93


11 Seiten

Fluch oder Segen (1)

Romane/Serien · Fantastisches
© Laura
Gähnend lehnte Nik sich in seinem Stuhl zurück, strich sich die wirren, roten Haare aus der Stirn und betrachtete die drei ordentlichen Stapel mit verschiedenen Rechnungen, die er nach „Hat-noch-Zeit“, „Mach-dir-Sorgen“ und „Verkauf-ein-paar-Möbel“ sortiert hatte. Er war der Meinung dass, wenn er sie schon nicht bezahlen konnte, er sie zumindest ordnen sollte. So konnte ihm auch niemand vorwerfen, er wäre sich seiner Schulden nicht bewusst.
Kazimir, sein graugetigerter Kater, lag zusammengerollt in einem der Regalfächer in einem Haufen Pergamentrollen, die er sich zu einem Nest zusammengeschoben hatte und schnarchte leise. Es war noch nicht einmal Mittag und der Kater schien schon wieder vollkommen erledigt zu sein. Wahrscheinlich hatte er sich wieder die ganze Nacht draußen in den Straßen herumgetrieben und die Nachbarschaft tyrannisiert.
Nik nahm einen Rechnungsstapel nach dem anderen und packte sie in die Holzkiste, die gelegentlich von einer Mäusefamilie zur Untermiete genommen wurde und stellte die Kiste dann auf das Regal, an das er nur mit Hilfe einer Leiter herankam.
Bevor er nicht einen neuen Auftrag bekam, konnte er seine Schulden sowieso nicht begleichen. Seit Monaten hatte er keinen ordentlichen Auftrag mehr gehabt. Nichts was nicht durch einen einfachen Findedichzauber hatte gelöst werden können.
Gerade vor ein paar Tagen erst, war eine Frau zu ihm gekommen, die ganz verzweifelt die Schlüssel zu ihrem Nähkästchen gesucht hatte. Sie befürchtete, dass ihr Ehemann die Schlüssel vor ihr finden würde und dann auf der Suche nach dem passenden Schloss, die Briefe ihres Liebhabers finden könnte, die sie zwischen ihren Nähsachen aufbewahrte. Es hatte Nik keine fünf Minuten gekostet die Schlüssel aus einer Sofaritze hervorzuzaubern und für diesen geringen Aufwand bekam er einfach nicht so viel Geld.
Der ehemalige Zauberer wunderte sich immer wieder wie einfallslos manche Menschen mit ihren Verstecken waren und dann auch noch eines, das man abschließen musste. Also nein.
Seine eigenen Verstecke waren meist sogar so gut, dass er sie selber nicht wiederfand. Ein Grund, warum er wohl in ganz Astragorr die besten Findedichzauber kannte. Man musste nur wissen was man suchte, dann konnte man den Namen des Gegenstands in einen der Findedichzauber einbauen die Nik kannte und wenige Augenblicke später tauchte das Gesuchte wieder auf. Normalerweise war diese Methode erfolgreich, doch es kam immer mal wieder vor, dass das Verschwundene auch nach diesem Zauber noch immer hartnäckig verschwunden blieb. Für solche Fälle hatte der Zauberer immer noch einen besonderen Findedichzauber, der allerdings alles, was jemals in dem Zimmer in dem er sich befand verlorengegangen war wieder auftauchen ließ. Das hatte zumeist eine mehrere Tage andauernde Reinigungsaktion zur Folge, die nur die wenigsten in Kauf nehmen wollten und deshalb war es recht selten, dass er diesen Zauber benutzte.

