauses hinunter und marschierte durch die Galerie. Seine Kopfschmerzen waren unerträglich geworden. Nur Satamun konnte ihm jetzt in dieser späten Nachtstunde diskret helfen, ohne dass der junge König seine Leibärzte herbeirufen müsste.
Es war stockdunkel im Königspalast, nur der silbrige Lichtschein des Mondes schien durch die offenen Fensternischen. Aber die mächtigen Säulen warfen finstere Schatten vor seinen Weg, woraufhin er seine Schritte verlangsamte und sich bedacht umschaute. Ein unheimliches Heulen drang durch die finstere Galerien, woraufhin einige Mobiles zu klimpern anfingen. Ein lauwarmer Windzug war gerade durch die Fensteröffnungen geweht.
Niemand war zu sehen, was dem jungen Pharao nicht behagte. Er blieb einfach stehen und horchte, doch konnte er in dieser riesigen, schattigen Halle weder einen umherlaufenden Diener sehen, noch irgendjemanden sprechen hören.
Sonst war Tutanchamun immer unbekümmert durch den Königspalast marschiert, hatte immer irgendeinen Höfling oder Tempelpriester angetroffen und sich mit ihnen kurz unterhalten. Aber nun war ihm bewusst geworden, dass er das erste Mal dem Komitee und vor allem dem General der ägyptischen Streitmacht widersprochen hatte, ihre Pläne also vorerst durchkreuzt hatte. Was nun, wenn jetzt plötzlich dieser Haremhab vor ihm stünde, fragte er sich. Dies war zwar ausgeschlossen, weil der General weder ein Vertrauter des Pharao, noch ein Familienmitglied des Könighauses war. Ohne vorherige Ankündigung für eine Audienz durfte sich keine fremde Person dem Palast nähern, geschweige denn sich darin aufhalten. Nicht einmal der Hohepriester des Amun persönlich und insbesondre nicht nachts, wenn die Royalen zu Bett gegangen waren. Trotzdem schauderte es ihm bei der Vorstellung, dass General Haremhab plötzlich vor ihm stände, denn diesem Mann wollte er wahrlich nicht ohne Eje begegnen, weder am Tage und erst recht nicht jetzt hier nachts im Dunklen.
Als Tutanchamun einmal kräftig durchatmete und diesen absurden Gedanke zu verdrängen versuchte, riss der junge König sogleich erschrocken seine Augen auf und versuchte, laut zu schreien. Doch es gelang ihm nicht, weil sich irgendjemand von hinten an ihn herangepirscht hatte, die Hand auf seinen Mund presste und ihn hinter eine der riesigen Säulen zerrte.
„Pschschscht … Leise“, hörte er eine ihm sehr bekannte Stimme flüstern, woraufhin er beruhigt aufatmete. Als diese Person ihre Hand von seinem Mund ablegte, drehte sich der Pharao um und blickte sie empört an.
„Satamun, was soll das? Weshalb lauerst du mir im Dunkeln auf? Bei der Göttin Sachmet. Du hast mich zu Tode erschreckt!“, fauchte er verärgert.
Satamun streifte die Kapuze ihrer Priesterrobe runter, überblickte die säulenreiche Galerie und hielt ihren Finger auf dem Mund.
„Sprecht etwas leiser, mein Pharao. Ich wollte nur verhindern, dass Ihr irgendeinen Laut von Euch gebt. Es schien mir, dass Ihr in Gedanken versunken ward“, flüsterte Satamun, während sich die große Frau nervös umschaute.
„Wie oft habe ich dir jetzt schon gesagt, dass du mich nicht mehr einfach so anpacken sollst, als wäre ich ein Bauernjunge? Selbst meine Leibärzte müssen mich zuerst fragen, ob sie mich anfassen dürfen. Das weiß du ganz genau, Satamun. Unterlasse das jetzt endlich gefälligst!“, schnauzte der König die Amunpriesterin leise an. Satamun aber blickte ihn, wie immer, nur emotionslos und ernst in die Augen.
