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Die Belfast Mission - Kapitel 51

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 51 – Höllenfahrt

Zwar hatte Anne versichert, dass sie auf die Auszahlung der Lebensversicherung verzichten möchte, nur um die Angelegenheit mit dem falsch angegeben Datum nicht weiter erklären zu müssen, wurde aber trotzdem von den Männern des Scotland Yard aufgefordert, sie zum Polizeirevier zu begleiten, um eine Verzichtserklärung zu unterzeichnen.
Ike beabsichtigte bei dieser Vereinbarung unbedingt dabei zu sein. Keinesfalls wollte er Anne und Justin diesen Leuten praktisch ausliefern, obwohl er für die Owens mittlerweile nicht mehr verantwortlich war, denn ihr Probejahr war nun offiziell beendet. Aber sein Misstrauen gegenüber den drei Polizisten bestand immer noch, weil ihm seine Psychologin, Frau Dr. Heinzmann, keine Information bezüglich der Armbanduhr rechtzeitig bestätigen konnte.
Falls die Männer tatsächlich die Komplizen von Charles sind und sie nun beabsichtigen ihn zu töten, durften sie keinesfalls Verdacht schöpfen, dass er darauf vorbereitet war. Ike war darauf gefasst und rechnete mit einer Heimtücke, musste aber zugleich davon ausgehen, dass sie tatsächlich Akteure vom Scotland Yard waren. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als bewusst in eine mögliche Falle zu tappen und alles auf sich zukommen lassen. Jetzt durfte ihm kein Fehler unterlaufen, ansonsten würde er unschuldige Akteure ausschalten oder er selbst, sowie Mutter und Sohn, würden sterben.

Ike kam wieder aus dem Badezimmer heraus, stülpte sich seine Schirmmütze über und mimte den besorgten Neffen, der sich nun für die vermeintliche Witwe und seinen jungen Cousin verantwortlich fühlte.
„Also gut, meine Herren. Ich würde vorschlagen, dass ich Misses Owen nach Belfast ins Polizeirevier begleite. Ich will ihr bei dieser wichtigen Angelegenheit beiseite stehen, immerhin sind mir die Vertragsunterlagen vertraut. Aber der Junge muss nun wirklich nicht unbedingt mitfahren. Hätten Sie etwas dagegen einzuwenden?“, fragte Ike.
Die Männer vom Scotland Yard blickten sich gegenseitig fragend an, schließlich zuckte Detective Sergeant Miller mit der Schulter.
„Grundsätzlich spricht nichts dagegen, Mister van Broek, falls es Ihnen nichts ausmacht hinten auf der beengten Rücksitzbank zu sitzen. Und bezüglich des Knaben“ – Er seufzte kurz – „Meinetwegen, möge er eben zuhause bleiben. Der Junge soll sich aber später, wenn er erwachsen ist, bloß nicht aufregen und uns zu verklagen versuchen, weil er bei dieser Verzichtserklärung nicht dabei war. Wir haben darauf hingewiesen, dass Justin Owen vertraglich mit einbezogen wurde. Immerhin beabsichtigt Misses Owen auf ein beachtliches Vermögen zu verzichten!“, ermahnte der Detective mit erhobenem Zeigefinger.
Justin zog daraufhin an Annes Strickjacke, während er die Leute vom Scotland Yard misstrauisch anblickte.
„Mutz, ich will aber unbedingt mit. Ich will nicht, dass du ohne mich gehst. Lass mich hier nicht alleine!“, bettelte er energisch.
Anne wuschelte durch sein Haar und nickte. Zwar hatte sie den Polizisten zuerst verständlich gemacht, dass sie alleine mit ihnen gehen würde, weil sie die ehrziehungsberechtigte ist. Aber sie hatte große Angst davor, dass sie ihren Sohn vielleicht nie wiedersehen würde. Was wäre, wenn diese Männer tatsächlich die Komplizen von Charles sind und sie zurück in das 25. Jahrhundert, oder wohin auch immer bringen würden? Sie konnte und wollte ihren Sohn niemals alleine zurücklassen, eher wollte sie mit ihm gemeinsam sterben und Justin empfand es ebenso.
„Au ja, und ich will auch mit!“, platzte es plötzlich aus Eloise begeistert heraus. „Fahren wir doch gleich alle mit!“, schlug sie aufgeregt vor.
Ike atmete einmal genervt durch.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage, Liebes. Du und Justin, ihr beide bleibt hier! Du hast gehört was der Detective gesagt hat. Im Auto ist zu wenig Platz für uns alle!“
Eloise schaute ihn verärgert an.
„Ich will aber mitkommen! Ich setze mich einfach auf deinen Schoß und Justin bei Anne, dann haben wir auch alle genügend Platz. So einfach wäre das Problem gelöst“, meinte sie arglos.
Ike aber reagierte barsch. Keinesfalls wollte er, dass sie und Justin einer möglichen Gefahr ausgesetzt werden.
„Eloise, Liebes. Was soll das? Sei bitte vernünftig! Ich muss dann sowieso zur Arbeit und falls es den Herren keine Umstände macht, wäre ich ihnen dankbar, wenn sie mich danach direkt zur Werft fahren würden. Du siehst, du musst also hier bleiben, schließlich wirst du mich heute Nacht mit dem Fuhrwagen abholen müssen.“
Jetzt wurde Eloise wütend.
„Das ist gemein! Ihr dürft mit einem Automobil mitfahren während ich wieder zuhause bleiben soll? Bin ich denn nur deine Hausmagd, die nur kochen und putzen soll? Ich bin noch nie im Leben mit einem Automobil mitgefahren und jetzt, wo ich die einmalige Gelegenheit dazu habe, soll ich wiedermal nur Däumchen drehen dürfen bis es Nacht wird, um dich dann mit dem Fuhrwagen abzuholen? Das kannst du verflixt nochmal vergessen!“, giftete sie, griff nach einem Geschirrhandtuch und feuerte es auf den Tisch.
Eloise blieb hartnäckig und schien sich nicht davon abbringen zu lassen, mitzufahren. Ike wusste von ihrem Herzenswunsch, einmal in einem Automobil zu steigen und durch die Landschaft kutschiert zu werden. Und obwohl sie sehr sparsam war und Ike stets von unnötigen Ausgaben energisch abriet, ließ sie dennoch letztens durchleuchten, dass sie mit der Anschaffung eines kleinen Automobils einverstanden wäre. Aber nur mit einem kleinen Auto, was nicht gar so viel kostet, wohlbemerkt.
„Na schön, dann frag doch Detective Sergeant Miller“, antwortete Ike patzig, in der Hoffnung dieser würde ihm beipflichten. „Er wird deine Schnapsidee gewiss nicht gutheißen. Ich jedenfalls würde mich strikt weigern, ein völlig überladenes Fahrzeug zu steuern. Deinetwegen werden wir in der nächsten Kurve noch umkippen. Und was dann?“
Eloise tippte mit ihrem Finger auf die Stirn und zeigte ihm einen Stirnvogel, faltete dann ihre Hände und flehte Detective Sergeant Miller regelrecht an.
„O bitte, bitte, bitte, Detective Sergeant Miller. Darf ich mitfahren? Ich mache mich bestimmt auch ganz, ganz dünn. Versprochen!“
Der Detective schmunzelte und blickte dabei seine Kollegen abwechselnd an. Dann zuckte er erneut mit der Schulter.
„Meinetwegen, Misses van Broek. Ich kann einer so hinreisenden jungen Dame doch nichts verwehren“, antwortete der Detective lächelnd, woraufhin Eloise Ike frech angrinste und er schließlich zerknirscht sein Einverständnis gab. Er kannte seine Ehefrau zur Genüge. Sie würde ohnehin nicht locker lassen und eine derartige Streiterei kam ihm jetzt äußerst ungelegen. Es wird schon nichts passieren, redete er sich ein.

