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4 Seiten

Telefongespräch

Schauriges · Kurzgeschichten
Warum ich diese Zeilen hier schreibe? Ich weiß auch nicht genau. Es ist wohl meine Art meine Erlebnisse, die mich zum Mörder machten zu verarbeiten. Mit dieser kleinen Geschichte, möchte ich den Sinn meines Todes erklären.
Ich habe nie an das Übernatürliche geglaubt. Ich kann nicht sagen, ob ich es in diesem Moment tue. Ich verstehe es sogar wenn die Nachwelt dies, was ich hier versuche zu beschreiben, mir nicht glauben wird, mich für verrückt erklärt.
Doch hiermit bekenne ich mich schuldig, ich bin Schuld an dem Tod eines Menschen. Ich habe nun nicht mehr das Recht zu leben. Leben? Könnte ich das jetzt noch? Ich konnte es einmal, doch jetzt, nach all den Tagen, nach all den Stunden des Kampfes, der Verzweiflung, der Schuld, die ich versuchte mir auszureden? Nein, es ist zu spät. Jede Hilfe kommt zu spät, mein Leben endet hier!

Es ist jetzt genau ein Jahr her, auf den Tag, vielleicht sogar auf die Stunde genau, da es passierte. Ich war damals glücklich, das Leben war das schönste Geschenk, ich liebte die Welt und die Welt liebte mich. Ich konnte mich nicht beklagen, bis zu diesem Tag.
Es war eigentlich ein ganz normaler Tag. Ich stand auf, frühstückte, ging zur Arbeit. Nichts besonderes. An diesem Tag wusste ich nicht, dass schon alles zu spät war, das mein Schicksal besiegelt, mein Streben schon begonnen hatte.
Ich saß am Schreibtisch, an meinem Computer, so wie ich jetzt hier sitze. Das Telefon klingelte, nichts Unnormales, wenn man als Sekretärin arbeitet, nichts Ungewöhnliches bis hier hin. Es war schon spät, ich hatte noch ein paar Sachen aufzuarbeiten, bis hier hin nichts Ungewöhnliches.
Ich meldete mich ausschließlich mit einem „Ja?“, denn es war wie gesagt schon spät.