Die dreißigjährige Tempelpriesterin kümmerte sich bereits um Tutanchamun, seitdem er als Siebenjähriger zum Pharao gekrönt wurde. Jedoch immer nur heimlich. Sie hatte schon damals den Kindkönig ständig aus dem Palast unbemerkt raus und wieder hinein geschleust, damit klein Tut mit anderen Kindern auf der Straße spielen konnte. Dazu war die Priesterin selbstverständlich gar nicht befugt gewesen und hätte man sie dabei erwischt, wäre Satamun vom Hohepriester des Amun bestraft worden. Über die Konsequenzen war sie sich zwar bewusst, aber die Priesterin war äußerst dreist, setzte sich des Öftern über Anweisungen hinweg und ignorierte oftmals einige Regeln der Gesellschaft, wie man sich beispielsweise gegenüber anderen Tempelpriestern, Adeligen und Reichen verhalten sollte. Als Amunpriesterin genoss sie eine gewisse Hochachtung, dies ihr auch bewusst war und es zu ihrem Vorteil schamlos ausnutzte, weshalb man der außergewöhnlich großen Frau nachsagte, dass sie arrogant und kaltschnäuzig wäre und die meisten Tempelpriester sie deswegen auch mieden. Satamun war sogar so kühn, dass sie einfach ungefragt im Palastverlies eine Kammer für sich beansprucht hatte und dort nächtigte, wann immer es ihr beliebte. Der Palast war samt den unzähligen Nebengebäuden riesengroß und unüberschaubar, sodass ihre unbefugte Anwesenheit gar nicht auffiel. Satamun war sehr raffiniert und wenn sie zufällig einem patrouillierenden Wachsoldaten begegnete, trat sie selbstsicher auf und begründete ihren Aufenthalt im Königspalast mit einer plausiblen Ausrede. Außerdem, was sollte der Tempelpriesterin schon Schlimmes passieren, falls man sie tatsächlich unter Arrest stellen würde? Der Pharao würde sie niemals verurteilen, und das wusste die Priesterin.
Satamun war seit Tutanchamuns Kindheit ebenso eine Respektperson für ihn gewesen, auf ihre Anweisungen und Belehrungen der Pharao anstandslos gehorcht hatte, genauso wie der König die Ratschläge von Eje immer noch befolgte. Aber nun war Tutanchamun älter und erwachsener geworden, sodass Satamun für ihn nur noch eine wahre Freundin auf Augenhöhe war. Nichtsdestotrotz vertraute Tutanchamun ihr wesentlich mehr Geheimnisse an, als seinem offiziellen Vormund, dem Wesir von Ägypten. Zwar wirkte Satamun, weil sie fast 1,90 Meter groß war, auf den Pharao und ihre Mitmenschen, aufgrund ihrer hünenhaften Erscheinung und weil sie stets ernst auftrat und nie lächelte, immer noch äußerst autoritär, aber Tutanchamun hatte sie längst durchschaut. So sehr sich Satamun weiterhin bemühte, die strenge Lehrerin zu mimen, konnte er mittlerweile in ihren wundervollen Augen erkennen, dass sie eigentlich nur eine hochmütige Maske trug aber in Wahrheit eine gütige Seele war.
„Hört endlich auf, Euch wiedermal über mich aufzuregen und folgt mir. Ich muss Euch etwas Wichtiges zeigen“, antwortete sie. „Etwas, wovon Euer Verlangen schon immer dürstet.“

Satamun und der Pharao schlichen wie zwei Einbrecher von einer riesigen Säule zur nächsten, um vor den patrouillierenden Palastwachen, Diener und Zofen unentdeckt zu bleiben. Als sie endlich den Eingang zum Kellergewölbe erreichten, stieß Satamun mit ihrem Kopf ungeschickt gegen ein Mobile, dass sofort verräterisch klimperte. Satamun duckte sich erschrocken, richtete sich sogleich wieder auf und balancierte es mit ihren Händen hektisch aus, bis man wieder nur noch das Zirpen der Heuschrecken vernahm. Dann blickte sie Tutanchamun streng an, weil er belustigt prustete, und hielt erneut ihren Zeigefinger auf dem Mund. Sie forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, die Wendeltreppe gemeinsam mit ihr hinunterzusteigen. Beide tasteten das Gemäuer ab und stiegen vorsichtig, Schritt für Schritt, im Stockdunkeln die Treppenstufen hinunter.