Die Stimmung im Automobil wäre sicherlich bedrückend gewesen, wenn Eloise tatsächlich nicht mitgefahren wäre. Justin hockte auf Annes Schoß; beide waren sehr verängstigt, versuchten es aber zu verbergen und blieben daher mucksmäuschenstill auf der Rücksitzbank sitzen. Eloise hatte sogar extra für diese Autofahrt ihren neuen, hellblauen Rock und eine neu gehäkelte (grüne) Strickjacke angezogen. Sie kicherte ständig, freute sich und forderte Detective Hunter auf, er solle doch etwas schneller fahren.
Der dritte Detective, der sich bislang gar nicht vorgestellt hatte, war der jüngste von den Polizisten und auch der Schmälste, weshalb er ebenfalls hinten auf der Rücksitzbank saß, genau zwischen Ike und Anne, die jeweils ihre Schützlinge auf ihren Schoß hocken hatten.
Eloise beugte sich nach vorne und drängte ihr fröhliches Sommersprossengesicht zwischen Hunter und Miller. Sie bestaunte das Lenkrad, beobachtete wie der Fahrer Detective Hunter das Gaspedal durchtrat und zeigte dann mit dem Finger auf das Tachometer, welches über dem hölzernen Lenkrad direkt an dem Frontblech befestigt war.
„Detective Miller, was ist das für ein komisches Gerät? Wieso bewegt sich dieser Zeiger und was haben die Zahlen über diesen Strichen zu bedeuten? Entschuldigen Sie bitte meine Fragerei, aber eines Tages will ich auch so ein Automobil fahren, daher muss ich das doch unbedingt wissen.“
Detective Sergeant Miller lächelte, sodass seine goldene Backenzähne aufblitzten.
„Der Zeiger gibt die Geschwindigkeit an, Misses van Broek, wie schnell wir fahren. Sehen Sie mal: Jetzt fahren wir genau fünfundvierzig Stundenkilometer. Bergab würden wir vielleicht fünfundfünfzig oder sogar sechzig Stundenkilometer schaffen. Wer weiß, aber das könnte auf Dauer dem Motor schaden. Oder was meinen Sie dazu, Mister van Broek?“
„Keine Ahnung. Ich bin Schreiner und kein Maschinenbauer“, entgegnete Ike mürrisch, während er die Herren abwechselnd unauffällig beobachtete. „Ich sitze heute auch das erste Mal in so einer motorisierten Seifenkiste. Ich finde es schrecklich!“, meinte er.
Um sich überhaupt unterhalten zu können, waren alle gezwungen, laut zu reden, weil der Motor ziemlich knatterte.
„Die Fahrt ist für meinen Geschmack etwas zu holprig. Meiner Meinung nach sind die Stoßdämpfer etwas zu hart eingestellt worden.“ Einen Moment hielt Ike inne. „Sind überhaupt Stoßdämpfer vorhanden? Jedenfalls müsste man noch daran basteln. Ich hoffe nur, dass wir uns in der nächsten Kurve nicht überschlagen werden“, sprach er mit einem ironischen Unterton, wobei er Eloise dabei direkt in die Augen schaute. Sie wusste gleich, was er meinte, lehnte daraufhin ihren Kopf auf seine Schulter ab, umarmte ihn und seufzte.
„Ach, sei doch nicht schon wieder so miesepetrig“, knurrte sie ihm versöhnlich ins Ohr. „Ich bin glücklich, dass ich mitfahren darf. Danke, dass du es mir erlaubt hast. Die Fahrt ist so verflixt himmlisch“, schwärmte sie freudenstrahlend.
„Keine Sorge, Mister van Broek. Nichts dergleichen wird passieren. Sie sitzen nämlich in einem Ford Modell T der C Klasse“, betonte er. „Das Fahrzeug ist direkt aus Amerika importiert worden, also das allerneuste Automobil, was es zurzeit auf dem Markt gibt. Und das Baby hat unglaubliche 25 PS unter der Motorhaube“, schwärmte Miller. „Da waren wahre Ingenieure am Werk, die an alles gedacht haben. Das Auto kippt also niemals um, selbst bei der schärfesten Kurve nicht, das versichere ich Ihnen. Wer hätte denn noch vor zehn Jahren gedacht, dass man bald ohne ein Pferdegespann von einer Stadt zur Nächsten reisen wird? Ich bin davon überzeugt, dass das Automobil die Zukunft ist. Es wird höchstwahrscheinlich sogar bald die Eisenbahn ersetzen“, behauptete er mit wankendem Zeigefinger.
„Fünfundzwanzig PS? Was bedeutet das denn, fünfundzwanzig PS?“, wollte Eloise wissen.
„PS ist das Kürzel für Pferdestärke. Stellen Sie sich einfach vor, das hier ist eine Kutsche und wir werden von fünfundzwanzig Pferden gezogen. Diese unglaubliche Leistung erbringt dieser Motor. Es ist die Technik, die das alles möglich macht, Misses van Broek. Wir leben jetzt im Zwanzigsten Jahrhundert und haben längst die Meere erobert, nun auch die Straßen und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Menschheit sogar die Luft erobert hat! Sicherlich haben Sie es auch gelesen, stand ja letztes Jahr ganz groß in der Zeitung, wie der Schweizer, Mister Armand Dufaux, mit seiner Doppeldecker-Propellermaschine sogar mehr als sechzig Kilometer über den Genfersee bis hin nach Genf geflogen war. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, bis der erste Mensch die Ozeane überfliegen wird. Die Technik ist ein Meisterwerk, was der Mensch ganz alleine ohne Gott erschaffen hat!“, betonte er.
Eloise lehnte sich wieder zurück, wobei sie ihren Kopf geduckt halten musste, und blickte Ike mit großen Augen an.
„Ike, hast du das gehört? Was die Technik heutzutage alles kann. Wir werden praktisch von fünfundzwanzig Pferden gezogen. Fünfundzwanzig Pferde … Das ist doch verflixt unglaublich, nicht wahr?“, sagte sie völlig erstaunt.
Ike verdrehte seine Augen und verzog kurz seinen Mund, während er durch das offene Seitenfenster in die Landschaft blickte. Der Fahrtwind wehte durch sein dunkles Haar.
„Liebes, die Maschinen der Titanic erbringen die Leistung von 60.000 PS. Verzeihe mir also, wenn ich deine überschwängliche Begeisterung nicht teile“, moserte er.
Eloise verschränkte ihre Arme und streckte ihm nach dieser Bemerkung die Zunge raus.
„Du und deine blöde Titanic immer. Was du schon wieder für eine Laune hast.“

