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4 Seiten

Rendezvous

Fantastisches · Kurzgeschichten
© schwaen
In Forester gluckste ein Lachen hoch. Doch sofort wurde er wieder ernst.
Paß auf, Junge! Konzentrier‘ dich gefälligst!
Er bog die Wirbelsäule durch und richtete sich kerzengerade in seinem Sitz auf.
Wie bei einem Klavierspieler flogen seine Hände über die Instrumententafel, schoben hier einen Schalter, zogen dort einen Hebel. Unterschiedliche Lampen glühten auf, andere erloschen.
Erst nachdem Forester die Anzeige „Maximum Speed“ vor sich aufleuchten sah, nahm seine hektische Aktivität ab. Langsam ließ er sich in den Pilotensessel zurückfallen.
Ein Grinsen ging über sein Gesicht.
Verfluchte Technik.
Er hatte den Beschleunigungsschub durch den Fusionsreaktor auf Höchstgeschwindigkeit nicht im geringsten bemerkt. Auch jetzt verspürte er nicht den geringsten Andruck, obwohl der Geschwindigkeitsmesser konstant fast 250.000 km/h anzeigte.
Irrsinn.
Ein suchender Blick fiel auf den Radarschirm.
Nichts.
Nichts als die gnadenlose, alles absorbierende Leere des Weltalls.
Nichts.
Noch nicht.
Forester’s Gedanken glitten ab, beruhigt im Vertrauen auf die Technik, die ihn frühzeitig warnen würde.
Was mach‘ ich eigentlich hier? Allein, in einem Raumschiff, tausende von Kilometern weg von der Erde, unterwegs mit dieser wahnwitzigen Geschwindigkeit?

„Forester, ich zeig‘ Ihnen was.“
Dann die Bilder.
Tiefenraumsonden zeigten das Auftauchen von unzähligen Flugkörpern in Richtung Sonnensystem.
Aliens?
Man benötigte einen Aufklärungsflug, um Klarheit zu bekommen.
„Sie sind der richtige Mann für diesen heiklen Job, Forester. Ich verlasse mich auf Sie!“

Und nun war er unterwegs, um vielleicht als erster Mensch Kontakt mit Außerirdischen aufzunehmen.
Das Bewußtsein über die Tragweite seiner Aufgabe jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Mann, oh Mann.
Würde es zu einer diplomatischen Begrüßung oder zu Kampfhandlungen kommen? Sein Schiff, optimistisch die „WELCOME“ getauft, war für beide Alternativen entsprechend ausgerüstet. Die modernste Errungenschaft der Erde.
Doch wie sollte man sich auf die Begegnung mit etwas einstellen, das noch nie ein Mensch zuvor gesehen, gehört oder mit anderen Sinnen wahrgenommen hatte?
Seine Gedanken erzeugten bei Forester einen bitteren Geschmack im Mund und Schweiß unter den Achselhöhlen.
Ruhig Junge, keine Angst.
Doch genau die begann jetzt, ihn zu erfassen. Sie stieg langsam auf, umschlang seinen Körper. Eine eiskalte Hand, die nach seinem Herz griff.
Ein leichtes Summen riß ihn aus seiner Trance.
Die Computerüberwachung seiner Gesundheitsdaten zeigte einen deutlich erhöhten Adrenalinwert.
Forester fluchte vor sich hin und bestätigte die Registrierung des Signals, das daraufhin verstummte.
Scheiß Maschine, dachte er. Was wußte die schon?
Verfluchte Einsamkeit.
Funkkontakt zur Erde war bei dieser Geschwindigkeit nicht möglich.
Dreh‘ jetzt bloß nicht durch. Du hast schon ganz andere Sachen gemeistert.

Der kleine Junge, ins Eis eingebrochen, in letzter Sekunde von seiner Schwester vor dem Tode gerettet.
Das Autowrack, aus dem man seinen zerquetschten Vater zog. Er selbst blieb bis auf ein paar Kratzer völlig unverletzt.
Das Shuttle auf der Pilotenschule, das die Laderampe verfehlte und in den Hangar donnerte. Während vier seiner Freunde in Fetzen gerissen wurden, zog er sich gerade nebenan Kaffee aus einem Automaten.

Nun saß er im besten Raumschiff, das die Menschheit je hervorgebracht hatte, in der Lage, einen halben Planeten in Stücke zu blasen, und machte sich fast in die Hose vor Angst.
Verfluchter Mist.
Er riskierte einen Blick auf die Instrumente.

