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3 Seiten

Soldatenbrief

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
XXXXXXX, XXXXXXX
Divisionsarzt Reckmacher
XXXXXX, Russland
Feldpostnr. XXXXXX
Feldlazarett XX
Uhrzeit: 17:15

Mein Führer,

ich hoffe das sie dieser Brief erreicht, auch wenn mich die hier niedergeschriebenen Zeilen den Kopf kosten sollten. Aber dies wird dann nicht mehr Ihr Problem sein. Sobald dieses Papier einem Meldegänger übergeben wurde, werde ich meinem Leben mit der letzten Patrone in meiner Pistole ein Ende setzen. Ja, sie haben richtig gelesen. Lieber tot, als in russische Kriegsgefangenschaft.

Was sie nicht sehen können mein Führer, ist der Ort um mich herum. Diesen Brief z. B. schreibe ich gerade auf einem Gefechtshelm eines mir unbekannten Landsers. Vor nicht mal einer Stunde ist er auf die Knie gegangen und vor meinen Augen gestorben. Es war keine Kugel oder ein gegnerisches Bajonett was seinem Leben ein jähes Ende gab. Er ist schlicht weg verhungert. VERHUNGERT!!! EIN DEUTSCHER SOLDAT!!! Sie waren es, der gesagt hatte, dass es keinen Soldaten geben wird, der an einer Front hungert. Goebels predigt es jeden Woche nach. Halten sie der deutschen Bevölkerung den Spiegel vor, mein Führer. GEBEN SIE ZU, DASS DER KRIEG IN RUSSLAND VERLOREN IST!!! Holen sie die noch verbliebenen Einheiten raus. Unsere Division war fünftausend Mann stark. Jetzt sind es gerade mal runde hundert. Und jede Stunde nimmt die Zahl weiter ab. Sei es durch feindliches oder eigenes Feuer. Die Leute sind so geschwächt, dass sie Freund und Feind nicht mehr unterscheiden können.

General Uhrmann ist mitsamt seinem Stab letzte Woche gefallen. Leutnant Hansen und ich führen den Haufen, der sich noch Deutsche Wehrmacht nennt. Um die Moral aufrechtzuerhalten, haben wir den Tod des Generals verheimlicht. Aber wie kann man was aufrechterhalten, was die Soldaten seit mehreren Monaten nicht mehr besitzen? Goebels redet von ruhmreichen Kämpfen und Schlachten. Hier reden die Leute von tot und Verderben. Wir möchten alle nach Hause, mein Führer. UNS REICHT ES!!! Gestern bin ich die HKL* abgeschritten. Ein schreckliches Bild, was seines gleichen sucht. Brennende Panzer, russische wie deutsche. Der Gestank der Leichen ist trotz der Kälte unerträglich. Armselige bleiche Gestalten in Lumpen gehüllt frieren in ihren Unterständen und warten auf den nächsten, vielleicht alles zu Ende bringenden Angriff. Keiner kann mehr ein volles Magazin sein eigen nennen. Viele Landser haben sie aus ihren toten Kameraden Sicherheitswälle gegen die Geschosse der Russen gebaut. Ist das richtig mein Führer? Leichen statt Sandsäcke? Wenn ja, habe ich bei der Ausbildung nicht richtig aufgepasst.

Die Versorgung wird auch immer schlechter. Vorgestern musste ich einen Soldaten sterben lassen, weil mir die nötigen Mittel zur Behandlung fehlten. Er hatte nur einen einfachen Durchschuss an der Schulter - trotzdem konnte ich ihm nicht helfen. Über die Hälfte der Soldaten hat Erfrierungen an Händen und Füssen. Manche bekommen nach einer eiskalten Nacht die Augen nicht mehr auf. Vor einer Woche, roch es nach einem Angriff der Russen nach gebratenem Fleisch. Ein Panzer war nach Beschuss in Brand geraten und zwei Leute der Bedienmannschaft konnte sich ins Freie retten - nur um im Schnee elendig zu verbrennen. Ich schickte mehrere Leute hin um die Leichen zu holen und würdevoll zu bestatten. Als nach dreißig Minuten keine Rückmeldung kam, gingen der Leutnant und ich hin um nachzuschauen. Einer der Landser sah uns kommen und rannte auf uns zu. Nach einem Gruß der jeden anderen in Rage gebracht hätte, meldete er mir das die Leichen noch zu heiß seien. Sie müssten noch warten. Nach einem kurzen Moment nickte ich. Es erschien naheliegend zu warten. Der Leutnant bot sich an, den anderen zu helfen. Ich stimmte ihm zu. Der Landser war unsicher, willigte aber ein. Ich ging wieder in den Schutz meines Lazarettzeltes und setzte mich an einen Bericht für das Oberkommando. Kurze Zeit später hörte ich Pistolenschüsse. Ohne darüber nachzudenken rannte ich ins Freie und sah, wankend den Leutnant auf mich zu kommen. Der Arm, der die Pistole hielt, hing schlaf herunter. Wütend fragte ich ihn was die Schüsse sollten. Er antwortete mit zitternder Stimme: ?Kannibalismus, Reckmacher. Ich habe sie alle erschossen.? Meine Knie gaben nach und ich fiel in den Schnee. In was für einer Welt leben wir mein Führer? Soldaten essen Soldaten. Soweit ist es schon mit uns gekommen?