Detective Hunter blickte abwechselnd hinter seine Schulter und auf den Feldweg, der direkt neben dem Waldrand führte. Einen Rückspiegel gab es in dem Ford schließlich nicht, um den Blickkontakt aufrecht zu erhalten.
„Ach richtig, Mister van Broek. Das hatte ich total vergessen. Sie arbeiten ja an der Titanic. Erzählen Sie doch mal, ich meine, wie ist das Schiff denn so? Ist es wirklich dieses sagenumwobene Traumschiff, wie jedermann behauptet? Ich hörte, es soll angeblich mit einer Turnhalle, sogar mit einem Schwimmbad und einem Türkischen Bad, was auch immer das sein mag, ausgestattet sein. Meiner Meinung nach ist das zwar nur Firlefanz für die Reichen, aber es würde mich zugegeben sehr reizen, diesen Komfort einmal zu nutzen. Was mich aber wirklich interessiert … Glauben Sie auch, dass die Titanic nach ihrer Jungfernfahrt das blaue Band erhalten wird? Kann sie die Mauretania, das zurzeit schnellste Schiff der Welt, diesbezüglich schlagen? Die Zeitungen behaupten es jedenfalls. Ich sehe aber ehrlich gesagt keinen drastischen Größenunterschied zwischen der Titanic und der Olympic. Worin besteht zwischen diesen zwei Giganten überhaupt der Unterschied? Die Schiffe sehen doch beide identisch aus. Könnten Sie mir vielleicht ein paar Tickets besorgen, so unter der Hand, wenn Sie verstehen was ich meine? Es wird ein riesiges Tamtam um dieses Wunderwerk der Technik gemacht, schon allein deswegen wäre es reizvoll, bei der Jungfernfahrt dabei zu sein. Ganz zu schweigen von der Prominenz, die an Bord gehen wird. Das wäre ein einmaliges Erlebnis, dabei zu sein, und mit den Schönen und Reichen gemeinsam in einem Speisesaal dinieren zu können.“
Detective Hunter runzelte die Stirn und lachte. „Entschuldigen Sie mich, Mister van Broek, was erzähl ich da bloß? Eine Jungfernfahrt ist ja immer einmalig.“
Ike schmunzelte. Die Atmosphäre war nun endlich aufgelockert und geradezu munter. So wie sie sich benahmen und sich ausdrückten, dass der Mensch mit seiner Technik sogar über Gott stehen würde, war zeitgemäß und ließ ihn aufatmen. Mittlerweile glaubte er von wahren Akteuren, von wahren Gesetzeshütern umgeben zu sein und da sie tatsächlich den Weg schnurstracks in die Stadt ansteuerten, glaubte er, dass sie tatsächlich vom New Scotland Yard und keine angeheuerten Killer waren. Oder gar die Komplizen von Charles. Zudem verhielten sich die Männer völlig entspannt, waren gesprächig und waren ohnehin unbewaffnet. Keine Pistolen, keine Schrotgewehre. Der dritte, junge Detetcive neben ihm, schien im gleichen Alter wie er selbst zu sein. Er hatte sogar die ähnliche Statue; er war ungefähr genauso groß und war scheinbar athletisch gebaut, genau wie er selbst. Als Ike ihm ins Gesicht schaute, lächelte dieser nur nickend.
Dieser Hanswurst ist niemals ein TT aber falls doch, haue ich den locker als erstes um. Also hätte ich es sowieso nur mit zwei raffinierten Schweinehunden zu tun, dachte Ike sich im Stillen und erwiderte sein freundliches Lächeln mit einem überheblichen Grinsen.

