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5 Seiten

Unvernunft

Fantastisches · Kurzgeschichten
© schwaen
Dr. Perkins schlug das Laken von der Leiche zurück.
Er zuckte zusammen.
„Was, um Himmels Willen, haben sie mir denn da angeschleppt?“
Der Mann neben ihm sah ihm direkt in die Augen.
„Das, Doktor, sollen sie für uns herausfinden !“

Im Besprechungsraum war jeder Platz besetzt.
Alle warteten gespannt, was ihnen der Mann vom CIA erzählen würde. Worum auch immer es sich handelte, es musste verdammt wichtig sein.
„Ich begrüße sie alle und hoffe, dass die eilige Einladung zu dieser Besprechung nicht zu größeren Unannehmlichkeiten geführt hat. Aber es geht um eine etwas äußerst ,hm, ja, außergewöhnliche Angelegenheit.
Wie sie alle Wissen, sind wir selbstverständlich auch Jahre nach dem Golfkrieg weiterhin in diesem Krisengebiet geheimdienstlich tätig. Vor etwa einer Woche wurden zwei Leute von uns in Kuwait-City durch Zufall auf einen Mann aufmerksam, der ziemlich aufgeregt mit seinem Pick-Up durch die Straßen fuhr und immer wieder wie ein Verrückter auf seinen Rücksitz deutete, während er unverständliches Zeug schrie. Einer unserer Männer konnte einen Blick auf den Rücksitz werfen und erfaßte sofort die ungewöhnliche Situation.
Alles weitere wurde wie immer professionell von uns abgewickelt.
Letztlich konnten wir das Objekt vom Rücksitz des Wagens beschlagnahmen. Laut Aussage des Fahrers hatte er es in einem fast menschenleeren Teil Kuwaits nahe der nördlichen Grenze auf einem Acker gefunden.
Vorgestern kam das Objekt hier bei uns an. Wir haben sofort einen unserer Spezialisten darauf angesetzt, Dr. Perkins.
Machen Sie bitte weiter, Doktor.“
Dr. Perkins stand auf und ging langsam zum Tageslichtprojektor.
„Mein Vorredner hat bis jetzt immer nur von einem Objekt gesprochen. Werfen sie mit mir jetzt bitte einen Blick darauf.“
Er schaltete den Projektor ein.
Ein erstickter Aufschrei ging durchs Publikum. Einige sprangen entsetzt auf, eine Frau und ein Mann übergaben sich gemeinsam in der Zimmerecke.
„Ja, diese Reaktion kann ich gut nachvollziehen. Ich hatte zunächst auch Schwierigkeiten, mich an den Anblick zu gewöhnen.“
Langsam legte sich die Aufregung. Die Frau und der Mann aus der Zimmerecke wurde vorsichtig an ihren Platz zurückgeführt und mit einem Glas Wasser beruhigt. Man beseitigte das Malheur und Dr. Perkins fuhr fort.
„Was sie hier sehen, ähnelt einer Leiche. Ich sage ähneln, weil sie auf den ersten Blick auffallend deutliche Unterschiede zu einem normalen Menschen erkennen können.
Wo soll ich anfangen?
Das Wesen ist ca. 2 Meter 20 groß und wiegt etwa 140 kg.
Der haarlose Kopf unterscheidet sich deutlich von dem eines normalen Menschen. Die beiden, von einem Hornlid geschützten Augen sind seitlich am Kopf angebracht, was eine ziemlich gute Rundum-Sicht ermöglicht, ähnlich der eines Insekts. Ihre innere Struktur weist daraufhin, dass ihr Besitzer sowohl im Infrarotbereich gut sehen kann als auch vielleicht sogar im Bereich von Röntgenstrahlen. Die Rezeptoren sind derartig empfindlich, dass selbst stockdunkle Nacht keinerlei Sehprobleme verursacht.
Ähnlich verhält es sich mit den Ohren, die sich als einfache Öffnung oberhalb der Augen darstellen. Auch hier kann man davon ausgehen, dass ein Hören bis in den Ultraschallbereich hinein möglich ist.
In der Mitte der Stirn befindet sich ein etwa 30 Zentimeter langes, spitzes Horn.
Die Nase sieht aus, als wären die Nasenlöcher geschlossen. Das ist jedoch nicht richtig, sie besitzen kleine Öffnungen. Innerhalb der Nase befinden sich Säckchen, in denen kleine Hornpfeile gebildet werden, die man offensichtlich durch die Nase ausstoßen kann. Eine ebenfalls dort ansässige Drüse verunreinigt diese Hornsplitter mit einer giftigen Substanz, ähnlich dem uns bekannten Curare-Gift.
Der Mund ist ein lippenloser Schlitz mit fürchterlichen Reißzähnen, die sich in zwei senkrecht aufeinander stehenden Kieferachsen befinden. Man kann damit wechselweise horizontal als auch vertikal zubeißen.
Es gibt keinen Hals, sondern der Kopf sitzt direkt auf dem Oberkörper. Auf Grund der Rundum-Sicht der Augen wäre ein Hals auch völlig überflüssig, wenn ich das bemerken darf.
