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5 Seiten

Schwarzer Engel

Fantastisches · Kurzgeschichten
© Laura
Es war kalt. Der Regen, der stetig vom Himmel fiel, rann zwischen den Steinen der Straße hindurch, und sickerte in den Untergrund. Feste Erde wurde zu Schlamm und machte die Straßen schlüpfrig. Kein normaler Mensch hätte sich bei so einem Wetter vor die Tür gewagt. Sie saßen alle in ihren vom Feuer beheizten Stuben und wärmten sich die Kehle mit billigem Met. Es war gefährlich in Nächten wie dieser. Nicht, weil die Straßen rutschig waren und man leicht von der Kaimauer ins Wasser fallen konnte. Nein, in Nächten wie dieser, geschahen ungewöhnliche Dinge. Sie geschahen in engen Gassen und dunklen Hauseingängen. In den modrigen Kanälen und feuchten Hinterhöfen. Allzu leicht konnte man sein Leben, oder, wenn man Glück hatte, nur seinen Verstand verlieren. Denn in Nächten wie dieser waren SIE unterwegs. Die dunklen Boten. Keiner wusste woher sie kamen, oder wer sie schickte. Man wusste erst wohin sie wollten, wenn sie dort angekommen waren. Manche munkelten sogar, dass sie gar keine Menschen waren. Vielleicht lag das daran, dass bisher niemand eine Begegnung mit den dunklen Boten unbeschadet überstanden hatte. Sie brachten Unheil. Auch in dieser Nacht waren sie unterwegs, um ihre Botschaften zu überbringen. Schwarze Schatten, die durch die Nacht zogen. Mit einem geheimen Ziel vor Augen.

Laut hallten seine Schritte durch die Straßen. Hätte ein Bürger zufällig aus seinem Fenster gesehen, hätte sich ihm ein unheimlicher Anblick geboten. Er hätte sich schnell wieder zum Feuer umgedreht und die Erinnerung an diesen Anblick in Alkohol ertränkt. Denn so etwas zu sehen, brachte Unglück.
Die hoch aufgerichtete, düstere Gestalt eines Mannes wanderte durch die Straßen. Sein Mantel wehte hinter ihm her und peitschte die Luft.
Er lauschte auf seine gleichmäßigen Schritte. Den Blick starr nach vorne gerichtet, seinen Weg im Auge. Er wusste nicht wohin er ging. Er wusste es nie. Doch er spürte, dass er sich seinem Ziel näherte. Immer näher führten ihn seine Schritte.
Man hatte ihn ausgeschickt; wie schon so oft.
Ohne Erklärung.
Doch er wusste was er zu tun hatte.
"Geh", hatten sie gesagt. "Geh, und finde sie."
Wen?
Er war ein dunkler Bote, das wusste er. Ein Engel des Todes; ohne es zu wollen. Man hatte ihn dazu gemacht. Es war der schwarze Fluch des Priesterordens, der ihn dazu zwang, immer wieder nachts auszuziehen und die zu töten, die den Priestern dabei im Weg standen, ihren Glauben zu verbreiten. Meist alte Weiber, die noch den alten Göttern anhingen und nicht den Versprechungen des Priesterordens erlagen. Wie er es einst getan hatte. Doch als er sich eines Besseren besonnen hatte, war es schon zu spät gewesen. Sie hatten ihn versklavt. Wie einen Hund an die Kette gelegt. Verflucht. Nachts, wenn der Ruf des Todes ihn erreichte, wusste er was er tat. Er wusste um all die unschuldigen Frauen und Männer die er auf dem Gewissen hatte. Ausgelöscht mit der giftigen Berührung seiner Hand. Doch er wußte auch, daß er am nächsten Morgen, wenn er wieder in seinem Bett aufwachte, jede Erinnerung an seine nächtlichen Streifzüge verloren haben würde. Nichts mehr wußte, von dem Blut, das an seinen Händen klebte. Schon oft hatte er versucht, sich zu widersetzen. Hatte versucht in die falsche Richtung zu laufen. Doch der Fluch war immer stärker gewesen. Und es gefiel ihm zu töten. Erst danach überfiel ihn die Reue. Das Begreifen dessen, was er getan hatte. Doch dann war es zu spät und sein Opfer lag zu seinen Füßen und regte sich nicht mehr. Es war, als hätte er keine Kontrolle mehr über seinen Körper. Er wurde von anderen gelenkt und in seinem Inneren wand sich die menschliche Seele, vergeblich.
Sein nasses Haar hing ihm in wilden Strähnen ins Gesicht und Wasser tropfte von seinen Fingerspitzen auf den nassen Stein, über den er ging.
Einige Meter vor ihm stolperte eine betrunkene Gestalt aus einer Schenke. Wankend suchte der Mann nach einem Halt und streckte seine kräftigen Arme nach ihm aus. Doch dann zog er seine Hand wieder zurück, als hätte er sich verbrannt. Mit großen Augen starrte er der dunklen Gestalt nach, die einfach an ihm vorbei geschritten war, ohne auch nur einen Blick auf ihn zu richten. Fluchend torkelte der Betrunkene wieder zurück in die Gaststube und bestellte sich ein weiteres Glas Met. Er hatte beschlossen, dass er doch noch nicht genug gehabt hatte.