Der Kater lag noch immer auf seinem Pergamentkissen und bewegte im Traum die Pfoten. Gerade schlich er sich in den weiten Speisekammern seiner Traumwelt an eine dicke Maus heran, die auf einem Kornsack hockte und ihn von dort oben verhöhnte. Sie erinnerte den Kater an diese freche graue Kellermaus, die ihm immer wieder durch die Lappen ging. Doch diesmal würde er sie erwischen. Leise schlich er sich näher an den Leinensack heran, auf dem die Maus thronte, den Bauch nah an den Boden gepresst. Seine Schwanzspitze zuckte einmal verdächtig und dann sprang er an dem Sack hoch und haschte nach der Maus, die jedoch schon nicht mehr da war.
Kazimir hatte sich im Schlaf so heftig bewegt, dass die Pergamentrollen um ihn herum in Bewegung gerieten und in einer großen Staubwolke und lautem Geraschel zu Boden fielen. Mit einem Fauchen schrak er aus seinem Traum, in dem er noch immer nach der Maus gesucht hatte und wäre dabei beinahe selber aus seinem Schlafplatz im Regal gefallen. Mit der letzten Eleganz, die so nur Katzen zuwege bringen, fand er sein Gleichgewicht wieder, wobei er seine Krallen in das halbmorsche Holz des Regals bohrte. Mit einem Satz landete er neben Nik auf dem Schreibtisch und tat so als wäre nichts gewesen.
„Musstest du so eine Unordnung machen?“, fragte der Zauberer müde und klopfte sich etwas Staub von seinem Umhang, was jedoch eine aussichtslose Angelegenheit war.
„Es schadet diesem Zimmer gar nicht, wenn es mal aufgeräumt werden würde“, erwiderte Kazimir und streckte sich, wobei er einen weiteren Stapel mit Notizen vom Schreibtisch schob.
„Du bist unmöglich.“
„Ich weiß… Deswegen liebst du mich!“
„Sei dir da mal nicht zu sicher.“
Er stand auf und machte sich daran das Ergebnis von Kazimirs Traumjagd zu beseitigen, während der Kater breit auf dem Schreibtisch lag und schnurrte.
„Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun als da faul rumzuliegen?“, wollte Nik wissen und warf eine kleine Pergamentrolle nach dem Kater.
Kazimir stieß ein Zischen aus und machte sich nicht die Mühe dem Geschoss auszuweichen, das ihn ohnehin um fast dreißig Zentimeter verfehlte.
„Wenn du mich so fragst: Nein.“
„Geh doch in den Keller und fang endlich diese Maus“, meinte Nik unschuldig und drehte dem Kater dabei den Rücken zu, damit dieser sein Grinsen nicht sehen konnte. Ein leises Knurren verriet ihm, dass er sein Ziel erreicht hatte.
„Ich habe ihr ein Ultimatum gestellt. Sie hat zwei Tage Zeit sich einen anderen Keller zu suchen, bevor ich ihr den Garaus mache.“
„Wie großzügig von dir.“
Kazimir erhob sich und sprang aufs Fensterbrett, wo er sich auf einem Sonnenfleck zusammenrollte.
„Ich frage mich wovon du so müde bist, Kazimir.“
„Verantwortung“, brummelte der Kater, wobei er die Augen geschlossen ließ.
„Verstehe. Das muss dich wirklich schwer belasten.“
Nik hörte etwas, dass sich wie ein gefluchtes „Menschen“ anhörte, dann herrschte Schweigen.