Auf beiden Schultern befinden sich Kiemen.
Der Oberkörper selbst ist nabel- und brustwarzenlos und von innen mit nur drei entsprechend groß proportionierten Rippenpaaren ausgestattet.
Das Wesen besitzt eine Kloakenöffnung, Geschlechtsorgane sind nicht vorhanden.
Die Arme sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Der rechte ist ähnlich dem eines normalen Menschen, nur an der Hand mit zwei Daumen ausgestattet.
Der andere Arm ist doppelt so dick und besteht fast vollständig aus Muskelgewebe. Diese Hand sieht aus, als wäre sie verkrüppelt, aber die Knochen sind dort zu einem Ball verformt, so daß eine Art organisches Schlagwerkzeug entstanden ist.
Die Beine bestehen ebenfalls fast ausschließlich aus Muskeln. Es gibt keine Füße, sondern nur zwei, nun, sagen wir mal Hufe dazu.“
Dr. Perkins sah in die Runde.
Schweigen, Entsetzen.
„Nun zu den inneren Organen.
Da muss ich vorweg schicken, dass ich bei vielen die Funktion noch nicht einmal annähernd erraten kann. Andere Organe sind vom Menschen her bekannt, liegen hier allerdings in modifizierter Form vor.
Das Herz ist etwa drei mal so groß wie das eines normalen Menschen und durch die riesigen Rippen nach außen geschützt.
Die Lungen arbeiten ähnlich denen eines Menschen, scheinen allerdings eine viel bessere Filterfunktion aufzuweisen, ebenso wie die riesige Leber. Der Magen ist in der Lage, so ziemlich alles zu verdauen, was hineingelangt.
Das, was dieses Wesen als Blut benutzt, kann selbst ich als Arzt nicht erklären. Ich habe es analysieren lassen, aber die genaue Wirkungsweise ist mir völlig unbekannt. Fest steht, dass damit ein äußerst effizienter Transport von Sauerstoff und Nährstoffen stattfinden kann.
Der ganze Körper ist mit weiteren, mir völlig unbekannten Organen und Drüsen durchsetzt.
Außerdem ist er vollständig mit einer dunklen Haut überzogen, die schon fast an Leder erinnert, äußerst fest und widerstandsfähig.
Nun zum Gehirn.
Es ist sehr klein, nur rudimentär ausgebildet. Dieses Wesen gehorcht ausschließlich seinen Instinkten, höhere Bewußtseinsfunktionen sind nicht erkennbar.
Interessant ist, dass man die Hirnfunktionen offenbar steuern kann.
Wir haben an einem Hirnlappen ein kleines mechanisches Gerät gefunden, mit dem man offensichtlich die Kontrolle über dieses Wesen ausüben kann. Dieses Gerät ist defekt, worin wohl auch die Todesursache dieses Monstrums zu suchen ist.
So, ich glaube, das wäre zunächst alles.
Wie gesagt, viele Dinge kann ich nicht erklären, weil ich entsprechende Vergleichsmöglichkeiten in der Natur nicht finden kann. Ich hoffe, sie nehmen mir das nicht übel.“
Gequältes Gelächter.
„Und was ist dieses Wesen nun? Ist es ein Außerirdischer?“
Dr. Perkins antwortete nicht sofort.
„Nein, natürlich nicht. Die DNA-Analyse ist eindeutig. Es handelt sich definitiv um ein menschliches Wesen, augenscheinlich gentechnisch manipuliert.
Dieses Monstrum kann sowohl in der Luft als auch unter Wasser atmen. Giftstoffe, über die Nahrung oder durch die Luft aufgenommen, werden ausgefiltert. Es sieht und hört alles. Die Verbrennung jedweder Nahrung ist verbunden mit einem ungeheuren Energieumsatz und unglaublich effektiv. Mechanische Einwirkungen werden von der Haut absorbiert und können auf Grund des Knochenbaus keine wichtigen Organe schädigen. Das Ding ist bewaffnet mit einem Horn, einem alles zerfetzenden Kiefer, vergifteten Dornen, die es durch die Nase ausstoßen kann und einem hammerähnlichen Arm, dessen unglaubliche Zerstörungskraft man nur erahnen kann. Die Beinmuskulatur ermöglicht im Zusammenspiel mit den Hufen eine unglaubliche Laufgeschwindigkeit.
Was sie hier sehen, meine Damen und Herren, ist eine perfekte Kampfmaschine, effizienter als alles, was wir bisher auf diesem Planeten an biologischen Organismen kennen. Wenn ich eines dieser Dinger töten müsste, ich wüßte nicht, wie ich das anstellen sollte.
Aber: es ist ein Mensch. Dieses Wesen ist quasi ein Bruder von uns. Und er wird künstlich geschaffen und gesteuert.“
Eiskaltes Schweigen.
Der CIA-Mann stand auf.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, den Präsidenten zu informieren. Danach weise ich sie dann in ihre neuen Aufgaben ein.“