Ein triumphierendes Lächeln zierte die schmalen Lippen des Mannes, als er vor einem kleinen heruntergekommenen Haus stehen blieb. Dies war sein Ziel.
Er strich sich die nassen Haare aus der Stirn und öffnete die Tür. Zielstrebig schritt er durch den schmalen Hausflur und betrat die Wohnstube. Dort blieb er zunächst einmal im Türrahmen stehen und blickte sich in dem Raum um.
Im Innern des Hauses herrschte eine stickige Luft, die das Atmen im ersten Moment zu einer Qual machte. Das Herdfeuer verbreitete eine beinahe unangenehme Wärme in dem Raum und nur eine kleine Kerze versuchte vergeblich, ihr Licht in die Ecken des Zimmers zu schicken. Doch das Wachs war beinahe heruntergebrannt und bald würde die Dunkelheit über das Licht triumphiert haben. Mal wieder. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie vor dem Erlöschen.
Eine junge Frau saß schlafend am Küchentisch und hatte den Kopf auf ihre Arme gelegt. Sie war über ihrer Arbeit eingeschlafen. Sie war es, nach der man ihn ausgeschickt hatte. Es erschreckte ihn, wie jung sie noch war. Höchstens siebzehn Jahre. Doch es bestand kein Zweifel. Dies war die Frau, die er gesucht hatte.
Konnte das wirklich sein? Was konnte es für einen Sinn haben so ein junges Geschöpf zu töten? Er wollte nicht glauben, dass dieses Kind eine Bedrohung für den Priesterorden sein sollte. Wieder war es, als würde eine fremde Macht von seinem Körper Besitz ergreifen und ihn näher an die junge Frau herantreten lassen. Gerade streckte er die Hand aus, um das Gift, das an den Fingerspitzen seines linken Handschuhs klebte, an ihren Hals zu tupfen, als er spürte, wie er beobachtet wurde. Langsam drehte er sich um und blickte in die Augen eines kleinen Jungen, der in einem schmalen Bett an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers saß und den Fremden ansah. Seine Augen waren wach und aufmerksam, doch ein fiebriges Glänzen war darin. Als er diese unschuldigen Augen auf sich ruhen spürte, löste sich der eiserne Griff des schrecklichen Fluches für einen Augenblick von ihm und er war wieder Herr seiner Sinne. Der Junge war blass und mager von langem Fieber. Ein trockenes Husten schüttelte den kleinen Körper und ließ ihn schwer atmend auf das Krankenbett zurücksinken. Doch dabei behielt er den Fremden weiterhin im Auge.
Der Mann erwiderte den neugierigen Blick des Kindes und trat näher an das Bett heran. Der Junge konnte noch keine fünf Jahre alt sein. Warum rief er nicht nach Hilfe? Schließlich war ein Fremder in das Haus eingedrungen. Er wusste um die dunkle Aura, die ihn umgab, wenn er unter dem Bann der Priester stand. Die Menschen, die ihm begegneten, schreckten vor ihm zurück, flohen, oder zeigten auf andere Weise ihre Furcht vor dem düsteren Mann, der vor ihnen stand. Doch dieses Kind zeigte keinerlei Furcht.
"Bist du der Tod?" fragte es. Seine Stimme war klar und zitterte nicht, wie der Mann es erwartet hatte.
"Ich... " was sollte er sagen? Ja, ich bringe den Tod... tut mir leid, ich muss deine Schwester töten... Oder war es gar die Mutter? Nein, dafür war sie zu jung.
"Wie heißt du?" fragte er den Jungen.
"Flori." Wieder begann er zu husten. Als er sich beruhigt hatte, setzte sich der Mann auf den Stuhl neben dem Bett.
"Bist du gekommen um mich zu holen?"
"Warum fragst du das?"
"Die Nachbarin sagt, ich hätte nicht mehr lange zu leben. Weil ich immer so huste."
"Was weiß schon die Nachbarin!"
"Das sagt Jenne auch immer." Das Kind warf einen Blick auf das schlafende Mädchen.
"Ist das deine Schwester?"
"Ja, Mutter und Vater sind nicht mehr da. Jenne kümmert sich um mich."
"Tut mir leid."
"Ich kann mich kaum an sie erinnern. Aber jetzt bin ich krank und wir können den Heiler nicht bezahlen, damit er meinen Husten wegmacht. Muss ich wirklich schon sterben?"
"Nein, das musst du nicht." Der Mann versuchte zu lächeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. Was war, wenn er dieses Mädchen wirklich tötete? Hieß das nicht auch, dass Flori sterben musste? Ohne Familie. Krank.
"Ich habe Angst allein zu sein.", flüsterte das Kind, als hätte es die Gedanken des Fremden gelesen.
"Das brauchst du nicht. Schlaf wieder."
"Bleibst du bei mir, bis ich eingeschlafen bin?" Der Junge sah den Fremden mit flehendem Blick an. Aus irgendeinem Grund vertraute Flori ihm. Er wollte dieses Vertrauen nicht enttäuschen.
"Wenn du das möchtest."
Lächelnd lehnte der Junge sich in seine Kissen zurück, ergriff die Hand des Mannes und schloss die Augen.
Verwirrt starrte der Fremde auf die kleine heiße Hand, die in der seinen lag. Wie groß seine Finger dagegen wirkten. Wie konnte es nur sein, dass so ein kleines unschuldiges Kind sterben musste? Er wünschte, er könnte irgend etwas tun. Von neuem spürte er den Ruf in seinem Inneren, der ihn zwingen wollte, seinen Auftrag zu Ende zu bringen. Zu beenden, was er begonnen hatte. Doch was passierte dann mit dem Kind? Ohne seine Schwester war es verloren.
Nach einer Weile hörte er, wie Flori gleichmäßig atmete. Leises Rasseln begleitete jeden seiner Atemzüge. Vorsichtig löste er seine Hand aus der Umklammerung des Kindes und stand auf. Er hatte einen Entschluss gefasst.