Es dauerte eine Weile, bis er die Pergamente in den Regalen wieder in ihre ursprüngliche Reihenfolge gebracht hatte, die nur er selber durchschauen konnte. Mal davon abgesehen, dass es wahrscheinlich in ganz Astragorr niemanden gab, der überhaupt etwas mit seinen Aufzeichnungen hätten anfangen können. Es war schon wieder fast zehn Jahre her, dass er die Zauberschule verlassen hat. Unehrenhaft entlassen, wie manche sagten, doch nur wenige wussten, dass er freiwillig gegangen war. Er war einfach nicht gut genug und hing zu sehr an seinem Leben, als dass er seine Zeit in der Zauberschule verbringen wollte. So hatte er seine Ausbildung abgebrochen. Gerade im letzten Jahr waren so viele seiner Zaubersprüche fehlgeschlagen, dass er nahe dran gewesen war, den Rekord von Filomir des Nutzlosen zu brechen und mehr Gegenstände und Räume der Schule mit unbekannten Zauberflüchen zu belegen als Filomir es geschafft hatte. So würde er nun eben als gescheiterter Zauberer in die Chroniken der Schule eingehen und wahrscheinlich würden sich noch in späteren Generationen die Schüler der Zauberschule über die Tafel amüsieren, die durch einen seiner missgeleiteten Zaubersprüche kitzlig wurde und nun jedes Mal, wenn jemand versucht darauf zu schreiben, in Kichern ausbrach. Er wunderte sich bis heute, wie das hatte passieren können, doch es war geschehen und mehr als sich zu entschuldigen konnte er nicht tun.
Das wenige Zauberwissen, das er aus den Jahren seiner Schulzeit mitgenommen hatte, erleichterte ihm nun das Leben ein bisschen und half ihm, sich etwas Geld zu verdienen, doch zu wirklichem Ruhm verhalf es ihm nicht. Auch nicht zu anhaltendem Erfolg, denn Dinge gingen eben immer wieder verloren, auch wenn er sich noch so viel Mühe gab, sie wieder aufzuspüren.
Jemand klopfte an die Tür und erschreckte Nik so sehr, dass er beinahe das Regal umgestoßen hätte, doch er fing sich gerade noch einmal und sprang auf. Bevor er öffnete wartete er einen Augenblick und versuchte ein weiteres Mal den Staub von seinem Mantel zu klopfen. Er gab es schließlich auf und öffnete die Tür gerade in dem Moment, als eine Hand ausgestreckt wurde um ein weiteres Mal zu klopfen.
Draußen auf der Straße stand ein kleiner Mann, der Nik nur etwa bis zur Brust reichte und den Zauberer aus kurzsichtigen Augen erstaunt ansah. Nik war, wie Kazimir es einmal mit ungewohnter Höflichkeit ausgedrückt hatte, ein „langes Elend von einem Menschen“ und somit war es nicht verwunderlich, dass die meisten Menschen denen er begegnete zu ihm aufblicken mussten. Entweder schien sein Besucher nicht mit einem Menschen seiner Statur gerechnet zu haben, oder er war überrascht, dass ihm überhaupt jemand öffnete, denn er hatte es immer noch nicht geschafft seinen Mund wieder zu schließen. Er schien keiner von Niks Gläubigern zu sein, so öffnete er die Tür ein weiteres Stück und lächelte den Fremden an.
„Womit kann ich euch dienen?“
„Seid ihr ein Zauberer?“, fragte der Mann mit einem zweifelnden Blick auf Niks schäbigen Mantel.
„Ich habe keinen Zaubergrad wenn ihr das meint? Aber manche nennen mich einen Zauberer.“
„Aber nur die, die es nicht besser wissen“, erklang Kazimirs Stimme aus der Fensternische.
Nik warf dem Kater einen bösen Blick zu.
„Ich suche einen Zauberer, der hier wohnen soll. Man sagte mir er könne mir weiterhelfen“, erklärte der Fremde und versuchte an Nik vorbei einen Blick auf dem unsichtbaren Sprecher zu erhaschen.
„In dieser Gegend bin ich meines Wissens der einzige, der einem Zauberer ähnlich kommt.“
„Aber nur, weil sich jeder andere eine bessere Gegend leisten kann.“
„Wirst du wohl still sein?“, zischte der Zauberer und bat seinen Besucher mit einem entschuldigenden Lächeln herein.
„Verzeiht meinem Haustier, es vergisst manchmal wer es füttert. Ich bin Nik und das dort beim Fenster ist Kazimir. Nehmt Platz.“
Als der Fremde sich auf den ihm zugewiesenen Stuhl setzte, ließ auch der Zauberer sich auf seinen Sessel fallen und verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch.
„Womit kann ich euch helfen?“
Der Mann schien seine Fassung inzwischen zurückgewonnen zu haben, denn er räusperte sich und begann wie auswendig gelernt, seinen Text aufzusagen:
„Mein Herr schickt mich zu euch, weil ihm zu Ohren gekommen ist, dass ihr der Beste seid, wenn es darum geht… nun … Dinge wieder zu finden.“
„Er ist der Einzige, da ist es nicht schwer auch der Beste zu sein“, kam Kazimirs Kommentar vom Fenster.
Der Besucher warf ihm einen irritierten Blick zu. Er schien es nicht gewohnt zu sein, sich mit einem Kater zu unterhalten und wusste deshalb nicht genau wie er sich verhalten sollte.
„Beachtet ihn am Besten gar nicht“, riet Nik und durchwühlte sein Gehirn auf der Suche nach einem Schweigezauber, den er ohne Zweifel irgendwann einmal gelernt hatte. „Worum geht es?“
„Mein Herr ist leidenschaftlicher Sammler wertvoller Spielzeuge und nun ist ihm vor wenigen Tagen sein Lieblingsstück abhanden gekommen, eine goldene Kugel, die sich seit langer Zeit in Familienbesitz befand. Mein Herr vermutet, dass sie gestohlen wurde, doch da er das nicht mit Sicherheit sagen kann, bittet er sie, sein Anwesen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu untersuchen. Sollte sich herausstellen, dass die Kugel tatsächlich gestohlen wurde, werden sie natürlich damit beauftragt sie wieder zu finden. Es stimmt doch, dass sie nicht nur Verlorenes wiederbeschaffen, sondern auch Entwendetes?“
„Soweit es möglich ist. Ja.“
„Gut. Der Preis spielt keine Rolle, solange die Kugel wieder auftaucht.“
„Wie groß ist denn diese Kugel?“
„Etwa so groß wie eine Männerfaust.“
„Aus purem Gold?“
„Ja.“
Nik schwieg einen Moment verblüfft.
„Also, was ist? Sind sie einverstanden?“
Nik warf Kazimir einen prüfenden Blick zu. Die Schwanzspitze des Katers zuckte in unregelmäßigen Bewegungen hin und her und zeigte an, dass er aufmerksam zuhörte.
„Wir sind einverstanden“, sagte der Zauberer mit einem Kopfnicken und streckte seinem Auftraggeber die Hand entgegen. „Nennen sie mir die Adresse, dann werden wir in zwei Stunden dort sein.“
„Ich hatte gehofft, sie würden mich gleich begleiten“, meinte der Mann mit einer gewissen Ungeduld.
„Ich muss noch einige Dinge zusammenpacken, die ich benötige, wenn ich nach der Kugel suchen soll“, erwiderte Nik mit einer entschuldigenden Armbewegung.
„Gut ich erwarte sie dann in zwei Stunden bei dieser Adresse.“, sagte ihr Gast und reichte dem Zauberer einen Zettel. „Fragen sie nach Koresto.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging.


