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4 Seiten

Teksi Whalla

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
Puh, na endlich! Seufzend sinke ich in die Sitze zurück. Was sage ich, "Sitze?" Traumhafte Polster in dezentem Schwarz. Ein Lederbezug vom Feinsten. Oder ist es Kunstleder? Optisch läßt sich kein Unterschied feststellen. Prüfend streichen meine Finger über das Material. Nichts, aber eigentlich ist das ja auch egal. Die Luft ist kühl. Mit Klimaanlage habe ich auf der Heckscheibe gelesen. Nichtrauchertaxi. Und Kreditkarten werden auch genommen. Herrlich! Der Fahrer stellt unaufgefordert das Taxameter ein, und schon schaukelt mich das cremefarbene Luxusgefährt sanft meinem Ziel entgegen. Ein paar höfliche Fragen nach dem Woher, ein verstohlen-kritischer Blick in den Rückspiegel, dann überläßt mich der Fahrer meinen Gedanken.


Ich muß ja zum Anbeißen aussehen, denke ich mit einem ironischen Grinsen. Mein Chef wird wenig begeistert sein, wenn ich nächste Woche wieder am Schreibtisch sitze. Ich drücke mir den Eisbeutel aufs rechte Auge. Das Veilchen blüht. Das Eis ist schon lange geschmolzen, eigentlich ist es nur noch ein feuchter Lappen, der keine Kühlung oder Linderung mehr bringt. Bis kurz vor der Landung hat mich die freundliche Stewardess noch mit Eis versorgt, aber das ist jetzt auch schon Stunden her.

Ich verkneife mir ein Stöhnen. Alles tut weh. Der Fahrer schaut wieder in den Rückspiegel. Ob alles in Ordnung sei, will er wissen. Ja ja, schon gut! Danke! Ich will nur noch heim. Vor achtundvierzig Stunden hätte ich mir nie träumen lassen, daß ich so lädiert die Heimreise antrete. Vor achtundvierzig Stunden habe ich gesund und munter vor dem Taj Mahal für ein Erinnerungsfoto posiert. Da habe ich die Augen zusammen gekniffen, weil mich die Sonne und der glänzende Marmor so geblendet haben. Jetzt kneife ich sie vor Schmerzen zusammen.
Die Tour zum Taj war eine Tagesfahrt von Delhi aus. Das Denkmal der Liebe, ein Weltwunder als Krönung eines anstrengenden Aufenthaltes bei fünfundvierzig Grad Hitze und Staub. Abends ging es per Reisebus zurück in die Hauptstadt. Mit maximaler Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern über eine einspurige staubverwehte Piste, protzig Highway genannt. Endlich in Delhi angekommen, war es bereits kurz vor Mitternacht. Obwohl es hier sogar Straßenlaternen gibt, war es von der Bushaltestelle aus einfach zu weit und zu gefährlich, den ganzen Weg bis zum Hotel zu laufen.

An der Straße parkte ein Taxi. Trotz mehrmaligen Rufens Hello Teksi! und Klopfens an die Scheibe rührte sich der Fahrer nicht, der es sich zur Nachtruhe auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte. Wie er dort schlafen konnte, war mir schleierhaft. Zu oft schon habe ich die Sprungfedern der alten schwarzen Ambassador-Karossen gespürt. Meist sind die roten Kunstlederpolster so verschlissen, daß der Fahrgast Bekanntschaft mit der Füllung der Sitze macht und auch mit dem Kleingetier, das dort nistet. Viele dieser Taxis, Teksi genannt, sehen wie Vorkriegsmodelle aus, und das sind sie wahrscheinlich auch. Alles ist altersschwach und scheppert und wird immer wieder mit Hingabe repariert.

Der Teksi Whalla, der stolze Besitzer dieses technischen Wunders, das keinen TÜV überstehen würde, hegt und pflegt die Quelle seines Einkommens. Das geht so weit, daß bei selbst schwacher Straßenbeleuchtung die Lampen des Teksis ausgeschaltet werden, um die Birnen zu schonen. Das Taxameter ist auch so ein Ungetüm. Ob es manipuliert ist, weiß man nie so genau. Und trotz Taxameter kommt es immer wieder zu zähen Verhandlungen um den Fahrpreis.
Nun, dieser Teksi Whalla wollte also lieber schlafen als noch ein paar Dollars zu verdienen. Zu meinem vermeindlichen Glück entdeckte ich ein sogenanntes Auto, auf Kurzstrecken eine echte Alternative zum Teksi, da die Fahrten erheblich preisgünstiger sind und das Auto im dichtgedrängten Straßenverkehr auch viel wendiger ist. Ein kurzes Hello Auto! und der Fahrer hielt an. Obwohl die Strecke zu meinem Hotel nicht weit war, forderte der Fahrer einen astronomisch hohen Fahrpreis. Kein Wunder, ich wollte ja zu nachtschlafender Zeit etwas von ihm! Und ein paar Extra-Dollars ergattert ja jeder gerne, besonders von den scheinbar reichen Ausländern. Nach langen Verhandlungen hatten wir uns endlich auf einen akzeptablen Fahrpreis geeinigt. Dank Wechselkurs natürlich ein Spottpreis im Vergleich zu deutschen Verhältnissen. Der Fahrer forderte mich mit einem Kopfnicken auf, einzusteigen. Ein letztes Ausspeien von rotem Betelsaft, dem indischen Kaugummiersatz, direkt vor meine Füße, dann ging es los.

