74


1 Seiten

Lieber Opa

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Marco P
Jetzt, am Ende Deiner Zeit, spielt Dir das Leben einen Streich. Es zeigt Dir Deine Grenzen und manchmal, nur manchmal, beneide ich Dich darum. Ich würde auch so gerne vergessen, so wie Du alles vergisst.
Wieviel Jahre sind vergangen, seitdem Du den letzten Kriegsgegner voller Stolz die Stirn geboten hast? Wieviele Monate sind an Dir spurlos vorbeigezogen, in denen Du es nicht versäumtest nach alten Idealen zu schreien? Und wieviele Stunden hast Du meine infantile unbefangenheit ausgenutzt um mir zu erzählen wie gut und wie toll es damals war? Ich erinnere mich mit Freude an die vielen Nachmittagen zurück, in denen du mit leuchtenden Augen von Schiffen und Flugzeugen, von Partisanen und Leuchtspurmunition, von Hitler und Goebbels, von Panzern und Russland und von "es war Krieg", erzähltest. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich liebte es. Diese Nachmittage an denen meine Mutter irgendwas zu erledigen hatte und ich ganz nah bei Dir sein durfte. Es war meistens kalt und bewölkt, regnete oder schneite. Sonne war nur selten da. Die kleine Küche, der kleine Tisch, Dein Glas mit Apfelschorle und mein Glas mit Tee. Deine ruhige Stimme, manachmal ein Blitzen in Deinen Augen. Deine Einfühlsame Art und Dein ständiges Rechtfertigen für Dein Handeln. Einfach traumhaft. Doch jetzt, lieber Opa, ist die Zeit gekommen. Ich bin erwachsen. Ich weiss dass du auch einer von denen warst. Du warst nicht nur einfach so dabei, nein du warst ein aktiver und du hast nie bereut was du getan hast. Du standst hinter deinen Taten. Du bist nicht nur neben her gelaufen und ich verachte Dich dafür. Dafür, dass du meine Kindheit und mein heranwachsen missbrauchtest, um mir etwas von Krieg und Gewalt zu predigen. Ich konnte damals noch nicht einschätzen was für ein Mensch du warst. Jetzt, wo viele Jahre vergangen sind kannst Du Dich nicht mehr erinnern. Dein Gehrin erlaubt es Dir nicht mehr auf diese Einträge zurückzugreifen. Alzheimer kann was ganz furchtbares sein. Du hast Sie vergessen, so wie ich es mir wünsche vergessen zu können. Endlich zu vergessen. Doch ich kann es nicht. Und wieder ist das Leben ungerecht. Für Dich werden die Erinnerungen immer unschärfer und verlaufen sich in Deinen Windungen, aber für mich sind sie noch da. Eingebrannt, wahrscheinlich noch für viel Jahre. Danke, lieber Opa.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Ein hochinteressanter Mono-Dialog mit brisantem Schluss: Was Dein Opa anrichtete, aber indessen vergaß, lebt ungewollt (oder mit neuem Vorzeichen gewollt?) in Dir weiter. Ein heißes Thema mit überraschender Quintessenz.

Wolfgang Reuter (03.02.2015)

hi meggie,

danke, danke und nochmals danke :-)) wahrscheinlich bist du echt die einzige der meine literarischen ergüsse gefallen. gerade diese story war mir aus persönlichen dingen sehr wichtig.
alles in allem, danke nochmal

liebe grüsse
marco


marco (21.03.2004)

Hallo Marco!

Ich habe mal einfach so im Autorenbereich rumgestöbert und als ich deine schlechte Gesamtwertung gesehen habe, hat es mich gleich gereizt etwas von dir zu lesen.
Ich muss sagen, ich bin total überrascht!

Dein Schreibstil gefällt mir sehr, ich muss sagen, ich bin total begeistert! Auch das Thema und wie du es herausgearbeitet hast, gefällt mir gut. Ganz großes Lob!

Und natürlich fünf Punkte ;-)


Meggie (03.03.2004)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Taten warten  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De