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Liebesbrief

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Jetzt bist du da, mein Kind. Noch kann ich es gar nicht richtig glauben. Ich streiche dir über deinen kleinen Kopf mit der gerunzelten Denkerstirn. Richtig hübsch finde ich dich mit deinen geschwollenen Augen und dem platten Näschen.

Eigentlich ist es ein Wunder, daß wir hier so zusammen ruhen. Eigentlich solltest du in deinem Bett liegen und ich in meinem. Eigentlich sollten wir uns gar nicht kennen. Aber als ich deinen ersten Schrei gehört habe, konnte ich die Frage aller Mütter, wie du aussiehst und ob alles dran ist an dir, nicht zurückhalten. Lang eingeübte Sätze und Ablehnung wollten nicht über meine Lippen. Statt dessen habe ich vor Liebe dein nasses Haar vollgeweint.

Schwierig wird das mit uns werden, mein Kind. Perfekt bin ich bei weitem nicht, auch nicht dein Vater, und unsere Ehe schon mal gar nicht. Ich hatte mir alles so einfach vorgestellt. Cool wollte ich sein und alles regeln. Neue Eltern für dich, die dich zu einem vernünftigen Menschen erziehen. Ein neuer Anfang für mich, ein Leben ohne Platz, Zeit und Geld für dich. Bis zum Schluß habe ich geglaubt, das durchziehen zu können. Alle deine kleinen Lebenszeichen habe ich registriert, erfolgreich habe ich Staunen, Erwartung und Liebe verdrängt. Gut gerüstet mit diesem ehrenwerten Plan lag ich dann da. Und als du kleines nasses Bündel in meinen Armen warst, da ist das ganze Kartenhaus zusammen gefallen.

Unsere erste Begegnung wird wohl ein lebenslängliches Ende haben, mein Kind. Aber wieso eigentlich auch nicht! Ein Blick aus deinen Augen, und ich übe alle Sätze und Ablehnungen, damit unser kleines Glück weiter dauert.

Mama


© Heike Hagenguth 07/2001
 
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Kommentare  

Ja, man vergisst es nie mehr. Einer der wichtigsten Momente im Leben schön geschildert.
@Matus: dass ein Mann das nicht empfinden kann - da irrst du dich aber gewaltig!


Gerhard (02.02.2004)

Gefällt mir gut!! Es läßt mich erahnen, wie schön solche ein Muttergefühl sein kann, noch kann ich nicht mitreden :-) Ist Dir echt gelungen!

Dabra (11.10.2001)

Wundervoll! Klasse! Wow! Ich habe eine Gänsehaut bekommen, als ich diesen Liebesbrief las! DAS ist eine der wundervollsten Begegnungen für eine Frau: Zum ersten Mal ihr Kind zu sehen, der erste Blick ist der Wichtigste im Leben. Das Thema Adoption lässt sich oft so leicht einreden, aber wenn der Zeitpunkt da ist, dann sind die Gedanken daran wie weggeblasen.
Das Thema ist 100 %ig erfasst worden und ist bewegend!


SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

schmalz, schmalz schmalz, immer schön mit dem Emotionshammer draufhauen!
Whre Gefühle und ihre Wahrnehmung manifestieren sich aber oft nicht wie hier beschrieben, sondern voiel alltäglicher und dabei viel viel tiefer.


ohmeingott (31.08.2001)

Als Mann kann man wohl nicht solche Gefühle und Empfidungen haben! Ich muss allerdings zugeben, dass sie hier absolut realistisch dargestellt sind, und ich kann mir vorstellen, dass es vielen Mütern so gegangen ist. Die Liebe zum Kind fängt eben oft an, wenn man das Neugeborene endlich in seinen eigenen Händen halten kann! Toll erzählt! realistisch und auch romantisch! Gibts ne Fortsetzung? :-)

Matus (29.08.2001)

So schön!

esmias (27.08.2001)

soviel zum Thema anonymität. Bitte disqualifizieren.

regelverstoss (20.08.2001)

die Geburt

und es wurde eine Mutter geboren
abgekämpft, aber glücklich lag sie im Bett

sie entfaltete ihre Flügel
etwas unsicher, zaghaft noch in ihrem ersten Versuch

warmer Wind ließ ihre Flügel trocknen
und der Aufwind nahm sie mit


...ich wünsche Dir alles Gute und Liebe mit Deinem Baby!


christine (08.08.2001)

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