Nik war sich nicht ganz sicher, ob die Götter es nun gut mit ihm meinten oder nicht. Das Anwesen ihres Auftraggebers war gelinde gesagt: Gigantisch. Zumindest kam es dem Zauberer im Vergleich zu seinem eigenen bescheidenen Heim so vor. Doch auch Kazimir hatte einen leisen Pfiff ausgestoßen, als sie, einem Diener folgend, das Haus betreten hatten. Es lag am Ufer des kleinen Flusses, der durch Astragorr floss. Die Zauberschule war flussabwärts gelegen, so dass sich das Wasser hier noch nicht, je nach Jahreszeit, grün oder schwarz verfärbte. Seit fast drei Stunden wanderten sie nun schon durch die verschiedenen Räume des Anwesens und versuchten sämtliche Findedichzauber, die Nik kannte, um herauszufinden, ob die Kugel vielleicht doch nur verloren gegangen war, doch bisher ohne sichtbaren Erfolg. Nik konnte sich nicht erinnern selbst in seinen besten Zeiten jemals so viele Zaubersprüche verwendet zu haben wie an diesem einzigen Tag. Alleine davon würde er schon einen guten Teil seiner Schulden zahlen können. Er verlangte nicht viel für seine Arbeit, aber es würde trotzdem reichen. Kazimir strich umher und suchte auf seine Weise nach der Kugel, unter Schränken, hinter Sesseln und Vorhängen. Überall standen Regale, gefüllt mit Spielzeugen, von denen einige offensichtlich kostbar waren, andere wiederum aussahen, als hätten Straßenkinder ihr Spielsachen verkauft, doch Nik achtete nicht auf die ausgestellten Kostbarkeiten, oder wie auch immer man sie nennen sollte. Inzwischen waren sie in jedem Raum gewesen, vom Speicher bis zur Küche, den Vorratsräumen und sogar den Ställen. Nun gingen sie eine breite Treppe hinunter in den Keller, der voller Spinnweben und Weinfässer war. Kazimir zwängte sich mit einem vergnügten Jauchzen an Nik vorbei und begann sofort das Kellergewölbe zu erkunden. Der Zauberer hörte ihn nur einige Male irgendwo niesen und kümmerte sich dann nicht weiter um den Kater.
Auch hier unten hatten seine Zaubersprüche keinen Erfolg und so wie es aussah würde er sich an anderen Orten nach dem verschwunden Spielzeug umsehen müssen. Gerade wollte er seine Sachen wieder in die alte Ledertasche packen, als Kazimir ihn rief. Das Fell des Katers war mit Spinnweben verklebt und voller Staub, was ihm jedoch nichts auszumachen schien. Mit aufgeregt zuckendem Schwanz saß er vor einer breiten Tür, die halb versteckt in einer dunklen Ecke des Gewölbes eingelassen war.
„Leuchte mal hier hin“, befahl der Kater und wies mit dem Kopf auf den Boden vor der Tür.
Nik hob die Lampe, die man ihm für die Arbeit im dunklen Keller gegeben hatte und versuchte zu erkennen, was der Kater mit seinen Katzenaugen entdeckt hatte. Er musste in die Hocke gehen, da er sonst im schwachen Licht der Laterne nichts sehen konnte.
Dort im Staub, der sich über die Jahre hinweg angesammelt hatte, waren deutlich Fußspuren zu sehen, die unter der Tür herauskamen und wieder darin verschwanden.
„Da hat aber jemand ziemlich merkwürdige Füße.“, meinte Kazimir und Nik musste ihm Recht geben. Hier war jemand barfuss gegangen und dieser Jemand hatte wirklich außergewöhnliche Fußsohlen. Sie waren sehr schmal und die Zehen waren doppelt so lang wie normal und standen weit voneinander ab. Einen Moment lang zweifelte Nik daran, ob die Abdrücke menschlichen Ursprungs waren, doch er erinnerte sich an etwas, dass er einmal in einem Buch in der Zauberschule entdeckt hatte, als er während einer Strafarbeit in der Bibliothek gestöbert hatte.