Ihr Schlafgemach im Kellergewölbe war früher eine der kleinen Zellen gewesen, diese aber für Inhaftierungen längst nicht mehr benutzt wurden. In dieser unterirdischen Ebene befanden sich zudem die Räumlichkeiten des Harems. Die Gefängniszellen wurden mittlerweile auf der gegenüberliegenden Seite des Palastes eingerichtet.
Die massive Holztür knarrte, dann huschten beide hinein. Der Lichtschein einiger Kerzen, die auf einen schlichten Holztisch aufgestellt waren, erhellte ihren privaten Wohnbereich. Dort standen nur dieser Tisch mit zwei Stühlen, ein kleiner Schrein und ein Bett. In der Tischschublade hatte Satamun eine beachtliche Menge hochwertigen Weihrauchharz gebunkert, woraus zu schließen war, dass sie regelmäßig heimlich aus den Tempelsilos etwas abzweigte. Weihrauch war äußerst wertvoll und nur mit Gold zu erwerben. Hauptsächlich wurde das kostbare Harz für die Gebetsstunden im Tempel und für die Mumifizierungsrituale verwendet, weil das Duftaroma, der ägyptischen Mythologie zufolge, die Götter anlockte und sie nur dann dazu bereit wären, mit den Menschen zu kommunizieren und ihnen Vorhersagen zu offenbaren.
Tutanchamun schüttelte fassungslos mit dem Kopf. Diese Dreistigkeit, selbst die Tempelpriester und somit auch den Gott Amun schamlos zu bestehlen, war einfach ungeheuerlich und außerdem lebensgefährlich.
„Satamun, du bist einfach unverbesserlich. Eines Tages wird man dir die Hand abschlagen und nicht einmal ich werde dies verhindern können!“, zischte Tutanchamun sie entrüstet an.
Satamun reagierte nicht auf seine Bedenken, holte eine Messingschüssel hervor und zerbröselte darin eine Handvoll von dem Weihrauchharz. Doch dann schmunzelte sie kurz, was äußerst selten war. Offenbar war sie über seine Äußerung belustigt.
„Selbstverständlich könntet Ihr dies verhindern und Ihr würdet es auch tun. Schließlich seid Ihr der Pharao“, entgegnete sie ihm selbstsicher, während sie noch einmal in die Tischschublade griff und das Weihrauchharz für das Ritual ebenso zubereitete.
„Wisse, mein König. Ich opfere regelmäßig mein Hab und Gut für alle Götter. Ich versuche meine Opferbeigaben immer gerecht zu verteilen, aber der größere Anteil steht Gott Amun zu. Ich bestehle Amun also nicht, sondern borge mir nur etwas aus. Ich gebe oftmals sogar das Dreifache zurück, nur eben kein Gold oder Weihrauch. Amun-Re ist mir dankbar und lächelt, wenn ich mich an seinen Vorräten bediene. Schließlich benötige ich das Weihrauch nur, damit mir die Götter zuflüstern, mir Visionen offenbaren.“
„Mag vielleicht sein, dass Amun lächelt. Die Tempelpriester jedoch werden gewiss nicht darüber amüsiert sein, wenn sie dahinterkommen, eines Tages deine Schublade öffnen und dabei auf mindestens sechs Deben Weihrauchharz blicken!“, schimpfte er.
Tutanchamun hüstelte und wedelte mit einem Papyrusblatt vor seinem Gesicht, als die Priesterin gleich zwei Handvolle Harzkristalle in der Messingschale zerbröselt und entzündet hatte und der aromatische Rauch das kleine Schlafgemach regelrecht einräucherte. Nun saß sie mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl, wobei sie ihre Handflächen direkt neben der Messingschale auf den Tisch ablegte.