Ike entschied sich also nicht voreilig zu reagieren, um die Herren vorbeugend zu eliminieren, obwohl es jetzt in dieser abgeschiedenen Waldgegend die einmalige Chance dazu wäre. Überdies waren Eloise und Justin anwesend und er wollte ihnen keinesfalls ein Blutbad zumuten. Sicherlich wäre sie äußerst schockiert darüber, wozu ihr Ehemann fähig ist und würde daraufhin vielleicht ein Trauma erleiden. Wäre nur Anne mitgefahren, hätte Ike nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet und hätte einfach skrupellos gehandelt und die Polizisten umgebracht. Gleich wenn sie Akteure wären hätte Ike vor der Justiz auf vorsorgliche Notwehr plädiert, weil ihm in dieser brenzligen Situation keine genaue Informationen von Frau Dr. Heinzmann gegeben wurden. Im Grunde hatten die Herrschaften es nur Eloise und Justin zu verdanken, dass Ike sein Vorhaben noch einmal gründlich überdachte und entschieden hatte, alle Drei am Leben zu lassen.
„Ja, die Titanic übertrifft bezüglich des Komforts in der Tat alle bisherigen Ozeandampfer, die jemals über die Meere gefahren sind. Selbst die angepriesenen Luxusschiffe Mauretania und Lusitania wird von der Titanic in jeder Hinsicht in den Schatten gestellt, bis auf die ehrenvolle Auszeichnung des blauen Bandes. Die Titanic wird mit der Geschwindigkeit der Mauretania niemals konkurrieren können“, erläuterte Ike. „Ich gebe Ihnen einen gutgemeinten Ratschlag. Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung geschrieben steht. Die Titanic ist weder unsinkbar, noch wird sie jemals mit dem blauen Band ausgezeichnet werden, weil sie zu groß und zu schwerfällig ist und allerhöchstens eine Geschwindigkeit von 22 Knoten erreichen wird, wogegen die Mauretania 28 Knoten erreicht hatte. Selbst ihr Schwesterschiff, Lusitania, schaffte bislang nur 26 Knoten“, meinte Ike. „Das ist übrigens ungefähr so schnell, wie wir gerade mit Ihrem Ford fahren. Die Titanic wird als das größte Schiff bezeichnet, weil es lediglich einige Tonnen mehr Kapazität als ihr Schwesterschiff Olympic vorweisen kann. Sie verstehen, das ist alles nur Propaganda. Großes Geschwätz von der White Star Line, um insbesondre die Reichen zu beeindrucken und anzulocken. Weiter nichts. Der markante, äußerliche Unterschied zwischen beiden Gigaliner ist lediglich, dass das Promenadendeck der Titanic überdacht ist und bei der Olympic eben nicht. Die Gerüchte, die Titanic sei, was weiß ich, zwanzig Zentimeter länger als die Olympic, entspricht nicht der Wahrheit! Und mit Tickets unter der Hand, wie Sie es bezeichnen, kann ich Ihnen leider nicht aushelfen, Sirs. Ich bin nur ein Vorarbeiter von Harland & Wolff und habe keinerlei Beziehungen zur Geschäftsführung der White Star Line in Liverpool.“
Eine kurze Stille herrschte im Auto, das permanente Knattern des Motors war zu hören.
„Verstehe, verstehe“, entgegnete ihm Miller. Kurzes Gelächter erklang.