Die Tür war nicht verschlossen und führte in einen weiteren Raum den Niks Lampe nur ungenügend beleuchten konnte. Kaum drei Schritte von der Tür entfernt, reichten einige Stufen zu einem scheinbar überschwemmten Teil des Raumes hinunter. Das Gerippe einer alten Hebevorrichtung ragte in die Höhe und an der Seite, an der das Wasser an die Außenwand stieß, konnte man noch die Ansätze eines Torbogens erkennen, der jedoch beinahe vollkommen im Wasser verschwand. Die Fußspuren führten die Stufen hinunter zur Wasseroberfläche und endeten dort, als wäre dieser Jemand nicht nur hierher gekommen, um das Wasser zu betrachten, sondern tatsächlich ins Wasser gestiegen.
Wieder zurück im Obergeschoss erfuhren sie von Koresto, der so was wie der persönliche Sekretär ihres Auftraggebers war, dass der Kellerraum früher zum Auffüllen der Weinbestände genutzt worden war, doch seitdem ein misslungener Zauberspruch dafür gesorgt hatte, dass es jeden Tag pünktlich mit Einsetzen der Dämmerung zu regnen begann, war der Wasserspiegel so stark gestiegen, dass dieser Teil des Kellers überschwemmt worden war.
„Seit Jahren ist niemand mehr da unten gewesen und es ist auch vollkommen unmöglich vom Fluss aus schwimmend in den Keller zu gelangen“, meinte der kleine Mann überzeugt.
„Warum?“, wollte Nik wissen.
„Es ist zu weit und das Wasser steht zu hoch, als das man unterwegs Luft holen könnte und wer kann schon eine derartige Strecke tauchen?“
„Und doch ist jemand vom Fluss aus in den Keller gelangt.“
„Das ist Unsinn.“
„Aber welchen Grund könnte jemand aus dem Haus haben, durch den Keller hinaus zu wollen, wenn er nicht gerade hier eingesperrt ist?“
Koresto schwieg.
„Wie bekannt ist es, dass ihr Herr diese Kugel besaß?“
„Oh, wer immer sich dafür interessiert. Alle paar Monate werden Bankette veranstaltet, bei denen die Gäste die Sammlung besichtigen können. Jeder, der einmal hier war, kennt die Schätze die hier gesammelt werden.“
„Haben sie eine Liste?“
„Verdächtigen sie etwa jemanden aus dem Kreise der Edlen in Astragorr?“, fragte der Sekretär entsetzt.
„Bisher verdächtige ich niemanden, aber ich schließe auch noch niemanden aus. Also haben sie eine Liste?“
„Ja, man wird sie kopieren und ihnen zukommen lassen.“
„Und außer der Kugel fehlt nichts?“
„Nein.“
„Gut ich werde mich darum kümmern. Wenn es weitere Fragen gibt, melde ich mich. Und ach… ehe ich es vergesse. Wenn es euch keine Umstände macht hätte ich gerne bereits mein Honorar für heute… sie können es auch als Vorschuss sehen.“
„Wieviel?“
Nik nannte ihm einen Betrag. Koresto verzog keine Miene, sondern holte nur einen Beutel aus der Tasche und zählte eine Handvoll Münzen ab. Einen Augenblick überlegte der Zauberer, ob nicht vielleicht hätte mehr verlagen sollen, doch nun war es zu spät.