Habe ich mich eben über die Sprungfedern der Teksis beklagt? Autos sind noch schlimmer! Ein Auto im herkömmlichen Sinne darf man sich jetzt nicht vorstellen. Das Fahrzeug sieht eher wie ein rollendes Überraschungsei aus. Zwei Räder hinten, eins vorne. Die maximal drei Fahrgäste sitzen hinten nebeneinander auf einer Bank, der Fahrer hockt vorne auf einem kleinen Sitz und lenkt mit einer Art Mofalenker. Über dem Ganzen erheben sich ein paar Stangen, die mit einer dicken Plane bespannt sind. Etwas Lack in gelb und schwarz, eine Kinoreklame und je nach Religionszugehörigkeit des Fahrers ein Bild des Hindu-Hausgötzen oder fromme Koransprüche, fertig ist das Auto. Der Zweitakter verursacht einen Höllenlärm und Wolken von Abgasen. Tagsüber, wenn Massen dieser kleinen Hornissen unterwegs sind, leidet so mancher Fahrgast an Atemnot.

Mein Auto Whalla hatte wohl nicht nur zuviel Paan genascht, sondern auch zu tief in die Flasche geguckt. Und ob er überhaupt einen Führerschein besaß, ist auch zu bezweifeln. Trotz einiger Bemühungen meinerseits fand er die Abzweigung zum Hotel einfach nicht. Nachdem er die Abfahrt mehrfach übersehen hatte, reichte es sowohl ihm als auch mir. Während ich zornig den nächsten Polizeiposten ansteuern wollte, fuhr er in Richtung Ausgangsort und wollte auch noch den vereinbarten Fahrpreis einfordern. Nicht mit mir! Meine letzte Erinnerung ist ein heftiger Disput, in dem mit der Polizei drohte. Als ich wieder zu mir kam, saß ich mitten auf Delhis Straßen. Zahlreiche Passanten standen um mich herum. Mein Auto Whalla stand abseits und betrachtete sein ramponiertes Auto, das anscheinend in eine Verkehrsinsel gerast war und sich überschlagen hatte. Der Unfallhergang liegt für mich bis heute im Verborgenen.

Ein anderes Auto brachte mich zum Hotel, das dieser Fahrer ganz ohne Probleme fand. Aber wahrscheinlich hatte er auch nicht getrunken. Was aus dem ersten Fahrer und seinem Auto geworden ist, weiß ich nicht. Haftpflichtversicherungen sind dort jedenfalls unbekannt. Der Hotelarzt brachte mich mit seinem PKW ins Krankenhaus. Kein Auto, kein Teksi, dem Himmel sei Dank! Auf einem museumsreifen Krankenbett wurde ich zur Computertomografie gefahren. Als ich Siemens las, wußte ich, alles wird gut und fiel in gnadenvolle Ohnmacht. Prellungen, eine Schädelfraktur, aber ich durfte heimfliegen.

Ein letztes Mal brauchte ich ein Teksi, um zum Flughafen zu fahren. Der Teksi Whalla eine Karrikatur seiner Profession, mit Riesenturban und feuerroten Betelesserlippen. Die Musik so laut, daß die ganze Nachbarschaft beglückt wurde. Auf dem Beifahrersitz zwei Neffen, mit denen er sich angeregt unterhielt. Zwischendurch immer mal wieder ein paar Worte an mich. Er habe sieben Kinder und wenig Einkommen. In der Stimmung für ein saftiges Trinkgeld war ich allerdings nicht, und so gab er nach einigen Versuchen auf. Zur Strafe durfte ich dann am Flughafen selber mein Gepäck ausladen. Mit dem Eisbeutel bewaffnet ging es endlich heim.

Am liebsten fahre ich ja selber Auto, aber um in Indien bestehen zu können, müßte ich wohl in den Fächern Verkehrsregelmißachtung und Fußgängerjagd neue Prüfungen ablegen. Bis ich selber wieder fahren kann, verlasse ich mich auf die freundlichen Damen und Herren in den eleganten Limousinen. Die haben hierzulande einen Führerschein und eine Haftpflichtversicherung.


© Heike Hagenguth 06/2001
 
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Kommentare  

Ich schätze mal, du wars zweimal in Indien: Das ERSTE und das LETZTE Mal. Höhö... Aber so geht es dort tatsächlich zu. Fahr nächstes Mal nach Portugal:-) Schön geschrieben.

Stefan Steinmetz (28.04.2002)

Diese Geschichte ist gut erzählt und dargestellt, der Schreibstil ist sehr gut. Was ich mich frage: Was hat diese Geschichte mit Begegnungen zu tun? Hm... die Begegnung mit einem indischen Teksi vielleicht? Hm...

SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

langweilig!

Ridcully (31.08.2001)

Tolle Schilderung der vorgefallenen Ereignisse! Die Geschichte finde ich echt gut :-)

Marco Frohberger (11.08.2001)

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