Am nächsten Morgen fiel die Sonne durch die dreckigen Fensterscheiben und weckte Jenne auf. Ihr kleiner Bruder schlief noch friedlich. Es schien ihm besser zu gehen. Vor ihr auf dem Tisch lag ein kleiner Beutel. Verwundert öffnete sie ihn und fand darin einige Silbermünzen. Erfreut stellte sie fest, dass es genug war um einen Heiler zu bezahlen. Doch woher kam dieses Geld? War etwa heute Nacht jemand hier gewesen, während sie geschlafen hatte?
Vor dem Haus hörte sie Stimmen, die aufgeregt miteinander redeten. Sie trat neugierig nach draußen und schob sich an der Menschentraube vorbei, die sich in der Gasse vor ihrem Haus gebildet hatte. Als die Passanten ihr nicht mehr die Sicht versperrten, fiel ihr Blick auf einen jungen Mann, der tot dalag. Er schien keines gewaltsamen Todes gestorben zu sein. Sein Gesicht war friedlich, beinahe schien es als würde er lächeln. Es sah aus, als wäre er für einige Augenblicke sehr glücklich gewesen. Jenne betrachtete stumm die dunkel gekleidete Gestalt, die dort vor ihrem Haus lag. Sie hörte nicht auf die aufgeregten Spekulationen der Nachbarn, warum dieser Mann gerade hier lag, sondern fühlte aus irgend einem Grund Trauer für diesen Fremden. Als sie Flori im Innern des Hauses husten hörte, ging sie wieder hinein. Der Junge hatte sich aufgesetzt und versuchte vergeblich durch die Fenster zu erkennen, was draußen vor sich ging.
"Was ist da?"
"Ein Toter."
"Ach so."
Tote waren nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend der Stadt, doch das Mädchen war trotzdem erstaunt, wie einfach ihr Bruder diese Nachricht abtat.
"War heute Nacht jemand hier?"
"Ja. Hat er das dagelassen?" fragte der Junge und deutete auf den Beutel, den Jenne noch immer in der Hand hielt.
"Ja. Wer war es?"
Flori lächelte.
"Ein schwarzer Engel!"
 