Seit mehreren Stunden zogen der Zauberer und Kazimir nun schon im nächtlichen Regen durch die verschiedenen Kaschemmen Astragorrs und stellten vorsichtig Fragen nach der goldenen Kugel. Auf diese Weise hoffte Nik herauszufinden, ob irgendeiner der zahlreichen zwielichtigen Gesellen der Stadt sich mit seiner Tat gerühmt hatte oder irgendwo eine Kugel zum Verkauf angeboten wurde. Auch wenn er das beinahe bezweifelte. Die Kugel war zu ungewöhnlich, als das man sie so leicht an den Mann bringen konnte, wie gestohlene Ketten oder Edelsteine. Eine goldene Kugel war auffällig und man konnte sie auch nicht einfach in einem kleinen Beutel mit sich herumtragen. Die einzige Möglichkeit sich ihrer zu entledigen, wenn man sie nicht für sich selber gestohlen hatte, war sie in den Fluss zu schmeißen oder sie einzuschmelzen. In beiden Fällen würde seine Suche nicht von Erfolg gekrönt sein. Der Fluss gab nichts von dem, was man in ihm versenkte jemals wieder her. Wenn es nicht von der Strömung weggezogen wurde, dann trugen die Abwässer der Zauberschule ihren Teil dazu bei, dass Dinge verschwunden blieben, oder auch, dass niemand sie wiederfinden wollte.
Nik hatte sich für diesen Abend von seinem alten Zauberermantel getrennt und trug nur einfache Kleidung. Auch so würden er und Kazimir auffallen, da musste nicht auch noch sein Ruf als Zauberer ihnen vorauseilen. Ohne seinen Mantel fühlte er sich merkwürdig schutzlos, ja beinahe nackt und immer wieder sah er an sich herunter um festzustellen ob sich seine Kleider nicht doch durch irgendeinen fehlgeleiteten Zauberspruch plötzlich in Luft auflösten. Glücklicherweise waren sie zu weit von der Zauberschule entfernt, als das wirklich ein derartiger Zauber durch eine Mauerritze dringen konnte.