„Hallo Mary, wie geht es Dir?“ sagte die Stimme. Ich kannte sie, doch ich vermochte sie nicht zu bestimmen.
„Hallo, wer ist dort?“
„Du solltest mich kennen, Mary, überlege doch mal. Bitte sag nicht, dass Du mich vergessen hast.“ flehte er
Hätte ich damals aufgelegt, dann bliebe mir das Bevorstehende jetzt erspart. Hätten mich doch die geheimen Kräfte, die das bewirkten in Ruhe gelassen.
Hätte ich doch einfach aufgelegt. Ich war zu neugierig. Ach, hätte ich doch den Hören in die Gabel zurückgehängt. Wäre ich dann bewahrt gewesen? Aber ich konnte nicht. Diese Stimme, sie hielt mich gefangen und ich, ich konnte ihr nicht entrinnen, ich konnte nicht.
„Vielleicht....mmh...., nein, ich weiß es nicht, wer bist Du?“ erfragte ich neugierig
„Das wirst Du noch früh genug erfahren, Mary.“
Spätestens jetzt wäre jede Frau wohl misstrauisch geworden, hätte an gruselige Horrorfilme gedacht, in denen Frauen von Unbekannten angerufen werden und so ihren Mörder kennen lernen. Doch nicht der kleinste Funken Misstrauen, nicht ein Hauch von Skepsis machte sich bei mir breit. Warum? Warum ....
„Wie geht es Dir, Mary ?“
„Ganz gut, wie sollte es mir schon gehen? Und selbst?“
„Keine Ahnung. Ich weiß nicht.“
„Du musst doch aber wissen, wie es Dir geht?“
„Nein, ich fühle nichts.“
„Warum sagst Du mir nicht wer Du bist?“
„Es ist eine Überraschung“
„Überraschung? Ich wüsste wirklich nicht, wer mich überraschen sollte, ich kenne niemanden, der einen Grund dazu hätte.“ Sagte ich belustigt
„Wirklich nicht? Das ist Schade, wirklich schade.“
„Woher kennst Du mich, Du hast vorhin gesagt, ich hätte Dich vergessen.“
„Habe ich das ? Nun, ich kenne Dich schon lange.“ Begann er zu flüstern
„Woher?“
Er schwieg. Hätte ich diese Frage nicht stellen sollen? Aber war es nicht mein Recht? Doch er schwieg, einfach nur Stille. Meine nervösen Finger spielten mit der Schnur des Hörers. Sollte ich sprechen? Meine Frage einfach wiederholen? Sollte ich einfach nur warten? Oder auflegen? Nein, das konnte ich jetzt nicht. Bloß nicht auflegen, jetzt nicht aufgeben, sagte ich mir. Warum sagte er nichts? Wollte er mich auf die Probe stellen? Nun gut, das konnte er haben. Und wir schwiegen. Mein Herzschlag verschnellerte sich, die Sehnsucht nach dieser Stimme, sie wuchs und wuchs, ich hielt es fast nicht mehr aus, meine Geduld war am Ende, doch ich schwieg, sagte nichts. Leise hörte ich seinen Atem, gleichmäßig und ruhig. Es gab mir das Gefühl von Sicherheit, von bedrohlicher Sicherheit und wir schwiegen. Diese Minuten, es waren bloß wenige, sie waren die längsten meines Lebens. Die Zeit schien stehen zu bleiben, Uhren hörten auf zu ticken und wir schwiegen.
„Laß mich Dir eine Geschichte erzählen, Mary.“ begann das Spiel von neuem. Mein Herz schien noch schneller zu schlagen, meine linke Hand verkrampfte sich in meinem schäbigen Sessel, erleichtert, erlöst von der Sehnsucht. Da war sie wieder, die Stimme, sie klang jetzt ernster, verträumt, doch ich schwieg immer noch. Ich schloss die Augen, stellte mir den Menschen vor, der solch ungewöhnliche Worte in mein Ohr legte, mein Körper erzittern ließ, jeden Muskel straffte. Ich schwieg und lauschte:
„Es war einmal ein Junge, Mary. Niemand beachtete ihn. Er war unscheinbar, er war nichts besonderes. Aber er war fähig zu lieben, Mary. Er verliebte sich in ein Mädchen an seiner Schule. Es war nicht bloß eine Schwärmerei, es war wahre Liebe. Alles um ihn herum, sein bisheriges Leben, alle gesetzten Ziele, sie waren jetzt nicht mehr wichtig. Er liebte sie mehr als sein eigenes Leben, er hätte alles für sie getan, alles. Doch sie, sie beachtete ihn nicht einmal. Er machte ihr den Hof, wollte sie beeindrucken, doch alles was er gewann, waren abweisende, verachtende und kalte Blicke. Dann schrieb er ihr einen Brief, als Zeichen seiner Liebe. Er gestand ihr alles, versprach ihr sein Leben, einfach alles, Mary, hörst Du! Alles, sein Leben hing von ihr ab, weil er sie liebte! Doch der Brief brachte nur Unheil über sein Haupt. Er wurde zur Belustigung der ganzen Gemeinschaft. Alle lachten darüber, alle, auch sie. Sie lachte ganz besonders laut, laut und hässlich. Hätte sie wirklich lesen können, verstehen können, was Worte sagen, dann hätte sie nicht gelacht. Doch sie verstand es nicht, sie war dumm, zu dumm für ihn. Sein Schicksal war damit bestimmt. Er brachte sich um, fand seinen Frieden in einer besseren Welt.
Kannst Du heute lesen Mary? Kannst Du heute verstehen, was Worte sagen’?“
Wir schwiegen. Die Ewigkeit der Stille bedeckte unser Leid. Ich sagte unser Leid? Ja, ich litt. Ich kannte die Geschichte. Doch bis hierhin war sie einfach nur traurig, vielleicht tragisch und grotesk, doch keinesfalls ungewöhnlich.“
„Charles Mc Carthy.“ begann ich zu sprechen und brach das Schweigen.
„Ja, Mary. Du bist doch nicht so vergesslich. Leb’ wohl. Früher oder später sehen wir uns wieder.“
Mit diesen Worten beendete er das Telefongespräch. Es waren seine letzten Worte, gerichtet an die Person, die er liebte. An mich.
Ich saß da, saß einfach nur da und bewegte mich nicht. Das tutende Geräusch, das meinem Hörer entrann brannte sich in meine Ohren und die Uhren hörten wieder auf zu ticken.
Nach einer Ewigkeit besann ich mich, wischte mir Tränen aus dem Gesicht, schüttelte verständnislos den Kopf und begab mich auf den Heimweg.
Als ich auf die Straße trat umhüllte mich die frische Herbstluft. Es war nach Mitternacht und die Straßen vor dem großen Gebäude, in dem ich tagtäglich mein Geld verdiente, waren einsam. Ich ging sie hinab, die lange einsame Straße, beobachtete den Wind, wir er mit den Blättern spielte. Es war eine so schön herrliche Nacht. Ich froher, doch das machte mir nichts aus, meine Beine waren müde, doch das spürte ich nicht mehr. Ich dachte an die Stimme, wie sie mir ins Ohr flüsterte, Demut lehrte, mich verzauberte. War es mir vergönnt sie wiederzusehen? Den Mund zu küssen, dem sie entfloh?
Ich konnte jetzt nicht nach Hause, kein Auge könnte ich schließen, keinen klaren Gedanken fassen. Diese Stimme, sie fesselte mich und sollte mich nie wieder loslassen, niemals wieder.
Ich ging in einen kleine Pub, zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt. Ich war schon oft hier gewesen, bekannte Gesichter begrüßten mich, sogar noch um diese Zeit. Ich setzte mich an die Theke und bestellte mir einen Whisky mit Soda.
Schön war die Wärme die meinen Hals durchfuhr und meinen Körper aufleben ließ. Ich fühlte mich wohl, behaglich, das letzte mal in meinem Leben.
„Hast Du das schon gelesen, Mary?“ sprach mich Veronica, die Barkeeperin an.
„Nein, was denn?“
Sie hielt mir ein Zeitung unter die Nase, bespritzt mit Fettflecken aus der Küche, doch sie war vom vorigen Tag. Ein erschreckender Artikel bedeckte die Titelseite:

>Ungeklärter Todesfall. Leiche gefunden. ?<

Vor einigen Tagen fand man die Leiche eines jungen Mannes, die man als Charles Mc Carthy identifizieren konnte. Der Leichnam wurde in einem Waldstück oberhalb der nördlichen Wohnsiedlung von einem Förster entdeckt. Die Gerichtsmedizin bestätigt, daß der Tod Mc Carthy’s schon mindestens acht Tage zurückliegen muss. Die bisherigen Ermittlungen weisen auf einen hin -Mc Carthy habe sich an einem Baum erhängt. Weitere Angaben wollte und konnte die Polizei noch nicht veröffentlichen.

Ich möchte meine Geschichte hier beenden. Ich habe ihn getötet, den einzigen Menschen, der mich jemals liebte.
Denken Sie über mich jetzt was sie wollen, denken sie über meine Geschichte was sie wollen. Sie bleibt ungewöhnlich, ganz egal ob man sie glaubt oder nicht.
Ich gehe jetzt zu Charles, ich habe ihm versprochen ihn wiederzusehen, in einer besseren Welt
Ich kann nur eine einzige Weisheit für die Welt hinterlassen:
-Lernen Sie zu lesen –

Mary

 
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Kommentare  

Leider kann auch ich die Reaktion der Protagonistin nicht nachvollziehen. Weshalb bringt sie sich denn um Himmels willen um?
Der Antagonist hat die Prota geliebt, sie ihn aber nicht. Na und? Gegenliebe lässt sich nicht erzwingen; herrjeh, wo kämen wir hin, wenn jeder sagen könnte: "Ich liebe dich, und das impliziert automatisch für dich die Verpflichtung, mich zurückzulieben. Tust du das nicht, dann bringe ich mich um. Das ist dann nicht meine Schuld, weil ich ein solcher Versager bin, dass ich mit einem Nein nicht umgehen kann, sondern deine!" - Kein Mensch kann diese Prämissen nachvollziehen.
Das ist keine Liebe, das ist Besitzgier, gepaart mit beleidigter Schönheit. Und deswegen nimmt sich wer das Leben? Ich an Stelle der Protagonistin hätte mich kaputt gelacht.
- Zu übertrieben, für mich. Kann nicht ehrlich behaupten, dass mir das gefällt.


Gwenhwyfar (30.01.2003)

Wow! Die Geschichte hat was. Die Thematik ist eine sehr traurige, aber dass sich Mary ebenfalls umbringen will, ist ein wenig überzogen. Mag sein, dass so ein Vorfall einem Nahe gehen kann, aber sich gleich umbringen deswegen? Ist ein bisschen zu heftig für meinen Geschmack. Nichts desto Trotz ist dies eine sehr gelungene Geschichte!

SabineB (16.05.2001)

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