Nun war die Stimmung endgültig aufgelockert. Selbst Ike fühlte sich mittlerweile entspannt, kniff Eloise in die Bauchseite und schmatzte ihr auf den Nacken, woraufhin sie quickte und ihm liebevoll ins Ohr knurrte: „Ich liebe dich.“
Eloise jauchzte plötzlich, als sie ein Sprung Rehe auf einer weiten Wiese erblickte und daraufhin euphorisch von ihrem Rehkitz erzählte, dies Detective Sergeant Miller und seine Kollegen sichtlich entzückte und sie nach dem Wohlergehen des kleinen Kitzes fragten. Selbst Anne wirkte sichtlich entspannter als zuvor.
Nur der vierzehnjährige Justin war misstrauisch und ängstlich wie bisher. Der Junge hatte immer noch ein ungutes Gefühl, blickte die ganze Zeit stur aus der Seitenöffnung des Autos und sah den vorbeiziehenden Waldbäumen zu. Ihm behagten die fremden Männer nicht und insgeheim fürchtete er, dass sie ihn und seine Mutter wieder zurück in das 25. Jahrhundert bringen würden. Er befürchtete gar, dass man ihn von seiner Mutter entzweien könnte. Lieber wollte er sterben, dachte er sich.
„Na, junger Mann, warum bist du denn so still?“, fragte Detective Sergeant Miller freundlich. „Erzähl du doch Mal von deinem Rehlein. Es bereitet dir doch sicherlich viel Spaß. Als ich noch ein Bursche war, ungefähr in deinem Alter, hatte ich mir auch immer ein Reh als Freund gewünscht aber mein Vater sagte mir damals, dass das niemals passieren wird, weil Rehe scheue Wildtiere sind.“
Justin ignorierte den Polizisten, ließ ihn plaudern und blickte weiterhin in die Landschaft.
„Es ist mein Rehkitz, ich habe es gefunden!“, funkte Eloise leicht verärgert dazwischen. Dies wollte sie unbedingt klarstellen aber Detective Sergeant Miller fuhr einfach fort.
„Damals, als mein Vater noch lebte, war er ein leidenschaftlicher Jäger gewesen. Er sagte einmal zu mir: Mit einem Wildtier kannst du niemals Freundschaft schließen, so wie mit einem Hund oder mit einer Katze. Sollte es dir aber dennoch gelingen, mein Sohn, dann ist das ein Zeichen, dass du von Gott gesegnet bist.“ Er seufzte schmunzelnd. „Sogar der verdammte Köter meines Nachbars bellt mich heute noch ständig an.“
Detective Hunter und Ike lachten daraufhin. Plötzlich fasste der der junge Detective den Fahrer Hunter an die Schulter.
„Könnten wir mal anhalten? Ich muss mal dringend austreten.“

Kieselsteine knisterten unter den Autoreifen, als der Oldtimer langsam am Waldesrand ausrollte.
„Wer muss, der muss halt“, meinte Detective Hunter lächelnd.
Anne und Justin mussten zuerst aussteigen, damit der junge Detectiv ebenfalls aussteigen konnte. Gemächlich lief er hinter einem Baum und verrichtete seine Notdurft, während Ike seine Taschenuhr aufklappte. Es war bereits kurz nach 10 Uhr.
„Detective Sergeant, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir uns etwas eilen könnten. Ich muss nämlich spätestens …“
Ike stockte, weil Detective Sergeant Miller und sein Kollege Hunter plötzlich eilig ausstiegen, die Autotüren verschlossen und das Automobil fluchtartig verließen.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Eloise völlig verwundert und sah zu, wie Miller Anne und Justin packte und sie gegen ihren Willen in den Wald zerrte. Mutter und Sohn kreischten, während auch Detective Hunter davon rannte und zwischen Gebüsch und Bäumen verschwand.
Ike blickte hinter seine Schulter und sah durch die ovale Heckscheibe, wie der junge Detective mit bedrohlicher Mine auf sie zukam.
Sein Gesichtsausdruck sowie sein starrer Blick verrieten Unheilvolles. Ike weitete entsetzt seine Augen – in seinen Händen hielt der Mann jeweils eine kurze, handliche Schrotflinte, diese er zugleich direkt auf das Auto richtete, während er schnellen Schrittes lief. Ike reagierte reflexartig; er packte Eloise und schützte sie mit seinem eigenen Leib, indem er sie auf die Rücksitzbank drückte.
PAFF, der erste Schuss krachte. Etliche Schrotkugeln drangen durch das Blech der Karosserie und ließen Glas zersplittern. Die Lederpolster der Sitze platzen auf, woraufhin Federn explosionsartig im Wageninneren umher flogen.
PAFF, der zweite Schuss knallte, daraufhin sogleich die Windschutzscheibe zerbärste und das schwarze lederne Verdeck teilweise aufplatzte, das Tachometer zersplitterte und das hölzerne Lenkrad zerfetzte.
Eloise zuckte kurz auf und stöhnte. Der junge Detective warf die leergeschossene Schrotflinte weg, hielt mit hasserfülltem Gesicht die zweite Flinte auf die Hintertür des Wagens und drückte erneut ab.
PAFF, ein weiterer Schuss durchlöcherte die Karosserie. Der Knall der Schrotflinte hallte sekundenlang durch die Waldidylle – abermals durchsiebten Schrotgeschosse die hintere Autotür und es hörte sich an, als würden dutzende Kieselsteine auf den Wagen prasseln. Das Blech wurde förmlich durchsiebt. Luft zischte hörbar aus den schmalen Reifen, es stank nach Diesel und der Sprit bildete auf dem Boden eine kleine Pfütze.