Der Morgen graute bereits, als Nik und der Kater müde im Bäuchigen Bären saßen und Gortem der Wirt ihnen einen Becher Met und eine Schale Wasser hinstellte und sie mitleidig beäugte. Er war ein alter Freund von Nik und auch seit vielen Jahren an seinen ständigen, tierischen Begleiter gewöhnt.
„Ihr beide seht aus, als hättet ihr versucht unter dem Bett meiner Großmutter nach Gold zu graben. Kann eine gefährliche Sache sein. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung…“, grinste Gortem und warf sich sein Wischtuch über die Schulter.
„Also was ist los mit euch beiden? Nicht das ich mich nicht freue, dass ihr mir mal wieder einen Besuch abstattet, aber nur der Freundschaft wegen kommt niemand mehr um diese Zeit in den Bäuchigen Bären oder irgendwo anders hin.“
Kazimir schwieg und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Schale vor ihm und überließ Nik das Reden.
„Wir sind auf der Suche nach einer goldenen Kugel, oder ihrem neuen Besitzer“, erklärte der Zauberer und nahm einen Schluck Met. „Wir sind schon die ganze Nacht unterwegs.“
„Und ich nehme an, wenn ihr Erfolg gehabt hättet, würdet ihr hier jetzt nicht wie zwei nasse Sofakissen rumhängen und müde seufzen“, meinte der Wirt mitfühlend und sah sich in seinem Schankraum um. Es waren kaum noch Gäste da. Ein Fremder der halb eingeschlafen über seinem Krug saß und zu betrunken war um auch nur zu träumen und zwei Diebe, die in einer stillen, dunklen Ecke saßen und leise über etwas sprachen. Nichts Ungewöhnliches.
„Vielleicht kann ich euch ja helfen“, sagte Gortem leise.
Sofort richtete Nik sich wieder auf und sah seinen Freund aufmerksam an.
„Was?“
„Vielleicht ist es auch nichts…“
„Mach keine leeren Andeutungen“, knurrte Kazimir; auch seine Geduld war beinahe am versiegen.
„Ruhig Katerchen“, sagte der Wirt und hob beschwichtigend die Arme. „Ich habe zwar nichts von einem Diebstahl gehört, oder dass jemand etwas angeboten hat, aber…“
„Nun sag schon“, drängte Nik ungeduldig.
„Vor einiger Zeit ging ein Gerücht hier in der Gegend um. Eine gigantische Sammlung mit wertvollem Zeug. Juwelenbesetzte Holzpferde und vergoldete Kreisel… und auch von einer goldenen Kugel war die Rede. So groß wie eine Faust und aus purem Gold. Wahrscheinlich nur ein hübsches Märchen.“
Kazimir wandte sich von seiner Wasserschale ab und fixierte Gortem mit gelb blitzenden Augen. Der Wirt starrte ihn einen Augenblick irritiert an und trat unwillkürlich einen Schritt von der Theke zurück.
„Lass das Kazimir“, schalt Nik und wedelte mit der Hand um Gortem dazu zu bringen fortzufahren.
„Wie gesagt, es war nur ein Gerücht und die meisten meiner Gäste lachten nur über den versoffenen Alten, der davon erzählt hatte. Jemand zahlte ihm einen Krug Met, weil er sie zum Lachen gebracht hatte und dann hat ihn niemand mehr beachtet.“
„Erzählte er auch wo dieser Schatz zu finden sei?“, fragte der Zauberer und beugte sich ein stückweit vor.
„Er sagte er wüsste wo man dieses Zeug finden könnte, aber offen gesagt hat er nichts.“
„Und ihm hat wirklich niemand geglaubt?“
„Ich denke nicht…“ Gortem schwieg einen Augenblick und dachte nach. „Halt nein, das stimmt nicht. Da war so ein Typ, der hat ihm beim Rausgehen geholfen und ist dann mit ihm zusammen gegangen.“
„Das hat vielleicht nichts zu bedeuten“, gab Kazimir zu bedenken.
„Vielleicht aber doch“, entgegnete der Zauberer. „Erinnerst du dich noch an irgendetwas? Kanntest du diesen Typen?“
„Ja, er kam eigentlich immer regelmäßig her, hab’ ihn aber schon ne ganze Weile nicht mehr gesehen.“
„Weißt du wie er heißt? Wo er wohnt? Irgendetwas?“
„Nein tut mir leid, damit kann ich euch nicht helfen. Deshalb kommen die Leute zu mir, weil ich keine Fragen stelle. Ich bin sozusagen für mein schlechtes Gedächtnis bekannt.“
„Gib mir bitte Bescheid, wenn er mal wieder hier auftaucht und wenn dir doch noch was einfällt, weißt du ja wo du mich findest“, sagte Nik und erhob sich. Kazimir landete neben ihm auf dem mit Sägespänen bestreuten Boden.
„Und danke für das Met. Du hast meinen Abend gerettet.“
„Immer doch. Lass dir nichts anhängen“, verabschiedete sie der Wirt und machte sich daran seine letzten Gäste ebenfalls vor die Tür zu setzen.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Das ist ja wirklich ein wunderschöner Anfang. Ich bin ganz begeistert.

Jochen (02.05.2009)

Eine klasse Geschichte. Vor allem die Dialoge mit dem Kater Kazimir sind echt spannend (und witzig geführt).
Freue mich schon darauf den zweiten Teil dieser tollen Geschichte zu lesen.
Da gibt es nur eine Kleinigkeit, die ich nicht verstehe: Was ist &#8230 ? Ist das irgendein magischer Begriff oder um was handelt es sich hierbei?
Auf jeden Fall gebe ich dir 5 Punkte für eine super Geschichte.


Mirco vom Hau (13.05.2003)

Aber Hallo, das ist ja mal wieder eine tolle Story von dir.
Am Anfang dachte ich, eine Detektivgeschichte.
Plötzlich wird daraus nicht nur ein Zauberer, nein, seine Katze kann auch noch sprechen.
Klasse.
Die Kugel und die Fußabdrücke erinnern mich ein wenig an den Froschkönig, bin gespannt, was da noch so kommt.
5 Punkte.


Drachenlord (07.05.2003)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Fluch oder Segen - Inhaltsangabe  
Y'ahisi - Inhaltsangabe  
Schicksalsbringer  
Das hatte ich mir anders vorgestellt... (60 Min bis zum Weltuntergang)  
Y'ahisi (3)  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De