Ich könnte dies noch ewig weiter führen, mein Führer. Aber wie so oft, werden sie wohl an die deutsche Stärke appellieren und uns kämpfend untergehen lassen. Aber nicht mit mir mein Führer. Ich habe genug vom Tot gesehen um sagen zu können, dass er mich willkommen heißen wird. Einer mehr oder weniger mein Führer, was macht das schon? Als letzte Amtshandlung als Divisionsarzt schicke ich ihnen anbei den Verlustbericht für den letzten Monat...

Heil Hitler

Gez. Divisionsarzt Otto Reckmacher

24 November 1943

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HKL - Hauptkampflinie


Anmerkung d. Autors:

Dieser Brief ist frei erfunden. Ich stütze mich auf Erzählungen aus Briefen meines Großvaters der am Russlandfeldzug beteiligt war.

Kannibalismus stand zwar nicht an der Tagesordnung in Russland, aber es ist dennoch passiert. Hunger und Leid haben aus Menschen Tiere gemacht.
 
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Kommentare  

Ich danke euch allen für die netten und ausführlichen Kommentare ;o)

Wie ich als Anmerkung ja geschrieben habe entstand dies aus Briefen meines Großvaters. Es waren etliche. Aber als ich angefangen hatte sie zu lesen gefror mir das Blut in den Adern. Da musste ich einfach etwas zu schreiben...

Gruß Daniel


Daniel Lohmeyer (05.09.2004)

Habe nichts zu sagen, was nicht bereits gesagt wurde, und schenke mir deshalb längeren Kommentar. Nur dieses vielleicht noch:
"Hunger und Leid haben aus Menschen Tiere gemacht."
Falsch. Der Mensch IST ein Tier, ein mutierter Affe, eine Säugerspezies. Auch, wenn er sich das unter dem Deckmantel der Zivilisationstünche, getröstet von Filosofien und Religionen, nur zu gerne ausreden lässt. Solange Frieden herrscht und alle satt und zumindest relativ zufrieden sind besteht auch keine Veranlassung sich der Realität zu stellen. Doch wehe, etwas gerät aus dem Ruder... muss noch nicht mal ein Krieg sein (sh. Donner-Gruppe).
5 Punkte


Gwenhwyfar (27.01.2003)

Sehr gut geschrieben, erschütternd und regt zum Nachdenken an. In diesen Tagen vor genau 60 Jahren kapitulierte übrigens auch die 6. Deutsche Armee in Stalingrad. Von 300.000 Mann gerieten 60.000 Soldaten in Gefangenschaft, die nur rund 5000 Mann überlebten. Die allermeisten Soldaten starben in den Monaten Dezember und Januar während der Einkesselung nicht infolge von Kampfhandlungen, sondern sind erbärmlich verhungert oder erfroren. Die 60.000 die in Gefangenschaft gerieten waren so geschwächt, das viele aus Entkräftung nicht den Abtransport in die Gefangenenlager überlebten, viele starben dann auch noch an Typhus und Lungenentzündung.
Was mögen sich dort für Dramen und Tragödien abgespielt haben. Wir werden es wohl nie erfahren, wir können es nicht einmal erahnen. Wir sollten es nie vergessen, was damals geschah. Und dieser "Brief" ist ein Beitrag dazu.


Benjamin Reuter (27.01.2003)

Auch wenn die Tatsache das Krieg Menschen in Schatten verwandelt nicht neu ist, stimmt deine Geschichte doch nachdenklich.
Die verzweifelte Einstellung deines Protagonisten kann man auch nachempfinden wenn man selbst von diesen Erfahrungen verschont wurde.
Wir können nur hoffen das die momentane Situation in der welt nicht erneut diese Art von Wahnsinn aufflammen lässt.
Sehr gut geschrieben. (Fünf Punkte)


Drachenlord (27.01.2003)

Gut das auch das mal erwähnt wird.
( 5 Punkte )


Wolzenburg (26.01.2003)

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