Geschwindigkeit: maximal, konstant
Radar: keine Anzeige
Körperwerte: Puls und Blutdruck erhöht

Na schön.

„Sie sind mein Mann, Forester.“
Ja, immer präzise, immer nach Plan, alles nach Vorschrift.
Keine nahen Verwandten, Eltern tot, Schwester weit weg in Kanada. Alleinstehend.
Kein großer Verlust. Keine Verwandtenproteste zu erwarten. Im ungünstigsten Fall das Ausradieren seiner Personalnummer.

Forester grinste.
Was wohl auf der Erde los war? Das vereinigte Erdkommando hatte alles in die Umlaufbahn geschickt, was auch nur annähernd raum- und wehrtüchtig war.
Und alle warteten auf die Telemetriesonde, die er losschicken würde, sobald er wußte, wer oder was sich dem Sonnensystem näherte.
Wer oder was...?
Besser nicht daran denken.
Was dachten wohl die anderen, die, nach denen er suchte? Dachten sie überhaupt irgend etwas? Wie sahen sie aus? Waren Sie mit menschlichen Sinnen überhaupt wahrzunehmen oder völlig fremdartig?
Hatten sie ihn vielleicht schon geortet?
Bei diesem Gedanken befiel ihn wieder eine namenlose, fast panische Angst.
Die Computerüberwachung meldete sich mit allgemeinen Streßsymptomen.
Allgemeine Streßsymptome? Ist das ein Wunder? Selbst die beste psychologische Ausbildung konnte einen Menschen nicht auf diese Situation vorbereiten.
Warum ich?

Als die Radarortung anschlug, setze sein Herzschlag fast aus.
Unzählige Daten stürmten auf ihn ein.
Materie, ein einzelnes Objekt, annähernd gleiche Geschwindigkeit wie die „WELCOME“.
Länge 20 Meter, Durchmesser 6 Meter, dopppelkegelförmig
Kontakt in......
Oh Gott, Kontakt in 8 Minuten.
Nur ein Schiff?
Also schickten sie auch einen Aufklärer. Auch ein armes, einsames Schwein.
Eine Begegnung von Mann zu .... zu „Mann“?
Weiter im Text.
Material des Fremdschiffes: unbekannt
Auch gut.
Temperatur im Fremdschiff: knapp 100 Kelvin
Das wird ja immer schöner.
Forester fröstelte unwillkürlich. Na gut, Bursche. Wir werden ja sehen.
Er reduzierte die Geschwindigkeit, nachdem ihm seine Instrumente anzeigten, daß das fremde Objekt ebenfalls abbremste.
Danach setzte er alle Kommunikationseinrichtungen in Gang. Schlaue Menschen auf der Erde hatten sich ausgedacht, was man einem Alien beim ersten Kontakt mitteilen müßte.
Hoffentlich hatten sie ausnahmsweise mal keinen Mist gebaut.
Keinerlei erkennbare positive Reaktion.
Aber auch noch kein Beschuß.
Sein Gegenüber hatte bis zum Stillstand abgebremst. Forester leitete sofort ein computergesteuertes Abbremsmanöver ein, daß ihn bis auf wenige Kilometer an den gleichen Punkt bringen würde.
Ohne Computer wäre ein solches Manöver nicht möglich gewesen.
Jedenfalls bei den Menschen.
Kontakt in dreieinhalb Minuten.
Das fremde Schiff war nun in Waffenreichweite der „WELCOME“. Forester schaltete die Waffenphalanx auf Bereitschaft und legte den Finger auf den Abschußknopf.
Nur ruhig jetzt. Keinen Fehler machen. Cool bleiben. Dir steht das ganze Wissen der Menschheit zur Verfügung.
Ob das reicht?
Hör‘ auf zu zweifeln und konzentrier‘ dich auf die Anzeige.
Noch 60 Sekunden. Noch 50.
Krieg oder Frieden, jetzt galt es. Er und der andere, sie hatten es in der Hand.
Weiterhin keine Antwort auf seine Kommunikationsversuche.
Forester spannte sämtliche Muskeln. Er war nun die Konzentration in Person. Selbst für die Angst bot sein Gehirn keinen Platz mehr. Die Zahlen vor seinem Gesicht füllten sämtliche Gedanken aus.
24...23...22.......

