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4 Seiten

Das Reich der weißen Wolken

Trauriges · Kurzgeschichten
Unruhig kratzt der Stift über das Papier. Zittrig wird meine Hand. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, viel Zeit ist vergangen, bis ich meinen Entschluss fasste. Noch wenige Worte und ich habe es vollendet, noch wenige Worte, noch wenige Minuten und es ist vorbei.
Ich lege meinen Stift nieder und falte das Blatt, ordentlich, wie ordentlich ich es zusammenfalte. Weiß ist der Brief, schwarz die Schrift. Ich überlege, ob ich nicht doch einen Fehler gemacht habe, doch jetzt ist es zu spät, die Uhr tickt, ich kann sie hören, die Uhr, sie ist mein Richter und das Urteil ist gefällt. Sonne scheint mir ins Gesicht, doch ich wehre ihre Strahlen ab, halte die Hand vor meine Augen und sehe aus dem Fensters meines Zimmers.
Weite ..., weite Landschaften erstrecken sich dort. Es ist schön sie zu betrachten, nichts zu fühlen, nichts zu hören nur dazustehen, beobachten, Abschied zu nehmen.
Ich gehe zu der Tür meines Zimmers und drehe den Schlüssel im Schloss. Schläfrig werde ich, schwer meine Augen. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und blicke aus dem Fenster über mir. „Was tust Du?“ frage ich mich, „Was machst Du bloß?“ Schön sind die Wolken, wie sie vorbei ziehen, schön ist es ihrem Weg zu zusehen Zuerst sind sie kräftig und gross, so weiß wie Wattebauschen. Sie werden länger, bewegen sich und verfliegen im himmlischen Blau der Unendlichkeit, werden dünner und lösen sich letztendlich auf. „Das Leben ist wie eine Wolke“ dachte ich mir. „Ist dann unser Körper der Himmel, der Horizont unser Gehirn? Was ist dann Norden, Osten, Westen und Süden? Was sind Sonne und Mond oder die Sterne?
Was ist wenn es regnet? Sind wir dann traurig? Oder wenn es stürmt? Sind wir dann wütend und schlagen Blitze?
Ich fühle die Schwäche, die meinen Körper durchzieht, meine Arme und Beine scheinen gelähmt. Ich drehe meinen Kopf und sehe zu meinem Nachttisch. „Der Brief, er ist meine Regenwolke“ dachte ich. Daneben stand das Glas mit der Flüssigkeit. Fast leer war es, fast leer. Die Flüssigkeit, sie war ebenso weiß, weiß wie eine schöne Wolke. Erlösen sollte sie mich und als sie meinen Rachen hinunterfloss habe ich gelächelt.

Aber da, ein Geräusch, wage vernehme ich Stimmen, Stimmen im Haus! Nein, was machen sie hier, warum können sie nicht verschwinden und mich in Frieden lassen? Meine Träume, meine schönen friedlichen Träume, sie verfliegen, meine Gesichtsmuskeln verkrampfen und ich verspüre Regen, es regnet und stürmt in mir. Ich sammele alle Kräfte, die sich noch in mir befinden, überwinde meine Schwäche und strecke meinen Arm aus. Langsam erhebe ich mich und beinahe sitze ich schon aufrecht. Gleich hatte ich es geschafft. Meine Fingerspitzen waren nicht mehr weit entfernt, entfernt von dem Knopf, von der Taste. Dann endlich, Musik ertönt und mein Bett findet mich wieder. Nichts muss ich nun hören, außer der schönen Melodien, der zarten Stimme. Langsam bewegen sich meine Lippen und stumm fange ich an zu singen. Ich schließe meine Augen und träume von weißen Wolken. Die Musik lässt mich erinnern, erinnern an jene Tage an den es nicht regnete, an Tage voller Sonnenschein. Dann aber, der Himmel zog sich zu, Blitze schlugen auf die Erde und grau waren die Wolken. Keinen Ausweg mehr sah ich aus dem Gewitter, kein Entkommen mehr aus dem Schwarz. Mein Blitz traf meine Welt und zerstörte sie, mein Blitz traf seine Welt und und ließ sie verbrennen. Grau blieben die Tage, schwarz die Nächte, bis heute nur Gewitter und Regen.
Und da wieder, Klopfen jetzt an meiner Tür, Tritte und Rufe. Doch ich höre sie nicht, ich kann es nicht mehr hören.
Ich sehe sein Gesicht, sehe noch einmal meinen Brief in meinem Traum. Nein, es war kein Traum, der Brief, er war wirklich, er lag da, nicht einen Meter von mir entfernt. „Guter Brief“ dachte ich. „Gute Geschichte“ und las ihn noch einmal in meinen Gedanken :