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Kommentare  

Ich finde deine Geschichte echt spannend! DU verstehst es die Spannung auf den letzten Moment hinauszuzögern. Behalt dein Schreibstill, so ist sie hervorragend. Du hast einen neuen Fan gewonnen

Lyá - Iloná Morgenstern (29.05.2006)

Wunderschön geschrieben (werde langsam ein Fan von dir *GRINS*), aber es bleiben wirklich noch einige Fragen zu dem schwarzen Engel offen.
Deshalb: vier Punkte


Drachenlord (13.01.2003)

Diese GEschichte Lebt davon das man sich immer wieder fragen stellt grade das macht die Spannung aus! Wer auch immer die Geschichte ließt stellt sich immer wieder verschiedene Fragen, So bleibt die GEschichte auch noch lange nach dem eigentlichen lesen Lebendig im Kopf!
Wie immer wunderbar geschrieben(Laura kann nicht anders:-)
Von wegen gut gewinnt gegen böse!
Der gute bringt sich doch um und die schwarze Seele (der Junge) hat am Ende gewonnen!
Er ist der wirkliche schwarze Engel!


Schwarzer Reiter (31.07.2002)

Eine Schauergeschichte mit einem wundervollen traurig-schönen Schluss, der dem Ganzen erst den rechten Pfiff gibt. Ein echtes Kleinod.

Stefan Steinmetz (07.01.2002)

Die Fabel ist gut gewählt.
Das Gute siegt über das Böse.
Gute Schauplatzdarstellung und ein wunderbar gespannter Spannungsbogen ließen mich die Geschichte bis zu Ende lesen. (Was mir längst nicht bei allen bisher gelesenen gelungen ist.)
Schön geschrieben.
Danke dafür


selma (10.10.2001)

die geschichte find ich urschön...bin sozusagen sprachlos. war echt verdammt traurig. schon allein der name der geschichte ist anziehend. du kannst echt gut schreiben!mach weiter so!

sandwich (10.09.2001)

Die Geschichte ist sehr schön - gut gewählte, fein abgestimmte Augenblicke, Momente wunderbar eingefangen...
Zwar habe ich zwischendurch auch überlegt, wie man in diesem Falle den schwarzen Engel einzuordnen hat, doch je mehr ich las, desto nebensächlicher wurde dies. Nur eines befremdete mich etwas, dass ein schwarzer Engel (oder gleichzusetzen mit dem Tod) sich noch um so banale Dinge kümmert, wenn er sich denn schon opfert...
Aber sonst ... alle Achtung


Siegi (08.09.2001)

Also als Erstes muss ich diese Geschichte wegen ihrem ausserordentlich spannenden Schreibstil loben und auch anmerken, dass die Beschreibungen einsame klasse waren! Aber dennoch habe ich offene Fragen:
1. Was ist ein schwarzer Engel? Ein Mensch? Ein überirdisches Wesen? Kam nicht so ganz raus...
2. ... Junge sich in seine Kissen zurück, ergriff die Hand des Mannes ... von diesem Augenblick an hätte der Junge tot sein müssen, vergiftet!
3. Wie bringt sich ein schwarzer Engel eigentlich um?

Das Thema hier: „Ein totbringendes Wesen erliegt dem Mitleid“ ist gut gewählt, aber für meinen Teil wirft diese Geschichte zu viele ungeklärte Fragen auf.


SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

JA, mich hätte auch brennend interessiert, aus welchem Grund die junge Frau hätte sterben müssen!
Aber wenn man bedenkt, dass der schwarze Engel aus freien Zügen gestorben ist, nur, damit der kleine Junge nicht allein sein muss, dann möchte man mehr oder weniger nicht mehr danach fragen, wieso...!
sehr gut geschriebene geschichte!


Marco Frohberger (22.08.2001)

Der totbringende schwarze Engel stirbt aus freien Zügen... und läßt auch noch das Weltlichste da, was es gibt...Geld, nur... warum sollte die junge Frau sterben? Ich habe bis zum Schluß irgendwie auf die Lösung dieses Sachverhaltes gewartet... *grübel*



Teleny (07.08.2001)

Superschöne Geschichte! Verdammt einfühlsam beschrieben! Einfach traurig schön!

esmias (06.08.2001)

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