„Satamun, meinst du nicht, dass das etwas zu viel des Guten ist?“, fragte der Pharao hustend. „Im Tempel jedenfalls nehmen sie bloß nur etwas davon. “
„Pschschscht! Je mehr Weihrauch, desto deutlicher werden die Visionen, die mir die Götter offenbaren“, meinte sie. „Schaut genau hin. Aber ich rate Euch, wenn Ihr das erste Mal mit den Göttern kommuniziert, dass Ihr in der Tat etwas weniger Weihrauchharz verwendet, als ich es tue. Andernfalls könnte es passieren, dass Euch die Visionen zu deutlich offenbart werden und Ihr dadurch nur verschreckt werdet. Aber zuallererst müsst Ihr unbedingt lernen, wie man meditiert. Ihr müsst all Eure irdischen Gedanken verbannen. Es wundert mich sowieso, weshalb man Euch immer noch nicht in das Mysterium der Götter eingeweiht hat. Ihr solltet diesbezüglich darauf beharren. Befehlt es dem Wesir Eje einfach, dass Ihr es wünscht, eingeweiht zu werden, denn eines Tages werdet Ihr die Götter um Rat bitten müssen!“, erklärte sie ihm eindringlich.
Tutanchamun hustete abermals kräftig und wedelte weiter mit dem Papyrusblatt vor seinem Gesicht. Er lächelte, weil er sich etwas benommen, sich aber trotz alledem wohl fühlte.
„Der Hohepriester Ahmose meint aber, dass ich dazu noch etwas zu jung bin. Er sagte, dass ich noch mindestens drei Nilschwemmen abwarten müsse, um in das Mysterium eingeweiht zu werden.“
Satamun schüttelte mit dem Kopf.
„Ahmose spricht nicht immer die Wahrheit, vertraut ihm nicht. Ich war damals sogar jünger als Ihr gewesen, als ich in das Mysterium eingeweiht wurde. Ich vermute, dass die Großen des Landes Euch absichtlich im Unwissen halten wollen, um Euch weiterhin kontrollieren zu können.“
„Du heißt den Hohepriester des Amun einen Lügner?“, fragte Tutanchamun völlig aufgebracht, wobei er sich sogleich die Hand auf seinen Mund hielt und die Priesterin entsetzt anblickte. „Das ist ungeheuerlich. Wie kannst du das nur behaupten, Hohepriester Ahmose sei nicht vertrauenswürdig?“ Aber sogleich dachte er darüber nach, weil es ihm schon länger fuchste, dass der Hohepriester und Eje ihn diesbezüglich ständig vertrösteten, obwohl er sich für diese heilige Zeremonie längst dazu bereit fühlte und er sich danach sehnte, endlich in das Mysterium der Götter eingeweiht zu werden.
Satamun aber schwieg, behielt ihre Augen weiterhin geschlossen, fächerte den Weihrauch über ihren kahlgeschorenen Kopf und inhalierte dabei intensiv. Tutanchamun sah ihr gespannt dabei zu und äußerte sich, dass ihm etwas schwindelig sei aber lobte zugleich, dass seine Kopfschmerzen verschwunden wären.
Ein wohliges Gefühl kroch ihm vom Nacken hoch bis in seinen Kopf hinein. Er fühlte sich plötzlich äußerst entspannt und angenehm müde. Zudem nahm er im schummrigen Kerzenlicht kraftvolle Farben wahr und glaubte, dass Satamuns kleines Gemach plötzlich größer geworden sei. Seine Wahrnehmung spielte ihm offensichtlich einen Streich, denn er glaubte, dass Satamun statt auf einem schlichten Holzstuhl, auf einem Horusthron sitzen würde. Tutanchamun grinste stetig und seine Augenlieder sanken allmählich. Alles belustigte ihn plötzlich. Er fühlte sich benebelt und völlig entspannt, ähnlich, als hätte er bereits eine ganze Amphore Wein alleine getrunken. Aber es fühlte sich wesentlich angenehmer an; seine Gedanken schienen reiner zu werden und lallen musste er auch nicht, wie es sonst beim übermäßigen Weinkonsum üblich war.