Dann schlugen die Botschaften in seinem Gehirn ein wie eine Bombe.
Er bäumte sich in seinem Sitz auf, die Augen quollen fast aus den Höhlen, die Körperüberwachung schrillte Alarm.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte Forester den Bezug zur Gegenwart verloren.

Er sah Bilder. Bilder einer anderen Welt.
Bilder einer schönen, friedlichen Welt. Er sah die fremden Wesen. Er beobachtete, wie sie ihre Kinder aufzogen, wie sie ihre Alten ehrten, wie sie mit ihrer Umwelt in Einklang lebten. Liebe, Freude und Respekt prägten den Alltag.
Er vernahm leise Töne, sah weiche Farben, roch fremdartige, aber angenehme Gerüche.
Und er empfand eine nahezu unendliche Gutmütigkeit und den Wunsch nach Frieden, gepaart mit Neugierde und Freundschaft.......

Forester konnte nicht ermessen, wie lange er mit den Gedanken in dieser anderen Welt verweilt hatte. Doch als das Bewußtsein langsam wiedererlangte, stellte er fest, daß es sehr, sehr lange gewesen sein mußte.
Das Rendezvous war schon lange vorbei. Den Abschußzeitpunkt der Telemetriesonde zur Erde hatte er verpaßt und die Flugbahn der „WELCOME“ war unkorrigierbar geworden.
Langsam, aber unaufhaltsam trieb es ihn aus dem Sonnensystem.

Forester begann zu weinen.
Doch nicht sein eigenes Schicksal trieb ihm die Tränen in die Augen, sondern die Katastrophe, die sich Millionen Kilometer hinter ihm anbahnte.

Das Raumkommando auf der Erde sah nur eine Möglichkeit, den Verlust ihres Aufklärungsschiffes angemessen zu beantworten. Atomraketenabschußrampen wurden um die Erde in Stellung gebracht.

Ein friedliebendes Volk war aufgebrochen, der Menschheit einen Besuch abzustatten.
Und die Menschen?
Sie fühlten sich bedroht, wie es schon tausendfach in ihrer Geschichte geschehen war. Eine diffuse, paranoide Angst vor allem, was fremd ist. Und wie in all diesen Fällen gab es für sie nur eine Lösung: Gewalt und Krieg.
Forester schluchzte.
Dann begann er zu schreien:
„Ihr dürft es nicht tun, Ihr Verrückten. Ihr dürft es nicht tun. Nein, oh Gott, nein......“

Und während mehrere taktische Atomraketen Kurs auf das sich der Erde nähernde Fremdschiff nahmen, verlor der Raumschiffkommandant C.J. Forester auf seinem unendlichen Weg ins Weltall den Verstand.
 
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Kommentare  

"........Keine nahen Verwandten, Eltern tot, Schwester weit weg in Kanada. Alleinstehend.
Kein großer Verlust. Keine Verwandtenproteste zu erwarten. Im ungünstigsten Fall das Ausradieren seiner Personalnummer..........."

Das ist die beste Stelle, da hier der Realismus siegt.Es gilt das zu Deinen anderen Geschichten schon gesagte.


RvD (03.07.2005)

Super! Spannend! Bewegend! Und ich bin der Meinung, man sollte die Menschen noch viel öferts mit 'erhobenem Zeigefinger' ermahnen.
Um unser aller Wohl Willen.


Masima Silvia (15.02.2005)

Eine SUPER-Geschichte! Gut geschrieben, spannend zu lesen - vom Feinsten! Weiter so!

b.heinrichs (24.03.2002)

Eine sehr gute Geschichte, hat mir ausserordendlich gefallen! Der Schreibstil ist sehr gut, der Spannungsaufbau klassisch geführt. Das Thema wurde gut verarbeitet, diese „kurze Begegnung“ war in dieser Geschichte „weltbewegend“.
Schade ist nur, dass der Schluss der Geschichte nicht länger ausgebaut wurde. (Anmerkung)


SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

Einfach nur gut!

esmias (27.08.2001)

Super geschrieben, nur der Schluß ist leider sehr vorhersehbar und enttäuscht durch 'erhobenen' Zeigefinger.

Ridcully (16.08.2001)

Gut erzählte Geschichte, gut durchdacht, ein guter Erzählstil, der mir aufgefallen ist. Nur weiter so!

Marco Frohberger (08.08.2001)

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