Mittlerweile hatte Ike begriffen, weshalb diese Leute von Bugsy zehn dieser Schusswaffen bestellt hatten. Eine Lupara war handlich und ließ sich leicht unter einem Mantel verbergen. Jedoch konnte man mit dieser Waffe, die nur aus kurzer Distanz absolut tödlich war, lediglich zwei Schüsse abgeben. Und das nachladen dauerte kostbare Sekunden. Der junge Detective zielte erneut direkt auf die Rücksitzbank, und drückte mit hasserfüllter Fratze nochmal ab.
PAFF. Wieder zerbärste Glas und Luft zischte aus den Autoreifen heraus. Das müsste reichen, beide müssten jetzt erledigt sein, dachte er sich. Er warf die zweite Lupara weg, griff in seine Mantelinnentasche und holte eine dritte abgesägte Schrotflinte hervor.
Einen Augenblick war es totenstill. Vorsichtig näherte er sich dem völlig durchlöcherten Ford.
Aber Ike lebte noch, dank seiner magnetischen Schutzweste. Seine Augen wanderten an der Autodecke umher. Es stank nach Diesel. Er horchte und vernahm, dass der Mörder sich langsam schrittweise näherte. Ike bemerkte, dass seine rechte Hand feucht war und als er diese begutachtete, blickte er entsetzt. Sie war blutverschmiert. Aber er war doch selbst nur an seinem Arm und Bein verletzt.
„Liebes … O nein!“, flüsterte er aufgebracht und blickte in ihre erschrockenen Augen.
Eloise war verwundet und sie keuchte. Ihr Nasen berührten sich beinahe, als er sie ansah. Er spürte ihren keuchenden Atem in seinem Gesicht.
„Bleib ruhig, Liebes. Immer atmen, alles wird gut … Hörst du?!“, flüsterte er ihr beharrlich ins Ohr.
Sie blickte ihn mit weit geöffneten Augen entsetzt an und nickte hektisch. Die Angst war ihr anzusehen. Sie keuchte und Schweißperlen glitzerten auf ihrem blassen Gesicht.
„W-was ist passiert? S-sind wir überfallen worden? Irgendetwas hat mich am Bauch gestochen. Ike … es tut so verflixt weh“, stammelte sie und Ike wusste, dass sie einen Schock erlitten hatte und sie sehr bald das Bewusstsein verlieren würde, weil sie angeschossen wurde.

Dieses Erlebnis war für Ike wie ein grausames Déjà-vu. Er erinnerte sich an Bugsy, wie er damals in seinen Armen gestorben war und mit letzter Kraft gestammelt hatte, dass die Mistkerle nun im Besitz von zehn abgesägten Schrotflinten plus der Munition wären. Demnach könnte ihm jetzt ein regelrechter Kugelschauer bevorstehen, denn der Kerl hatte bislang nur zwei Waffen verschossen.
Ike zog die EM23 aus seinem Hosenbund und zielte genau auf die Fensteröffnung.
Ein Schatten näherte sich. Der junge Detective schritt dem durchlöcherten Oldtimer Ford vorsichtig entgegen, hielt die handliche Schrotflinte mit ausgestrecktem Arm aus und blickte mit ernster Miene in den Wagen hinein.
Diese Attacke müsste tödlich gewesen sein, dachte er. Die sind beide erledigt. Als er auf die Rücksitzbank schaute entdeckte er, wie Ike schützend auf Eloise lag und ihm seine silbernen EM23 entgegen hielt. Das Letzte was der junge Detective noch sah, war Ikes rachesüchtiger Blick und den Mündungsfeuerdämpfer seiner Waffe, dieser kurz aufblitzte.
Ein kurzes, beinahe lautloses Zischen drang aus der Mündung. Das Projektil drang in dessen Brust ein, woraufhin er sogleich mit aufgerissenen Augen zurück taumelte und bäuchlings zu Boden stürzte. Ihm gelang es nicht einmal aufzustöhnen, sondern er war sogleich tot, weil ihm augenblicklich seine Eingeweide explosionsartig aus dem Rücken geplatzt waren und nun irgendwo im Gebüsch verstreut lagen. Sachter Rauch qualmte aus dem Loch seines Rückens und es zischte wie ein gegrilltes Steak. Ike hatte schließlich das rote Lämpchen im Magazin seiner EM23 aktiviert.

„Liebes … O nein. Du musst durchhalten!“
Eloise wurde, trotz das Ike sie mit seinem eigenen Körper geschützt hatte, von einem Querschläger lebensbedrohlich seitlich am Bauch getroffen und sie drohte zu verbluten. Ike selbst wurde nur am Arm und an seinem Oberschenkel verletzt, dies er aber momentan gar nicht wahrnahm. Die Schmerzen der etlichen Schrotkugeln, welche ihn am Rücken getroffen hatten und unweigerlich tödlich gewesen wären – hätte er seine Schutzweste nicht getragen – bemerkte er erst Recht nicht. Es schien ein Wunder zu sein, dass die Streumunition der Lupara seinen Kopf verfehlt hatte.
Eloise benötigte sofort ärztliche Hilfe, sie musste umgehend operiert werden, andernfalls würde sie verbluten. Er blickte panisch umher, konnte jedoch nichts Brauchbares finden, womit er ihre Blutung stoppen könnte. Kurzentschlossen zerriss er sein Hemd und drückte es auf ihre stark blutende Wunde. Dabei riss sein Hosenträger ab.
„Nimm das, press mit aller Kraft drauf und bleib ganz ruhig liegen. Henry wird gleich mit einem SEK-Kommando hier auftauchen, du wirst schon sehen. Ich bring dich ins Centrum, in meine Heimat, direkt ins Memorial Hospital, dort werden sie dich verarzten!“ Er lächelte gezwungen. „Dort wird auch zurzeit meine Mutter behandelt. Dann wirst du auch endlich mal die Frau auf den Fotos kennenlernen … Deine Schwiegermutter.“
„G-geh jetzt“, keuchte Eloise. „D-du musst sie aufhalten … Dein Auftrag, Dein-deine Mission“, röchelte sie.
Ike blickte sie entsetzt und verwundert zugleich an. Zum einen, weil sie schwer verwundet war aber zugleich war er stolz auf sie, weil sie ihm nun tatsächlich glaubte. Eloise lächelte kurz und streichelte seine Wange.
„Nun geh doch endlich … Sonst-sonst entkommen diese gemeinen Schwerverbrecher dir noch. I-ich halte schon irgendwie durch und warte bis Henry kommt“, röchelte sie.
Eloise schloss ihre Augen, Tränen rannen ihr über die Wangen und ihre Kräfte entschwanden allmählich. Ike jedoch schöpfte wieder Kraft, weil sie ihm, selbst im Angesicht des Todes, uneingeschränktes Vertrauen entgegen brachte. Er küsste sie auf die Stirn, doch sie war bereits bewusstlos geworden. Aber jede Sekunde würde Henry mit einem SEK-Team erscheinen, dann wäre Eloise gerettet, dachte er.