Tutanchamun blickte die Priesterin fasziniert an, wie sie ihre Augen geschlossen hielt und immer wieder mit ihren Händen den Weihrauch über sich hinwegwedelte. Satamun wäre sicherlich eine hübsche Frau, dachte er sich in dem Moment, wenn sie lange Haare hätte und nicht so riesengroß wäre. Er blickte auf ihren Mund, der sich bewegte und dabei leise Gebete murmelte. Ihm überkam plötzlich das große Verlangen, sie zu umarmen, sie zu küssen und … Doch plötzlich hielt Satamun ihre Arme in die Höhe, wobei unterhalb ihres rechten Armgelenkes die tätowierte Hieroglyphenschrift des Gottes Amun aufblitzte, und die Priesterin immer lauter eine mystische Textformel dabei aussprach. Nun wirkte die Amunpriesterin etwas unheimlich auf ihn. Sie wirkte heilig, weil sie gerade die Götter heraufbeschwor. Dann öffnete sie plötzlich ihre Augen und blickte ihn eindringlich an.
Satamun hatte ihre Vision gesehen, wie einen deutlichen Traum vor ihren Augen, und erzählte von einem Falken, der über einen Strom flog und dabei kreischte. Der Falke sei über Städte und über die Gersten- und Flachsfelder hinweggeflogen, bis hin zu drei riesengroße Berge, über dem das Sternenbild des Orion grell leuchte. Dies deutete sie als das Sternbild des Gottes Osiris, der über diese drei Berge wachte. Zugleich waren dem Falken Lämmer und Rinder in Herden gefolgt, die von wilden Stieren angetrieben wurden. Satamun meinte, der Falke wäre eindeutig Horus, also der König selbst, und er würde die Städte bereisen, bis hin zu den drei heiligen Pyramiden, bis zur der großen Leuchtenden. Satamun lächelte plötzlich, dies äußerst selten war.
„Mein Großer Pharao, Ihr beabsichtigt die Tempelsilos zu füllen, um Ägypten zu ernähren. Dafür wird Euch das Volk dankbar sein. Eure Reise steht unter guten Sternen, die Götter sind Euch wohlgesinnt. Die wilden Stiere symbolisieren Eure Willenskraft und bedeutet zugleich, dass das Volk in Aufruhr geraten wird. Dies könnte ein großartiger Empfang bedeuten, jedoch müsst Ihr aufpassen, dass Ihr nicht überrannt werdet. Es wird die größte Prüfung Eures Lebens sein. Entweder wird das Volk Euch nach dieser Reise als einen wahren Pharao akzeptieren und Euch verehren, oder Apis, der Gott der Stiere, wird Euch gnadenlos niedertrampeln und Ihr seid dem Untergang geweiht. Ihr müsst Apis unbedingt Eure Stärke beweisen, ihn bei seinen Hörnern packen und den Gott bezwingen. Erst dann werden auch die Großen des Landes Euch endgültig als Pharao akzeptieren. Wenn Ihr morgen abreist, werde ich hinaus zu den Bauerndörfer pilgern, denn dann werde ich hier vorerst nicht mehr gebraucht.“
Zudem warnte Satamun ihn, weil sie in ihrer Vision ein schwarzes Tier mit einem spitzen Kopf gesehen hatte, welches einem Esel ähnelte und dem Falken durch die Getreidefelder zähnefletschend hinterhereilte. Die Priesterin hatte dieses unheimliche Wesen als Seth gedeutet, der ihn von seinen Absichten hartnäckig aufzuhalten beabsichtigt. Seine Reise durch das Land stünde zwar unter guten Sternen, jedoch sollte er auf der Hut sein, meinte sie, weil ihm ein Verräter unermüdlich folgen würde, um ihn möglicherweise vom Thron zu stoßen. Tutanchamun aber schmunzelte bloß, lümmelte benommen mit halb geschlossenen Augenlidern auf dem Stuhl und kicherte.