Dr. Silverberg lehnte sich in seinem Sessel zurück, während die letzten Sonnenstrahlen des Tages durch das schmutzige Fenster auf seinem Schreibtisch tanzten.
Draußen rief der Muezzin zum Abendgebet.
Er stand auf und ging zu der Glasglocke auf dem Tisch in der Ecke. In einer fast klaren Flüssigkeit schwebte etwas, dass wie ein kleiner, verformter Mensch aussah.
„Wir müssen Dich noch weiter verbessern, mein kleiner Freund. Deine Kiemen sind noch nicht weit genug entwickelt. Deine Beinmuskulatur lässt noch zu wünschen übrig und die Giftnadeln sind noch lange nicht ausgereift.
Aber bald, bald, mein kleiner Freund, wirst Du fast perfekt sein.“
Er ging zurück zum Schreibtisch, setzte sich wieder und schaltete den Monitor ein.
Dieser zeigte das innere einer Fabrikhalle. Auf einem Fließband waren etliche Glasglocken ähnlich der in seinem Büro zu erkennen. In jeder befand sich ein menschenähnliches Wesen, je nach Position auf dem Band in unterschiedlichem Entwicklungsstadium. Pumpen und andere Maschinen koppelten sich mit Schläuchen an die Glocken und versorgten die darin befindlichen Körper mit allem, was sie zum Leben benötigten.
„Meine Kinder“, dachte Dr. Silverberg mit Stolz.
Ein paar Kilometer weiter, verteilt in mehreren unterirdischen Bunkern, standen hunderttausende von ihnen Reihe an Reihe, versetzt in ein künstliches Koma, bereit, auf ein Zeichen des Diktators hin die Herrschaft über die Erde zu übernehmen. Es würde nicht mehr lange dauern.
„Und dann ist meine Rache vollständig“.

Noch heute kochte in ihm der Haß hoch, wenn er an seine Entlassung von der Universität dachte.
Er, Dr. Silverberg, einer der weltbesten Genetiker, wurde gefeuert, weil man nach 17 Jahren den kleinen Betrug bei seiner Doktorarbeit bemerkt hatte.
So etwas Lächerliches.
Hatte er danach nicht tausendmal bewiesen, dass er zu den besten auf seinem Gebiet gehörte?
Wie konnte man alle seine genialen Leistungen vergessen wegen so einer Lappalie?
Mit Schimpf und Schande hatte man ihn davon gejagt.
Er wurde suspendiert, kümmerte sich danach nur noch um seinen Garten.
Doch der Haß in ihm nagte und brachte ihn fast um den Verstand.