Immerhin, ein TT war eliminiert worden. Ike hielt seine Waffe mit beiden Händen fest im Griff, kullerte aus dem Wagen heraus, rannte in den Wald hinein und eilte geduckt von einem Baumstamm zum Nächsten. Er lehnte mit dem Rücken an einem Baum, keuchte und lauschte. Die Energie der EM23 würde nur noch für zwei weitere Dumdum-Geschosse ausreichen, also musste jetzt jeder Schuss effektiv eingesetzt werden.
Er vernahm weit entfernt die Schreie von Anne und Justin und als er sogleich lossprintete, ihnen hinterher eilten wollte, krachte ein weiterer Schuss. Ike rollte sich sogleich auf dem Boden ab und richtete seine Waffe dorthin, woher er den Schuss vernommen hatte. Dann sah er Miller, wie er hinter einem Baumstamm kniete, auf ihn zielte und noch bevor dieser den Abzug betätigen konnte, feuerte Ike direkt auf diesen Baumstamm. Es platzte nur etwas Rinde ab – nur ein kleines Einschussloch im Baum war zu sehen –, doch zugleich explodierte der hinter Stamm, woraufhin Miller erschrocken aufsah, stöhnte und rücklings zu Boden fiel.
Die Rückseite des Baumstamms war völlig zerfetzt worden und die Tanne drohte gar umzubrechen. Die schwarze, hautenge Schutzweste zeichnete Ikes schwitzenden, muskulösen Oberkörper ab. Sein Oberarm blutete und er humpelte. Er hielt mit beiden Händen seine EM23, stieg über den liegenden Detective und starrte ihn kaltblütig an. In Millers Leib steckten etliche Holzsplitter; sein Körper wurde von regelrechten Holzkeilen getroffen und durchbohrt worden, sein Herrenanzug war mit Blut getränkt und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Die Holzsplitter hatten wie Geschosse gewirkt und steckten nun in seinem Leib, wie unzählige Messer. Miller war zwar schwer verletzt, jedoch nicht unbedingt lebensgefährlich.
„Van-van Broek“, keuchte Miller, während er seine Hand schützend hochhielt. „I-ich ergebe mich. Du-du darfst mich nicht töten. Du musst mich verhaften. Ich bin ein wichtiger Zeuge und ich kann dir Eric ausliefern!“
Miller hustete und Ike starrte ihn an, steckte die EM23 in seinen Hosenbund und hob die Lupara Schrotflinte auf. Er knickte den zweiläufigen Gewehrlauf um. Eine Patrone steckte noch drin.
„Na-na los … Mach schon und verhafte mich“, stammelte der dicke Detective Miller und lächelte dabei verkrampft. „Leg mir die Handschellen an und bring mich in euer Centrum. Das ist deine verdammte Pflicht! Eric wird es sein, der die Titanic vor dem Untergang bewahrt. Er und noch einer stecken dahinter. Wir-wir sollten dich nur aufhalten. Es macht doch keinen Sinn, mich jetzt zu töten. Du musst schon Eric schnappen, wenn du deine Mission erfüllen willst. Denn nur durch Eric kommst du auch an den Anderen ran. Und nur ich weiß, wie und wo du ihn zur Strecken bringen kannst!“