„Satamun, du willst mich doch nur zum Narren halten. Sicher hast du wiedermal hinter Türen gelauscht und weißt es bereits, dass ich morgen in der Frühe abreise und gemeinsam mit deiner Königin vor das Volk treten werde. Deine Prophezeiung ist also keine Neuigkeit für mich. Hör jetzt endlich auf zu versuchen, mich ständig vor den Großen des Reiches zu warnen. Niemand wird es wagen, mich vom Horusthron zu stoßen, weil niemand den Zorn der Götter heraufbeschwören will.“ Er seufzte. „Ich habe dich immer sehr geschätzt und so wird es auch weiterhin bleiben. Du hast es also gar nicht nötig, mich irgendwie zu beeindrucken. Trotzdem danke ich dir, dass du mir gezeigt hast, wie man das Flüstern der Götter deuten kann. Ich werde deinen Rat befolgen und es demnächst selber ausprobieren.“
Tutanchamun gähnte und erhob sich aus dem Stuhl. Es war schon sehr spät geworden. Seine Kopfschmerzen waren plötzlich verschwunden, wie er verwundert feststellte, und er musste morgen sehr früh aufstehen. Satamun jedoch stritt es ab und betonte, dass sie diesmal nicht hinter Türen gelauscht hätte, wie so oft. Diesmal nicht. Tutanchamun horchte daraufhin auf und verharrte zwischen Tür und Angel, weil Satamun nicht einmal scherzhaft schwindelte, sondern stets die Wahrheit sagte, selbst wenn sie ihn damit beleidigen würde. Satamun sprach immer die Wahrheit aus, selbst wenn sie etwas angestellt hatte, was des Öfteren geschah, oder sie schwieg einfach, um eine Lüge zu umgehen oder sie hatte eine Ausrede parat, die irgendwie nachvollziehbar war.
„Nein, mein Großer Pharao. Ich schwöre bei Amun, dass ich von Euren Plänen nichts gewusst habe. Das haben mir die Götter offenbart, glaubt es mir bitte. Das ist leider aber noch nicht alles.“
Tutanchamun stand bereits im Korridor des Kellerverlieses und blickte Satamun müde sowie fragend an. Sie hockte wie erstarrt auf ihrem Stuhl und schien äußerst besorgt zu sein. Sie wirkte sogar etwas ängstlich auf ihn, was er von ihr gar nicht gewohnt war, weil sie niemals ihre wahren Gefühle zeigte. Während sie sprach, starrte sie regungslos vor sich hin.
„Ich … Ich sah meine Fußspuren im Wüstensand in die Ferne laufen, aber allein nur meine Fußspuren, die sich im Sand abdrückten. Die Wolken, die Sonne sowie auch der Mond zogen am Himmelszelt rasch vorbei und verschwanden im Westen. Immer und immer wieder. Dann eilten meine eigenen Fußspuren auf dem gleichen Weg wieder zurück. Ich sah in meiner Vision, dass ich auf eine tiefe Grube blickte, daraus unzählige goldene Dolche ragten. Dieser Anblick erinnerte mich an einen Schlund.“ Satamun hielt sich die Hände vor ihr Gesicht, stützte ihre Stirn auf der Tischplatte ab und schwieg. Tutanchamun verharrte in der Türschwelle, denn er war neugierig geworden. Was meinte seine Freundin bloß damit, dass sie während ihrer Vision goldene Dolche gesehen hatte?
„Und was hat dies zu bedeuten? Was sagen dir die Götter damit? Wirst du etwa einen Schatz finden?“, fragte er überrascht, trat wieder ein und verschloss die Tür hinter sich. Einen Goldschatz ausfindig zu machen, hatte den müden Pharao wieder etwas wachgerüttelt. Satamun setzte sich wieder aufrecht hin, legte ihre Hände auf den Tisch, starrte apathisch vor sich hin und schüttelte sachte mit ihrem Kopf.
„Nein, mein Großer Pharao. Ich werde bestimmt keinen Schatz finden. Eure Reise, sowie auch meine Pilgerreise hinaus in das Land, werden nicht länger als eine Nilschwemme andauern. Die Götter werden mich rechtzeitig rufen, sobald Ihr nach Memphis zurückkehrt. Und dann … dann werde ich sterben.“
Tutanchamun blickte sie stirnrunzelnd an. Er hatte Satamun zuvor, so betrübt und besorgt zugleich noch nie erlebt. Der Weihrauch benebelt die Sinne, hatte er festgestellt. Satamun hatte ganz bestimmt viel zu viel von dem Weihrauchharz verwendet, meinte er.
„Satamun, du wirst nicht sterben. Ganz gewiss nicht. Ich befehle dir jetzt, gehe zu Bett!“
Dann schloss der König von Ägypten die Holztür ruppig hinter sich zu, während Satamun immer noch regungslos dasaß und vor sich hinstarrte.
 
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