Bis die Anwerber kamen.
Er zögerte nicht eine Sekunde. Er durfte wieder seiner Arbeit nachgehen und wurde dafür noch fürstlich entlohnt. Dazu kam die Aussicht, sich irgendwann endlich an denen zu rächen, die für seine Schmach verantwortlich waren.
Der Umzug in ein fremdes Land war dafür ein lächerlich geringer Preis.
Hier hatte er alles, was er sich nur wünschen konnte. Und seine Rache konnte beginnen. Ja, sie würden noch den Tag verfluchen, an dem sie ihm Unrecht zufügten, aber dann würde es zu spät sein.

Als sein Blick auf das allgegenwärtige Bild des schnauzbärtigen Diktators fiel, dachte er an seine gesellschaftliche Position nach dem Krieg. Sobald sie die Erde mit den genetisch veränderten Klonen überschwemmt hatten, würde er, Dr. Silverberg, zwar nicht der Herrscher der Welt sein, aber die Dankbarkeit des Diktators würde ihm sämtliche möglichen Vorteile des Lebens garantieren. Ein Paradies auf Erden.
Ein Leben in absolutem Luxus , mit allen Annehmlichkeiten und den schönsten Prostituierten des Landes.

So wie die Kleine gestern. Sehr jung. Aber sie hielt einiges an Schmerzen aus.
Dr. Silverberg grinste.
Ob sie heute Abend um Gnade winseln würde?

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„Der vernünftige Mensch paßt sich der Welt an;
der unvernünftige besteht auf dem Versuch,
die Welt sich ihm anzupassen. Deshalb hängt aller
Fortschritt vom unvernünftigen Menschen ab.“

George Bernard Shaw, irischer Dichter (1856-1950)

 
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Kommentare  

Hallo,eine sehr spannende Geschichte!

Freddi (17.09.2006)

Das einzig Gute an der Geschichte ist die detaillierte Beschreibung des Monsters, aber ansonsten gibt's Kritik:
- die Idee an sich ist nicht originell, aber man kann so eine Geschiche schon schreiben
- die Geschichte ist zu kurz, was passiert nun vom CIA aus
- Vielleicht hätte man das CIA ganz weglassen sollen?
- Silverberg als Perverser ist ein wenig zu dick aufgetragen und banal
- Hätten solche Monstren eine Chance gegen eine hochtechnisierte Armee?


Susan (26.09.2004)

Diese Geschichte ist fihl zulange .
Andstrengt zu lesen ,
aber gut


STEFAN FRIEDL (26.11.2002)

Sehr phantasievoll, die Schilderung der Kreatur! Kann man sich lebhaft vorstellen. Einige Anmerkungen allerdings:

1. Wer macht die Kotze in der Ecke weg?
2. Zwecks Anpeilung des Zielobjekts mit der Pfeilnase (besonders in der Vertikalen) wäre ein Hals DOCH sehr nützlich!
3. Wachsen die Pfeile nach? Wie schnell? Und überhaupt: hat man den Niesreflex weggezüchtet, oder besteht hier die Gefahr der Selbstverstümmelung?

Insgesamt wie gesagt eine sehr gute Geschichte. Elemente aus Shelley's Frankenstein, aber eigenständig entwickelt. Das Ende mit der Rache des Geächteten an der Welt ist mir allerdings zu "James-Bond-esk", auch wenn Saddam so jemanden sicherlich sofort einstellen würde. Auch die Abschlußanspielung auf den Frauenquäler finde ich problematisch: die Darstellung von Silverberg als Sadist nimmt der Motivation "Rache" etwas von ihrer Überzeugungskraft und rückt das Ganze in die Abteilung "Pervers". Ist es aber nicht gerade die "Banalität des Bösen" (Hannah Arendt über Adolf Eichmann), die am meisten schockiert und fesselt?
Gruß vom LDS


Profilmaennchen (21.02.2002)

Geile Geschichte ! Die würde sicher jedem Fan der Alien-Filme gefallen. Ich mag diesen Bezug zum vergangenen realen Geschehen, auf diesem kleinen Planeten. Das gibt dem Ganzen etwas makaberes ! Nur weiter so !

b.heinrichs (27.07.2001)

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