"Ich sehe in den Spiegel. Kalt ist das Wasser, dass über meine Hände läuft, kalt ist der Schauer, der beim Anblick meiner selbst über den Rücken fährt. Es sind nicht meine Haare, es ist nicht meine Nase, noch die Farbe meiner Haut, es sind die Augen in die ich schaue, meine Augen, die sich schuldbewusst von meinem Spiegelbild abwenden.
Was haben diese Augen gesehen? Was hat dieser Mund, diese Stimme, was haben sie gesagt. Welche Wörter haben sie geformt? Warum haben sie jemals diese Wörter geformt, diese Wörter, die einer anderen Seele wehtaten. Warum konnten die Wörter nicht ersticken, warum sind sie mir bloß entflohen. War es Wut? War es vielleicht Hass oder Eifersucht? War es Verzweifelung? War es Liebe?
Es war, doch nun ist sie erloschen, nun gibt es nichts mehr außer Kälte und Einsamkeit. Mitleid darf es nicht geben, mein Handeln, mein eigenes Handeln bestimmte mein Schicksal. Ich hatte eine Chance, doch ich nutzte sie nicht. Ich habe sie nicht nur nicht genutzt, ich wehrte sie ab, schlug sie, warf sie weg wie ein altes Stück Dreck. Warum habe ich das getan? Hatte ich Angst? Angst zu versagen? Angst der bevorstehenden Prüfung nicht entgegentreten zu können?
Ich schließe meine Augen. Langsam verschwindet mein Bild, langsam erscheint ein anderes. Es ist ein Gesicht, doch nicht meins. Ich erkenne die Augen, in die ich mich nie traute zu schauen. Ich erkenne Nase, den Mund, die Ohren und die Haare. Ich sehe den Menschen, dem ich Unrecht tat. Doch was sollte ich jetzt damit anfangen, was konnte ich tun? Die Worte um sich zu entschuldigen gab es nicht, denn kein Wort war so ungerecht und grausam, wie ich es einst war. Ich kann es nicht wieder gut machen, ich weiß nicht wie und ich habe keine Kraft. Der Fluch und die Schuld sind zu groß, zu schwer lasten sie auf meiner Seele. Ich möchte nun nicht mehr Unrecht tun, ich möchte nun nicht mehr verletzten und Tränen herbeirufen. Ich hatte es nie gewollt, doch verhindern konnte ich nicht.
Ich öffne meine Augen und sehe sie an. Näher lehnt sich mein Gesicht an die kalte Fläche, näher kommen die Haare, die Nase und der Mund. Größer werden die Augen, die Brauen und die Wimpern. Keine Träne rollt über meine Wange, kein Schluchzen entrinnt. Weiß wird meine Haut sein, leer meine Augen, leer und ohne Schuld. Ich bin still und ich bin stumm. Ich bin bereits gestorben."

Wieder stören mich Stimmen. Meine Augen bleiben geschlossen. Was ist das für ein Geruch? Habe ich es geschafft? Bin ich im Reich der Weißen Wolken? Natürlich, ich muss doch dort sein, ich kann doch nicht überlebt haben?
Aber was ist das für ein Geruch, ein strenger Geruch nach Putzmittel, so steril. Riecht es im weiten Reich der Wolken etwa nach Putzmittel? Und wessen stimmen sind das? Ich kann nicht verstehen was sie sagen, sie klingen so dumpf und schwer. Aber warum lacht denn hier niemand, warum gibt es hier niemanden, der mich fröhlich begrüßt, als neues Mitglied? Der Glaube daran, woanders zu sein lässt mich erschüttern? Hatte ich wieder versagt? Ich habe Angst meine Augen zu öffnen, Angst vor dem Regen, der mich erfassen könnte. Dennoch, langsam heben sich meine Lider, ganz, ganz langsam. Grelles Licht lässt mich blinzeln. Ich schaute mich um. Ein weißes Zimmer, ein weißes Bett, ein weißer Schrank „Kann es denn möglich sein? Sieht das Reich der Wolken vielleicht aus wie ein Krankenzimmer?“
Die Tür öffnet sich, ein Mann mit weißem Kittel tritt ein, gefolgt von bekannten Gesichtern. Eine Schwester zieht den Vorhang des großen Fensters zur Seite. Alle starrten sie mich an, doch ich wollte sie nicht sehen. Ich blicke aus dem Fenster. Es regnet.
 
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Kommentare  

Schön wie du die Gefühle in dieser Geschichte beschrieben hast. Sie kamen mir fast zu nah...Mach weiter so...
Nur einen Satz habe ich nicht verstanden (Ich lege meinen Stift nieder und falte das Blatt, ordentlich, wie ordentlich ich es zusammenfalte.) Vielleicht solltest du noch hinzufügen, das ihr bewußt wir wie ordentlich sie es zusammenfaltet. So habe ich den Eindruck du hast es doppeltgemoppelt geschrieben. Nur ein Tipp und 5 Punkte


Amazone (23.04.2003)

Wirklich traurig, diese Story, aber irgendwie auch geheimnisvoll.
Der Schluß war unerwartet, aber vielleicht schafft der Selbstmörder es ja das nächste mal.


Lars (24.05.2001)

Traurig. Mit einem schluss, der einem keine hoffnung gibt.

 (25.03.2001)

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