Als Ike aber die Schrotflinte direkt vor seinem Gesicht hielt, verging ihm sein überhebliches Lächeln. Dieser Mann war kein Akteur, sondern ein Profikiller aus seiner Zeit, und hatte sicherlich schon dutzende Leute ins Jenseits befördert. Wiederum wurde auch er selbst schon dutzende Male bedroht und erkannte es sofort, ob jemand tatsächlich den Schneid dazu hätte und entschlossen genug wäre, einen Menschen kaltblütig umzubringen oder nur bluffte. Detective Miller, der von etlichen Baumkeilen praktisch aufgespießt wurde, war es mulmig zumute, weil Ike äußerst entschlossen wirkte.
„W-was hast du vor?“, röchelte er. „Du darfst mich nicht einfach abknallen … Das wäre eine Hinrichtung und Mord. Das wäre ein großer Fehler. Damit wirst du nicht leben können. Nicht du! Leg mir gefälligst die Handschellen an. Ich werde aussagen!“, flehte er mit letzter Kraft.
Über Ikes Mund huschte nur ein müdes Lächeln.
„Eric habe ich bereits ausgeschaltet, mein Freund. Und zwar am Mittwoch den 10. April 1912 im South Western Hotel in Southampton. Das wird sechs Monate später passieren. Deine Aussage wäre demnach Vergangenheit und ist nicht mehr relevant“, sagte er emotionslos.
Ike senkte den kurzen Lauf der Schrotflinte und hielt diesen auf seinen Leib.
„Ihr Bastarde habt meine Frau angeschossen. Das allein war schon euer Fehler gewesen. Und doch … Ich kann mit einer Hinrichtung leben.“
Dann drückte Ike ab – ein Knall zerfetzte die Stille im Wald – und erschoss Miller, der kurz aufzuckte und mit offenem Mund und Augen leblos liegen blieb.

Der flüchtende Detective Hunter zuckte zusammen, als er den schallenden Schuss hörte, kniete nieder und zerrte Justin runter. Während er dem Jungen eine Lupara Schrotflinte gegen seine Schläfe hielt, forderte er Anne barsch auf, dass sie sich flach zu Boden legen sollte.
„Runter, du blöde Schlampe und Klappe halten!“, zischte er. „Oder ich knall deinem kleinen Bastard den Schädel weg!“
Anne gehorchte, legte sich bäuchlings hin, sah ihn flehend an und bettelte, dass er ihren Sohn freilassen sollte. Sie redete unaufhörlich auf ihn ein, dass Ike sicherlich gerade erschossen wurde und sie bereit wäre, alles zu tun, was er verlangen würde. Aber insgeheim betete sie, dass Ike nichts geschehen war und er sogleich zur Hilfe kommen würde.
„Halt verdammt noch mal die Fresse!“, fauchte er, drückte Justin die zweiläufige Gewehrmündung fester gegen seinen Kopf und starrte angespannt durch das Waldgestrüpp. Neben ihm, an einem Baumstamm, lehnten weitere geladene Schrotflinten.
Eine unheimliche Stille herrschte, nicht einmal Vogelgezwitscher war zu hören. Plötzlich hörte der angebliche Scotland Yard Beamte eine wispernde Stimme, die irgendwo hinter ihm aus dem Gestrüpp flüsterte.
„Psst … Lass den Jungen und die Frau gehen. Wir haben alles unter Kontrolle. Der Europäer ist noch am Leben. Lock diesen Scheißkerl hierher, den Rest erledigen wir. Gute Arbeit, Hunter“, sagte eine Stimme.
Daraufhin ließ der Detective Mutter und Sohn laufen. Detective Hunter wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Schön euch zu sehen, Jungs. Alles verläuft nach Plan. Schickt diesen verdammten Centrumianer zur Hölle!“

Anne und Justin rannten panisch davon. Aber Anne stockte plötzlich, blieb nach einer gewissen Distanz stehen und sah entsetzt zurück. Sie musste genauer hinsehen, weil diese Personen getarnt waren, aber sie konnte eindeutig erkennen, dass acht bewaffnete Soldaten in ausgegrabenen Schützengräben lagen und sicherlich auf Ike lauerten, falls er tatsächlich überlebt hatte. Falls dem so sein sollte, würde Ike direkt in eine tödliche Falle laufen. Anne forderte ihren Sohn auf, dass er so schnell er könnte davon laufen sollte.
„Ike … Pass auf! Du läufst direkt in eine Falle!“, kreischte sie. Dann rannte sie Justin hinterher.
Ike huschte von einem Baumstamm zum Nächsten. Annes Warnruf war durch den Wald geschallt und er hatte es vernommen. Keuchend hielt er sich hinter einem Baum versteckt, hielt mit beiden Händen seine silberne Waffe gegen die Stirn und lugte kurz hervor. Ike blinzelte. Seine EM23 hatte nur noch die Energie, um einen einzigen Schuss abzugeben.
Er sah wie der falsche Scotland Yard Beamte, Detective Hunter, seine Hände hob und im Hintergrund entdeckte er zwei schwarze Gestalten, die umher huschten. Irgendeine Aktivität war dort zugange, die er aber nicht erkennen und zuordnen konnte. Sein Blick wanderte nervös umher. Er musste den Kerl in Schach halten aber wollte zugleich wissen, was sich im Hintergrund abspielte.
„Ich ergebe mich, van Broek. Na los, schnapp mich!“, rief der Detective Hunter.
Ike ging langsam auf ihn zu, wobei er seine Waffe beidhändig auf ihn richtete.
In diesem Moment spritzte plötzlich Blut, wie eine zerplatzte Farbbombe aus Hunters Hinterkopf heraus – sein linkes Ohr rotierte durch die Luft, seine Augen verdrehten sich und der Detective sank leblos zu Boden. Wieder erkannte Ike, ungefähr zwanzig Meter vor sich, zwei schwarze Gestalten, die offenbar mit den feindlichen Soldaten kämpften.
Alles war verwirrend.
Zeitgleich verspürte er selbst einen kurzen Schmerz an seiner linken Schläfe, als hätte ihn ein Stein am Kopf getroffen, und brach augenblicklich zusammen. Ike lag nun regungslos auf dem feuchten Waldboden. Seine linke Schläfe blutete.
 
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Wahnsinnig spannend. Ein toller Abenteuerroman.

Evi Apfel (11.10.2025)

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